Zur Integration gehört auch Gewaltprävention
Der 20-jährige Iraker Ali B. hat den Mord an Susanna gestanden. Das ruft diverse Experten auf den Plan, die versuchen, die Tat zu kategorisieren und auf kulturelle Unterschiede herunter zu brechen. Doch eine solche Analyse greife zu kurz, sagt Konfliktforscher Andreas Zick.
Ein 20-jähriger Iraker, der als Geflüchteter nach Deutschland gekommen war, hat den Mord an der 14-jährigen Susanna aus Wiesbaden gestanden. Solche Fälle seien längst keine Einzelphänomene mehr, sagt beispielsweise die Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter: Es sei eine neue Situation – und die habe etwas mit den vielen jungen Männern aus patriarchalischen Strukturen und Kulturen zu tun.
Keine globalen Einordnungen
Der Konfliktforscher Andreas Zick hingegen warnte im Deutschlandfunk Kultur davor, den Fall Susanna global einzuordnen oder pauschal zu kategorisieren und zu verkürzen: "Wir haben ja sehr viel häusliche Gewalt, wir haben Gewalt gegen Frauen, wir haben Gewalt gegen Menschen mit Behinderung in unserer Kultur, nehmen da aber nicht an, dass wir hier eine spezifische Gewaltkultur haben."
Man müsse vielmehr mehrere mögliche Faktoren für die Tat in Betracht ziehen. Zick kritisierte auch Aussagen, wonach Susanna Opfer allzu großer Toleranz in unserer Gesellschaft geworden sei: "Zuwanderung braucht eine Toleranz, so wie wir aber auch Toleranz von anderen verlangen." Diese Toleranz nun in Frage zu stellen, helfe nicht weiter.
Die Folgen für die Politik
Was sind die Konsequenzen für Horst Seehofers Masterplan für Asylsuchende? "Es gibt traumatisierte Menschen, die Gewalt erlebt haben. Und dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie selbst Gewalt ausüben. Das heißt, in den Integrationsplan gehört für uns auch immer eine Konflikt- und Gewaltprävention." Bei der Integration und auch bei der Aufklärung solcher Taten wie die gegen Susanna sei es nicht sinnvoll, Leute zu stigmatisieren oder ihnen vorurteilsbelastet zu begegnen.
(mkn)
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Nach dem Mordfall Susanna soll es jetzt ein Masterplan richten. Die neue Asylpolitik will Innenminister Horst Seehofer morgen vorstellen. Am Wochenende war der 20-jährige irakische Tatverdächtige zurück nach Deutschland gebracht und dem Haftrichter vorgeführt worden. Die Ethnologin Susanne Schröter vom Forschungszentrum Globaler Islam an der Uni in Frankfurt fordert dazu auf, den Ernst der Lage zu begreifen, und spricht von einem Clash der Kulturen – modernes, deutsches Frauenbild gegen patriarchalisch geprägte Männerwelt. Mit dieser Problematik befasst sich auch der Konfliktforscher Andreas Zick, guten Morgen!
Andreas Zick: Guten Morgen, hallo!
Welty: Prallen da zwei Kulturen tatsächlich und unvereinbar aufeinander?
Zick: Ja, ich glaube, das ist eine relativ globale Analyse. Das Problem ist, wenn Sie diesen einzelnen Täter, der jetzt einen Mord begangen hat, als Vertreter einer ganzen Kultur, und das Opfer als Vertreterin einer anderen Kultur so einfach kategorisieren, so einfach einordnen – ich denke, das ist nicht so einfach. Der Faktor, da geht es ja um die Frage der Männlichkeitskulturen, der Gewaltkulturen, der Faktor mag eine Rolle spielen. Aber wir müssen sehr vorsichtig sein mit globalen Einschätzungen, weil sie ja vielleicht eher die Konflikte anheizen. Wir haben ja sehr viel häusliche Gewalt, wir haben Gewalt gegen Frauen, wir haben Gewalt gegen Menschen mit Behinderung in unserer Kultur, nehmen da aber nicht an, dass wir hier eine spezifische Gewaltkultur haben. Also, das wäre mir im Moment zu einfach, zu verkürzt auf die vielen möglichen Faktoren, die dort eine Rolle gespielt haben könnten.
Susanna – ein Opfer der Toleranz?
Welty: Auf einem Kreuz für Susanna stand, sie sei ein Opfer der Toleranz. Können Sie diesen Gedanken nachvollziehen?
Zick: Na ja, das würde bedeuten, was heißt hier Toleranz? Das sind solche Klischees, die dann von denen vor allen Dingen behauptet werden, die sich sicher sind, was sind die Hintergründe. Toleranz, damit ist ja eher hier gemeint: die falsch verstandene Toleranz. Nein, das trifft hier auf diesen Toleranzbegriff nicht zu. Wir haben ein Recht, das Recht wird auch angewendet, Menschen haben ein Recht, zu uns zuzuwandern. Und dann, das so etwas Dramatisches wie diese Mordfälle passiert, wir haben ja insgesamt einen Gewaltrückgang, wir haben einen leichten Anstieg unter den geflüchteten Menschen. Das, denke ich, ist so einfach auch da mit dem Konzept von Toleranz nicht zu begreifen. Zuwanderung braucht eine Toleranz, so wie wir aber auch Toleranz von anderen verlangen. Also das wird auch zu einfach sein, um jetzt diesen Fall zu klären, und hilft nicht weiter.
Welty: Trotzdem prägen natürlich die Fälle in Wiesbaden wie jetzt bei Susanne, in Freiburg und in Kandel vorher die öffentliche Debatte. Inwieweit wird die Debatte dann auch verändert?
Zick: Die Debatte ist ja schon lange da. Wir haben ja schon festgestellt vor zehn Jahren, schon weit vor der sogenannten Flüchtlingskrise waren die Meinungen der Bevölkerung zum Thema Zuwanderung nicht so positiv, wie wir das jetzt meinen. Gerade die, es geht ja immer wieder auch um die Frage von Islam und Muslimen, wir haben schon vor der sogenannten Flüchtlingskrise festgestellt: Jede zweite Person teilt negative Meinungen über Muslime, den Islam. Das spielt ja auch jetzt hier in der sofortigen Diskussion eine Rolle, wir wissen überhaupt nicht, wie religiös, wie gläubig der Täter hier war, die Familie. Das heizt dann natürlich an, das merken wir ja auch. Wir haben jetzt neue Zeiten, das heißt, in den sozialen Netzwerken wird immens viel diskutiert.
Und vor allen Dingen bilden sich so eigene kriminologische Analysewelten. Wir stellen fest im Netz, die Analyse dieser Tat ist sehr schnell und wird dann in solchen parallelen Netzen auch weiter vorangetrieben. Es gibt mittlerweile eigene Statistiken über Angriffe von Geflüchteten auf Einheimische. Also das erleben wir, wobei wir auch feststellen müssen, da gehen Regionen sehr unterschiedlich mit um. In Kandel, wo ein Mordfall passiert ist – ein furchtbarer Mordfall im Dezember –, da ist die Stadt in einem Dauerprotest, da versuchen also rechtspopulistische, rechtsorientierte Gruppen daraus jetzt ein politisches Programm zu machen aus diesem Mordfall, Stopp der Zuwanderung, Abschiebung, und so weiter, und es gibt linke Gegenproteste. An anderen Orten ist dieser Konflikt nicht so leicht entzündbar. Das heißt, jetzt kommt es eben, wenn man schon Zivilcourage bedient, muss man eben sagen, Zivilcourage bedeutet auch, dass wir jetzt vorsichtig sind in der Interpretation, den Konflikt nicht aufheizen und erst mal das Recht seinen Weg gehen lassen.
Was sollte Hors Seehofer in seinen Masterplan schreiben?
Welty: Das heißt was für die Politik? Was sollte Horst Seehofer, der Innenminister, in seinen Masterplan hineinschreiben?
Zick: Bei dem Thema Integration – nehmen wir diesen Fall sehr ernst. Nehmen wir mal ernst, dass wir Gewalt haben, auch von Menschen, die zu uns zuwandern, dass wir Menschen haben, die kulturell anders geprägt sind, die in Teilen – es gibt solche männlichen Männlichkeitskulturen – es gibt auch eine höhere Akzeptanz, es gibt traumatisierte Menschen, die Gewalt erlebt haben, und dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie selbst Gewalt ausüben. Das heißt, in den Integrationsplan gehört für uns auch immer eine Konflikt- und Gewaltprävention. Integration und auch die Aufklärung solcher Taten und das Entdecken von Personen, da hilft uns nicht ein Stigma oder Vorurteil, wir müssen also in die Integration Schutz mit stärker hineinbauen.
Und da bin ich mal gespannt, ob das mit drin ist, oder ob es hier nur um Abschiebung oder Aufnahme geht, also um das Sortieren von guten und schlechten Migranten – das hilft uns überhaupt nicht weiter, denn wir haben so massiv viel Gewalt in der Gesellschaft, die kommt auch aus der Gesellschaft. Also ich finde, da gehört Konfliktprävention mit hinein und da werden wir abwarten, ob die Zentren – man zentriert ja sehr viele Menschen auf einem Punkt – auch ein hinreichendes soziales Schutzprogramm vor Konflikteskalation hat, das gehört dann mit darein, wenn es denn ein Masterplan sein soll.
Welty: Der Mordfall Susanna – über die Debatte danach habe ich mit Andreas Zick gesprochen, Professor für Gewalt- und Konfliktforschung in Bielefeld. Ich danke Ihnen!
Zick: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.