Kontinuum der Grausamkeit

Werner Fritschs Text ist ein Fluss der Assoziationen, krass und krude: Nach emotionalen Tiefschlägen geht es sofort weiter mit dem nächsten Impuls. "Die Sonne auf der Zunge" beweist, dass die Kölner Off-Szene noch innovative Abende hervorbringt.
Der Kopf schwirrt. Von griechischen Göttern haben die drei Schauspielerinnen erzählt, chorisch, in atemraubendem Tempo. Genretypisch ging es dabei um Sex mit Mama, Entführungen und Betrügereien, das Dahinsiechen der Welt, weil die Fruchtbarkeitsgöttin in der Unterwelt weilt. Doch wenn sich ein Verwesungsgeschmack im Mund breit macht, hilft ein großer Schluck Cola. Werner Fritsch hat außerdem das reale Schicksal einer Roma und ihres Kindes im Konzentrationslager Auschwitz verarbeitet. Dazu kommen noch allerlei Sprünge in Gegenwart und Vergangenheit, Stimmungsreflexionen nach den Anschlägen 11. September und vieles mehr. Der Kopf schwirrt. Das soll er auch.
Denn Werner Fritschs Text ist nicht zum Durchdringen und Verstehen geeignet. Er ist ein Fluss der Assoziationen, krass und krude, auch nach emotionalen Tiefschlägen geht es sofort weiter mit dem nächsten Impuls, einem weiteren Reiz. Für diese Art des Schreibens brauchen Theatermacher eine starke formale Setzung und gleichzeitig große Sensibilität. Denn die Gefahr des Kitsches ist ebenso nah wie die einer heinermüllernden Wortwucht, die im Irgendwo verpufft. Jörg Fürst, dem Regisseur des A.Tonal.Theaters, gelingt das ausgezeichnet.
Weil die drei Schauspielerinnen fast alle Texte gemeinsam sprechen, kommt man gar nicht in die Nähe von Individualisierung und Psychologie. Es entsteht ein Klangkontinuum der menschlichen Grausamkeit, verbunden mit einer seltsam zwischen Barockanklängen und Live-Elektronik oszillierender Bühnenmusik. Norbert Rodenkirchen bläst nicht nur auf sehr unterschiedliche Weise in seine Flöte, von melodischem Wohlklang bis zum aggressiven Windgeräusch. Er hat die Stücke auch komponiert, die im Überschreiten der Epochen perfekt zu Fürsts Konzept passen.
Nach dem ersten Textdurchlauf gibt es erst ein kleines Konzert für Flöte und Cembalo als Verschnauf-Intermezzo. Dann geht es noch einmal von vorne los, aber diesmal sind die drei hoch konzentrierten Schauspielerinnen (Andrea Köhler, Alexe Limbach, Christine Stienemeier) nicht mehr zu sehen. Auf eine Stoffbahn werden Filme und Fotos projiziert. Eine alte Frau im Rollstuhl hält ein verzweifelt um sich schlagendes Huhn am Hals und rupft es danach. Sie ist ganz im Einklang mit sich selbst, eine freie Existenz, vielleicht eine Utopie. Die entsetzlichen Ereignisse im Konzentrationslager werden mit passenden Cartoons illustriert, die große emotionale Wirkung haben. Am Ende treten die drei Schauspielerinnen in Privatkleidung und formulieren ihre Bereitschaft, trotz aller Scheußlichkeiten weiter zu machen. Das ist ja schon mal was.
"Die Sonne auf der Zunge" ist ein Beweis, dass die Kölner Off-Szene doch noch innovative Abende hervorbringen kann. Viele kleine Bühnen verstehen sich als alternative Stadttheater und haben auch ähnliche Strukturen entwickelt. Doch von dem großen Netzwerk, das herausragende Künstler koproduziert und so ans eigene Haus holt, sind die Kölner weit entfernt. Ihnen fehlt ein Theaterhaus wie Kampnagel in Hamburg, der Frankfurter Mousonturm oder das Forum Freies Theater in Düsseldorf. Das Problem ist erkannt, eine Lösung wegen der kommunalen Finanzmisere in weiter Ferne.
So erscheint die Kölner Off-Szene zersplittert in enorm viele Gruppen an mannigfachen Spielorten. Die Vielzahl ist Reichtum und Fluch zugleich, denn nach außen dringt ohne Fokussierung an einer repräsentativen Bühne kaum etwas. Jörg Fürst und das A.Tonal.Theater haben jedenfalls das Potential dazu und kooperieren immerhin schon mit dem Bonner Theater im Ballsaal. Diese Gruppe sucht sich für jede Produktion eine passende Form und geht dabei sehr genau vor.
Für Werner Fritschs komplexe, lyrische Theatertexte hat das A.Tonal.Theater eine ausgezeichnete Spielweise gefunden, die Fritschs Stärken hervor hebt, den Mut zu radikalen Brüchen, dem Auflösen aller Erzählgewohnheiten, der ernsthaften Suche nach neuen Zusammenhängen.
Informationen zur Aufführung
Denn Werner Fritschs Text ist nicht zum Durchdringen und Verstehen geeignet. Er ist ein Fluss der Assoziationen, krass und krude, auch nach emotionalen Tiefschlägen geht es sofort weiter mit dem nächsten Impuls, einem weiteren Reiz. Für diese Art des Schreibens brauchen Theatermacher eine starke formale Setzung und gleichzeitig große Sensibilität. Denn die Gefahr des Kitsches ist ebenso nah wie die einer heinermüllernden Wortwucht, die im Irgendwo verpufft. Jörg Fürst, dem Regisseur des A.Tonal.Theaters, gelingt das ausgezeichnet.
Weil die drei Schauspielerinnen fast alle Texte gemeinsam sprechen, kommt man gar nicht in die Nähe von Individualisierung und Psychologie. Es entsteht ein Klangkontinuum der menschlichen Grausamkeit, verbunden mit einer seltsam zwischen Barockanklängen und Live-Elektronik oszillierender Bühnenmusik. Norbert Rodenkirchen bläst nicht nur auf sehr unterschiedliche Weise in seine Flöte, von melodischem Wohlklang bis zum aggressiven Windgeräusch. Er hat die Stücke auch komponiert, die im Überschreiten der Epochen perfekt zu Fürsts Konzept passen.
Nach dem ersten Textdurchlauf gibt es erst ein kleines Konzert für Flöte und Cembalo als Verschnauf-Intermezzo. Dann geht es noch einmal von vorne los, aber diesmal sind die drei hoch konzentrierten Schauspielerinnen (Andrea Köhler, Alexe Limbach, Christine Stienemeier) nicht mehr zu sehen. Auf eine Stoffbahn werden Filme und Fotos projiziert. Eine alte Frau im Rollstuhl hält ein verzweifelt um sich schlagendes Huhn am Hals und rupft es danach. Sie ist ganz im Einklang mit sich selbst, eine freie Existenz, vielleicht eine Utopie. Die entsetzlichen Ereignisse im Konzentrationslager werden mit passenden Cartoons illustriert, die große emotionale Wirkung haben. Am Ende treten die drei Schauspielerinnen in Privatkleidung und formulieren ihre Bereitschaft, trotz aller Scheußlichkeiten weiter zu machen. Das ist ja schon mal was.
"Die Sonne auf der Zunge" ist ein Beweis, dass die Kölner Off-Szene doch noch innovative Abende hervorbringen kann. Viele kleine Bühnen verstehen sich als alternative Stadttheater und haben auch ähnliche Strukturen entwickelt. Doch von dem großen Netzwerk, das herausragende Künstler koproduziert und so ans eigene Haus holt, sind die Kölner weit entfernt. Ihnen fehlt ein Theaterhaus wie Kampnagel in Hamburg, der Frankfurter Mousonturm oder das Forum Freies Theater in Düsseldorf. Das Problem ist erkannt, eine Lösung wegen der kommunalen Finanzmisere in weiter Ferne.
So erscheint die Kölner Off-Szene zersplittert in enorm viele Gruppen an mannigfachen Spielorten. Die Vielzahl ist Reichtum und Fluch zugleich, denn nach außen dringt ohne Fokussierung an einer repräsentativen Bühne kaum etwas. Jörg Fürst und das A.Tonal.Theater haben jedenfalls das Potential dazu und kooperieren immerhin schon mit dem Bonner Theater im Ballsaal. Diese Gruppe sucht sich für jede Produktion eine passende Form und geht dabei sehr genau vor.
Für Werner Fritschs komplexe, lyrische Theatertexte hat das A.Tonal.Theater eine ausgezeichnete Spielweise gefunden, die Fritschs Stärken hervor hebt, den Mut zu radikalen Brüchen, dem Auflösen aller Erzählgewohnheiten, der ernsthaften Suche nach neuen Zusammenhängen.
Informationen zur Aufführung