"Kongo" von Éric Vuillard

100 Seiten Geschwätzigkeit

Reisversorgung auf einem Markt in der Demokratischen Republik Kongo.
Éric Vuillard kommt in seinem Buch über Kolonialismus nicht ohne kapitalismuskritische Volte aus. © picture alliance / dpa / Mika Schmidt
Von Marko Martin |
Dieses Buch bekommt keine Leseempfehlung: "Kongo" des Franzosen Éric Vuillard ist das Werk eines hyper-ambitionierten Autoren, der die Geschichte, über die er schreibt, lediglich als Steinbruch nutzt. Relevante Literatur entsteht anders.
Literarische Fiktionalisierungen im Rahmen historischer Ereignisse sind nichts Neues - man denke nur an Lew Tolstois "Krieg und Frieden", fast ein halbes Jahrhundert nach der napoleonischen Invasion geschrieben und bis heute ein unverzichtbares Sittenbild russischer Geschichte.
Für die europäischen Verbrechen im Kongo gilt Ähnliches: Joseph Conrad hatte mit "Herz der Finsternis" die irrational-gewaltsamen Aspekte abendländischer Kultur ausgelotet wie kaum ein anderer Schriftsteller zuvor.
Vor 15 Jahren bewies dann der amerikanische Historiker Adam Hochschild in seiner voluminösen Untersuchung "Schatten über dem Kongo", was auch detailgetreue Geschichtsschreibung vermag - sofern sie denn ein gesellschaftliches Panorama entwirft, das auch den anonymen Opfern eine Stimme gibt. Ähnliches gelang Mario Vargas Llosa, der Joseph Conrads damaligem "Informanten", dem irischen Kolonialismuskritiker Roger Casement, im "Traum des Kelten" ein romaneskes Denkmal setzte.
Eric Vuillard: "Kongo"
Eric Vuillard: "Kongo"© Promo
Und nun vor diesem Hintergrund das Buch des französischen Schriftstellers Éric Vuillard, das - wie auf der letzten Seite vermerkt ist - mit Hilfe von allerlei Stipendien ins Deutsche übersetzt wurde. Leider aber bietet "Kongo" nur 100 Seiten Geschwätzigkeit, politische Korrektheit im Nachhinein und das pseudo-poetische Auspinseln von Fakten, die der Autor gewiss nicht selbst recherchiert hat. (Nirgendwo jedoch findet sich ein Dankwörtchen für Adam Hochschilds epochale Aufdeckung der Verbrechen des belgischen Königs Léopold II in dessen kongolesischer "Privatkolonie", dafür ist im nicht minder verschwurbelten Verlags-Klappentext von einem "König Leopold XV" die Rede.)
Konfuses Machwerk
Stattdessen gibt's gebastelte Genre-Szenen: Diplomaten bei der Berliner Kongo-Konferenz im Jahre 1884, größenwahnsinnige Europäer und "Neger" (sic!) im dampfenden Dschungel.
"Das im Wind wehende Schilf schien nichts zu wissen, die Welt war ein finsteres Wesen hinter einer Maske aus Licht."
Kongolesen bleiben in dieser sämigen Kunstprosa Statisten, denn "die Einzelheiten langweilen", außerdem muss noch eine globalisierungskritische Volte folgen: Obwohl der Kongo unter Léopold II eher eine feudal-merkantilistische Blase mit protektionistischer Ökonomie war, polemisiert Vuillard gegen den 1790 verstorbenen Adam Smith und dessen Standardwerk "Der Wohlstand der Nationen". ("Dann kam dieser fette Trottel von Smith...") Man könnte dieses konfuse Machwerk mit Schweigen übergehen, wäre es nicht Teil eines gegenwärtigen Phänomens: Geschichte als Steinbruch für hyper-ambitionierte Autoren und deren "Ich stelle mir vor"-Preziosen - ein wenig Holocaust, ein wenig Kolonialismuskritik, ein wenig von alldem. Man sollte um die Existenz dieser Eintopf-Suppen wissen, um sie nicht mit wirklich relevanter Literatur zu verwechseln.

Éric Vuillard: Kongo
Aus dem Französischen von Nicola Denis
Matthes & Seitz
128 Seiten, 16,90 Euro

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