Konstantin Wecker wird 70

Genug war nie genug

Konstantin Wecker liest aus einem Buch, während er am Klavier sitzt.
Konstantin Wecker wird 70. © imago/ Bernd Eßling
Konstantin Wecker im Gespräch mit Haino Rindler |
"Genug ist nicht genug" - so der Titel des Albums, mit dem Konstantin Wecker 1977 der Durchbruch gelang, und es klingt wie sein Lebensmotto. Jetzt wird er 70, aber so was wie Altersmilde will sich bei ihm nicht einstellen: "In diesen Zeiten kann man nicht sanftmütig sein".
Haino Rindler: Was wünscht man einer 70-jährigen Person zum Geburtstag? Ein langes Leben, Gesundheit, einen ruhigen Lebensabend. Bei Konstantin Wecker kommt mir das nicht über die Lippen, sondern eher: Kraft und der Wunsch, nicht zu verzweifeln an den Menshcne, für die er ein Leben lang gekämpft hat. Heute, zu seinem 70. Geburtstag ist er natürlich nicht zuhause im Lehnstuhl, sondern auf Achse. Poesie und Widerstand steht über dem Tourprogramm. Wir konnten ihn vorher erwischen. Vor dem Gespräch, das Sie gleich hören, noch ein Song, der als Lebensmotto von Konstantin Wecker gelten kann: "Genug ist nicht genug" aus dem Jahr 1977.
"Genug ist nicht genug", 1977, Konstantin Wecker war gerade 30 Jahre alt. Im Rückblick gilt das gleichnamige Album als der Durchbruch des Liedermachers Konstantin Wecker. Erinnern Sie sich eigentlich noch, was damals in Ihnen brodelte, als Sie diesen Song geschrieben haben?

"Mein Ego ist mir heilig" würde ich jetzt nicht mehr schreiben

Konstantin Wecker: Nein. Ich erinnere mich an fast kein Lied und kein Gedicht in dem Sinne, dass ich wüsste, wann ich es geschrieben habe. Es gibt zwei, drei kleine Ausnahmen, aber es ist wirklich so, dass mich in so kreativen Phasen meine Liedtexte immer überfallen haben.
Bei "Genug ist nicht genug" kann ich mich an die Aufnahmesituation sehr gut erinnern, als wir es im Studio eingespielt haben, aber an die Zeit, als ich meine Texte geschrieben habe, eigentlich gar nicht.
Was in mir brodelte, das ist mir schon ziemlich klar, das ist ganz deutlich ersichtlich an der Textzeile "Mein Ego ist mir heilig". Ich würde sagen, dass ich dieses Lied für ein wirklich gutes Lied halte für einen 30-Jährigen, ich singe es auch heute aus nostalgischen Gründen. Aber sagen wir mal, "Mein Ego ist mir heilig" würde ich jetzt nicht mehr schreiben, mit 70.
Rindler: Es waren ja anfänglich gar nicht so politische Songs, für die Sie standen. Das kam dann erst auf. Es gab 1973 dann, ein paar Jahre zuvor, die "sado-poetischen Gesänge" …
Wecker: Ja.
Rindler: … des Konstantin Amadeus Wecker, das war eher im Stile, ich würde sagen, so eines Georg Kreisler, …
Wecker: Ja, sehr richtig.

"Ich hätte meine Pubertät ohne Expressionisten wie Trakl nicht überstanden"

Rindler: … bittersüße Betrachtungen des Lebens, mit viel Erotik drin auch und anarchistischer Lust zum Leben. Sind das Lieder, mit denen Sie heute noch viel anfangen können, oder war das damals ein ganz anderer Wecker?
Wecker: Nein, ich kann sehr viel damit anfangen. Weil ich weiß, da platzte einfach aus mir die Leidenschaft zur Poesie heraus, der ich seit meinem zwölften Lebensjahr treu geblieben bin. Also, ich glaube, ich hätte meine Pubertät ohne Expressionisten wie Trakl und Georg Heym nicht überstanden.
Und ich weiß noch, dass es so eine hemmungslos schöne Art war, damals zu schreiben, weil einem völlig egal war, ob das jemals veröffentlicht wird oder nicht. Es gab ein paar kleine Clubs, in denen man das gespielt hat vor 20 Leuten, und das war’s auch. Und als dann die Platte rauskam, war auch gar nicht der Gedanke daran, ob das jemals ein Rundfunksender spielen würde, das war mir auch egal, muss ich sagen.
Ein bisschen später wurde es dann eher schwierig, wenn die Plattenfirma – also, vor allem nach dem Erfolg von "Genug ist nicht genug" – dann gesagt hat: Ja, aber überleg doch mal, das soll doch im Radio gespielt werden! Und ich musste immer wieder klarmachen, dass das nicht das Kriterium sein kann für ein gutes Lied, ob das im Radio gespielt wird oder nicht.
Rindler: Sehnen Sie sich nach diesen alten Zeiten zurück heute?

"Diese Zerrissenheit möchte ich nicht wiederhaben"

Wecker: Nein, es gab einen großen Widerspruch, den ich erst im Alter jetzt eigentlich erkenne oder deutlich werden lasse vor mir selbst, also mich dazu bekenne: Ich habe in meinem Rollenspiel als Mann … war ich nicht annähernd so klug wie meine ganzen Texte. Ich habe die ganze Zerbrechlichkeit, die in mir war, in den Gedichten rausgelassen, in den Konzerten, in den Liedern, auch die Zartheit.
In meinem Rollenspiel gerade so bis zu meinem 30., 35. Lebensjahr wollte ich eher ein … ja, so eine Art harter Kerl und Macho sein, da war ein großer Widerspruch zwischen dem, was ich war, und zwischen dem, was in mir war, Gott sei Dank durch die Gedichte rauskam. Und diese Zerrissenheit möchte ich nicht unbedingt wiederhaben.
Rindler: Man sagt ja auch immer: Das Alter bringt auch so ein bisschen weise Sanftmut mit. Bei Ihnen ist das offensichtlich nicht der Fall, oder?
Wecker: Nein. Also, sanftmütig … Das kann man aber in diesen Zeiten nicht werden. Jeder intelligente Mensch kann seit ein, zwei Jahren nicht mehr sanftmütig sein. Was da mit uns und um uns herum gesellschaftlich passiert, ist so alarmierend, dass man … Entweder man zieht sich zurück, was ich auch verstehen kann, und geht irgendwie auf den Berg Athos …– das sage ich nicht ironisch! – voll meinen Respekt dafür! Oder aber, und gerade wenn man in der Öffentlichkeit steht, finde ich, muss man auch Stellung beziehen.
Rindler: Sehen Sie da eine gewisse Verantwortung für sich selber auch?
Wecker: Mittlerweile ja. Das hätte ich früher vehement von mir gewiesen. Weil ich immer Angst hatte: Wenn ich verantwortlich sein sollte für das, was ich mache, dann könnte ich ja nicht mehr so hemmungslos leben, wie ich es wollte! Das wollte ich mir nicht antun! Ich habe immer gesagt, ich bin nicht verantwortlich für das, was Menschen mit meinen Gedichten passieren. Im Endeffekt bin ich das bis heute natürlich nicht.
Aber ich sehe eine große Verantwortung darin, eigentlich Stellung zu beziehen und Haltung zu zeigen in einer Zeit, wo Europa droht, faschistisch zu werden.
Rindler: "Poesie und Widerstand", so heißt das jetzige Programm, das ist natürlich eine lange Geschichte zwischen dem frühen Wecker und der heutigen Sache … Wo Sie sich gedanklich natürlich so gut wie ganz von der politischen Linken in diesem Land getrennt haben, wo würden Sie sich denn heute politisch verorten?

"Ich bin ein Anarcho und das werde ich immer bleiben"

Wecker: Ich habe mich natürlich nicht von der Linken getrennt, ich habe mich von den Kaderlinken, von den straffen und strengen Ideologen damals getrennt. Ich habe als 18-Jähriger gelesen bei Henry Miller, den ich unglaublich verehrt habe, der sehr wichtig war für mich, so wie Oskar Maria Graf, und Henry Miller hat geschrieben: "Als Künstler hat man die Verpflichtung, Anarchist zu sein". Und das hat mich geprägt.
Und ich habe mich gegen Ideologien gewehrt, gegen starre Ideologien. Und in den frühen 80ern gab es ja diverse Gruppen, KPD/ML und ML und Trotzkisten und die Maoisten, und alle wussten genau, was richtig ist, um die Welt zu retten. Und da habe ich nicht mitgemacht.
Und heute sehe ich mich natürlich schon der Linken-Bewegung verbunden. Und ich bin ein Linker. Ich bin ein Anarcho und das werde ich immer bleiben, ich werde mich keiner Partei anbiedern und anbieten, das hat für mich keinen Sinn als Künstler. Ich muss frei bleiben.
Aber natürlich sehe ich, die Chance einer Revolution kann nur von links kommen. Und ich bin sehr wütend, wenn die rechten Populisten das Wort Revolution für sich verwenden wollen. Revolution kommt von links und von rechts kommt der Putsch. Und das, was die vorhaben, was Herr Björn Höcke und die AfD und in Österreich die FPÖ vorhaben, das ist ein Putsch und keine Revolution.
Rindler: Sie haben sich auch früher immer als Utopisten bezeichnet. Welcher Art wäre denn heute Ihre Utopie, wie würde die ideale Gesellschaft aussehen?

Der Traum von der herrschaftsfreien Welt

Wecker: "Nein, ich höre nicht auf zu träumen von der herrschaftsfreien Welt, wo der Menschen Miteinander unser Sein zusammenhält". Das habe ich vor ein paar Wochen geschrieben, in dem Lied "Den Parolen keine Chance". Und das ist eigentlich meine Utopie.
Ich weiß, dass es eine Utopie ist, das ist das Schöne am Utopisten, dass er weiß, dass es eine Utopie ist, dass man es selbst sicher nicht erleben wird. Und dass, wenn man daran arbeitet mit vielen, vielen anderen Menschen zusammen, am liebsten mit allen, dass dann vielleicht auch noch was anderes dabei herauskommt.
Die Utopie ist ja kein Modell, das man der Welt überstülpt, sie ist kein Gesellschaftsmodell, sie ist keine Ideologie, sondern es hat sehr viel mit Humanismus und mit Idealismus zu tun. Und ich finde, das ist auch die Aufgabe des Künstlers.
Rindler: Ich danke Ihnen sehr, Konstantin Wecker, für das Gespräch! Alles Gute und toi, toi, toi für die Tour und das Konzert heute Abend!
Wecker: Ich bedanke mich auch, auf Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Dieser Text gibt den Wortlaut des gesendeten Gesprächs mit Konstantin Wecker wieder. An dieser Stelle stellen wir Ihnen das vollständige Gespräch zum Nachhören zur Verfügung.
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