Wiederaufbau oder Umsiedlung?
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Die verheerende Flut hat viele Häuser zerstört und Böden verseucht. Niemand kann garantieren, dass sich solche Katastrophen wegen des Klimawandels nicht häufen werden. Wie sinnvoll ist es also, alles wieder so aufzubauen, wie es vorher war?
Constance Kunkel, Bausachverständige aus Grafschaft südlich von Bonn, ist seit der Flut als Ehrenamtliche unterwegs, um kostenfrei zu helfen – vor allem den Hausbesitzern, die ohne Versicherung vor dem Ruin stehen.
Sie steuert Altenburg an, eines der am stärksten zerstörten Dörfer an der Ahr. Dort erwartet sie Hausbesitzer Sascha Meyer. Gemeinsam mit Freiwilligen hat der gebürtige Westfale das riesige Einfamilienhaus komplett entkernt. Standfest ist es, das haben ihm Statiker bescheinigt.
Die Flut hat den Traum der Familie mit zwei kleinen Töchtern platzen lassen. Wo früher mal das Wohnzimmer war, schaut Meyer auf den nackten Bimsstein. Die Rigips-Verkleidung konnte die Wände nicht vor dem ölverseuchten Wasser schützen, das Keller und Erdgeschoss überschwemmte. Der Bimsstein hat sich vollgesogen. Das größte Problem erschnuppert Constance Kunkel sofort: den Ölgeruch.
Sascha Meyer erklärt: "Rohöl. Gerade hier ist das extrem. Wir haben den Tankraum direkt unter der Terrasse gehabt. Und der ist eingesackt. Da waren so 6.000 Liter drin und die haben sich wahrscheinlich größtenteils verselbstständigt."
Im Ahrtal sind Betroffene und Freiwillige schnell beim Du. Man vertraut sich. Constance Kunkel hilft das, bittere Wahrheiten auszusprechen: Der Gestank wird sich nicht einfach verflüchtigen. Doch das Problem ist nicht nur der Geruch. Familie Meyer macht sich auch Sorgen um die Gesundheit ihrer Kinder.
Gibt es an der Oberen Ahr noch eine Zukunft?
Die Bausachverständige will für sich für diese Beurteilung erst einmal den Keller anschauen. Die Wand suppt, am Boden hat sich eine Wasser-Öl-Pfütze gebildet. Die Abdichtung ist nicht mehr intakt, die schwarze Bitumenschicht hat sich verflüssigt und zieht Schlieren auf der Wand. In einer Ecke oben an der Decke scheint ein Stück dichtes blütenweißes Tierfell zu hängen: Schimmel.
So extrem hat Constance Kunkel das noch bei keinem Hochwasser erlebt. Bloß jetzt keinen Bautrockner einsetzen, rät sie. Der würde die giftigen Schimmelsporen durchs ganze Haus verteilen. Doch zurück zu der Wand. Ohne die Bitumen-Schicht, die zur Kellerabdichtung nicht mehr taugt, müsste sie eigentlich abgerissen werden.
Sascha Meyer nickt und fragt sich immer wieder, ob er sein Haus 200 Meter vom Ahrufer überhaupt wieder aufbauen soll.
Als Konsequenz aus den verheerenden Schäden, die Starkregen und Extrem-Hochwasser anrichten konnten, fordert Constance Kunkel eine gemeindeübergreifende Flächenplanung. Komplett zerstörte Häuser nicht wiederaufzubauen, hält sie für unzureichend.
700 umsiedeln, um 30.000 zu schützen
Politisch Verantwortliche müssten am Oberlauf der Ahr auch Umsiedlungen in Betracht ziehen und Hausbesitzer entschädigen. Das sei günstiger, als alles alle paar Jahre wieder aufbauen zu müssen, weil die Katastrophe sich wiederholt.
Sascha Meyer aus Altenburg an der Oberen Ahr findet die Überlegung, sein eigenes stark zerstörtes Dorf könnte zu den Flächen gehören, die man vielleicht aufgeben muss, keineswegs ungeheuerlich. Dieser Gedanke sei ihm selbst schon gekommen:
"Man hat hier eine Riesenfläche, die volllaufen kann. Das war so mein Gefühl und ist auch immer noch mein Gefühl. Die werden lieber 700 Leute umsiedeln, um 30.000 unten zu schützen."
Nur die mutigsten trauen sich, anzusprechen, was Kommunal- und Landespolitiker mit Hinweis auf den Bestandsschutz für standfeste Gebäude derzeit noch tabuisieren: dass nämlich vielleicht nicht jeder eine Zukunft hat. Constance Kunkel rechnet mit erbitterter Gegenwehr möglicher Betroffener. Und findet, der Staat habe die Aufgabe, ihnen zu sagen:
"Du bekommst deine Schulden mindestens bezahlt. Wenn dein Haus und dein Grundstück mehr wert waren, zahlen wir dir das aus. Und wir helfen dir, eine neue Bleibe zu finden, oder du suchst selber eine."
Trotz dieser Diskussion, die auch der Altenburger Hausbesitzer Sascha Meyer nötig finde: Er hängt an seiner Wahlheimat. Und wenn ihm politisch Verantwortliche sagen, er könne sein Haus wiederaufbauen, ohne dass er seine Familie durch verseuchte Böden gefährdet, würde er das gern tun.
Deshalb will Constance Kunkel jetzt baubiologische Proben für sein Haus organisieren, in wenigen Tagen schon. Denn sie weiß: Klarheit ist das, was Flutopfer jetzt am dringendsten brauchen.