Konservatismus

Die Freude an der Bewahrung des Bewährten

Besuch von Queen Elizabeth II in Scotland 2021
Das ruhige Ebenmaß, in dem die britische Königin Elisabeth die Zweite ihren Amtsgeschäften nachging, jahrzehntelang, war konservativ, meint Alexander Kissler. © picture alliance / empics / Andrew Milligan
Ein Einwurf von Alexander Kissler |
Linke Weltbewertungsmodelle haben Konjunktur. Konservatismus dagegen kommt nur noch als abwertende Fremdzuschreibung vor, meint der Journalist Alexander Kissler. Dabei bräuchte es Werte wie Gelassenheit und Selbstdisziplin gerade jetzt.
Was ist eigentlich von einer Geisteshaltung zu halten, die nur im Mund ihrer Gegner überlebt? Die politische Linke bezeichnet ihre bürgerliche Konkurrenz als konservativ. Sie braucht die Konservativen als Kontrastfolie. Gemeint sind jene Kräfte in den Reihen von CDU, CSU, FDP, – manchmal auch bei den Freien Wählern –, die nicht jede Änderung bestehender Verhältnisse allein schon deshalb bejubeln, weil es sich um eine Neuerung handelt.
Die Angesprochenen wollen sich jedoch das Etikett nicht anheften lassen. Nein, sagte unlängst der Vorsitzende der CDU, Friedrich Merz, nein, „wir sind nicht die deutschen Konservativen“. Wo aber steckt das Konservative sonst? Und warum wäre es schade, wenn es endgültig verschwände?

Konservativ zu sein, ist eine Geisteshaltung

Das Konservative ist zunächst eine Geisteshaltung und ein Habitus und erst weit danach ein politisches Programm. Der konservative Mensch misstraut den Heilsversprechen der Gegenwart, weil er zu viele solcher Versprechen scheitern sah. Er hat ein langes Gedächtnis und stellt dem Jetzt das Einst, dem Augenblick das Archiv zur Seite. Schnellschüsse und Panikreaktionen sind ihm zuwider.
Wäre die Kanzlerin Merkel konservativ gewesen, hätte es den überstürzten Abschied von der Kernenergie nicht gegeben. Konservative eilen der Gegenwart rettend zu Hilfe, indem sie sie vor ihrer Verabsolutierung bewahren. Nichts wäre wichtiger in diesen so erregten Tagen, als konservative Gelassenheit in der Mitte zwischen Hysterie und Fatalismus.
Zum konservativen Habitus gehört Selbstdisziplin. Das öffentliche Zelebrieren der eigenen Befindlichkeit, wie es Robert Habeck perfektioniert hat, ist unkonservativ. Das ruhige Ebenmaß, in dem die britische Königin Elisabeth II. ihren Amtsgeschäften nachging, jahrzehntelang, war konservativ. Konservative wissen das Private vom Öffentlichen zu trennen. Was braucht es dringender in diesen erregten Tagen als ein neues Bewusstsein vom Wert dieser Grenze?

Gefahr des Reaktionären und Beschaulichen

Geschichtliches Wissen, Gelassenheit, Selbstdisziplin: das konservative Trio ist nicht ohne Abgründe zu haben. Die großen Versuchungen des Konservativen sind das Reaktionäre und das Beschauliche. Der Schriftsteller Rudolf Borchardt hat in der Weimarer Republik die reaktionäre Gefahr am eigenen Leib erfahren und warnte eindringlich vor ihr. Der konservative Mensch, so Borchardt, dürfe nicht „auf längst abgeschnittenem Aste sitzen bleiben“. Es zähle zur „Tragödie der konservativen Gesinnung“, wenn sie die „Erlösung durch den neuen Gedanken“ verpasse.
Borchardt wörtlich: „Vergangenheit ist kein Programm, und der falsche Konservatismus, der sie restaurieren will, frevelt wie sein Gegenspieler, der Radikalismus, der die Welt an seinem Geburtstage geschaffen wähnt.“
Aber auch gemütlich darf der Konservative nicht werden. Das beschauliche Biedermeier war keine konservative Epoche. Gilbert Keith Chesterton wies darauf hin, dass es enorme Arbeit bedeute, den Dingen ihren Glanz zu lassen. Wer den roten Knauf eines Gatters in seiner ursprünglichen Farbe bewahren wolle, müsse den Knauf immer und immer wieder neu streichen. Sonst kommen Wind, Schmutz und Sonne und entfärben ihn. Dienst am Schönen wäre auch heute eine konservative Bringschuld; hässlich wird es von allein.
Das Konservative hat es heute schwer – nicht aber, weil es an der Nachfrage fehlt, sondern am Angebot, an gewinnenden Persönlichkeiten, die sich zu ihm bekennen. Das bedenkliche Wachstum der Nichtwähler zeigt: Jede Demokratie braucht Konservative. Ohne die Freude an der Bewahrung des Bewährten hat unsere Republik keine gute Zukunft.  

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der „Neuen Zürcher Zeitung“ und Sachbuchautor. Von ihm erschien 2020 „Die infantile Gesellschaft. Wege aus der selbst verschuldeten Unreife“.

Porträt von Alexander Kissler
© Antje Berghaeuser
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