Schlussverkauf!
Einst waren sie prachtvolle Kathedralen des Konsums - doch mittlerweile sind die glanzvollen Zeiten der Kaufhäuser vorbei. Ist das Konzept Warenhaus angesichts der Konkurrenz durch Online-Handel, Outlet-Stores und Shopping-Centern endgültig gescheitert - oder gibt es Rettung?
Kaufalltag bei Karstadt am Hermannplatz in Berlin. Hie und da schlendern Kunden durch die Regalreihen, probieren Kleidungsstücke an, hängen sie wieder zurück. Das Angebot ist riesig, doch wenig sticht ins Auge. Die Marken sind die immer gleichen. Das Ambiente gediegen - aber zu uninspiriert, um echte Kauflust aufkommen zu lassen. Da hat es gerade noch gefehlt, dass der einstige Hoffnungsträger Nicolas Berggrün den Bettel hingeworfen hat.
Die Turbulenzen bei Karstadt sind die vorerst letzte Etappe eines langen Niedergangs. In den 70er-Jahren wurden noch 14 Prozent des Einzelhandelsumsatzes in Warenhäusern erzielt. Heute sind es gerade einmal drei. Ist die Institution Warenhaus, wie wir sie kennen und häufig auch schätzten, zum Sterben verurteilt? Oder gibt es Licht am Ende des Tunnels? Immerhin existieren sie noch: Warenhäuser, die Kundschaft unvermindert anziehen. Das KaDeWe in Berlin, Ludwig Beck in München, Harrods in London oder Bloomingdale's in New York.
"Das Geschäft erschien fast endlos mit seinen Schaufenstern im Erdgeschoss und seinen Spiegelscheiben im Zwischenstock, hinter denen man geschäftiges Treiben beobachten konnte. Es war ein riesiger Jahrmarkt; das Geschäft schien vor Überfülle bersten und seinen Überfluss auf die Straße ausschütten zu wollen."
Mit diesen Worten beschrieb der französische Schriftsteller Émile Zola Ende des 19. Jahrhunderts das Aufkommen der Warenhäuser in Paris. Als 1869 das 'Au Bon Marché' als erstes Warenhaus Europas seine Türen öffnete, standen die staunenden Menschen Schlange. Unter einer kühnen eisernen Stützkonstruktion, die vom Eiffelturm-Erbauer Gustave Eiffel mitentworfen wurde, fanden sie sich auf einer Verkaufsfläche größer als sieben Fußballfelder. Ein schier unermessliches Warenangebot erwartete die Besucher: Modeartikel, Haushaltswaren, Schreibutensilien, Spielzeug. Und das zu günstigen Preisen, wie sie keiner der umliegenden kleinen Händler anbieten konnte.
"Der Hintergrund der Entstehung der Warenhäuser war natürlich die industrielle Produktion. Die Entwicklung von Manufakturen zu Massenprodukten."
Der Historiker Klaus Strohmeyer hat in einem Buch die Kulturgeschichte des Warenhauses untersucht und die gesellschaftlichen Veränderungen, die es mit sich brachte.
"Man kann sagen, dass das Warenhaus eine Verkehrung aller Prinzipen des Einzelhandelskaufmanns von früher war. Das fängt an, dass wenn man in ein Warenhaus geht, dann sagt man nicht mehr 'Guten Tag'. Diese persönliche Bindung gibt es gar nicht. Da wurde auch nicht der Unterschied gemacht: der Herr Doktor, der Herr Direktor. Sondern es richtete sich an jeden. Es gab feste Preise. Es wurde nicht mehr verhandelt wie im Basar. Man bekam ein Umtauschrecht. Man hatte die Möglichkeit, die Waren erst mal anzusehen. Zu begutachten. Eventuell zurückzubringen, wenn sie einem doch nicht gefielen."
Hinzu kamen neue Formen der Präsentation. Die Waren wurden nicht mehr nur einfach zur Schau gestellt, sondern regelrecht inszeniert - mit Spiegeln, Stoffen, ausgeklügelter Beleuchtung. Auch die moderne Werbung entstand in dieser Zeit. Mit Zeitungsannoncen, Plakaten und Lichtreklamen zogen die Warenhäuser alle Register der Verkaufspsychologie, um Wünsche zu wecken und die Kunden zum Kauf zu verführen.
Warenhäuser boomen. Und schon bald geht es nicht mehr nur darum, Gebrauchsgüter für viele erschwinglich zu machen. Um die Jahrhundertwende gibt es in vielen Metropolen Europas Warenhäuser, die zu Ikonen des luxuriösen Konsums werden. Sie sind innerstädtische Treffpunkte, Architekturdenkmale und Touristenattraktion in einem. In Deutschland zunächst vor allem in Berlin.
König Kunde
Strohmeyer: "Um die Jahrhundertwende entstand das berühmte Warenhaus Wertheim am Leipziger Platz. Es gab große, luxuriös ausgestattete Innenhöfe. Lichthöfe, wo man ausruhen konnte mit Palmen, fast wie Oasen in der Kauflandschaft. Es war ein bisschen eine Schlossarchitektur, die dort aufgegriffen worden ist. Aber eben nicht für den Monarchen. Der Kunde war König. Und man ging nicht zum Wertheim einfach nur, um einzukaufen. Sondern als Event, würde man heute sagen. Um spazieren zu gehen. Um ein Erlebnis zu haben."
Das Warenangebot umfasste nahezu alles, was das Herz begehrte: vom Brokatvorhang zur exotischen Südseefrucht, von der neuesten technologischen Erfindung bis zum echten Tigerfell. Und wer für Pariser Mode vielleicht doch nicht das nötige Kleingeld hatte, konnte zumindest einmal schauen, was die Nachbarin für ihr neues Kleid bezahlt haben mochte.
Häuser wie das Wertheim oder das KaDeWe in Berlin setzten damals die Trends und waren Stadtgespräch. Und sie strotzten vor Selbstbewusstsein:
"Wat Lage ist, bestimme ick!"
... soll der Kaufmann Adolf Jandorf gesagt haben, als man ihm vorwarf, sein KaDeWe zu weit außerhalb des Zentrums von Berlin zu planen. Jandorf sollte Recht behalten.
Der Nachkriegsboom
Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs beginnt mit dem Wirtschaftswunder eine neue Ära der Warenhäuser. Hertie, Bilka, Kaufhof, Horten. Diese und andere Namen prägen in der Nachkriegszeit die Zentren fast aller deutscher Städte. Sie vollenden, was ihre Vorgänger im 19. Jahrhundert begannen: Waren und Konsum für alle. Vor allem vier Faktoren machen ihren durchschlagenden Erfolg aus, so Lars Luck, Handelsexperte und Unternehmensberater bei Roland Berger.
"Warenhäuser waren zunächst einmal innerstädtische Schaufenster für den Konsum. Es waren zum anderen Anbieter, die Dinge günstiger verkauft haben als andere. Es waren Anbieter, die Dinge in einen luxuriösen Umfeld schön präsentiert haben. Und es waren außerdem Anbieter, die alles angeboten haben."
Doch es dauert nicht lange, bis die Warenhäuser eine der ehernen Regeln der Branche zu spüren bekommen: Handel ist Wandel. Stück für Stück werden sie von Konkurrenten in die Zange genommen.
Die Konkurrenz wächst
"Die Deutschen sind nun mal ein Volk, das sehr aufs Geld schaut beim Einkaufen. Und damit gingen die Probleme los. In zunächst mal Kategorien wie Lebensmittel, wie auch Unterhaltungselektronik, wie Möbel, wie Heimwerkerbedarf. Wo man auf der grünen Wiese in noch größeren Läden noch größere Sortimente zu noch günstigeren Preisen anbieten konnte."
Dann die zweite Front ...
"... wo wir auch in den innerstädtischen Lagen Anbieter bekommen haben wie ein H&M zum Beispiel, die für die verbleibenden Kategorien auch sehr zugespitzte Angebote und damit auch Konkurrenz in die Innenstädte gebracht haben."
Und schließlich die Revolution des Online-Handels ...
"... wo wir aus dem Netz heraus für alle Produkte sehr gute Angebote vorfinden. Wo auch das Thema Beratung immer besser digital abgewickelt wird."
Von 550 bleiben 200 - vorläufig
Es scheint, gegen diese Konkurrenten ist kaum ein Kraut gewachsen. Ab den 80er-Jahren verschwinden die Warenhaus-Ketten eine nach der anderen von der Bildfläche. Von einst mehr als 550 Warenhäusern in Deutschland sind heute knapp 200 übrig. Sollte Karstadt am Ende auch versprechen fallen, bliebe von den Großen einzig und allein Kaufhof übrig.
Haderlein: "Warenhäuser sind - das ist zumindest meine Erfahrung - sind heute relativ verwaist. Wenn man reingeht, findet man heute kaum Personal. Und man fragt sich, wieso man hier überhaupt ist."
Für den Frankfurter Konsumforscher und Handels-"Innovationsberater" Andreas Haderlein ist die Sache klar: Warenhäuser haben die Zeichen der Zeit schlichtweg verschlafen. Während andere Händler davon profitieren, dass die Innenstädte wieder boomen und Menschen anziehen, sind die Warenhäuser zu den Dinosauriern des Einzelhandels geworden.
"Die große Attraktivität der Innenstädte, der Ankermieter ist heute nicht mehr ein Galeria Kaufhof. Das ist heute ein Primark. Ein H&M. Die Zaras dieser Welt. Und auch neue Verkaufskonzepte auf der Fläche, die von Unternehmen stammen, die ihre Marke vor allem über das Internet aufgebaut haben. Wie zum Beispiel ein Zalando, der hier in Frankfurt den weltweit zweiten Outlet-Store aufgemacht hat. Und ausgerechnet in einer ehemaligen Warenhaus-Filiale. In einer Immobilie, die zehn Jahre leer stand und nun eben von Zalando belegt ist."
Unternehmen wie Zalando, Apple oder die Modemarke Abercrombie & Fitch verstehen es perfekt, die Bedürfnisse und Wünsche von Kunden zu wecken und einen regelrechten Hype um ihre Marken zu kreieren. Warenhäuser wirken im Vergleich dazu regelrecht altbacken und verstaubt.
"Nicht sexy genug"
Haderlein: "Sie sind, um es im Marketing-Slang zu sagen, nicht sexy genug, um als Marke gegenüber Unternehmen wie Zalando zu punkten. Da kann man noch so viel TV-Geld für Werbung in die Hand nehmen. Und wenn sie heute einen Investor fragen: Wo würden Sie Ihr Geld reinstecken? In Karstadt oder in Zalando? Der würde Ihnen wahrscheinlich sofort sagen: in Zalando oder ähnliche Konzepte."
Andreas Haderlein und Unternehmensberater Lars Luck sind sich einig: Wer als stationärer Händler erfolgreich sein will, muss heute mehr denn je sein Profil schärfen und sich gegenüber der Konkurrenz positionieren. Durch seine Produkte, den Service, die Gestaltung der Läden, das Image. Ein Unternehmen, das spezifische Produkte für eine eng umrissene Zielgruppe anbietet, hat es natürlich einfacher als ein Warenhaus mit einem großen Sortiment für eine breite Kundschaft. Dennoch: Die Großen der Branche scheinen es besonders schlecht anzustellen. Welcher Kunde vermag schon zu sagen, wo die Unterschiede zwischen Kaufhof und Karstadt liegen. Ihr Produktsortiment ist zu gefühlt 95 Prozent gleich. Und es erstaunt auch kaum, wenn vor einiger Zeit von 1000 befragten Kunden nur vier Prozent die von Karstadt behaupteten Veränderungen im Modesortiment wahrgenommen haben.
Röttgers: "Die Warenhäuser sind ein Stück weit stecken geblieben in der Mitte. Sie haben versucht, alles zu bedienen. Aber alles so ein bisschen. Doch der Kunde will heute ein differenziertes Angebot. Aber das dann eben richtig gemacht haben."
Shopping-Center satte Warenhäuser
Jan Röttgers will Warenhäuser nicht schlecht reden. Sie sind seine unmittelbaren Konkurrenten und man schlägt niemanden, der schon am Boden liegt. Doch der Entwicklungsdirektor bei der ECE, Europas größtem Betreiber von Shopping-Centern, hat vergleichsweise gut lachen. Während die Warenhäuser verschwanden, stieg die Zahl der Shopping-Center in Deutschland auf inzwischen über 450.
Ein ausgetüftelter Branchenmix und zugstarke Marken. Mit diesem Rezept wuchsen die Einnahmen der Centerbetreiber Jahr um Jahr. Inzwischen sind allerdings auch für sie die Zeiten härter geworden. Der Onlinehandel und Markenhersteller, die immer stärker mit eigenen Läden auf den Markt drängen, setzen den Centern zunehmend zu. Jan Röttgers und sein Team versuchen nun deshalb, mehr "Kultfirmen" unter ihr Dach zu locken. Unternehmen wie Apple oder das Modelabel Hollister. Andere Mieter müssen dafür weichen oder zurückstecken.
Röttgers: "Nehmen Sie den Buchbereich. Hier haben wir noch Flächen von teilweise über 1000 m² in den Objekten. In den nächsten Umstrukturierungen werden wir diese Flächen verkleinern. Weil es nicht mehr den Bedarf gibt bezüglich so großer Flächen. Oder beim Unterhaltungselektronik-Markt. Das sind ja genau die Bereiche, die im Onlinehandel sehr gut laufen. Hier sind diese großen Flächen nicht mehr erforderlich. Hier gehen auch kleinere Flächen."
Um gegen die Konkurrenz zu punkten, erneuert die ECE zurzeit auch ihre bestehenden, in die Jahre gekommenen Center. Während die Warenhäuser ein weit gehend einheitliches Erscheinungsbild pflegen, versucht der Center-Betreiber, seine Objekte nun stärker zu individualisieren und regionale Identifikation zu schaffen. Bei einem aktuellen Projekt in Neumünster wird zum Beispiel die Raumgestaltung an die Geschichte der Tuch- und Lederindustrie der Stadt erinnern.
Gleichzeitig baut ECE den Service aus. Personal Shopper etwa helfen Kunden, vor allem älteren Menschen, beim Einkaufen. Auch der Gastronomie-Anteil ist gestiegen, auf über zehn Prozent. Denn Kunden wollen heute nicht mehr nur kaufen, sondern genießen und Erlebnisse haben. Überhaupt sind sie viel komplizierter geworden.
Zwischen Gucci und Aldi
Röttgers: "Weil der Kunde ist heute sehr wählerisch. Bei dem Kunden geht heute sowohl Gucci wie auch Aldi. Auf der einen Seite ist er sehr preisbewusst. Wir erleben das bei Lebensmitteln, wo es manchmal sehr schwierig ist, höhere Preise durchzusetzen. Und auf der anderen Seite ist er bereit, für Luxusgüter auch mehr zu bezahlen. Und der Kunde hat sehr unterschiedliche Bedürfnisse, und die hat er zu sehr unterschiedlichen Zeiten. Das heißt, manchmal will er unter der Woche einfach nur Waren einkaufen. Und am Wochenende hat er Zeit und möchte flanieren. Das macht es für uns sehr schwierig."
Wer wissen will, wie die verbliebenen Warenhaus-Ketten Kaufhof und Karstadt auf den Wandel reagieren wollen, ist auf Spekulationen und Einschätzungen Außenstehender angewiesen. Denn beide Unternehmen wollen sich auf Anfrage nicht äußern.
Das schönste Kaufhaus Deutschlands
Anders in Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze. Mitten im Zentrum entsteht zurzeit ein neues Warenhaus. Kein gewöhnliches Warenhaus. Nach seiner Eröffnung im Jahr 1913 galt das damalige 'Kaufhaus zum Straußen' als eines der schönsten seiner Art in Deutschland - mit Jugendstilelementen, Kronleuchtern, einer repräsentativen Freitreppe zu den oberen Verkaufsgalerien und einem dreigeschossigen Lichthof, der von einem bemalten Glaskuppeldach überspannt war.
2009 schloss das Haus aber seine Pforten. Nach dem Fall der DDR, wo es ein gewöhnliches Warenhaus beherbergte, war es von Karstadt übernommen und anschließend an britische Finanzinvestoren verhökert worden. Diese führten es schließlich in die Insolvenz.
Müller: "Es war fast 100 Jahre das Herz der Stadt. Und war die Attraktion in der ganzen Umgebung. Nicht nur für die Görlitzer, sondern auch für das schlesische Umfeld."
Rainer Müller hat den Niedergang des Hauses mit wachsendem Unmut verfolgt. Denn es hinterließ eine schmerzliche Lücke im Herzen der Stadt. 2011 gründete der pensionierte Bankdirektor deshalb eine Bürgerinitiative mit inzwischen 200 Mitgliedern. Ihr Ziel: die Wiederbelebung des Warenhauses.
Müller: "Unsere Überlegung als Bürger, die wir an dem Wohlergehen der Stadt interessiert sind, für uns war es klar: Wenn das Kaufhaus schließt, dann verliert die Stadt an Attraktivität. Und wir brauchen genau das Gegenteil. Wir brauchen Leben in der Stadt. Die Stadt ist bekanntermaßen sehr schön. Aber viele meinen, es hat mehr mit einem Museum zu tun. Und das ist natürlich keine tragfähige Basis für eine Stadtentwicklung."
Nach Jahren der Ungewissheit fand sich endlich ein Investor: der Unternehmer Winfried Stöcker. Dieser will das Warenhaus komplett renovieren und in seiner alten Pracht wiederaufleben lassen. Verantwortlich für die Konzeption und Umsetzung des Vorhabens ist Jürgen Friedel.
Friedel: "Ich glaube, das normale Standardkaufhaus hat sich überlebt. Man muss neue Wege, neue Konzepte gehen. Und genau das wollen wir hier machen. Wir wollen etwas Einzigartiges schaffen. Unter dem Stichwort Erlebniskaufhaus soll es etwas sein, wo die Leute reingehen und sagen: Hier war ich nicht das letzte Mal."
Das Gebäude ist für diesen Plan wie prädestiniert. Es ist das einzige Zeugnis der frühen deutschen Warenhausarchitektur, das in seiner ursprünglichen Gestalt erhalten ist. Das Warensortiment soll diese Grandeur widerspiegeln. Friedel setzt auf hochwertige Produkte, von Mode bis zu Lebensmitteln. Gastronomische Angebote wie eine Prosecco- und Espressobar sollen zum Verweilen einladen, der luxuriöse Lichthof auch für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden. Und die Kunden? Die Arbeitslosigkeit in der Region ist viel zu hoch, die Kaufkraft der Görlitzer zu gering, um ein Haus dieses Formats am Leben zu halten. Jürgen Friedel möchte deshalb gezielt Görlitz-Touristen ins Haus locken. Außerdem verfügen inzwischen viele Polen über deutlich mehr Geld als noch vor einigen Jahren.
Friedel: "Ungefähr ein Drittel des Umsatzes erwarten wir mit polnischen Kunden. Insbesondere die polnischen Damen lieben die deutsche Qualtität. Der Durchschnittsbon im Einzelhandel der polnischen Kunden ist mehrfach höher als der der Deutschen."
Die Bewohner von Görlitz scheinen es kaum erwarten zu können, dass das traditionsreiche Kaufhaus wiederbelebt wird. Bei einem Tag der offenen Sanierungs-Tür wurden Jürgen Friedel und sein Team von neugierigen Besuchern regelrecht überrannt. Und in das Projektbüro, das sich im Erdgeschoss direkt neben der Straße befindet und dessen Tür immer geöffnet ist, kommen regelmäßig interessierte Besucher.
Friedel: "Also gerade kam jemand rein, der sagt, er habe ein Lied komponiert für uns. Und das würde er uns gerne schenken. Und das habe ich mir dann angehört. Und das ist wirklich großartig. Und solche Erlebnisse haben sie hier fast jeden Tag. Einer kam vorbei und sagte: Ich habe hier Material gesammelt der letzten 30 Jahre. Und er kam dann mit einem dicken Ordner an und hat tatsächlich Zeitungsausschnitte und Informationen über 30 Jahre gesammelt. Das ist natürlich für uns gut zu verwenden für eine Art Chronik."
Rund 20 Millionen Euro wird das Projekt voraussichtlich kosten. Eine stattliche Summe - die erst einmal amortisiert sein will. Dem Investor kommt es allerdings gar nicht auf maximale Rendite an. Der in der Nähe von Görlitz geborene Winfried Stöcker hat sein Geld mit einem medizinischen Unternehmen in Lübeck verdient. Mit dem Kaufhaus möchte er der Stadt und der Region einfach etwas zurückgeben.
Rainer Müller von der Bürgerinitiative jedenfalls freut sich, dass Stöcker, und nicht irgendeine namenlose Investorengruppe, das Warenhaus übernommen hat.
Müller: "Wir sind sehr glücklich. Und jetzt ist unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass das Umfeld des Kaufhauses, die Verkehrsführung zum Beispiel so gestaltet wird, dass es einlädt, das Haus zu besuchen, mit dem Ziel, dass es ein nachhaltiger Erfolg wird."
München - das "Kaufhaus der Sinne"
Hoffnung für Warenhäuser liegt aber nicht nur in der Zukunft. Am Marienplatz in München, in bester Lage, befindet sich das Kaufhaus Ludwig Beck. Das über 150 Jahre alte Unternehmen hat in der Vergangenheit mehrere Versuche unternommen, in andere Städte zu expandieren. Mit bescheidenem Erfolg. Anfang des Jahrtausends fiel schließlich der Beschluss, sich wieder auf das Stammhaus in München zu konzentrieren. 'Kaufhaus der Sinne' - mit diesem Slogan will sich Ludwig Beck von der Konkurrenz abheben.
Greiner: "Diesen Wow-Effekt, diesen Aha-Effekt glaube ich, haben viele Einzelhändler ein bisschen aus dem Fokus verloren. Dass sie wirklich sagen, wir begeistern die Menschen auf einer emotionalen Ebene. Und das müssen wir zunehmend versuchen, dass der Kunde sagt: 'Da will ich hin.'"
Und das gehe nur, so der Vorstand Christian Greiner, wenn ein Haus eine individuelle Note habe und etwas Besonderes biete. Bei Ludwig Beck heißt das: Wer das Gebäude betritt, den empfängt nicht die übliche 08/15-Musik, sondern dezente klassische Musik. Gleichzeitig versucht das Haus, mit gutem Service zu punkten. Zum Beispiel in der Musikabteilung.
Greiner: "Wir sind ja vor allem in den Bereichen Klassik und Jazz sehr gut aufgestellt. Wo die Kunden auf Qualität, Klangqualität Wert legen. Und oft auch haptisch etwas in der Hand haben wollen. Ob es jetzt vielleicht das Booklet ist, wo etwas über die Oper erklärt wird. Dazu kommt auch noch die Beratung. Ich denke, wir haben hier oben die beeindruckendsten Mitarbeiter, die man sich vorstellen kann. Da können Sie reingehen, können Sie irgendeine Melodie vorsummen, der sagt Ihnen nicht nur ganz genau, welcher Komponist, welche Aufnahme, mit welchen Dirigenten das ist, sondern gibt ihnen auch noch den entsprechenden Tonträger."
Christian Greiner fürchtet die Herausforderungen nicht, die vielen Warenhäusern so zusetzen. Seiner Meinung nach war es schon immer notwendig, mit der Zeit zu gehen und sich neu zu erfinden. Heute vollzieht sich der Wandel nur schneller als früher. Das Konzept Warenhaus ist für ihn jedenfalls noch lange nicht am Ende. Und die üppigen Gewinne, die sein Haus in den letzten Jahren erwirtschaftet hat, scheinen ihm Recht zu geben.
Greiner: "Das ist genau so, wie man früher gesagt hat, der Fernseher und der Videorekorder werden die Kinos alle töten. Natürlich sind viele Kinos verschwunden. Aber es gibt eben noch Kinos. Und die Kinos, die es gibt, haben dann irgendwelche tollen Soundanlagen, oder 3D. Oder wenn man sich anschaut: die Uhrenindustrie. Die Uhrenindustrie war ja auch einmal völlig am Boden, als plötzlich die Digitaluhren aus dem Kaugummiautomaten für zwei Euro kamen. Und irgendwann kamen Leute auf die Idee zu sagen, das ist nicht nur ein Produkt, was mir die Zeit ansagt. Sondern das ist ein Schmuckstück, irgendetwas, womit ich mich identifizieren kann. Etwas Besonderes. Und heute steht die Branche wieder gut da."
Konkurrenz aus dem Netz
Vor allem der Online-Handel lässt viele Händler wie das Kaninchen vor dem Fuchs erstarren. Neben der Dynamik und Kreativität der digitalen Newcomer erscheinen sie allzu häufig ideenlos. Und wehe, es kommt ein Kunde, der sich im Laden nur beraten lassen will, um das Produkt später billiger im Internet zu schießen. Showrooming, wie die Experten sagen.
Auch Christian Greiner und sein Team haben lange gegrübelt, wie sie das Internet nutzen sollen. Schließlich war klar: Einfach nur das Sortiment aus dem Laden im Online-Shop abzubilden, macht wenig Sinn. Statt dessen konzentrieren sich die Münchner nun auf einen Bereich, in dem sie besondere Expertise haben: hochwertige und entsprechend hochpreisige Kosmetik.
Christian Greiner ist inzwischen davon überzeugt, dass die Angst vor dem Internet übertrieben ist und es irgendwann eine gesunde Koexistenz zwischen Online und stationären Handel geben wird.
Greiner: "Momentan ist es einfach neu und spannend. Und jeder freut sich, dass er jetzt sein Tablet hat oder sein neues Smartphone. Und kann jetzt da, wenn er auf der Couch liegt, plötzlich etwas bestellen. Aber wenn diese Bequemlichkeit der einzige Beweggrund wäre, dafür nicht mehr in die Stadt zu kommen, dann wäre vor vielen Jahren schon durch die Katalogversender auch schon der Einzelhandel kaputtgegangen. Weil das ist ja das gleiche in Papier. Es gibt natürlich Männer, für die Shoppen das Schlimmste ist, was man ihnen antun kann. Und die sind früher halt zweimal im Jahr unter Strafandrohung in die Stadt gekommen mit ihrer Familie und mit ihrer Frau. Und haben gesagt, gut jetzt ist Sommer, jetzt ist Winter. Da decken wir uns mal so richtig ein. Das sind Kunden, glaube ich, die künftig wegbrechen werden."
Zauberwort Multi-Channel
Auch der Frankfurter Konsumforscher Andreas Haderlein ist überzeugt, dass dem stationären Handel nicht der Tod droht. Ohne eine intelligente Verzahnung von Ladengeschäft und Online wird es aber künftig kaum mehr gehen. Multi-Channel, wie Experten das nennen.
Haderlein: "In den USA sind die Warenhäuser auch durch eine Krise gegangen. Auch in Großbritannien. Aber die haben es geschafft, frühzeitig auf das Multi-Channel-Pferd zu setzen. Und teilweise haben sie da schon 15 bis 20 Prozent Onlineanteil schon. Das ist verglichen mit Deutschland, bei Galeria Kaufhof ist es im Moment glaube ich zwei Prozent. Wir erleben aber auch Konzepte, und das geht jetzt weg vom Warenhaus, aber es zeigt, dass der Handel natürlich nicht stirbt. Wir sehen erstens mal Multi-Channel getriebene Konzepte. Also stationäre Geschäfte, wie beispielsweise MyMüsli, ein Web 2.0-Unternehmen, was mittlerweile in 1a-Lagen vertreten ist. Und dort Körner-Flagships positioniert hat. Müsli verkauft. Wir haben das aber auch im Bereich Fashion, im Bereich Schuhe sehr stark. Wo man Schuhe personalisieren kann. Vielleicht auch übers Internet, oder vor Ort, wo man nur einen Showroom hat, wo man die Schuhe über eine Beratung individualisieren kann."
Warenhäuser können also eine Zukunft haben: Wenn sie ihr breites Sortiment ausdünnen und sich stärker auf ausgewählte Produkte und Marken fokussieren. Wenn sie ihren Service stärken. Wenn sie internetbasierte Angebote in ihr stationäres Geschäft einbinden. Erste Ansätze gibt es ja bereits: click & collect zum Beispiel. Hier bestellt der Kunde die Waren im Internet, holt sie aber im Laden ab. So kann er sich zum Beispiel noch einmal vergewissern, ob die Farben wirklich stimmen oder ob die Schuhe tatsächlich passen. Er kann vor Ort auch noch einmal vergleichen und sich beraten lassen oder, ganz simpel: die Versandkosten sparen. Der Unternehmensberater Lars Luck:
"Wir leben ja in einer Zeit, in der Konsum, in der Shoppping als Erlebnis zelebriert wird. Und wir haben zwar die günstigen Anbieter. Aber es gibt sehr viele Kunden, die das Einkaufserlebnis nach wie vor schätzen. Und die gerade auch den innerstädtischen Einkauf schätzen. Das hat auch unsere Studie gezeigt, die wir letztes Jahr für die Otto Group gemacht haben. Dass fast zwei Drittel aller deutschen Konsumenten den stationären Einkauf als wichtigste Quelle bevorzugen. Hier haben natürlich die Warenhäuser als diejenigen, die oft sehr gute Lagen in den innerstädtischen Ballungszentren haben, eine exzellente Opportunität, hier auch in Zukunft noch eine der ersten Anlaufstellen für Kunden zu sein."
Die Innenstädte, so viel scheint jedenfalls ausgemacht, werden nicht veröden. So manches Warenhaus wird zwar noch geschlossen werden. Doch man kann es auch positiv sehen: Dadurch entstehen möglicherweise Räume und Chancen für neues, urbanes Leben. Und vielleicht auch wieder für kleinere Läden - deren Tod Émile Zola in seinem "Paradies der Damen" vor 130 Jahren prophezeit hat.