Konfliktforscher G7 in Elmau

Globalisierungsgegner brauchen den Gipfel

Protestteilnehmer halten Plakate hoch und schwenken Fahnen.
Willkommene Plattform für kritische Geister: Der G7-Gipfel hat 30.000 Globalisierungsgegner mobilisiert - hier bei einer Veranstaltung in München. © AFP / Christof Stache
Ulrich Schneckener im Gespräch mit Dieter Kassel |
Schloss Elmau rüstet sich für den G7-Gipfel. Braucht die Welt dieses viele Millionen Euro teure Spektakel noch? Das Treffen der Staatschefs sei vor allem für dessen Gegner unverzichtbar, meint der Konfliktforscher Ulrich Schneckener. Die Veranstaltung biete eine willkommene Plattform für Proteste.
Im bayerischen Elmau stehen an diesem Wochenende mal wieder die Weltprobleme auf der Agenda. Drinnen im Schloss tagen die Staatschefs, draußen demonstrieren die Gegner und Kritiker des G7-Gipfels. Und nach Meinung des Konfliktforschers Ulrich Schneckener ist der G7-Gipfel schon allein deshalb nach wie von großer Bedeutung.
Im Deutschlandradio Kultur sagte der Politikwissenschaftler: Angesichts immer komplexerer Probleme weltweit, seien die regelmäßigen Beratungen der G7-Staaten unverzichtbar. Vor allem aber: Der G7-Gipfel sei auch sehr wichtig für dessen Kritiker.
"Das Schlimmste, was Kritikern und Gegnern der G7 passieren könnte, wäre ja, wenn sich die G7 nicht mehr treffen. Denn der G7-Gipfel gibt ja diesen Gruppierungen die Möglichkeit, ihre Themen medial auf die Agenda zu setzen."
Im Vorfeld des Gipfels seien wieder zahlreiche Papiere und Studien von NGOs veröffentlicht worden, die die Veranstaltung nutzten, um auf globale Probleme aufmerksam zu machen und Konzepte der Öffentlichkeit und den G7 zu präsentieren.
Keine verklärenden Erinnerungen an vergangene Zeiten
Man könne sich jedoch fragen, ob der finanzielle Aufwand, der auch für den aktuellen Gipfel auf Schloss Elmau wieder getrieben werde, angesichts der großen wirtschaftlichen Probleme weltweit gerechtfertigt sei.
Schneckener, der Professor an der Universität Osnabrück ist, warnte jedoch auch davor, den G7-Gipfel zu verklären und an zurückliegenden Zeiten zu messen: Bilder von Staatschefs, die gemeinsam rauchend vor dem Kamin säßen, seien eine "abwegige Vorstellung von Politik".



Das Interview im Wortlaut
Dieter Kassel: Morgen, das wissen wir, beginnt das G7-Treffen in Elmau, und wir wollen deshalb jetzt mit Ulrich Schneckener sprechen, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Osnabrück und bis 2009 Leiter der Forschungsgruppe globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Schönen guten Morgen, Herr Schneckener!
Ulrich Schneckener: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ist heute noch was übrig vom Geist von Rambouillet? Wird der in Elmau noch irgendwo in den Ecken lauern?
Schneckener: Na ja, ich bin immer nicht so ganz sicher, wenn dieser Geist beschworen wird. Mir ist das auch ein bisschen zu viel Helmut-Schmidt-Romantik. Also, wir schauen zurück nach Rambouillet mit diesem Bild, da sitzen ein paar Männer um den Kamin, rauchen irgendwas und lösen dann die Probleme der Welt. Ich glaube, so ist es damals schon nicht gewesen, und so ist es heute auch gar nicht vorstellbar. Das scheint mir auch eine abwegige Vorstellung von Politik zu sein. Ich denke, die Themen, die auch in dem Beitrag eben schon genannt worden sind, Weltwirtschaft, Finanzfragen, Entwicklungspolitik, die ersten Themen der G7, die sind bis heute Themen der G7 geblieben, nur die Welt hat sich ja massiv verändert. Und in der Form, wie man damals solche Treffen organisiert hat, wird das heute nicht mehr möglich sein, denn die Fragen sind ja wesentlich komplexer geworden.
Heute ist die Agenda wesentlich breiter
Damals hat ja die G6 und dann später G7 ja auch im Prinzip nur für einen Teil der Weltpolitik Verantwortung übernehmen können. Wir waren ja noch in der Zeit des Kalten Krieges. Und heute ist doch die Agenda wesentlich breiter und auch wesentlich komplexer. Und es ist natürlich so, dass die G7, das wird ja auch der G7 zu Recht vorgehalten, kein globales Problem allein lösen kann. Umgekehrt gilt aber auch, ohne die G7 geht es eben auch nicht.
Kassel: Dass Helmut Schmidt am Kamin geraucht hat, kann ich mir allerdings sehr gut vorstellen, in Rambouillet. Aber die Frage ist ja heute, bei der Größe dieser Treffen, machen die wirklich noch Sinn? Angela Merkel hat sich dazu erst gerade noch geäußert und auch den Gegnern gesagt, sie machen Sinn, gerade bei dieser Weltlage braucht man solche Treffen. Braucht man sie wirklich?
Schneckener: Ich würde mal sagen, es gibt drei Aspekte für mich, wo ich sagen würde, die G7 haben nach wie vor eine wichtige Bedeutung. Das eine ist, dass wir nicht unterschätzen dürfen, dass die G7 eine Reihe von eigenen Initiativen immer wieder entwickelt. Diese Zusammenkünfte sind ja immer nur auch die Spitze, das, was wir sehen. Unterhalb dessen ist ja eine ganze Architektur, wo Initiativen vorbereitet werden, wo man Ressourcen mobilisiert gerade im Bereich von Entwicklungs-, Klima- und Gesundheitspolitik, verschiedene Fonds und Programme auflegt, Aktionspläne beschließt. Das wäre so die eine Dimension.
Die zweite Dimension ist, dass es darum geht, andere multilaterale Prozesse in Ganz zu halten und möglichst auch zu einem Erfolg zu führen. Das ist schwierig genug. Dieses Jahr 2015 ist ein wichtiges Jahr für den Multilateralismus. Wir haben noch zwei große Weltkonferenzen vor uns, einmal die Klimakonferenz in Paris und einmal die Konferenz, die mit der Überschrift Post-2015, wo es um die neuen globalen Entwicklungsziele geht. Das ist für die UNO und für die Entwicklung der UNO ganz zentral, und auch das muss vorbereitet werden, und auch dazu ist ein solcher Gipfel hilfreich. Und drittens hat natürlich nach wie vor – und das wäre vielleicht noch so ein Geist von Rambouillet, wenn Sie so wollen – die Funktion des Austauschs, also die G7 eher als ein Forum. Einmal der Austausch untereinander über alle möglichen Fragen der Weltpolitik, aber auch mit Gästen. Die G7 bleiben ja nicht unter sich.
Ist der gigantische Aufwand gerechtfertigt?
Am zweiten Tag in Elmau werden ja auch, und das war bei den anderen Gipfeln ja auch schon so, Gäste empfangen, eine Reihe Vertreter afrikanischer Staaten sind ja angekündigt, Vertreter von internationalen Organisationen, von Regionalorganisationen, für die das eben auch eine Gelegenheit ist, ihre Probleme und ihre Sicht der Dinge mit den G7 zu besprechen. Und auch das ist ein Wert, den man nicht unterschätzen sollte.
Kassel: Aber es bleibt für mich die Frage, rechtfertigt das diesen gigantischen Aufwand? Die Rede ist ja bei Elmau von bis zu 360 Millionen Euro, die das kostet. Könnte man sich da nicht einfach auch im Bundeskanzleramt, Schloss Bellevue oder sonst wo treffen?
Schneckener: Na ja, gut, in der Tat kann man sich fragen, braucht es diesen Aufwand, und ich könnte mir auch vorstellen, dass man das vielleicht auch billiger organisieren kann, und mit schwäbischer Hausfrau hat das wahrscheinlich auch nichts zu tun. Aber ich kann auch die Zahlen da nicht einschätzen, aber ich denke das wäre aus meiner Sicht jetzt eine sehr verkürzte Optik. Natürlich sind das mediale Großereignisse, und das ist eben das große Treffen, und da stellt sich auch der Gastgeber jeweils dann da, und das spielt auch sicherlich alles eine Rolle. Auf der anderen Seite muss man natürlich den Kritikern und Gegnern auch sagen, die ja auch zu Recht eben die G7 kritisieren und eben auch auf Themen hinweisen, ungerechte Weltwirtschaftsordnung, Armutsproblematik in der Welt, Konfliktlagen in der Welt und so weiter, Verantwortung der Industriegesellschaften für diese Probleme.
Und insofern ist auch der G7-Gipfel wichtig für die Kritiker. Das Schlimmste, was Kritikern und Gegnern der G7 passieren könnte, wäre ja, wenn sich die G7 nicht mehr treffen. Denn auch der G7-Gipfel gibt ja diesen Gruppierungen die Möglichkeit, ihre Themen medial auf die Agenda zu setzen. Und wenn man jetzt auch wieder sieht und liest, was im Vorfeld des Gipfels auch alles an Studien und Papieren von NGOs veröffentlicht wird, die eben den Gipfel jetzt auch nutzen, um auf bestimmte Probleme aufmerksam zu machen, um ihre Positionen darzulegen, und auch um Konzepte anzubringen, mit denen sie dann die G7 konfrontieren.
Wachsender globaler Problemhaushalt
Kassel: Aber spätestens seit Genua 2001 haben wir uns auch daran gewöhnen müssen, dass diese Proteste auch gewalttätig sein können, zu Ausschreitungen führen können. Und darauf haben die G7 oder G8 ja eigentlich im Wesentlichen damit reagiert, dass sie sich jetzt an abgelegenen Orten treffen und die Sicherheitsvorkehrungen erhöhen. Sind nicht am Ende die Staats- und Regierungschefs doch abgehoben und merken gar nicht mehr, was um sie herum passiert?
Schneckener: Das kann ich nicht beurteilen. Das weiß ich nicht, ob die abgehoben sind. Und in der Tat muss man sich überlegen, ob das sozusagen der richtige Weg ist. Ich denke, das schafft Glaubwürdigkeitsprobleme, das schafft Legitimationsprobleme, und in der Tat könnte man sich vorstellen, dass solche Gipfel auch anders und bescheidener organisiert werden, aber trotzdem eben diese Themen, um die es ja geht – und die sollten aus meiner Sicht eher im Vordergrund stehen. Leider ist ja auch bei uns in der medialen Berichterstattung, wird sich sehr stark kapriziert auf die Kosten, und wo findet das statt, und wird da ein Zaun gebaut und so weiter. Man muss schon sehen, dass wir, und da würde ich eben noch mal das Argument auch aufgreifen wollen, dass wir in einer Welt leben, wo wir im Moment eher ein Problem haben mit internationalen Ordnungsstrukturen, und zwar ein massives. Wir haben einen wachsenden globalen Problemhaushalt – Klimakrise, Energiefragen, Ernährungsfragen, Gesundheitsfragen et cetera pp. bei abnehmender Problemlösungskapazität, ich würde es mal so formulieren. Und das sehen wir bei den internationalen Organisationen, die sozusagen teilweise in Selbstblockaden gefangen sind. Wir sehen das bei anderen Foren. Und ich sage jetzt nicht, dass die G7 hier den Durchbruch schafft, überhaupt nicht. Nur, es ist eben die Frage, wenn auf solche Instrumente, auf solche Treffen jetzt auch verzichtet werden soll, ist das dann wirklich ein Gewinn für internationale Ordnungspolitik?
Kassel: Sagt Ulrich Schneckener, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Osnabrück. Herr Schneckener, vielen Dank für das Gespräch!
Schneckener: Bitte schön!
Kassel: Wir werden die Frage, wie viel Sinn Elmau wirklich aktuell macht, heute Mittag bei "Studio 9" im Deutschlandradio Kultur noch einmal besprechen, und zwar mit Walter Stützle, früherer Staatssekretär im Verteidigungsministerium.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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