Konservativ, karitativ und erfüllt vom Heiligen Geist
Die katholische Kirche in Guatemala steckt in einer Krise. Etliche Gläubige schließen sich den protestantischen Pfingstlern oder charismatischen Laien-Gruppen an. Besonders ihre karitative Arbeit macht diese für viele Menschen attraktiv.
Oscar Roldan: "Es ist unbestreitbar, dass die Kirche in letzter Zeit eine neue Richtung eingeschlagen hat. Mit dem Heiligen Geist ist wieder Lebendigkeit eingezogen. Die Laien geben dem Katholizismus neue Kraft. In der Zeit, als viele Katholiken zu den Protestanten übertraten, haben wir anfangs darauf gewartet, dass die Priester reagieren. Aber auch die Laien müssen etwas tun. Nur so können wir eine Erneuerung der Kirche erreichen, einen Neubeginn."
In dem guatemaltekischen Ort Mixco kommt jeden Freitag eine katholische Laiengruppe zusammen, die sich den Namen "Shalom" gegeben hat. In dem Innenhof eines Hauses mit unverputzten Wänden versammeln sich die Gläubigen unter einem Dach aus rostigen Wellblechplatten.
Der Laienprediger Oscar Roldán steht vor dem improvisierten Altar. Wortreich erzählt er traurige Anekdoten über gottlose Kriminelle und harmlose Sünder, nicht ohne den ein oder anderen Scherz einzustreuen, um die Gemeinde bei Laune zu halten.
In dem einstmals erzkatholischen Land Guatemala gehören heute fast vierzig Prozent der Bevölkerung evangelikalen Gruppierungen an. Vor allem die Pfingstler haben den Vorteil, dass ihre Laienprediger ohne viel Aufwand neue Gemeinden gründen können. Die katholische Amtskirche hingegen braucht ordinierte Priester, die von einer aufwendigen Verwaltungsstruktur unterstützt werden. Aber auch die charismatischen Laien innerhalb der katholischen Kirche haben sich in den letzten Jahren darauf verlegt, schnell, flexibel und ohne die Unterstützung eines Klerikers neue Gruppen aufzubauen. Der Vorsitzende des Rates der presbyterianischen Kirche in Guatemala, Pastor Vitalino Similox, beobachtet diese Entwicklung mit Skepsis. Er meint, sie schwäche den Gemeinsinn der Christen.
"Die Charismatiker zeigen den Menschen keinen Weg, der zu einer gesellschaftlichen Veränderung führen könnte, sondern sie versuchen Einzelne zu verändern, damit sie sich zu Gott bekennen. Diese Gläubigen sollen sich aktiv für ihr eigenes Seelenheil einsetzen, aber sie engagieren sich nicht, wenn es darum geht, soziale, politische und wirtschaftliche Realitäten zu verändern."
Vor 30 Jahren sind lateinamerikanische Christen aus befreiungstheologisch inspirierten Basisgemeinden öffentlichkeitswirksam als Kollektiv aufgetreten. Heute macht sich eine individualisierte Religiosität breit. Bei den Protestanten wird dieser Prozess von den konservativen Pfingstlern forciert, bei den Katholiken von den Charismatikern.
Guatemala ist reich an Bodenschätzen und landwirtschaftlicher Anbaufläche. Doch der Reichtum ist extrem ungleich verteilt. Der Staat nimmt nicht ausreichend Steuern ein, auch weil sich viele Mittel in den dunklen Kanälen der Korruption verlieren. Der Sozialwissenschaftler Virgilio Alvarez bezeichnet den guatemaltekischen Staat als funktionsunfähig und das Wirtschaftssystem als ungerecht und diskriminierend. Er rechnet aber nicht damit, dass die Charismatiker oder die Pfingstler diese Probleme eines Tages ernsthaft thematisieren werden.
"Diese Bewegungen versuchen nicht, Erklärungen für die Armut zu finden. Sie sagen einfach, die Leute seien arm, weil Gott es so gewollt hat. Man selbst hat ein wenig mehr, weil Gott es so gewollt hat. Wenn man einem Armen Brot schenkt, dann sichert man sich einen Platz im Himmel."
Eine alte Frau sitzt vor einem Kirchenportal.
"Ich komme hierher und bitte um Almosen, weil ich nicht mehr arbeiten kann. Ich bin krank. Mein Herz ist schwach und das Laufen fällt mir schwer. Die Leute schenken mir ein wenig Geld."
Rosa Chavez ist eine von etwa zwei Dutzend Obdachlosen, die auf dem Platz Benito Juárez auf Bänken aus Beton übernachten. Die meisten liegen morgens um halb sieben noch auf schäbigen Pappkartons, eingewickelt in schmutzige Decken. Rosa Chavez aber sitzt schon auf der Stufe vor dem Tor der Kirche des Heiligen Nicolas. Sie bittet die Besucher der ersten Messe des Tages um milde Gaben.
Nach und nach finden sich über vierzig Obdachlose auf dem Platz ein. Es ist Montag. Montags und Freitags kommt ein Mann namens Don Agosto gegen acht Uhr morgens vor die Kirche und bringt den Obdachlosen heißen Kaffee, Kekse und kleine Sandwiches. Estuardo Chacón, ein hagerer Mann in schmutzigen Kleidern, ist jedesmal dabei.
"Don Agosto ist fantastisch. Mit dem Frühstück, das er uns bringt, sparst du dir zumindest die Ausgaben für diese eine Mahlzeit. Außerdem betet er mit uns und erzählt uns von Gott."
Ein alter, grüner PKW fährt vor. Schnell haben die Wartenden eine ordentlich Schlange gebildet. Routinemäßig bittet ein älterer Mann mit Glatze um Ruhe. Dann beginnt er zu beten.
Danach verteilt der charismatische Katholik Don Agosto die mitgebrachten Speisen und Getränke. Das tut er aus persönlichem Antrieb, ohne irgendeine Organisation im Rücken.
"Diese Stunden widme ich Gott, nicht, indem ich in die Kirche gehe, sondern indem ich meinem Nächsten helfe, Leuten die wirklich Hunger haben."
Die Zahl solcher Initiativen hat in Guatemala während der letzten Jahre enorm zugenommen. Kleine Gruppen oder Einzelpersonen wie Don Agusto leisten karitative Hilfe aus christlicher Motivation. Besonders engagiert sind Angehörige der charismatischen Bewegung.
Der presbyterianische Pastor Vitalino Similox sieht den kurzfristigen Nutzen dieses Engagements, aber er hat seine Zweifel, ob es eine sinnvolle Methode zur Bekämpfung von Hunger und Armut ist.
"Bei diesen Projekten geht es nur um Assistenzialismus und humanitäre Hilfe. Viele Leute glauben, sie könnten mit Suppenküchen das Problem der Unterernährung in den Griff bekommen."
Den Charismatikern ist vor allem die Beziehung jedes einzelnen Gläubigen zum Heiligen Geist und zu Jesus Christus wichtig. Die Menschen gehen in die Kirche, um Gottes Segen zu empfangen und um sich für den Arbeitsalltag zu stärken. Vitalino Similox stellt mit Bedauern fest, dass sich die erfolgreichsten religiösen Strömungen in Mittelamerika heute von der Politik abgewandt haben und sich lieber als Wohltäter engagieren.
"Mit solchen karitativen Angeboten werden die eigentlichen Ursachen der Armut nicht gelöst. Die Charismatiker haben kein Interesse an den Ursachen sozialer Probleme. Ihnen geht es um schnelle, oberflächliche Antworten."
In dem guatemaltekischen Ort Mixco kommt jeden Freitag eine katholische Laiengruppe zusammen, die sich den Namen "Shalom" gegeben hat. In dem Innenhof eines Hauses mit unverputzten Wänden versammeln sich die Gläubigen unter einem Dach aus rostigen Wellblechplatten.
Der Laienprediger Oscar Roldán steht vor dem improvisierten Altar. Wortreich erzählt er traurige Anekdoten über gottlose Kriminelle und harmlose Sünder, nicht ohne den ein oder anderen Scherz einzustreuen, um die Gemeinde bei Laune zu halten.
In dem einstmals erzkatholischen Land Guatemala gehören heute fast vierzig Prozent der Bevölkerung evangelikalen Gruppierungen an. Vor allem die Pfingstler haben den Vorteil, dass ihre Laienprediger ohne viel Aufwand neue Gemeinden gründen können. Die katholische Amtskirche hingegen braucht ordinierte Priester, die von einer aufwendigen Verwaltungsstruktur unterstützt werden. Aber auch die charismatischen Laien innerhalb der katholischen Kirche haben sich in den letzten Jahren darauf verlegt, schnell, flexibel und ohne die Unterstützung eines Klerikers neue Gruppen aufzubauen. Der Vorsitzende des Rates der presbyterianischen Kirche in Guatemala, Pastor Vitalino Similox, beobachtet diese Entwicklung mit Skepsis. Er meint, sie schwäche den Gemeinsinn der Christen.
"Die Charismatiker zeigen den Menschen keinen Weg, der zu einer gesellschaftlichen Veränderung führen könnte, sondern sie versuchen Einzelne zu verändern, damit sie sich zu Gott bekennen. Diese Gläubigen sollen sich aktiv für ihr eigenes Seelenheil einsetzen, aber sie engagieren sich nicht, wenn es darum geht, soziale, politische und wirtschaftliche Realitäten zu verändern."
Vor 30 Jahren sind lateinamerikanische Christen aus befreiungstheologisch inspirierten Basisgemeinden öffentlichkeitswirksam als Kollektiv aufgetreten. Heute macht sich eine individualisierte Religiosität breit. Bei den Protestanten wird dieser Prozess von den konservativen Pfingstlern forciert, bei den Katholiken von den Charismatikern.
Guatemala ist reich an Bodenschätzen und landwirtschaftlicher Anbaufläche. Doch der Reichtum ist extrem ungleich verteilt. Der Staat nimmt nicht ausreichend Steuern ein, auch weil sich viele Mittel in den dunklen Kanälen der Korruption verlieren. Der Sozialwissenschaftler Virgilio Alvarez bezeichnet den guatemaltekischen Staat als funktionsunfähig und das Wirtschaftssystem als ungerecht und diskriminierend. Er rechnet aber nicht damit, dass die Charismatiker oder die Pfingstler diese Probleme eines Tages ernsthaft thematisieren werden.
"Diese Bewegungen versuchen nicht, Erklärungen für die Armut zu finden. Sie sagen einfach, die Leute seien arm, weil Gott es so gewollt hat. Man selbst hat ein wenig mehr, weil Gott es so gewollt hat. Wenn man einem Armen Brot schenkt, dann sichert man sich einen Platz im Himmel."
Eine alte Frau sitzt vor einem Kirchenportal.
"Ich komme hierher und bitte um Almosen, weil ich nicht mehr arbeiten kann. Ich bin krank. Mein Herz ist schwach und das Laufen fällt mir schwer. Die Leute schenken mir ein wenig Geld."
Rosa Chavez ist eine von etwa zwei Dutzend Obdachlosen, die auf dem Platz Benito Juárez auf Bänken aus Beton übernachten. Die meisten liegen morgens um halb sieben noch auf schäbigen Pappkartons, eingewickelt in schmutzige Decken. Rosa Chavez aber sitzt schon auf der Stufe vor dem Tor der Kirche des Heiligen Nicolas. Sie bittet die Besucher der ersten Messe des Tages um milde Gaben.
Nach und nach finden sich über vierzig Obdachlose auf dem Platz ein. Es ist Montag. Montags und Freitags kommt ein Mann namens Don Agosto gegen acht Uhr morgens vor die Kirche und bringt den Obdachlosen heißen Kaffee, Kekse und kleine Sandwiches. Estuardo Chacón, ein hagerer Mann in schmutzigen Kleidern, ist jedesmal dabei.
"Don Agosto ist fantastisch. Mit dem Frühstück, das er uns bringt, sparst du dir zumindest die Ausgaben für diese eine Mahlzeit. Außerdem betet er mit uns und erzählt uns von Gott."
Ein alter, grüner PKW fährt vor. Schnell haben die Wartenden eine ordentlich Schlange gebildet. Routinemäßig bittet ein älterer Mann mit Glatze um Ruhe. Dann beginnt er zu beten.
Danach verteilt der charismatische Katholik Don Agosto die mitgebrachten Speisen und Getränke. Das tut er aus persönlichem Antrieb, ohne irgendeine Organisation im Rücken.
"Diese Stunden widme ich Gott, nicht, indem ich in die Kirche gehe, sondern indem ich meinem Nächsten helfe, Leuten die wirklich Hunger haben."
Die Zahl solcher Initiativen hat in Guatemala während der letzten Jahre enorm zugenommen. Kleine Gruppen oder Einzelpersonen wie Don Agusto leisten karitative Hilfe aus christlicher Motivation. Besonders engagiert sind Angehörige der charismatischen Bewegung.
Der presbyterianische Pastor Vitalino Similox sieht den kurzfristigen Nutzen dieses Engagements, aber er hat seine Zweifel, ob es eine sinnvolle Methode zur Bekämpfung von Hunger und Armut ist.
"Bei diesen Projekten geht es nur um Assistenzialismus und humanitäre Hilfe. Viele Leute glauben, sie könnten mit Suppenküchen das Problem der Unterernährung in den Griff bekommen."
Den Charismatikern ist vor allem die Beziehung jedes einzelnen Gläubigen zum Heiligen Geist und zu Jesus Christus wichtig. Die Menschen gehen in die Kirche, um Gottes Segen zu empfangen und um sich für den Arbeitsalltag zu stärken. Vitalino Similox stellt mit Bedauern fest, dass sich die erfolgreichsten religiösen Strömungen in Mittelamerika heute von der Politik abgewandt haben und sich lieber als Wohltäter engagieren.
"Mit solchen karitativen Angeboten werden die eigentlichen Ursachen der Armut nicht gelöst. Die Charismatiker haben kein Interesse an den Ursachen sozialer Probleme. Ihnen geht es um schnelle, oberflächliche Antworten."
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