Bücherschleuse sorgt für Lektürenachschub
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Eine Mutter stößt mit ihrem Sohn auf eine engagierte Bibliothekarin, die auch in der Coronakrise das Lesevergnügen noch möglich macht. Der Ausflug zur virenfreien Bücherschleuse wird zum vergnüglichen Abenteuer. Ein Erfahrungsbericht.
Von einem Tag auf den anderen waren sie zu, die Bibliotheken in diesem Land. Und bis zum 19. April sollen sie auch geschlossen bleiben. Mindestens. Wer noch ausgeliehene Bücher zu Hause hat, darf sie erstmal behalten, ohne verlängern zu müssen. So handhaben es die meisten Bibliotheken.
Was aber, wenn man Nachschub braucht? Wenn der Lesestoff ausgeht? Unsere Mitarbeiterin Julia Riedhammer hat eine Lösung für sich und ihren Sohn Jonas gefunden.
Langeweile macht sich breit
Die Ausgangssituation: Jonas schaut seine Bücher durch, er klappt eines nach dem anderen um. "Komm wir schauen mal, was willst du denn gern lesen?", sage ich. Mein Sohn antwortet: "Wir fangen von vorn an: Der flache Franz, ein Buch von Sendung mit der Maus."
Zuhause macht sich Langeweile breit. Das Morgenprogramm haben mein Sohn Jonas und ich absolviert: Morgensport für Kinder mit Alba Berlin, Frühstück, Legobauen. Jonas wird mich heute noch gefühlte hundert Mal fragen, ob er "was anschauen" darf. Er liest auch gern, aber langsam geht uns der Stoff aus. "Was ist das hier?", frage ich und erfahre: "Das ist ein Atlas von einer Bibliothek in der Nähe von meiner Kita."
An dieser Bibliothek gehen wir jeden Tag vorbei und sehr oft auch hinein. Bücher aussuchen, schmökern, ausleihen - das hat immer ein bisschen was von Weihnachten, dass man sich einfach nach Herzenslust bedienen kann. Wir beide genießen das. Und vermissen es.
Doch dann haben wir das gefunden: "Bibliothek Schanklies", heißt es am Telefon. Jonas sagt: "Hallo Frau Schanklies!" und hört am anderen Ende: "Schanklies: Hallo, wer ist denn da?" Jonas antwortet: "Der Jonas". Die Stimme am Telefon sagt: "Jonas, warum ruft ihr heute an?"
Beate Schanklies ist Bibliothekarin in der Friedrich-Wilhelm-von-Reden-Bibliothek in Rüdersdorf bei Berlin. Sie hatte die Idee: Eine kontaktlose Buchausleihe. "Ich denke, es ist ganz wichtig, unter den Gegebenheiten unter denen jetzt alle Bürger leben, eine gewisse Form der Normalität anzubieten", sagt sie. "Bibliotheken sind die Orte für geistige Nahrung. Es ist natürlich, dass auf alle jetzt nach wie vor ein Anrecht haben und auch auf die geistige Nahrung, insbesondere auch denjenigen, die ein eingeschränktes soziales Umfeld haben. Dass man ihnen einfach die Möglichkeit gibt, durch den Zugang zu Literatur weiter am normalen Leben teilzuhaben."
Schneller, unbürokratischer Service
Wie in jeder Bibliothek könnten wir auch über den Online-Katalog bestellen. Aber Schanklies kümmert sich auch persönlich um ihre Kundschaft: "Ja, na dann erzähl mal: Was möchtest Du denn gerne haben, Jonas?" Er antwortet: "Ich möchte ein Buch, das geht über Astronauten, die Laser im Weltall haben." Dazu die Bibliothekarin: "Oh, das ist ja eine schwere Aufgabe für mich, da muss ich mal gucken. Ich würde dann, wenn deine Mutti sich bei uns anmeldet, schauen, ob ich dir ein Buch raussuchen kann, und das zu einem Termin dann in der Bibliothek für euch bereitstellen. Ist das ok für dich?"
Es geht alles sehr schnell und ist absolut unbürokratisch. Ich melde mich direkt per Telefon als neue Nutzerin an, und schon macht sich Frau Schanklies auf die Suche nach Astronauten- und Laserbüchern für Jonas.
Wir gehen zur Bibliothek. Rüdersdorf ist eine dreiviertel Stunde von Berlin entfernt. Aber es ist ein sonniger Tag, und so ist unser Mutter-Sohn-Bibliothekstag gleichzeitig ein schöner Ausflug. In einem ehemaligen Sparkassengebäude finden wir die Bibliothek. Hier im Vorraum standen wahrscheinlich einmal Geldautomaten. Jetzt ist es die perfekte Bücherschleuse. "Jetzt schauen wir mal, ob wir hier rein kommen", sage ich zu Jonas. "Drück mal fest. Super, da steht schon was! Schau mal da steht drauf: Abholung Frau Riedhammer, 11 Uhr."
Eine halbe Stunde dauert unser Timeslot für die Abholung. Auf einem Tisch in der Mitte des Vorraumes steht unsere Papiertüte mit den Büchern. Behalten dürfen wir sie bis zum Ende der Pandemie. Aber es gibt in diesem Vorraum auch einen Container für die Rückgabe.
Die Hygiene wird mitgedacht
"Wenn jemand Bücher vorab zurückgeben möchte, dann ist es möglich", erläutert Schanklies. "Die Bücher werden mit einer Desinfektionslösung abgewaschen und frühestens eine Woche nach diesem Vorgang wieder in die Ausleihe kommen, heißt es frühestens eine Woche nach diesem. Nach dieser Prozedur werden wir sie wieder verleihen."
Alles klar. Das heißt, dann ist man auch wirklich auf der sicheren Seite? "Ja", sagt die Bibliothekarin. "Wir haben in der vorigen Woche bereits vom Deutschen Bibliothekenverband eine Information bekommen, die sich bezieht auf das Bundesinstitut für Risikobewertung. Da steht eindeutig drin, dass zwei bis drei Tage Viren sich auf glatten Flächen halten können. Da sind wir mit einer Woche doch gut auf der sicheren Seite."
Wir setzen uns mit der Tüte in die Sonne. Und inspizieren Frau Schanklies Auswahl. Auch ein digitaler Stift, der Töne zum Buch abspielen kann, ist darin. "Was hast du denn hier alles?", frage ich Jonas. "Star Wars."
Die Bibliothekarin hat noch drei weitere Bücher dazu gelegt: Weltraum und Laser en masse. Jonas ist glücklich. Ich frage ihn: "Hast du genau das gekriegt, was du wolltest?" Ja, sagt er. Es ist wieder fast wie Weihnachten, nur ein bisschen wärmer zum Glück.