"AfD reiht sich ein in Europas radikale Rechte"
Europas Rechtspopulisten treffen sich heute in Koblenz. Mit dabei: AfD-Chefin Frauke Petry, Marine Le Pen und Geert Wilders. Die AfD kopiert die Kommunikationsstrategien rechtspopulistischer Parteien im Ausland, sagt der Populismusexperte Florian Hartleb.
Europas Rechtspopulisten treffen sich heute in Koblenz. Eingeladen hat die rechtspopulistische Fraktion im Europaparlament "Europa der Nationen und der Freiheit"(ENF) mit ihrem deutschen Mitglied, Marcus Pretzell, Vorsitzender der nordhrein-westfälischen AfD. Zu dem Treffen mit rund 1000 Teilnehmern werden auch die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry, die französische Präsidentschaftskandidatin des Front National, Marine Le Pen, der Vorsitzende der rechtspopulistischen niederländischen Partei PVV, Geert Wilders und FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky erwartet. Zahlreiche Journalisten wurden von einer Berichterstattung über das Treffen ausgeschlossen. Vor dem Veranstaltungsort will ein breites Bündnis mit einer Großdemonstration ein deutliches Zeichen gegen den Kongress setzen.
Rechtspolitisten vereint in Verachtung traditioneller Medien
Nach Ansicht des Poltikwissenschaftlers und Populismusexperten Florian Hartleb reiht sich die Alternative für Deutschland (AfD) mit dem Kongress in Koblenz ein in "Europas radikale Rechte." Auch in ihren Kommunikationsstrategien nutze die Partei als Vorbild beispielsweise die österreichische FPÖ, sagte der Politikwissenschaftler mit den Forschungsschwerpunkten Populismus und Rechtsextremismus im Deutschlandradio Kultur. Mit anderen europäischen Rechtspopulisten teile die AfD die Verachtung und Kritik an traditionellen Medien, wie sie aktuell auch im Ausschluss zahlreicher Medienvertreter von der Berichterstattung vom Koblenzer Kongress zum Ausdruck komme, sowie die gezielte Ansprache über die sozialen Medien: Im Versuch, eine mediale Gegenöffentlichkeit zu etablieren, "da orientiert sich die AfD sehr stark an der österreichischen FPÖ, die das sehr, sehr geschickt macht und dadurch eben sehr viele Anhänger gewinnt," sagte Hartleb.
Das bei der AfD zu beobachtende Schema "Erst Provozieren, dann Relativieren" sei Teil einer gezielten Kommunikationsstrategie der Partei, sagte Hartleb weiter. Generell inszenierten sich Europas Rechtspopulisten ähnlich: Sie inszenierten sich als Anti-Establishment, nutzen den Tabubruch, um im Gespräch zu bleiben und lamentierten darüber, medial ausgegrenzt zu werden, sagt der Populismusexperte. Mit Provokationen ziele die AfD auf enttäuschte CDU-Wähler und versuche im Gespräch zu bleiben, verschrecke zugleich aber auch Wähler.
Höcke-Rede - "teilweise Strategie, teilweise Entgleisung"
Den aktuellen Fall der Rede des Thüringer AfD-Politikers Björn Höcke mit dessen Formulierungen von einem "Denkmal der Schande" und einem "Gemütszustand eines total besiegten Volkes", in dem sich die Deutschen befänden, wertet Hartleb als eine Mischung aus Strategie und Entgleisung:
"Teilweise ist es Strategie und teilweise ist es Entgleisung, die zeigt, dass die Partei nicht so harmlos ist, wie sie sein will. Gerade in Ostdeutschland (…) ist die Partei durchaus radikal und völkisch ausgerichtet."
Höckes Rede zeige, dass "hier eine geschichtsrevisionistische völkische Gesinnung zum Ausdruck kommt, die vom Drehbuch her nicht so abgesprochen war."
Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: März, Mai, September, das sind drei Wahltermine in Europa, Niederlande, Frankreich, Deutschland. So mancher schaut ja schon so ein bisschen angstvoll auf dieses Wahljahr 2017 aus europäischer Sicht. Die Auslöser der Besorgnis treffen sich heute in Koblenz: Europas Rechtspopulisten. Erwartet werden beziehungsweise sind auch schon da AfD-Chefin Frauke Petry, Frankreichs rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, und heute stößt noch der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders dazu. In Deutschland machte sich die AfD ja dieser Woche ja wieder … ja, auf sich aufmerksam auf jeden Fall, und zwar durch Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden des Thüringischen Landtages, Björn Höcke. Über diese Aufreger und den Sinn dahinter spreche ich jetzt mit Florian Hartleb, Politikwissenschaftler und Politikberater. Er hat einiges zu Rechtspopulisten und Europa veröffentlicht, schönen guten Morgen, Herr Hartleb!
Florian Hartleb: Ja, guten Morgen!
Heise: Wenn Björn Höcke von der Geistesverfassung und dem Gemütszustand eines total besiegten Volkes spricht und davon, dass wir Deutschen das einzige Volk der Welt seien, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat, und wenn dann bei empörter Reaktion erst er selber und dann Alexander Gauland wieder mal sagt, er sei total missverstanden worden, ist das dann in Ihren Augen Strategie?
Hartleb: Teilweise ist es Strategie, teilweise ist es auch eine Entgleisung, die zeigt, dass die Partei nicht so harmlos ist, wie sie sein will. Gerade in Ostdeutschland – und Björn Höcke kommt ja aus Thüringen – ist die Partei durchaus radikal und völkisch ausgerichtet.
Heise: Erst provozieren, dann relativieren, das war doch eigentlich so eine Art Anweisung von Frauke Petry, oder? Aufmerksamkeit durch Provokation.
Hartleb: Mitunter, ja. Wir kennen da einige Beispiele aus der Vergangenheit, man erinnert sich noch an dieses Boateng-Zitat, der Fußballnationalspieler, den man nicht als Nachbar haben will, das war Gauland selber. Und es gibt ja schon auch die Anweisung … Auf der anderen Seite passieren auch immer wieder Ausrutscher, wie zum Beispiel dass man auf der Maus am Computer ausgerutscht sei, um den Fall von … Genau.
Heise: Wo man auf Frauen schießt an der Grenze, Frau … Genau.
Höcke-Rede: "Geschichtsrevisionistische, völkische Gesinnung"
Hartleb: Genau. Und im Fall von Höcke war es aber auch eine Rede, die doch zeigt, dass hier eine geschichtsrevisionistische, völkische Gesinnung zum Ausdruck kommt. Es war ja auch eine längere Rede, die er gehalten hat. Und wenn man sich die Rede anschaut, was man auf Youtube auch machen kann, dann sieht man schon, dass es halt eine radikale Rede ist, die glaube ich vom Drehbuch her nicht so abgesprochen war. Und die AfD – und deswegen kommt ja auch dieser Kongress jetzt zustande – reiht sich ja doch ein in Europas radikale Rechte und ist ähnlich dann ausgerichtet wie die FPÖ in Österreich oder eben der Front National.
Heise: Ja. Lassen Sie uns noch einen Moment auf Deutschland gucken: Wie wirkt denn Ihrer Meinung nach dieses Vorgehen, was Sie auch jetzt gerade geschildert haben, so ein bisschen eine Mischung zwischen angestrebter Provokation, aber auch Entgleisung, wie wirkt dieses Vorgehen tatsächlich bei den Anhängern einerseits, aber auch bei Nichtanhängern andererseits, aus der konservativen Ecke, die man ja gewinnen muss aus AfD-Sicht?
Hartleb: Ja, das ist so ein bisschen ähnlich wie bei Donald Trump: Man hofft immer, dann vonseiten der enttäuschten CDU-Mitgliedern beispielsweise, die es ja gibt, dass die AfD dann eine Alternative wird. Auf der einen Seite bleibt die AfD im Gespräch, auf der anderen Seite verschreckt sie auch mitunter Wähler durch sozusagen diese Entgleisungen. Also, das ist eine Doppelstrategie. Allerdings, und so weit kann man schon vorausblicken auf die Bundestagswahl, wird die AfD sicherlich in den Bundestag einziehen, ob sie nun acht Prozent bekommen oder 15, und das sorgt natürlich schon auch für einen dramatischen Ansehensverlust von Deutschland. Und gerade auch solche Bewegungen wie Pegida oder jetzt eben auch solche Äußerungen wie von Höcke werden natürlich auch durch unsere Vergangenheit sehr kritisch bewertet. Und ja, es ist auch eine gewisse neue Entwicklung, die es hier auch gibt bei uns in Deutschland, wegen der AfD.
Heise: Aber Sie haben es jetzt gerade verglichen, dass man sich da quasi auch nach Vorbildern orientiert, nämlich beispielsweise an der österreichischen FPÖ?
Etablierung von medialer Parallelöffentlichkeit
Hartleb: Ja, vor allem meine ich hier die mediale Parallelöffentlichkeit. Bei dem Kongress, den die AfD ja hier jetzt durchführt, sind ja die traditionellen Medien beispielsweise ausgeschlossen. Und es reiht sich hier ein, dass man einerseits die traditionellen Medien verachtet – Stichwort Lügenpresse –, es wird alles verzerrt widergegeben, beispielsweise wird dann auch gesagt, ja, Zitate werden verfälscht und so weiter, wir haben das doch so nicht gemeint oder gesagt. Und dann natürlich auch die gezielte Ansprache in den sozialen Medien. Und da orientiert sich die AfD sehr stark an der österreichischen FPÖ, die das sehr, sehr geschickt macht und dadurch eben auch sehr viele Anhänger gewinnt.
Heise: Und wie sieht das aus mit den gezielten Provokationen, die man dann gleich danach wieder nicht gesagt oder nicht so gemeint haben will? Ist das auch beim Front National, FPÖ oder in der Lega Nord beispielsweise gang und gäbe?
Hartleb: Absolut ist es gang und gäbe. Und mitunter findet hier auch eine verbale Umdeutung statt. Frauke Petry hatte vor einigen Monaten gesagt, man kann durchaus von völkisch sprechen. Es finden dann bestimmte Begriffe Eingang wie Sozialschmarotzer und die FPÖ in Österreich beispielsweise warnt dann auch ständig vor Überfremdung, vor Ausländerkriminalität. Und gerade in der Flüchtlingsherausforderung sind sich die Parteien ja einig, dass alles die Schuld wäre von Frau Merkel. Und da ziehen die Parteien auch an einem gemeinsamen Strang.
Heise: Wenn Sie so die europäischen Rechtspopulisten beobachten, wie die vorgehen, beobachten Sie auch ein ziel…, ja zielführendes Verhalten der Gegner, was sie vielleicht weitergeben könnten? Eben auf Provokationen zu reagieren oder eben nicht?
Ignorieren, inhaltliche Auseinandersetzung, einbinden?
Hartleb: Ja, mitunter ist man hier in unseren Nachbarstaaten etwas gelassener im Umgang mit den Rechtspopulisten, mitunter ist man hier in Deutschland noch überfordert mit der AfD. Wenn man eben auch zum Beispiel davon spricht, dass Wähler dumm sind, wie es gemacht wurde im Falle der AfD, ist es halt sehr, sehr kontraproduktiv. Und mitunter nützt eben weniger Aufgeregtheit im Umgang mit den Parteien. Es gibt hier Strategien im europäischen Vergleich, dass man sagt, ja, man ignoriert, man setzt sich inhaltlich damit auseinander oder man fährt eine offensive Strategie, man bindet sogar die Parteien ein, das gibt es auch. Den Königsweg gibt es sicherlich nicht, aber man kann hier auch in Deutschland von dem Umfang mit anderen und mit den Populisten lernen, da die ja seit geraumer Zeit schon in Europa erfolgreich sind.
Heise: Ja, eben, aber auch erfolgreich! Gelassenheit führt ja da nicht unbedingt zur Eindämmung! Politikwissenschaftler Florian Hartleb über Kommunikationsstrategien der Rechtspopulisten europaweit, Anlass war das heutige Treffen in Konstanz. Danke schön, Herr Hartleb!
Hartleb: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.