Zwischen Utopie und Realität
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"Utopia Jetzt" – unter diesem Motto tagt der Bundesverband Freie Darstellende Künste in Berlin. Der Dachverband der freien Szene will sich als politisch handlungsfähige Institution präsentieren und visionäre Ideen für die Zukunft entwickeln.
Früher sprach man von der freien Szene und hatte es mit einem schwer überblickbaren Bereich zu tun: experimentierfreudig, anarchisch, wild, kaum auf einen Punkt zu bringen. Die Künstler sprachen nicht mit einer Stimme, was ihrem politischen Einfluss nicht gerade zuträglich war. Heute gibt es den Bundesverband Freie Darstellende Künste, der etwa 26.000 Kulturschaffende im gesamten Bundesgebiet repräsentiert – eine durch und durch geachtete Institution, die unter dem Motto "Utopia Jetzt" an diesem Wochenende in Berlin tagt.
Zur Eröffnung des Kongresses sprachen die Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der Berliner Kultursenator Klaus Lederer. Der Prestige- und Bedeutungszuwachs der freien Szene ist mit Händen zu greifen. Und das Alternative? Janina Benduski, die Vorsitzende des Bundesverbands, holt tief Luft:
"Das Kongressprogramm ist aus einem Abstimmungsprozess in der Szene entstanden. Wir denken schon, dass eine gewisse Form von professionalisierten Gesprächsformaten eine gewisse Freiheit erst ermöglicht."
Utopische Räume
Deswegen gab es zum Auftakt des Kongresses einen Workshop zum Thema: Wie kommuniziere ich effektiv? Wie kann ich Kritik äußern, ohne zu verletzen? Das zeigt, wie viel den Organisatorinnen an konstruktiven Gesprächen liegt. Es sollen Visionen entworfen werden, aber auch konkret umsetzbare Konzepte – zum Beispiel zu den Themen Diversität, Nachhaltigkeit und Solidarität, die sogenannten "utopischen Räumen" diskutiert werden.
Jeweils 14 Stunden haben Organisatorinnen dafür eingeplant. Die Beteiligung hält sich allerdings sehr in Grenzen – das lange Format kommt nicht gut an. Und das ist auch kein Wunder, denn es gibt andere, kürzere und ebenfalls wichtige Veranstaltungen, die parallel laufen.
Kultur in der politischen Debatte
Als gestern Martina Grohmann vom Theater Rampe in Stuttgart und der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda über die "Freiheiten der Kunst" diskutierten, war der Saal voll.
"Die eine Gefährdungsdimension ist die, die alle miteinander hier im Raum kennen: Das ist schlicht die Frage, stehen die Ressourcen zur Verfügung, um Kunstfreiheit in Anspruch nehmen zu können? Und da würde ich die Unterscheidung zwischen 'öffentliche Förderung ist gut, privatwirtschaftliches schlecht' nicht in der Schärfe halten, wie dass der eine oder andere tut. Gerade in Zeiten, in denen wir durchaus erleben können, dass die öffentliche Hand aufgrund von Wahlergebnissen an der einen oder anderen Stelle im Land in eine Situation gerät, wo es nicht mehr selbstverständlich ist, dass ich davon ausgehen kann, dass ich den wohlmeinenden, sich aber ansonsten heraushaltenden Förderer auf Seiten des Staates habe", so Brosda.
Für einen Kultursenator ein bemerkenswertes Statement. Die Zeiten, in denen sich Kulturpolitik auf die Verteilung von Fördergeldern und ein wenig Standortmarketing beschränken konnte, seien vorbei, sagt Carsten Brosda:
"Kunst und Kultur sind jetzt eines der Hauptauseinandersetzungsfelder der politischen Debatte. Dafür hat die AFD gesorgt. Die AFD kulturalisiert Politik und politisiert Kultur."
Faire Bezahlung freier Künstler
Wie man sich gegen Angriffe von Rechts zur Wehr setzen kann, ist ein großes Thema des Kongresses. Und auch das ist bemerkenswert. Während es der freien Szene früher vor allem um einen fairen Anteil an der öffentlichen Kulturförderung, streitet sie heute für die Kunstfreiheit an sich. Doch auch über das Finanzielle wird diskutiert. Wie lässt sich eine faire Bezahlung für freie Künstler durchsetzen? Janina Benduski betont:
"Wir erhoffen uns sehr, dass unser Konzept der Empfehlung von Honoraruntergrenzen für selbstständige Arbeit sich weiter durchsetzt. Das hat der Bundesverband bereits vor fünf Jahren verabschiedet, aber es ist immer noch nicht in allen Bundesländern, in allen Kommunen wirklich durchgesetzt."
Doch Schritt für Schritt kommt der Bundesverband diesem Ziel näher – mit sachlichen Argumentationen und realistischen Forderungen.
Nachhaltigkeit im Theater
Doch was ist mit den Utopien, die im Titel des Kongresses eingefordert werden? Janina Benduski schlägt vor, in Zukunft mehr auf Nachhaltigkeit zu achten:
"Nachhaltigkeit ist ja nicht nur ein Konzept, das auf rein ökologischen Kriterien basiert, sondern es bedeutet ja ein substanzielles Arbeiten, indem man sich schon überlegen kann, wo zum Beispiel zu viele Premieren passieren, also wie lange können Stücke leben? Wie werden die nachhaltig auf Tour gebracht? Wie können Menschen auch nachhaltig an einer übergreifenden Idee arbeiten? Und dieser Punkt des Ausstiegs aus der reinen Projektlogik, aus den kurzfristigen Zyklen von Kunstproduktion hin zu einem nachhaltigen, gesellschaftsbedingten Arbeiten, ist für uns eine Fragestellung, die schon sehr interessant ist."
Die letzte Veranstaltung des Kongresses, die am Sonntag von 10 bis 14 Uhr laufen wird, heißt "Hallo Realität". Sie soll die visionären Ideen, die bei den vorherigen Diskussionsveranstaltungen zur Sprache kamen, bündeln und konkrete Forderungen formulieren – so viel Realismus muss sein. Schließlich will sich der Bundeskongress der freien darstellenden Künste als politisch handlungsfähige Institution präsentieren.