Konsequent am Leben vorbei

Von Mely Kiyak |
Familienministerin Kristina Schröder nimmt nicht wahr, was gesellschaftlich dringlich ist und was nicht. Was zu dicht an der Realität und zu real ist, das überlässt sie lieber anderen, meint die Publizistin Mely Kiyak.
Manchmal sah man Fotos, auf denen unsere Bundeskanzlerin sich zu ihrem jüngsten Kabinettsmitglied herunterbeugte - geradezu mütterlich und in rührender Fürsorge. Vielleicht ist das überhaupt Kristina Schröders größtes Glück, dass immer irgendjemand um sie besorgt war. Vom Elternhaus direkt in die Junge Union, von dort in die CDU, nebenher Studentin an der Universität, anschließend Promotion bei dem bekannten Politologen Jürgen Falter und dann ins Ministerium.

Frau Schröder hat nie einen Beruf ausgeübt, sondern lediglich ein Studium absolviert. Das ist wichtig, dass man das erwähnt, denn anders ist kaum zu erklären, warum Kristina Schröder es bislang als Bundesfamilienministerin nicht geschafft hat, zu zeigen, dass sie versteht, in welcher Verantwortung sie sich bewegt.

Geht man auf ihre Homepage, dann liest sich das gleich auf der Begrüßungsseite so: "Wiesbadener können sich um USA Stipendien des Deutschen Bundestages bewerben." oder "Schröder unterstützt Radetappen des 'Team Bärenherz'" oder "Kristina Schröder übernimmt Schirmherrschaft des Wiesbadener Turniers der Herzen".

Das geht im Wesentlichen so weiter. Besuche in Kitas, Schulen oder anderen Familieneinrichtungen findet man nicht. Fehlanzeige! Nicht nur als Wahlkreisabgeordnete, sondern auch als Ministerin zeigt sie ein sicheres Händchen dafür, ihre Leidenschaften stets an den neuralgischen Punkten der Gesellschaft vorbei zu entwickeln.

Wir erinnern uns: Ihren ersten großen Auftritt als Ministerin erreichte sie mit der hanebüchenen Behauptung, dass in unserem Land die Deutschenfeindlichkeit zugenommen hätte, und zwar auf den Schulhöfen. Junge, männliche Schüler, deren Eltern einen Migrationshintergrund haben, würden sich ihren Mitschülern gegenüber, deren Eltern keinen Migrationshintergrund haben, rassistisch verhalten. Kein einziger seriöser Wissenschaftler wollte dies bestätigen. Dafür aber ließ sie öffentlich ihren privaten Ressentiments gegenüber muslimischen Jungs freien Lauf.

Anschließend setzte sie sich dafür ein, dass es auf keinen Fall eine gesetzlich verankerte Frauenquote geben dürfe, sondern lediglich die Aufmunterung an die Unternehmen sich weitere Selbstverpflichtungen aufzuerlegen. Auch da wunderte man sich, weshalb sie diese Diskussion nicht dafür nutzte, zwar immer noch gegen die Quote zu sein, aber auf die Ungleichbehandlung der Geschlechter in der Arbeitswelt hinzuweisen.

Was die von ihren beiden Vorgängerinnen ererbte Elterngeldregelung betrifft, hat Kristina Schröder sich dafür ausgesprochen, dass Hartz-IV-Empfänger künftig keinen Anspruch auf Elterngeld bekommen sollen. Man gelangt zu der Einschätzung, dass Familienministerin Schröder nicht wahrnimmt, was gesellschaftlich dringlich ist und was nicht.

Doch warum eigentlich? Hat es mit Ihrer bürgerlichen Herkunft zu tun, Vater Staatsanwalt, Mutter Immobilienmaklerin, dass sie nicht sieht, dass in unserem Land 2,5 Millionen Kinder von Armut betroffen sind? Dass Migrantenkinder eklatant im Bildungssystem vernachlässigt werden? Dass Familien dringend Unterstützung brauchen, damit sie das Bildungspaket auch nutzen. Dass alleinerziehende Mütter auf qualitative und flächendeckende Tagesbetreuung für ihre Kinder angewiesen sind, um arbeiten gehen zu können? Sind das nicht genügend Themen, um für eines davon zu brennen?

Jede ihrer Vorgängerinnen schuf Ziele und Leitlinien für die Zukunft. Claudia Nolte (CDU) reformierte das Sorgerecht. Christine Bergmann (SPD) setzte sich für das Kinderrecht auf eine gewaltfreie Erziehung ein. Renate Schmidt (SPD) trat als Botschafterin für ein kinderfreundliches Klima auf. Ursula von der Leyen (CDU) führte das Elterngeld ein.

Und Kristina Schröder? Setzt sich vehement dafür ein, dass mehr Männer in Kitas beschäftigt werden. Zur schlechten Bezahlung von Frauen als Erzieherinnen hat sie noch kein Wort verloren. Das wäre ja auch zu dicht an der Realität dran und alles was zu real ist – das überlässt sie lieber anderen, unsere konsequent am Leben vorbei dienende Familienministerin Kristina Schröder. Oder ist sie schon die Vorbotin einer CDU von morgen, die heute schon vergisst, was gestern noch wichtig war?


Mely Kiyak, geboren 1976, lebt als Publizistin in Berlin. Ihre Texte erscheinen in der "ZEIT", "Welt" und "taz". Sie ist politische Kolumnistin der "Frankfurter Rundschau" und der "Berliner Zeitung". Mely Kiyak ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, hat in zahlreichen Anthologien veröffentlicht und Sachbücher zum Thema Integration und Migration geschrieben. Zuletzt erschienen: "10 für Deutschland. Gespräche mit türkeistämmigen Abgeordneten" (Edition Körber-Stiftung 2007). Im September erscheint von ihr "Ein Garten liegt verschwiegen. Von Nonnen und Beeten, Natur und Klausur" (Hoffmann und Campe, Hamburg).