Der erste Kanzler
Er gilt als die prägende politische Gestalt der Nachkriegszeit: Konrad Adenauer war der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland - und blieb es für 14 Jahre. Die 50er-Jahre gelten daher auch als Adenauer-Ära. Er schied nur ungern aus dem Amt: Etwas anderes als Regieren konnte er sich nicht vorstellen.
Im Januar 1967 war er 91 geworden. "Wollen wir hoffen, dass das neue Jahr wirklich ein Vorwärts in der Politik bringt", wünschte sich Konrad Adenauer. Es gab nicht die gewohnte große Gratulationscour, sondern ein Essen in kleinem Kreis und einen Empfang.
"Dieser Stehempfang mit Sekt und Orangensaft war vom 91-Jährigen kurzfristig genehmigt worden."
Der Jubilar regierte nicht mehr, aber er herrschte noch.
Dass er nicht mehr regierte, war das größte Unglück seiner letzten Jahre. 1963 hatte er seinen Hut nehmen müssen, nach 14 Jahren. "Etwas anderes, als Kanzler zu sein, konnte er sich nicht vorstellen", schreibt der Adenauer-Biograf Henning Köhler. Dass Adenauer 1949 zum ersten Bundeskanzler des neu gegründeten westdeutschen Staates gewählt wurde, war alles andere als selbstverständlich gewesen.
"Die Gesetze des Handelns aber müssten bei den Kräften der Vernunft bleiben, wenn eine Neuordnung werden soll."
Während der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Karl Arnold vom sozialpolitischen Flügel der CDU die Gemeinsamkeit der Demokraten suchte, setzte Adenauer auf Konfrontation mit der SPD.
Adenauer bewirkte wirtschaftlichen und politischen Aufschwung
CDU oder SPD – das war für ihn: Freiheit oder Sozialismus.
"Bei Ihnen, den Wählern, liegt es am letzten Ende, wie diese Leere ausgefüllt werden soll. Ob mit einer Regierung, die uns wieder dem Zwang, der Staatsallmacht, dem Sozialismus in die Arme führt, oder mit einem Bundestag und einer Bundesregierung, dem das Schicksal des einzelnen, seine Freiheit und sein Wohlergehen oberstes Gesetz ihres Handelns sein wird."
Die Unionsparteien gewannen knapp, Adenauer wurde mithilfe seiner eigenen Stimme zum Bundeskanzler gewählt – und damit begann jene Ära, die bei manchen heute Sehnsuchtsgefühle weckt, bei anderen Schaudern hervorruft: die Zeit des Kalten Krieges auch entlang der innenpolitischen Frontlinien der Bundesrepublik, zwischen CDU und SPD.
Das Volk, das einst dem Führer gefolgt war, vertraute nun Adenauer, sein Land aus dem Schlamassel wieder herauszuführen. "Keine Experimente": 1957 gewannen die Unionsparteien unter Adenauers Führung die absolute Mehrheit bei der Bundestagswahl. "Natürlich ist die Freude darüber das vorwiegende Gefühl, und das werden Sie alle verstehen", kommentierte er lakonisch.
Die Leistungsbilanz der Adenauer-Regierungen war überwältigend: das Wirtschaftswunder, der Lastenausgleich und die Integration der Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen, die Montanmitbestimmung, die Rentenreform, die politische Stabilität und die internationale Anerkennung der Bundesrepublik. Nach der Katastrophe des Nationalsozialismus war das nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches Wunder.
Adenauer-Ära nicht ohne Kritik
Die Kehrseite des erfolgreichen Staatsmannes artikulierte der SPD-Politiker Fritz Erler 1957 im Bundestag:
"Der Bundeskanzler hat wiederholt den Ausspruch getan, die Sozialdemokratie, die dürfe niemals an die Macht, er sei fest entschlossen, hat er sogar gesagt, sie nie an die Macht zu lassen, weil das den Untergang des deutschen Volkes bedeuten würde. Meine Damen und Herren, wer in einem demokratischen Staatswesen sagt, die einzige andere große Partei, um die es in Wahrheit geht, die dürfe niemals an der Macht teilhaben, der beansprucht damit für seine Partei das Recht der Alleinherrschaft für immer. Das ist ein Anschlag auf die Grundprinzipien der freiheitlichen Demokratie."
Adenauer war kein Despot, aber ein Mann, der die Kunst der Politik derart gut beherrschte, dass er sich keinen anderen an seiner Stelle vorstellen konnte. Umso bitterer war der lange Abschied von den politischen Höhen 1957 bis zum Rücktritt 1963.
Weil es ihm gelang, die bundesdeutsche Gesellschaft durch das schwierige Nachkriegsjahrzehnt zu führen, konnten sich in den 60er-Jahren neue demokratische Kräfte entfalten, auch in der Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazi-Zeit. Die Adenauer-Ära geriet in Verruf, aber eigentlich war das ein gutes Zeichen: Die Bundesrepublik war bereit, mehr Demokratie zu wagen.