Weniger Kriege auf der Welt
Stimmt der gängige Eindruck, dass es immer mehr Gewalt gibt auf der Welt? Nein, sagt der Friedensforscher Martin Kahl vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Und nennt mehrere Gründe, warum wir dennoch das Gegenteil glauben.
Jürgen König: Ukraine, Irak, Israel und Palästina, Syrien, Mali, Südsudan. Manchmal kann einem schon der Gedanke kommen: Derart viele Konflikte und Krisen, die ja eigentlich Kriege sind, hat es schon lange nicht mehr gegeben.
Und es sind nicht wenige, die sagen, das habe auch etwas mit dem Rückzug der Weltmacht USA zu tun. Diesem Gedanken wollen wir jetzt nachgehen zusammen mit Martin Kahl. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Guten Morgen, Herr Kahl!
Martin Kahl: Guten Morgen!
König: Trifft dieser Eindruck überhaupt zu, gibt es heutzutage mehr Konflikte, Krisen, Kriege als früher?
Kahl: Das lässt sich so ohne Weiteres nicht behaupten. Wenn wir uns einfach mal Statistiken angucken, die vorliegen über die letzten Jahre, sagen wir, seit 1946, dann ist es eher auffällig, dass die Zahl der Konflikte seit, sagen wir, Ende des Ostwestkonfliktes, also zu Beginn der 90er-Jahre, abgenommen hat und nicht zugenommen hat.
Das trifft sowohl auf zwischenstaatliche Konflikte, also das, was wir als klassische Kriege bezeichnen, und auch auf innerstaatliche Konflikte, also beispielsweise Bürgerkriege. In beiden Kategorien ist sozusagen eine Abnahme festzustellen. Wobei man auch noch sagen muss, dass die Zahl der gewalttätigen Kriege auch zurückgegangen ist und die Zahl kleinerer Auseinandersetzungen zugenommen hat. Aber insgesamt ist die Zahl in beiden Kategorien rückläufig.
König: Gleichwohl hatten wir auf unserer Redaktionskonferenz gestern sozusagen in Gruppe den Eindruck, dass man Kriege heutzutage verstärkt wahrnimmt, weil man einfach die Bilder und die Töne Tag und Nacht zu hören, zu sehen bekommt. Ist da was dran?
Mittels Handykameras und Internet wird Gewalt schnell verbreitet
Kahl: Das wäre sicher ein Erklärungsansatz. Zum einen kann man vielleicht feststellen, dass sich zumindest in den liberalen westlichen Gesellschaften ja doch eine erhöhte Sensibilität gegenüber Gewaltanwendung im Allgemeinen herausgebildet hat. Gewalt gilt in der Gesellschaft als was Schlechtes, als was Abzulehnendes.
Und zum anderen spielt sicherlich eine globale Medienpräsenz eine größere Rolle, als das früher der Fall war. Denken Sie zum einen daran, wir haben vielleicht so eine Medienkonkurrenz global agierender Medienkonzerne, die sich natürlich um Bilder rangeln und alles das, was sendbar ist, eben auch senden.
Und zum anderen haben wir natürlich auch den Trend, jeder hat seine Handykamera heute dabei, es ist viel leichter möglich als früher, Gewaltbilder zu produzieren und dann auch relativ einfach auch über global agierende Medien, Social Media zu verbreiten.
Also, wir diskutieren das natürlich auch unter Fachkollegen, und es gibt eben auch einen Teil von Kollegen, die genau dieser Meinung anhängen, dass die Konflikte immer mehr werden, dass sie auch immer brutaler und schlimmer werden. Was aber eine These ist, die sich über Statistik nicht verifizieren lässt.
Viele brutale Konflikte werden schnell vergessen
Wir fragen uns dann natürlich auch, woran liegt das, dass dieser Eindruck entsteht, dass es immer mehr Konflikte und auch immer brutalere Konflikte gibt. Ich glaube, es liegt auch daran, dass man viele brutale Konflikte, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, gar nicht mehr präsent hat. Denken Sie beispielsweise an den Anfang der 70er-Jahre, der Krieg in Bangladesch, wo in relativ kurzer Zeit es eine Million Tote gab, das weiß heute überhaupt niemand mehr. Und man setzt sozusagen die Gewalt, die momentan stattfindet, absolut und ist nicht mehr in der Lage zu relativieren mit anderen, früher stattgefundenen großen Gewaltvorkommnissen.
König: Hillary Clinton hat die Außenpolitik der USA unter Barack Obama kritisiert, er sei zu zögerlich, das sei nicht gut, nicht gut für die USA, nicht gut für die Welt. Was halten Sie von der These?
Kahl: Man muss ja vielleicht noch mal gucken, was hat Frau Clinton jetzt konkret gesagt? Sie hat den Vorwurf erhoben, Obama hätte die Rebellen in Syrien nicht mit genug Waffen unterstützt und er habe keine Strategie für den Irak. Das ist, denke ich, ein bisschen wohlfeil, diese Behauptung, weil, sie kann ja nicht nachweisen, dass, wenn Obama mehr Waffen geliefert hätte, dass es dann sozusagen mehr im amerikanischen Interesse gelaufen wäre.
Der US-Einsatz im Irak hat die Welt nicht besser gemacht
Die Amerikaner haben ja viel Macht entfaltet im Irak und auch in Afghanistan, in anderen Regionen der Welt, da kann man ja nicht sagen, dass das irgendwie die Welt zum Besseren gebracht oder dass es zumindest Erfolge gezeitigt hätte, wie die Amerikaner sich das gewünscht hätten. Und jetzt zu sagen, man müsse nur sozusagen wieder noch mehr Macht entfalten, dann würde sich alles sozusagen zum Besseren wenden, ich glaube, das ist eine ein bisschen eine zu einfache Behauptung.
Man könnte vielleicht sogar die Gegenthese aufstellen und sagen, je mehr die Amerikaner sich zurückhalten, desto weniger Konflikte sind eigentlich weltweit zu verzeichnen gewesen, wenn man schon so einen Zusammenhang aufstellen will. Natürlich ist es immer ein Problem, so eine Zurückhaltung auch innenpolitisch den Amerikanern zu verkaufen, insbesondere wenn man das Gefühl hat, dass eine Gegenströmung sich entwickelt gegen die amerikanischen Interessen, wie das ja momentan der Fall ist.
König: Vielen Dank! Martin Kahl war das, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Ich danke Ihnen!
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