Kaum Chancen für Frieden in Syrien
Nach dem Willen der internationalen Gemeinschaft sollen Verhandlungen den Krieg in Syrien beenden. Deren Aussichten schätzt der Konfliktforscher Wolfgang Schreiber skeptisch ein: Derzeit seien die Bedingungen für einen Frieden in Syrien einfach nicht gegeben.
Während vor 1989 Kriege vor allem militärisch durch Sieg und Niederlage beendet wurden, dominieren seit dem Ende des Ost-West-Konflikts Verhandlungslösungen - häufig auf Druck der internationalen Gemeinschaft.
"In größeren Konflikten, die internationalisiert sind wie in Syrien, wird eigentlich immer sofort verhandelt", sagt der Mathematiker und Konfliktforscher Wolfgang Schreiber, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg. Entsprechend hoch sei der Druck auf die Konfliktparteien, an solchen Verhandlungen teilzunehmen. Das bedeute allerdings nicht, dass auch ernsthaft verhandelt werde, so Schreiber.
"Die Opposition hat ja sehr lange und tut das überwiegend wahrscheinlich auch noch heute, gesagt: Eine Verhandlungslösung mit Assad ist überhaupt nicht möglich. Dann sagt das Regime natürlich: Mit dieser Vorbedingung brauchen wir uns gar nicht an einen Tisch zu setzen. Also sprich: Man kann verhandeln, ohne eigentlich verhandeln zu wollen."
Den Zeitpunkt für eine Verhandlungslösung verpasst?
Die Chancen, dass Verhandlungen ein Kriegsende in Syrien bringen könnten, sind Schreiber zufolge gering. Derzeit seien die Bedingungen für einen Frieden in Syrien einfach nicht gegeben, sagt er.
"Das Regime, seit es von Russland massiv unterstützt wird, hat natürlich das Gefühl, dass es diesen Konflikt auch wieder militärisch entscheiden kann, was vielleicht vor anderthalb Jahren nicht so aussah, wo das Regime vielleicht eher verhandlungsbereiter gewesen wäre - ohne diese Vorbedingung: Assad muss weg."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Lange Zeit war die Türkei am Krieg in Syrien nur indirekt beteiligt, vor allem durch logistische Unterstützung der westlichen Allianz, inzwischen ist das türkische Militär in Syrien aktiv. So wurde zwar die Befreiung der Grenzstadt Dscharablus überhaupt erst möglich, aber der Krieg, an dem schon so viele Gruppen beteiligt sind, ist dadurch nur noch komplizierter geworden.
Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Universität Hamburg untersucht anhand der Datensätze von rund 250 Kriegen, die nach 1945 auf dieser Welt stattgefunden haben, ob es da eigentlich erkennbare Muster gibt und was man daraus schließen kann. Und darüber wollen wir jetzt sprechen mit dem Leiter dieser Arbeitsgruppe, Wolfgang Schreiber. Schönen guten Morgen, Herr Schreiber!
Wolfgang Schreiber: Guten Morgen, Herr Kassel!
Viele Player in Syrien, aber nicht alle sind relevant
Kassel: Gibt es denn Beispiele für kriegerische Konflikte aus der jüngeren Vergangenheit, die ähnlich komplex waren, was die Zahl der Beteiligten angeht?
Schreiber: Das ist ein bisschen schwierig, aus jüngerer Vergangenheit in dieser hohen Komplexität eigentlich eher nicht. Man hat auch zum Beispiel im Bosnienkrieg teilweise 17 Gruppen geführt, oder in Somalia, wenn man zurückgeht, auch da waren Dutzende von Gruppen beteiligt. Die Frage ist immer, wenn man innerhalb eines Krieges das aufzählt, kommt man auf solche hohen Zahlen, die Frage ist die der Relevanz. Aber das gilt natürlich für Syrien eigentlich genauso.
Da wird zum Teil von 200 Gruppen geschrieben, die gibt es auch alle, aber wenn man sich zum Beispiel überlegt, wer an den Verhandlungen in Genf teilnimmt, wie viele Gruppen, dann ist das ja nur eine Auswahl. Das heißt, die Gruppen, die wirklich relevant sind, einigermaßen größere Player in dem Spiel, das sind dann doch einige wenige, als das Gesamtbild hergibt, aber es sind für Syrien auch relativ viele mit relativ vielen unterschiedlichen Interessen. Also gerade auf der Oppositionsseite, wenn man die Freie Syrische Armee, die im Westen so als säkular dargestellt wird, gemäßigt, nimmt, dann halt bis hin zum Islamischen Staat oder den Kurden auf den anderen Seite als ethnische Gruppe.
Verhandlungslösungen statt militärischen Lösungen
Kassel: Nun haben Sie ja auch schon das Stichwort Friedensverhandlungen gesagt – was zeigen denn Ihre Untersuchungen? Führen solche Verhandlungen eher zu einem anhaltenden Frieden oder am Ende, wenn er denn möglich ist, doch eher ein militärischer Sieg einer der Beteiligten?
Schreiber: Das ist ein bisschen unterschiedlich, es hat gewechselt. Bis 1989, also während des Ost-West-Konflikts, war es eher der militärische Sieg, der vorherrschend war. Nach 1989 waren es eher Verhandlungslösungen, die zu einem Frieden geführt haben. Auch da muss man ein bisschen unterscheiden. Verhandlungslösungen waren dauerhafter, wenn sie nicht nur durch externen Druck zustande gekommen sind.
Also, es hat Verhandlungslösungen durchaus gegeben, wo man sehr stark von außen eingegriffen hat, wo man den Konfliktparteien sehr stark gesagt hat, ihr müsst das jetzt beenden. Das hat dann auch mal funktioniert für ein, zwei Jahre, und danach ist der Krieg neu eskaliert, insbesondere dann, wenn sich die externen Akteure bei der Nachkriegsbegleitung nicht unbedingt längerfristig um diese Konflikte gekümmert haben, sondern gesagt haben, ja, ist ja jetzt alles okay, wir kümmern uns um den nächsten Konflikt.
Kassel: Da fallen mir sofort zwei interessante Sachen ein zu diesem Thema, die auch indirekt mit Syrien zu tun haben. Das eine ist, man sollte als Laie ja glauben, wenn sich verfeindete Parteien überhaupt an den gleichen Tisch setzen, dann haben sie wirklich die Absicht, Frieden zu schließen. Mir kommt das zum Beispiel bei den Verhandlungen, die es in Genf, in Wien und anderswo schon gegeben hat zu Syrien, oft nicht so vor. Also ist das grundsätzlich noch kein gutes Zeichen, wenn es solche Verhandlungen überhaupt gibt?
Schreiber: Nein. Das Problem ist, auch das ist diese Wasserscheide nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, dass ein unheimlich großer Druck sozusagen insbesondere auf die UN entstanden ist, sich solcher Konflikte anzunehmen, und das heißt, es wird eigentlich in größeren Konflikten, die internationalisiert sind, so wie in Syrien, immer sofort verhandelt. Es gibt einen Sonderbeauftragten der UN, der die Vermittlungsgespräche sozusagen führt, das heißt nicht, dass die Konfliktparteien an einem Tisch sitzen müssen, sondern der spricht dann mit der einen Partei, überbringt deren Forderungen, Vorstellungen an die nächste Partei, aber in getrennten Räumen – auch in Genf wird ja zum Teil in getrennten Räumen verhandelt und die sitzen gar nicht an einem Tisch –, und da ist natürlich ein relativ großer Druck, dass dieses überhaupt passiert.
Verhandeln heißt noch nicht ernsthaft verhandeln
Und ob Konfliktparteien ernsthaft verhandeln oder nicht ernsthaft verhandeln, das ist eine vollkommen andere Frage, das hängt natürlich auch von Bildern ab, die die Konfliktparteien im Kopf haben. Also wenn Sie gerade an Syrien denken, die Opposition hat ja sehr lange – und tut das überwiegend wahrscheinlich auch noch heute – gesagt, eine Verhandlungslösung mit Assad ist überhaupt nicht möglich. Da sagt das Regime natürlich, na ja, mit dieser Vorbedingung, da brauchen wir uns gar nicht an den Tisch setzen. Also sprich: Man kann verhandeln, ohne eigentlich richtig verhandeln zu wollen.
Kassel: Das Zweite, was mir durch den Kopf ging, weil Sie es indirekt erwähnt haben vorhin schon, ist, eine Idee zu haben, wie man Frieden schließen kann, ist das eine, aber es scheint ja offenbar nicht nachhaltig zu sein, wenn man nicht auch – Sie haben geredet über die Einflüsse äußerer Parteien –, wenn man nicht auch diese sogenannte Exit-Strategie hat, also wenn Außenstehende nicht vernünftig wissen, wie komme ich da raus, ohne alle alleine zu lassen. Also wenn man schlicht keinen Plan hat, wie es weitergehen soll, dann nützt auch ein Frieden erst mal nichts, oder?
Schreiber: Na ja, bei dem, was ich vorhin meinte, geht es weniger um die Exit-Strategie, sondern die Konfliktparteien, deren Feindschaft endet ja nicht dadurch, dass die einen Frieden schließen, sondern beobachten sich ja immer noch suspekt, es gibt Probleme bei der Demobilisierung und Ähnliches. Und wenn dieses von außen sozusagen nicht begleitet wird, sondern man dann einfach sagt, na ja, die kriegen das irgendwie schon geregelt, dann hat man sehr häufig dieses Phänomen, dass nach ein, zwei, drei, vier, fünf Jahren ein Konflikt wieder neu zum Krieg eskaliert.
Die Verhandlungen um Aleppo nutzen
Kassel: Aber von außen wirklich etwas regeln kann man ja auch nur, wenn die, die von außen mitspielen, sich untereinander einig sind. Das scheint mir in Syrien jetzt nicht gegeben, wenn man sich sogenannte westliche Allianz – auf der einen Seite Russland, auf der anderen und dann in etwas merkwürdigen Positionen neuerdings zum Beispiel auch noch die Türkei – anguckt, wenn wir das so beobachten, aus Ihren Forschungen, können Sie überhaupt einen Hinweis geben aktuell, wie man zu Frieden kommen könnte in Syrien?
Schreiber: Ich glaube nicht, dass es im Moment so einfach ist, in Syrien zu Frieden zu kommen, weil die Bedingungen einfach nicht gegeben sind. Also das Regime, seit es von Russland massiv unterstützt wird, hat natürlich das Gefühl, dass es diesen Konflikt auch wieder militärisch entscheiden kann, was vielleicht vor anderthalb Jahren nicht so aussah, wo das Regime vielleicht eher verhandlungsbereiter gewesen wäre ohne diese Vorbedingung, Assad muss weg. Also jetzt zu sagen, in Syrien könnte man mit den und den Schritten zu einer Verhandlungslösung kommen, ist … Also da kann man auch keine Empfehlung abgeben, das ist das Problem.
Es gibt natürlich Schritte, Zeichen, die man unter Umständen nutzen kann. Wenn man jetzt die Waffenruhe von Aleppo, über die ja viel geredet wird, wo es ja am Anfang hieß, so zwei Stunden pro Tag oder so was, wo im Moment dann von 24 Stunden pro Woche die Rede ist, damit Hilfslieferungen möglich sind, das sind natürlich Sachen, wo die Kriegsparteien auch schon konkret miteinander reden. Und solche Fenster kann man natürlich nutzen unter Umständen, unter Umständen auch mehr zu erreichen. Ob das wirklich möglich ist, ist eine andere Sache. Wie gesagt, manchmal sind solche Waffenruhen, also auch so temporäre, ein Fenster, wo man mehr erreichen kann, manchmal aber auch nicht. Da gibt es auch kein Muster.
Kassel: Kleine Chancen gibt es, aber die große Lösung, auch aus Sicht der Wissenschaft, die zeichnet sich noch nicht ab in Syrien. Wolfgang Schreiber war das, der Leiter der AG Kriegsursachenforschung an der Universität Hamburg. Herr Schreiber, vielen Dank fürs Gespräch!
Schreiber: Nichts zu danken, Herr Kassel!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.