"Frieden ist harte Arbeit"
Der Friedensforscher Tilman Brück wünscht sich, dass Friedensarbeit stärker in der normalen Politik verankert wäre. Dann müssten nicht nur einige Aktivisten gegen den Strom schwimmen, um Konflikte und Gewalt zu bekämpfen.
"Ich glaube, es nützt wenig, wenn beispielsweise die Politik zu Konflikten führt und dann die Zivilgesellschaft versucht, dem entgegen zu wirken", sagt Tilman Brück, Leiter des Berliner Friedensforschungsinstituts ISDC im Deutschlandradio Kultur. "Besser wäre es, wenn wir gar nicht erst die Treiber von Gewalt, Konflikt, Hass und Trennung hätten, eigentlich muss Friedensarbeit verankert sein in der normalen Politik und nicht einen randständigen Bereich ausfüllen, wo einige Friedensaktivisten gegen den Strom schwimmen." Brück, der vorher am Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI tätig war, ist gerade im zentralasiatischen Kirgisien. Der Friedensforscher arbeitet dort in einem Projekt, dass Jugendliche unterschiedlicher ethnischer Gruppen zusammenbringt, um zu einer Konfliktlösung beizutragen. "Frieden ist harte Arbeit", sagt Brück über die alltägliche Arbeit.
Schub für Aktivisten
Über die Vergabe des Friedensnobelpreise sagt der Friedensforscher: "Ich freue mich immer, wenn Individuen und Menschen, die nicht sehr bekannt sind, Ehre und Aufmerksamkeit bekommen." Es gebe in vielen Ländern Menschen, die tolle Arbeit leisteten. Sie seien oft Gefahren ausgesetzt oder seien unter schwierigen Bedingungen in der Friedens- und Menschenrechtsarbeit tätig. "Ich freue mich immer, wenn solche Aktivisten ausgezeichnet werden, weil ihnen das unheimlichen Schub gibt." Den Friedensnobelpreis in diesem Jahr würde Brück am liebsten dem Friedensprozess in Kolumbien zukommen lassen.
(gem)
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Die Welt auf der Suche nach Frieden, nach einem, der Frieden bringt – heute gibt es den entsprechenden Nobelpreis, und da gibt es natürlich die eine oder andere Spekulation, aber für uns stellt sich jenseits der Namensspiele eine Frage darüber hinaus: Wie viel moralisches Gewicht hat der Friedennobelpreis eigentlich noch? Ich spreche darüber mit Tilman Brück, er ist Leiter des Friedensforschungsinstitutes ISDC in Berlin. Bis 2014 war er Vorsitzender des Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI, zurzeit in Bischkek, in der Hauptstadt Kirgisiens. Herr Brück, guten Morgen!
Tilman Brück: Guten Morgen!
Frenzel: Friedenserziehung von Jugendlichen im Süden Kirgisiens, darum geht es bei Ihrer Reise. 2010 hat das Land dort schwere ethnische Konflikte erlebt mit Toten und Verletzten – wie schwer ist es, Frieden in einem solchen Konflikt zu stiften?
Brück: Ja, das ist sehr schwer. Frieden ist harte Arbeit. In dem Projekt, was wir hier wissenschaftlich begleiten, geht es darum, Jugendlichen unterschiedlicher Ethnien zusammenzubringen. Die wohnen oft in demselben Ort, aber die sich kaum kennen, selbst nicht an den Schulen, an denen sie beide gemeinsam sind, und das Projekt einer Mischregierungsorganisation bietet Angebote am Nachmittag, wo Jugendliche dieser verschiedenen Gruppen zusammenarbeiten können und gemeinsam Projekte machen können: den Schulhof verschönern oder ein Theaterstück aufführen und dergleichen, und dabei sollen sich die Jugendlichen kennenlernen und ihre Vorurteile überwinden und Vertrauen finden in die andere Gruppe, aber das ist sehr, sehr schwer in der Praxis.
Friedensarbeit muss verankert sein
Frenzel: Die Öffentlichkeit wird ja heute weltweit viel über den Frieden reden angesichts der Bekanntgabe des Preisträgers für den Nobelpreis. Steht denn diese langfristige Arbeit, wie Sie sie da beschreiben, steht die zu sehr im Schatten?
Brück: Die Frage ist, ob man Frieden durch solche bewussten und gezielten Projekte besser fördert oder ob wir Frieden sozusagen in all dem, was wir sonst jeden Tag tun, mitdenken müssen. Ich glaube, es nützt wenig, wenn zum Beispiel die Politik zu Konflikten führt und dann vielleicht die Zivilgesellschaft versucht, dem entgegenzuwirken. Besser wäre es, wenn wir gar nicht erst die Treiber von Gewalt und Konflikt und Hass und Trennung hätten. Also eigentlich muss Friedensarbeit verankert sein in der normalen Politik und nicht einen randständigen Bereich ausfüllen, wo einige einzelne Friedensaktivisten sozusagen gegen den Strom schwimmen.
Frenzel: Dieser Preis, der Nobelpreis, kann ja vielleicht in dem, was Sie da beschreiben, die Funktion haben, indem er die unterstützt, die es machen, die diese Arbeit machen. Da ist ja immer die Frage, wen unterstützt man da – aktive Politiker, die möglicherweise in einer schwierigen Situation sind oder besser Organisationen? In den letzten Jahren hat sich das Komitee immer eher gegen Politiker, mehr hin zu Organisationen entschieden. Ist das ein Trend, der gut ist?
Brück: Ich denke, das Komitee hat in den letzten Jahren etwas aktivistischer entschieden. Es möchte sozusagen auch eigene Friedenspolitik mitgestalten, indem es Aufmerksamkeit auf wichtige Themen lenkt. Also es hat das Instrument des Friedensnobelpreises bewusster eingesetzt. Eigentlich hat das Komitee ein sehr breites Mandat. Es ist sehr frei in dem, wie es arbeitet und wen es auswählt.
Es gibt, wie Sie sagten, die Beispiele, wo einzelne Aktivisten gewürdigt worden sind und ihre Arbeit hervorgehoben ist, das hat deren Arbeit natürlich stark gefördert. Andererseits gab es auch Organisationen, es gab auch Individuen, die für vergangene Leistungen gewürdigt worden sind, wie Desmond Tutu, den Sie vorhin vorgestellt haben. Also ganz unterschiedliche Preisträger, aber ich denke, die Tendenz geht dahin, eigene Akzente zu setzen. Das macht es natürlich umstrittener. Es ist schwierig … also dann ist der Ausschuss nicht mehr neutral, sondern er wird selber zu einem Akteur in der Landschaft.
Politische Nobelpreise
Frenzel: Kann er denn überhaupt neutral sein, gerade in einer Welt, wie wir sie erleben? Wir haben ja eine Zunahme vieler großer Konfliktlagen, dass das fast schon erinnert an die Zeiten des Kalten Krieges mit großen Blöcken, mit großen Interessengruppen. Wie verhält sich da ein Nobelpreiskomitee, wie verhält es sich klug? Eine Kandidatin, eine heißgehandelte Kandidatin, Swetlana Gannuschkina, ist ja eine Russin – sollte sich das Komitee besser von solchen Dingen fernhalten oder gerade sagen, wir setzen jetzt Signale?
Brück: Ich denke, das sind zwei Aspekte. Das eine ist, es kann einzelne, insgesamt relativ machtlose Menschen auszeichnen, fördern, Aufmerksamkeit auf deren Anliegen lenken. Das mag sehr politisch sein, wenn es sich um eine russische Menschenrechtsaktivistin handelt, aber das ist die eine Form der Tätigkeit. Die andere ist, dass es sehr spekulative oder sehr frühe Preise vergibt, zum Beispiel an Barack Obama oder an die EU – das sind politische Preise. Dort hat man mit der Vergabe des Preises Aufmerksamkeit auf Themen lenken wollen, aber auch Entwicklung befördern wollen.
Ich denke, die erste Kategorie, in der einzelne Personen gewürdigt werden, ist in gewisser Weise unpolitischer, weil es versucht, mehr das Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit auf vergessene und unterbeachtete Themen und Aktionen, Akteure zu lenken. Schwieriger ist es, wenn sozusagen in vorausschauendem und vorausblickend Preise vergeben werden, die dann eine eigene Aktivität entfalten sollen und die dann zu einem bestimmten Ergebnis führen sollen. Das finde ich schwieriger.
Kommentar zur Abschottungspolitik
Frenzel: Es gibt ja eine nicht mehr ganz so heiß gehandelte Kandidatin – im letzten Jahr war es ein bisschen mehr –, nämlich unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Das ist natürlich eine der von Ihnen genannten Einzelpersonen, wo das Signal möglicherweise nicht so stark wäre. Man könnte natürlich auch sagen, es wäre gerade besonders stark, einer Politikerin, die politisch, innenpolitisch angeschlagen ist, für ihren Kurs eine solche Rückendeckung zu geben. Das hat das Komitee in früheren Jahren ja mit einem anderen deutschen Bundeskanzler bewusst getan, mit Willy Brandt, für seine Ostpolitik. Wäre das ein Signal?
Brück: Genau, sollte Angela Merkel für ihre Entscheidung letztes Jahr, Deutschland für Flüchtlinge stärker als bisher der Fall zu öffnen, den Nobelpreis erhalten, wäre das ein sehr politisches Signal, wäre es eher ein Kommentar zur aktuellen Diskussion der Abschottung in Europa, würde es sozusagen die Diskussion darüber befördern, dass dieser Schritt zurück, sich wieder stärker abzuschotten und auch stärker abzuschieben – das Abkommen mit der Türkei beispielsweise, das Abkommen mit Afghanistan –, das wäre eine Kritik an dieser Politik, und das wäre ein Lob für die Politik des vergangenen Jahres, zu sagen, wir sind in der Welt alle in einem Boot, wir müssen uns gegenseitig helfen, so wie Deutschland in der Vergangenheit auch Hilfe anderer Länder erhalten hat, ist es jetzt an der Zeit, dass Deutschland anderen Ländern und anderen Menschen vor allen Dingen hilft.
Lob für Friedensprozess in Kolumbien
Frenzel: Tilman Brück, kurze Frage zum Schluss: Haben Sie einen Wunschkandidaten für die Nobelpreisvergabe für den Frieden?
Brück: Also ich freue mich immer, wenn Individuen und Menschen, die nicht sehr bekannt sind, Ehrungen und Aufmerksamkeit bekommen, und da gibt es so viele Menschen in der Welt, die so tolle Arbeit in ihren Ländern machen, auch ganz alleine und vergessen sind, ganz gefährlich leben, unter ganz schwierigen Bedingungen Friedens- und Menschenrechtsarbeit machen. Ich freue mich immer, wenn solche Aktivisten ausgezeichnet werden, weil ihnen das einen unheimlichen Schub gibt. Andererseits denke ich ist ein ganz starker Kandidat der gefährdete Friedensprozess in Kolumbien. Da ist was ganz Tolles erreicht worden: Das Referendum dort hat das ganz stark angeschlagen. Vielleicht möchte das Komitee ein Zeichen setzen und den Friedensprozess dort mit der Verleihung des Preises retten.
Frenzel: Live aus Bischkek, der Hauptstadt Kirgisiens, Tilman Brück, der Leiter des Friedensforschungsinstitutes ISDC in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Brück!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.