Konsumkritik von Minimalisten

"Geschenke lösen bei mir Horror aus"

Geschenke unter einem Weihnachtsbaum
Weihnachtseinkäufer im Hamburger Shoppingcenter "Europapassage". © imago / Chromorange
Von Maike Strietholt |
Gerade jetzt zu Weihnachten wird wieder in Hülle und Fülle eingekauft. Das Angebot ist reichhaltig, vielen macht das Shoppen Spaß. Minimalisten hingegen hinterfragen den Konsumrausch und kaufen oft nur das, was sie auch wirklich brauchen.
Claudia – 30 Jahre alt, dunkle Ponyfrisur, tannengrüner Filzmantel – steht im Einkaufszentrum des Hamburger Stadtteils Niendorf. Sie arbeitet hier in einer Bücherei. Um sie herum lauter Stände mit bunter Weihnachtsdekoration.
"Geschenke lösen bei mir mittlerweile echt ein bisschen Horror aus! Weil, man wird irgendwie, wenn man sich ein bisschen mit Minimalismus beschäftigt, so genügsam, dass Wünsche ein bisschen unsinnig werden. Ob ich's jetzt hab oder nicht hab ist eigentlich egal – ich existiere ja trotzdem weiter."

Claudia zählt sich selbst zu den Minimalisten – eine Bewegung konsumkritischer Menschen, die in vielen deutschen Städten inzwischen zu Stammtischen zusammenkommt. Dort wird diskutiert, wie man am besten seinen Hausstand reduziert – oder wie es ist, einen Monat lang auf etwas zu verzichten. Vieles brauche man nicht, so die minimalistische Grundüberlegung. Und Dinge, die man besitzt, aber nicht nutzt, könnten eben auch belastend sein.
"Man hat so einen Flashkauf in der Buchhandlung und kauft sich die drei neuen Bestseller, und dann stehen die ungelesen im Regel und machen so halt permanent so ein schlechtes Gewissen!"

Die junge Frau hat deshalb mit ihrem Umfeld die Absprache getroffen, sich ausschließlich Gegenstände des täglichen Verbrauchs zu schenken – so wie etwa Lebensmittel. Wer denkt, dass die dann aber zumindest bio sein müssten, liegt falsch.

"Wo wir hier gerade am Bioladen vorbeilaufen – ich würde sagen, grüner Konsum ist nicht Teil von einer minimalistischen Lebensart, sondern die Frage: Brauche ich das? Also, muss ich mir jetzt zehn Kilogramm Bio- oder Fair-Trade-Kaffee pro Monat kaufen oder komme ich vielleicht mit einem Pfund klar, weil ich meinen Konsum ein bisschen heruntergefahren habe?"
Anstatt dieselbe Menge "anders" zu kaufen, kauft Claudia lieber weniger. Ein grundsätzliches Problem mit Kaufen oder Konsum hat sie nicht, aber:

"Konsum wird immer dann problematisch, wenn man in irgendwelche Abhängigkeiten tritt, weil man nix Besseres zu tun hat und irgendwelche Löcher damit stopfen will."
Nur zwei Mahlzeiten am Tag
Mit solchen Abhängigkeiten hat Claudia offensichtlich wenig am Hut – so beschränkt sie sich seit einiger Zeit auf nur zwei Mahlzeiten pro Tag:
"Es hat mich auch immer genervt, dass ich mittags loslaufen musste, um zu gucken, was esse ich denn jetzt? Also esse ich jetzt nur vormittags was, und dann um acht Uhr abends – und das reicht völlig."

Zum Glück ist Claudia in der Kollegenschaft schon längst als etwas "verrückt" bekannt – da fiel diese Angewohnheit kaum mehr ins Gewicht. Dennoch merkt sie, dass ihr Handeln als Minimalistin den ein oder anderen in ihrem Umfeld beschäftigt.

"Ich gehe nicht mit dem Thema hausieren. Interessanterweise ist es aber so, dass Leute auf mich zukommen und stolz erzählen, dass sie am Wochenende einfach mal ihren Dachboden ausgeräumt haben und alles verkauft haben bei eBay und so... Ich glaube, ein bisschen ist das schon so dieses schlechte Gewissen..."

Das schlechte Gewissen, schlichtweg im Überfluss zu leben. Aber vielleicht auch die Erkenntnis, dass es erleichternd sein kann, sich vom "Zuviel" zu trennen – Claudia hat das schon hinter sich:
"Wenn man sich mit dem Thema Verzicht beschäftigt, kommt man irgendwann dann ja zu seinem persönlichen Level des Genug. Und immer wenn man genug hat, kann man Zufriedenheit üben..."

Und erspart sich eventuell eine Menge Stress:

"Wenn ich im Supermarkt stehe und die Wahl zwischen zehn verschiedenen Joghurtsorten habe – oder eher 40, das ist ja leider realistisch – um den Joghurt zu finden, der meiner Persönlichkeit am nächsten kommt, dann verschwendet man unendlich viel Zeit, mit der man vielleicht mal seine besten Freunde treffen kann."
Minimalistisches Leben schont Ressourcen
Im Grunde seien Minimimalisten einfach auch ziemlich faul, fügt Claudia noch hinzu und grinst. Wenn sie ihre Kleidung im Second Hand Laden kauft oder im Supermarkt diszipliniert die Einkaufsliste abarbeitet, hat sie aber keineswegs nur ihr persönliches Wohlbefinden im Hinterkopf:
"Ich glaube, minimalistisch leben ist der erste Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. In dem Moment, wo ich meine Ansprüche reduziere, werden natürlich Ressourcen geschont. Ich denke, es schadet niemandem, wenn man in der heutigen Zeit mal sein Konsumverhalten hinterfragt und guckt: Was passiert eigentlich im Rest der Welt..."

Und absurderweise sei durch die vor allem in der in der Vorweihnachtszeit üblichen Spenden selbst diese Verantwortlichkeit für den Rest der Welt käuflich, also konsumierbar, stellt Claudia kopfschüttelnd fest. Und stapft davon: Auf den Weihnachtsmarkt vor dem Einkaufszentrum. Denn so ein heißer Glühwein gehört in der Vorweihnachtszeit ja doch irgendwie dazu.
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