Konsum und Überwachung

Das Leben, so herrlich einfach und praktisch

04:31 Minuten
Eine Illustration zeigt einen Mann, der mit einer Virtual-Reality-Brille nach oben schaut, während er einen Einkaufswagen schiebt.
Der gute alte Einkaufszettel zusammen mit modernster Technik macht Ihr Leben schöner, meint Nils Zurawski. © imago / fStopImages / Malte Müller
Eine Glosse von Nils Zurawski · 24.08.2021
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Wann sehen wir endlich ein, dass Alexa einfach besser weiß, was im Kühlschrank fehlt oder welcher Film zu unserer Stimmung passt? Spaßbremse, wer da sofort an Überwachung denkt. Denn das Leben in der digitalen Komfortzone kann so schön sein.
Wie? Sie schreiben noch Einkaufszettel mit der Hand, so mit Stift und Papier? Da sind Sie zeitlich nicht mehr ganz auf der Höhe, oder? Denn das geht mittlerweile viel eleganter. Ihr Telefon kann das im Handumdrehen oder genauer: mit einem ordentlichen Datenabgleich und den schlauen Algorithmen, die den Tag so herrlich einfach und praktisch machen.
Nun gut, sagen Sie, ein Taschenspielertrick. Ich sage: Nein! Denn der gute alte Einkaufszettel zusammen mit modernster Technik macht Ihr Leben schöner…
Für meinen smarten Einkaufszettel gebe ich ein paar Präferenzen ein, dann redet der Kühlschrank mit meinem Smartphone und Alexa ergänzt die passenden Rahmendaten: die Tageszeit, meine Termine, die Geburtstage der Familie und Freunde, das Wetter und meine augenblickliche Stimmung werden mit ausgeklügelten Algorithmen gemischt – und zack: fertig ist meine die Liste mit meinen Wa(h)ren Einkaufswünschen.
Alles wird für mich algorithmisch arrangiert und verbrauchsfertig geliefert. Pünktlich. Zuverlässig. Das fühlt sich verdammt gut an. So in etwa wie das "Früher", von dem meine Großmutter erzählte, als sie noch Gesinde hatten auf ihrem Hof. Da war auch immer alles gemacht. Heute erledigen das Computer.

Freiheit ist jetzt digital

Meine Freiheit ist jetzt digital!
Sie sagen: Ich könne mir gar nichts mehr selbst aussuchen?
Konnte ich das denn vorher? Jede Mode war doch schon immer ein Diktat und wer mit der Zeit gehen wollte, machte sie mit. Ja, es gab den Eigensinn, die Abweichung, das Besondere, die Verfremdung… Geschenkt… Ein Häkchen bei den Präferenzen auf meiner Einstellungsseite und auch diese Sache ist geritzt.
Nehmen Sie nur mal meinen Urlaub: Pauschalreisen sind nicht so mein Ding, individuell sollte es schon sein, mit schönen Gelegenheiten für gute Fotos, ein besonderes Hotel. Flugtickets, Buchungen, Anreise, Abholung, die nötigen Papiere – damit will ich möglichst wenig zu tun haben. Wenn der Tag kommt, muss es perfekt organisiert sein, ich möchte dann nur noch mein Auto vorfahren lassen, zum Flieger gefahren werden, vor Ort gestaltet mir die App meinen Tag, individueller geht es doch kaum, oder?

Der Restaurantbesuch als kleines Abenteuer

Warum ich das mache? Meine Zeit ist kostbar und zu schade für Banales. Ich treffe mich lieber mit Freunden in dem schicken neuen Restaurant. Zugegeben: Was waren da mitunter für komische Gestalten dabei. Das fiel auch den Algorithmen auf. Ich musste einfach mal aussortieren und lasse mir nun neue, integere Bekanntschaften übers Smartphone vorschlagen.
Heute klären unsere sprechenden digitalen Assistenten den perfekten Zeitpunkt für unsere Verabredungen. Der Koch im Restaurant kann sich bereits auf uns einstellen, er kennt ja unsere geschmacklichen Vorlieben. Wobei ein Restaurantbesuch heutzutage ja auch schon ein kleines Abenteuer ist, wer weiß, was da so alles passiert, am Ende steckt man sich noch an…

Das Smarthome schaltet dem Koch den Herd frei

Deshalb kann ich mir das auch nach Hause bestellen, dann kommt ein Koch und bereitet alles vor. Sollte ich nicht da sein, regelt das mein Smarthome mit ihm, lässt ihn in die Wohnung und schaltet ihm den Herd frei. Wenn ich dann komme, steht alles für mich und meine Freunde bereit, das Personal ist weg, man will ja auch ein bisschen Privatsphäre haben an so einem Abend. Da dekantiere ich die Flasche Rotwein doch am liebsten noch selbst! Ja, selbst ist der Mensch! Das ist wahre Freiheit!
Sie finden so ein Leben langweilig, ganz ohne Spontaneität?!
Ehrlich, das passiert mir nur ganz selten. Wenn mein Biotracker mal meine Langeweile spürt, schlägt er mir vor, einen Spaziergang zu machen, raus aus dem Homeoffice, der digitalen Einsiedelei, in den Wald, ohne Smartphone. Dort hole ich tief Luft und genieße die Natur. Das tut der Seele gut. Keine Anrufe, keine Statusmeldungen, kein Kontakt. Naja, außer mir passiert was, dann funkt mein implantierter Chip SOS und mir wird schnell geholfen. Zum Glück gibt es mobiles Internet inzwischen auch im Wald. Kaum auszudenken, wie gefährlich das ohne wäre.

Nils Zurawski, geboren 1968, lehrt als Soziologe und Kriminologe u.a. an der Universität Hamburg. Schwerpunkte seiner Arbeit: Überwachung, Polizei, Doping, Sicherheit, Konflikt. Jüngst erschien von ihm "Überwachen und Konsumieren" (2021, transcript). Er bloggt unter surveillance-studies.org.

© Foto: Christoph Rau
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