Es diskutieren:
Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler und Wahlanalyst, Professor an der Universität Duisburg-Essen am Campus Duisburg
Claudia Kade, Journalistin, Ressortleiterin Politik der Tageszeitung "Die Welt"
Richard Meng, freier Autor und Kuratoriumsvorsitzender der Karl-Gerold-Stiftung zur Förderung eines der Demokratie und sozialen Gerechtigkeit verpflichteten Journalismus
Trümmer, Trauer – Wahlkampf
53:39 Minuten
Noch sind nicht alle Toten geborgen und lange nicht alle Trümmer beseitigt. Aber die Diskussion ist im vollen Gange, welche Lehren aus der Naturkatastrophe zu ziehen sind. Und wem sie politisch im laufenden Bundestagswahlkampf nutzt – oder schadet.
Nahezu einig ist man sich in Deutschland, dass es zwar immer Naturkatastrophen wie das zerstörerische Hochwasser in diesen Julitagen 2021 gegeben hat. Aber kaum jemand bestreitet, dass derartige Extremwetterlagen, etwa Starkregen, mit dem Klimawandel nicht nur häufiger auftreten werden. Sie werden auch ähnlich heftig oder gar noch heftiger werden.
Was also ist zu tun? Und was ist schon zu tun versäumt worden? Sind wir schlecht auf den Katastrophenfall vorbereitet in Deutschland? Welche Lehren sind zu ziehen, um den Klimawandel besser zu managen, wie es jetzt oft heißt. Ist über der Hochwassererfahrung die Bereitschaft zu grundlegender, beschleunigter Veränderung im Dienste des Klimaschutzes gestiegen? Und wie lässt sich der Druck zur Veränderung mit der Stabilitätserwartung von Menschen verbinden?
Fehlt es uns an "Realitätsdemut"?
In der Theorie fordern fast alle relevanten Parteien in ihren Wahlprogrammen für die nahende Bundestagswahl eine ehrgeizige Klimapolitik. Die FDP will Klimaneutralität bis 2050, CDU und SPD streben sie bereits fünf Jahre früher an, die Linke fordert sie 2035. Und die Position der Grünen: so schnell wie irgend möglich.
Wenn es aber um konkrete Maßnahmen geht, mit denen die Klimaziele erreicht werden sollen, lässt bei einigen der politische Ehrgeiz spürbar nach. Wenig überraschend, noch dazu in der nahenden heißen Phase des Wahlkampfs. Denn: Ohne erhebliche Zumutungen auch für die einzelnen Bürgerinnen und Bürger werden sich die ehrgeizigen Ziele nicht erreichen lassen. Und die, so der Journalist und Autor Richard Meng, sind eher "veränderungsmüde". Mit dem Thema "Veränderung lässt sich keine Wahl gewinnen."
Auch die Ressort-Chefin Innenpolitik bei der Tageszeitung "Die Welt", Claudia Kade, zweifelt an der Bereitschaft einer Mehrheit der Menschen, jene Konsequenzen mitzutragen, die Auswirkungen haben, auf "ihr persönliches Leben und ihren Lebensstil." Es fehle dazu bei vielen an dem, was der Politologe Karl-Rudolf Korte "Realitätsdemut" nennt.
Wahlentscheidendes Thema Klimawandel?
Bisher haben wir einen Wahlkampf erlebt, der vergleichsweise wenig mit Inhalten zu tun gehabt hat. Auch wenn es in Deutschland in Wahlkämpfen keine Schmutzkampagnen gegen den politischen Gegner wie in den USA gebe, so fehle es bisher an "sachorientierten Auseinandersetzungen", stellt der Politikwissenschaftler Korte fest. Dafür ging es umso mehr um Vorwürfe persönlicher Verfehlungen von Kanzlerkandidatin und Kanzlerkandidaten. Keine und keiner der Drei im Rennen um die Kanzlerschaft habe es bisher vermocht ein "Kandidat der Herzen" zu werden, meint Richard Meng.
Gut möglich, dass die Themen Klimawandel und klimaangepasstes Leben in den Wochen vor den Bundestagswahlen durch die Hochwasser-Katastrophe erheblich an Bedeutung gewinnen. Ob wir allerdings jetzt die Rückkehr der politischen Debatten um Themen erleben oder gar tatsächlich einen "Klima-Wahlkampf", bezweifeln alle drei Diskussionsteilnehmer und -teilnehmerinnen.
Am ehesten würden die Grünen davon profitieren können, wenn das Thema in den Vordergrund rückte, denn die betrieben, sagt Richard Meng, seit "Jahrzehnten Klimawahlkampf". Deshalb gäbe es, glaubt Karl-Rudolf Korte, eine "Kompetenzvermutung" bei dem Thema. Wahlen seien keine "Erntedankfeste", sondern es gehe um "Zukunftsvertrauen".
(AnRi)