Jens Balzer, geboren 1969, arbeitet als Autor und Kolumnist u.a. für die "Zeit", Deutschlandfunk, "Rolling Stone" und radioeins. Neben seiner journalistischen Tätigkeit betreut er den Popsalon am Deutschen Theater und lehrt Popkritik an der Berliner Universität der Künste; er hat als Kurator u.a. an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gearbeitet und ist künstlerischer Berater des Donaufestivals Krems. Zuletzt erschien sein Buch "Pop. Ein Panorama der Gegenwart" (2016).
Der Macho kehrt zurück
Der Macho-Mann ist zurück. Weibliche Fans liegen gerade einem Typus Musiker zu Füßen, der Frauen zum Objekt reduziert. Zum Bedauern unseres Kommentators Jens Balzer beschränkt sich das Machogehabe aber nicht nur auf die Pop-Musik.
Wer hat wohl das meistdiskutierte deutschsprachige Pop-Album des Sommers veröffentlicht? Ein Schweizer, 23 Jahre jung, er heißt Julian Pollina und nennt sich Faber. Titel seines aktuellen Debuts: "Sei ein Faber im Wind". Anders als bei dem Titel zu erwarten, singt er mit rauer, viel älter klingender Stimme – ein Timbre, wie von jahrzehntelangem Whisky- und Zigarettenkonsum gegerbt. Er präsentiert ruppige Lieder, die zum Beispiel "Brustbeinearschgesicht" oder "Wem du’s heute kannst besorgen" heißen. Schon streitet die Kritik ausgiebig darüber, ob das wirklich zeitgemäß ist. Kann es sein, dass da ein junger Bursche wieder so schwülstig, schwanzfixiert und sexistisch auftritt wie weiland Joe Cocker oder der junge und leider eben auch der alte Mick Jagger?
Das Publikum jedenfalls liebt diesen Faber - besonders das Publikum, das so alt ist wie er, also in den Zwanzigern. Gerade die Herzen der jungen Frauen fliegen ihm zu: Auf Konzerten verfolgen sie mit weit aufgerissenen Augen atemlos seine Lieder und himmeln ihn an. Die einen, weil er für sie auch eine erotische Attraktion darstellt. Die anderen, weil der coole Typ mit den dunklen halblangen Locken ihre Muttergefühle berührt.
Mit Faber kommt unkomplizierter Sex auf die Bühne
Schwitzige Männlichkeit ist also wieder angesagt auf den Popbühnen - schon wegen der Abwechslung. In den letzten Jahren standen da nämlich vor allem weiche, gefühlvolle, verweiblichte Typen - Metrosexuelle, Schattenparker und Frauenversteher: Tim Bendzko, Philipp Poisel und AnnenMayKantereit. Lauter Männer, die in etwa so wirken, als seien sie von einem feministischen Uni-Seminar entworfen worden. Seminarthema: der ideale Anti-Machist. Doch gerade die Feministinnen waren mit ihrem Sieg über die archaische Männlichkeit nun auch wieder nicht ganz zufrieden. So schrieb die Kritikerin Nina Pauer in der Zeit, unter lautem Beifall ihrer Leserinnen: "Auf die junge Frau wirkt die neue männliche Innerlichkeit, das subtile Nachhorchen in die tiefsten Windungen der Gefühlsregungen schrecklich kompliziert. Und auf die Dauer furchtbar unsexy."
Diese Kritikerinnen des sensiblen Mannes können mit Faber zufrieden sein. Mit ihm kehrt der unkomplizierte Sex auf die Pop-Bühne zurück. Hier wird nicht mehr lange geredet, eingefühlt und gefackelt, sondern kurzerhand eben – besorgt. Faber ist kein Einzelphänomen, auch andere deutsche Pop-Protagonisten geben sich plötzlich viril und ruppig, zum Beispiel die bislang eher brav linksliberale Band Kraftklub; oder die vor unbändiger Kopulationslust nur so dampfende Wiener Band Bilderbuch. Deren Sänger Maurice Ernst wirkt wie eine Mischung aus Falco und dem schneidigen neuen Politik-Star aus Österreich, Sebastian Kurz.
Ruppig oder soft
So spiegelt sich in der Popmusik einmal mehr die politische Gegenwart. Da hat der Macho-Mann mit den schlechten Manieren seine Renaissance ja schon vorher erlebt. "Grab them by the pussy", das könnte auch eine Zeile von Faber sein. Sie stammt aber von Donald Trump. Ein Mann, den die Feministinnen nun auch wieder nicht mögen, obwohl er wahrlich keinerlei Sensibilität zu kennen scheint. Muss man also sagen: Wie der Mann es macht, macht der Mann es halt falsch?
Mal ist er zu ruppig, mal ist er zu soft. Gemeckert wird immer. Was tun? Vielleicht wäre der Welt schon geholfen, wenn die Macho-Clowns sich in Zukunft auf die Pop-Bühnen beschränken. Und die Politik wieder ganz den ernsten Männern mit den guten Manieren gehört. Der französische Präsident Emmanuel Macron ist doch ein Anfang.