Konjunkturexperte fordert Strukturreformen für mehr Wachstum
Ohne Strukturreformen in einigen EU-Staaten wird es dort kein Wachstum geben, meint der Konjunkturforscher Jörg Hinze vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut. So seien die bürokratischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Griechenland auf dem Status eines Entwicklungslandes.
Hanns Ostermann: Spöttisch könnte man sagen: Wer nicht mehr weiter weiß, gründet einen Arbeitskreis. Zum Spott allerdings besteht derzeit nun wirklich kein Anlass, es geht um den Euro, um die Zukunft Europas. Wir müssen sparen und Reformen durchsetzen, darin sind sich alle einig. Wir brauchen aber auch Wachstum, und da beginnt der Streit: Welche Impulse sind die richtigen? In EU-Arbeitsgruppen soll bis zum nächsten Gipfel Ende Juni nach Lösungen gesucht werden. Jörg Hinze ist Konjunkturforscher und Senior-Ökonom am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut. Guten Morgen, Herr Hinze!
Jörg Hinze: Schönen guten Morgen!
Ostermann: Es wird ein Wachstumspaket geschnürt, das versprach die Kanzlerin beim informellen Treffen in Brüssel. Wären Sie ihr Berater, wie sollte dieses Paket aussehen?
Hinze: Ich glaube, Frau Merkel hat schon das Richtige gesagt dazu, dass dieses Wachstumspaket vor allem aus Strukturreformen bestehen muss, nämlich in manchen Ländern sind die Strukturen so desolat, dass von daher das Wachstum schon behindert wird. Wenn man an Griechenland denkt, da sind die bürokratischen Verhältnisse, juristischen und anderen ökonomischen Rahmenbedingungen so, dass Griechenland selbst von der Weltbank einen Status in dieser Hinsicht bekommen hat, der dem von untersten Entwicklungsländern entspricht, und da kann ökonomisches Wirtschaften einfach nicht gedeihen. Das heißt also, wenn man in Ländern wie Griechenland ökonomische Strukturreformen durchführt, wäre schon ein erheblicher Wachstumsimpuls gegeben.
Und vielleicht noch ein Indiz dafür: Dass dem so ist, sieht man ja daran, dass das Kapital nicht nur, weil sie Angst haben wegen des Euros, auch schon zuvor, aus dem Kapital raus fließt. Es hat auch mal ein deutscher Ökonom gesagt, man kann nicht von deutschen oder anderen Investoren erwarten, dass die in das Land hineingehen, wenn die eigenen Investoren – also die griechischen Investoren, aus dem Land hinausgehen. Das zeigt eigentlich das Problem derartiger Länder an, und da helfen dann in erster Linie Strukturreformen.
Ostermann: Diese sogenannten Projektbonds gelten ja als Zauberwort, auch deshalb, weil die Haftung auf den deutschen Anteil am EU-Haushalt begrenzt wäre. Aber versprechen die wirklich die Wachstumsimpulse in dem Maße, wie sie nötig sind?
Hinze: Ich glaube, nein, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Projektbonds – in anderer Form gibt es ja so was schon. Es gibt EU-Strukturfonds und Ähnliches, und aus diesen Mitteln könnten ja die Projekte finanziert werden, für die diese Projektbonds gedacht sind. Also von daher ist das aus meiner Sicht eher so, dass nun versucht wird, eine weitere Finanzierungsebene zu ergründen, um dann noch mehr Projekte, unter Umständen sogar von nationalstaatlicher Ebene auf Europa-Ebene zu verlagern und dann wieder mehr Spielraum in den eigenen nationalen Haushalten zu haben.
Ostermann: Herr Hinze, aber nun hieß es, die Projektbonds sollen erst getestet werden, so jedenfalls Finanzminister Schäuble. Haben wir überhaupt noch die Zeit zu warten, zu experimentieren?
Hinze: Nein, die Zeit ist vorbei, und die Länder müssen sich stärker anstrengen, diese Strukturreformen durchzuführen, damit wieder Investieren in den Ländern rentabel wird und überhaupt möglich wird, und dann kann man auch über andere Maßnahmen sprechen. Ich hatte bereits das Beispiel Griechenland genannt – es müssen die Investitionsbedingungen so verbessert werden, dass investieren wieder rentabel erscheint, und dann bleiben die Investoren aus dem eigenen Land im Land und es kommen auch ausländische Investoren. Und wenn das geregelt ist, kann man auch die Konsolidierung angehen, aber erst müssen die Wachstumsbedingungen im Land verbessert werden, damit dann auch Programme, die auf EU-Ebene selbst aus den bestehenden Fonds möglich wären, überhaupt greifen können.
Ostermann: Frankreich, Italien, Belgien, die EU-Kommission und auch die OECD favorisieren dagegen Eurobonds, also gemeinsame Staatsanleihen. Das Gegenargument, das immer wieder genannt wird: Der Reformwille hoch verschuldeter Länder könnte untergraben werden. Teilen Sie diese Annahme?
Hinze: Das sieht man ja bereits, dass Länder – das neueste Beispiel ist ja Frankreich nach den Wahlen und die Machtübernahme durch Hollande –, dass er einige Reformen zurückschrauben will. Man denke nur an die Reduzierung wieder des Renteneintrittsalters von 62 auf 60 Jahre. Frankreich hat ähnliche demografische Probleme wie Deutschland, nicht nur Deutschland, auch andere Länder, zuletzt Polen, erhöhen das Renteneintrittsalter auf 67, und Frankreich senkt es auf 60. Also man kann auch nicht erwarten, dass wenn die Länder, die einzelnen Nationen, eigenständig über Steuereinnahmen, Ausgaben, Sozialsystem entscheiden wollen, dass sie dann die Finanzierung dessen auf die europäische Ebene verlagern wollen.
Also Eurobonds wären nur möglich, wenn alles in einer Hand ist, sprich, auf europäischer Ebene, dass auch ein Durchgriffsrecht für die EU besteht auf einzelne Länderhaushalte, zu sagen, ihr müsst bei den Steuereinnahmen dies und jenes tun, und auf der Ausgabenseite auch dies und jenes.
Ostermann: Das wäre die entsprechende Wirtschafts- und Finanzregierung.
Hinze: Richtig.
Ostermann: Trotzdem, spricht nicht für Eurobonds, dass Europa schon jetzt auseinanderdriftet? Länder wie Spanien zahlen enorme Zinsen und Deutschland profitiert davon, weil Anleger etwa aus spanischen Anleihen in deutsche flüchten. Also wäre das nicht trotzdem eine Alternative?
Hinze: Nein, und zwar weil wie gesagt das Anreizverhalten, dann nachhaltig zu konsolidieren, deutlich gemindert würde. Das Zweite ist, dass es zusammenpassen muss, die Bestimmung des Einnahmeverhaltens, des Ausgabenverhaltens und der Finanzierung. Und wenn das nicht auf einer Ebene möglich ist, dann werden eben Fehlanreize gesetzt, sodass dann diese Zinsen auseinanderdriften. Die Zinsen sind ja momentan ohnehin, wenn man das mal längerfristig historisch betrachtet, auch für diese Problemländer außer Griechenland, aber für Frankreich, Italien, auch auf einem historisch niedrigen Niveau.
Dass die Länder Probleme bei der Finanzierung haben, liegt aus meiner Sicht weniger an zu hohen Zinsen, sondern einem zu hohen Schuldenstand. Wenn wir wirklich Inflation bekommen würden, wie es manche Ökonomen erwarten, dann würden auch die Zinsen wieder ansteigen mit der Inflation, und dann würden diese Länder erst richtig Probleme bekommen. Also Zinsen von fünf, sechs Prozent, wie Italien und Spanien sie im Moment zahlen müssen, sind historisch betrachtet für diese Länder eigentlich relativ niedrig.
Ostermann: Investitionen nicht auf Pump zu finanzieren, könnte ja auch bedeuten, rauf mit den Steuern bei den Reichen, außerdem die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Wie hilfreich wären beide Schritte?
Hinze: Na, wenn man die Reichen übermäßig besteuert, also, das ist bei mir so in den Bereich knapp 50, über 50 Prozent, besteht natürlich immer das Problem, dass die Reichen ihr Geld woanders hinbringen, wo die Besteuerung niedriger ist. Das heißt also, man verhindert dadurch Investitionen, oder man beschränkt Investitionen.
Das Zweite ist, Finanztransaktionssteuer – grundsätzlich bin ich dafür, weil sie könnte wirklich erhebliche Mehreinnahmen generieren, sie funktioniert aber nur nachhaltig, wenn wirklich alle Länder, eigentlich weltweit, aber auf alle Fälle muss es europaweit eingeführt werden, weil sonst die Finanzmärkte einfach ihre Geschäftsfelder verlagern in andere Länder, wo eben diese Finanztransaktionssteuer nicht bezahlt werden muss, und dann wird hier das Geschäft abgezogen. Also Kapital ist sehr mobil, insbesondere auf Finanzmärkten, und wenn alle mitmachen, insbesondere Großbritannien, auf alle Fälle es probieren. Und solang aber Großbritannien nicht mitmacht, bestehen da mehr Gefahren, dass diese Geschäfte abwandern.
Ostermann: Jörg Hinze war das, Senior-Ökonom am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut. Herr Hinze, danke für das Gespräch heute früh!
Hinze: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jörg Hinze: Schönen guten Morgen!
Ostermann: Es wird ein Wachstumspaket geschnürt, das versprach die Kanzlerin beim informellen Treffen in Brüssel. Wären Sie ihr Berater, wie sollte dieses Paket aussehen?
Hinze: Ich glaube, Frau Merkel hat schon das Richtige gesagt dazu, dass dieses Wachstumspaket vor allem aus Strukturreformen bestehen muss, nämlich in manchen Ländern sind die Strukturen so desolat, dass von daher das Wachstum schon behindert wird. Wenn man an Griechenland denkt, da sind die bürokratischen Verhältnisse, juristischen und anderen ökonomischen Rahmenbedingungen so, dass Griechenland selbst von der Weltbank einen Status in dieser Hinsicht bekommen hat, der dem von untersten Entwicklungsländern entspricht, und da kann ökonomisches Wirtschaften einfach nicht gedeihen. Das heißt also, wenn man in Ländern wie Griechenland ökonomische Strukturreformen durchführt, wäre schon ein erheblicher Wachstumsimpuls gegeben.
Und vielleicht noch ein Indiz dafür: Dass dem so ist, sieht man ja daran, dass das Kapital nicht nur, weil sie Angst haben wegen des Euros, auch schon zuvor, aus dem Kapital raus fließt. Es hat auch mal ein deutscher Ökonom gesagt, man kann nicht von deutschen oder anderen Investoren erwarten, dass die in das Land hineingehen, wenn die eigenen Investoren – also die griechischen Investoren, aus dem Land hinausgehen. Das zeigt eigentlich das Problem derartiger Länder an, und da helfen dann in erster Linie Strukturreformen.
Ostermann: Diese sogenannten Projektbonds gelten ja als Zauberwort, auch deshalb, weil die Haftung auf den deutschen Anteil am EU-Haushalt begrenzt wäre. Aber versprechen die wirklich die Wachstumsimpulse in dem Maße, wie sie nötig sind?
Hinze: Ich glaube, nein, und zwar aus zwei Gründen. Erstens: Projektbonds – in anderer Form gibt es ja so was schon. Es gibt EU-Strukturfonds und Ähnliches, und aus diesen Mitteln könnten ja die Projekte finanziert werden, für die diese Projektbonds gedacht sind. Also von daher ist das aus meiner Sicht eher so, dass nun versucht wird, eine weitere Finanzierungsebene zu ergründen, um dann noch mehr Projekte, unter Umständen sogar von nationalstaatlicher Ebene auf Europa-Ebene zu verlagern und dann wieder mehr Spielraum in den eigenen nationalen Haushalten zu haben.
Ostermann: Herr Hinze, aber nun hieß es, die Projektbonds sollen erst getestet werden, so jedenfalls Finanzminister Schäuble. Haben wir überhaupt noch die Zeit zu warten, zu experimentieren?
Hinze: Nein, die Zeit ist vorbei, und die Länder müssen sich stärker anstrengen, diese Strukturreformen durchzuführen, damit wieder Investieren in den Ländern rentabel wird und überhaupt möglich wird, und dann kann man auch über andere Maßnahmen sprechen. Ich hatte bereits das Beispiel Griechenland genannt – es müssen die Investitionsbedingungen so verbessert werden, dass investieren wieder rentabel erscheint, und dann bleiben die Investoren aus dem eigenen Land im Land und es kommen auch ausländische Investoren. Und wenn das geregelt ist, kann man auch die Konsolidierung angehen, aber erst müssen die Wachstumsbedingungen im Land verbessert werden, damit dann auch Programme, die auf EU-Ebene selbst aus den bestehenden Fonds möglich wären, überhaupt greifen können.
Ostermann: Frankreich, Italien, Belgien, die EU-Kommission und auch die OECD favorisieren dagegen Eurobonds, also gemeinsame Staatsanleihen. Das Gegenargument, das immer wieder genannt wird: Der Reformwille hoch verschuldeter Länder könnte untergraben werden. Teilen Sie diese Annahme?
Hinze: Das sieht man ja bereits, dass Länder – das neueste Beispiel ist ja Frankreich nach den Wahlen und die Machtübernahme durch Hollande –, dass er einige Reformen zurückschrauben will. Man denke nur an die Reduzierung wieder des Renteneintrittsalters von 62 auf 60 Jahre. Frankreich hat ähnliche demografische Probleme wie Deutschland, nicht nur Deutschland, auch andere Länder, zuletzt Polen, erhöhen das Renteneintrittsalter auf 67, und Frankreich senkt es auf 60. Also man kann auch nicht erwarten, dass wenn die Länder, die einzelnen Nationen, eigenständig über Steuereinnahmen, Ausgaben, Sozialsystem entscheiden wollen, dass sie dann die Finanzierung dessen auf die europäische Ebene verlagern wollen.
Also Eurobonds wären nur möglich, wenn alles in einer Hand ist, sprich, auf europäischer Ebene, dass auch ein Durchgriffsrecht für die EU besteht auf einzelne Länderhaushalte, zu sagen, ihr müsst bei den Steuereinnahmen dies und jenes tun, und auf der Ausgabenseite auch dies und jenes.
Ostermann: Das wäre die entsprechende Wirtschafts- und Finanzregierung.
Hinze: Richtig.
Ostermann: Trotzdem, spricht nicht für Eurobonds, dass Europa schon jetzt auseinanderdriftet? Länder wie Spanien zahlen enorme Zinsen und Deutschland profitiert davon, weil Anleger etwa aus spanischen Anleihen in deutsche flüchten. Also wäre das nicht trotzdem eine Alternative?
Hinze: Nein, und zwar weil wie gesagt das Anreizverhalten, dann nachhaltig zu konsolidieren, deutlich gemindert würde. Das Zweite ist, dass es zusammenpassen muss, die Bestimmung des Einnahmeverhaltens, des Ausgabenverhaltens und der Finanzierung. Und wenn das nicht auf einer Ebene möglich ist, dann werden eben Fehlanreize gesetzt, sodass dann diese Zinsen auseinanderdriften. Die Zinsen sind ja momentan ohnehin, wenn man das mal längerfristig historisch betrachtet, auch für diese Problemländer außer Griechenland, aber für Frankreich, Italien, auch auf einem historisch niedrigen Niveau.
Dass die Länder Probleme bei der Finanzierung haben, liegt aus meiner Sicht weniger an zu hohen Zinsen, sondern einem zu hohen Schuldenstand. Wenn wir wirklich Inflation bekommen würden, wie es manche Ökonomen erwarten, dann würden auch die Zinsen wieder ansteigen mit der Inflation, und dann würden diese Länder erst richtig Probleme bekommen. Also Zinsen von fünf, sechs Prozent, wie Italien und Spanien sie im Moment zahlen müssen, sind historisch betrachtet für diese Länder eigentlich relativ niedrig.
Ostermann: Investitionen nicht auf Pump zu finanzieren, könnte ja auch bedeuten, rauf mit den Steuern bei den Reichen, außerdem die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Wie hilfreich wären beide Schritte?
Hinze: Na, wenn man die Reichen übermäßig besteuert, also, das ist bei mir so in den Bereich knapp 50, über 50 Prozent, besteht natürlich immer das Problem, dass die Reichen ihr Geld woanders hinbringen, wo die Besteuerung niedriger ist. Das heißt also, man verhindert dadurch Investitionen, oder man beschränkt Investitionen.
Das Zweite ist, Finanztransaktionssteuer – grundsätzlich bin ich dafür, weil sie könnte wirklich erhebliche Mehreinnahmen generieren, sie funktioniert aber nur nachhaltig, wenn wirklich alle Länder, eigentlich weltweit, aber auf alle Fälle muss es europaweit eingeführt werden, weil sonst die Finanzmärkte einfach ihre Geschäftsfelder verlagern in andere Länder, wo eben diese Finanztransaktionssteuer nicht bezahlt werden muss, und dann wird hier das Geschäft abgezogen. Also Kapital ist sehr mobil, insbesondere auf Finanzmärkten, und wenn alle mitmachen, insbesondere Großbritannien, auf alle Fälle es probieren. Und solang aber Großbritannien nicht mitmacht, bestehen da mehr Gefahren, dass diese Geschäfte abwandern.
Ostermann: Jörg Hinze war das, Senior-Ökonom am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut. Herr Hinze, danke für das Gespräch heute früh!
Hinze: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.