Eine Stadt mit widersprüchlichem Image
Köln hat ein ambivalentes Image: Die Stadt wird als ein Synonym für das Versagen der offiziellen Stellen wahrgenommen, nicht zuletzt durch die Vorkommnisse der letzten Silvesternacht. Andererseits ist die Domstadt beliebt - und ihre Bewohner sind von sich überzeugt.
Andere Nachrichten, die sich in die Zeilen drängen: Attentat auf OB-Kandidatin Reker, Verschiebung des Wahltermins, falsche Auszählung der Stimmen, Einsturz des Stadtarchivs, Aufschub der Oper-Fertigstellung, zwei nicht aufgeklärte Attentate der NSU …
Die Aufzählung bricht hier ab, ließe sich aber fortsetzen. Andererseits ist Köln eine sehr beliebte, wachsende Stadt, die durchaus ein positives Image hat und eine Stadtbevölkerung, die vielleicht wie keine andere in Deutschland von sich eingenommen und überzeugt ist. Die Frage also: Wie damit umgehen - mit dieser Diskrepanz?
Komplettes Manuskript:
Und dann fiel der Name der Stadt auf einmal auch im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf:
"By the way, when I left today, Cologne, Germany, which is one of the most peaceful places, ..."
Donald Trump, nunmehr Kandidat der Republikaner, stand auf einer Bühne in Clear Lake, Iowa, als er seinen Anhängern davon berichtete, was er eben aus Köln, Deutschland, gehörte habe, einer der friedlichsten Gegenden ...
" ... they having riots in the streets. People have been just beat to hell, women have been raped. What's going on in Germany is just unbelievable."
Wo eben nun Menschen geschlagen und Frauen vergewaltigt würden, so Trump. Silvester, die Stunden rund um den Jahreswechsel machten Köln zu einem Synonym – und zwar weltweit: für das Scheitern der vielbeachteten deutschen Flüchtlingspolitik. Für das Versagen des Staates, der seine Bürger nicht mehr schützen kann.
Nicht nur im US-Wahlkampf spielt Köln jetzt eine Rolle, auch in der Brexit-Debatte kam die Domstadt vor. Und in Köln selbst? Da ließ man sich – aller Aufregung und selbstgezogenen Konsequenzen zum Trotz – die Laune auch wenige Tage nach Silvester erst einmal nicht verderben:
"Liebes närrisches Volk, liebe Frau Oberbürgermeisterin, bitte, proklamieren sie unser Dreigestirn."
Es ist der 8. Januar, rund eine Woche nach den Vorfällen am Hauptbahnhof: Henriette Reker, die Kölner Oberbürgermeisterin führt erstmals das Dreigestirn des Karnevals in deren Amt ein. Es ist das Ereignis der Kölner Gesellschaft:
"Meine sehr verehrten, lieben Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, leev Fastelovendsfründe..."
Eine Liste von Katastrophen
Die fast schon gewollte Normalität, sie ist irgendwie auch aussagekräftig für diese Stadt. Denn: Bei allem Entsetzen und der vielzitierten neuen Dimension, die mit dieser Kölner Silvesternacht erreicht wurde. Köln und die Kölner sind – zumindest in den letzten Jahren – Katastrophen und deren Meldungen gewöhnt:
"Trümmerwüste, Köln, Klüngel, Köln, Katastrophe, Köln U-Bahn-Bau, erst Kostenexplosion auf inzwischen eine Milliarde Euro und jetzt – unbezahlbar – zwei Tote und eine zerstörte Stadtgeschichte."
Man sieht Sonia Mikich, der ARD-"Monitor"-Moderatorin die Fassungslosigkeit angesichts des Einsturzes des Kölner Stadtarchivs im Jahr 2009 und der Katastrophen-Aufzählung richtiggehend an. Dabei ließe sich diese Liste beliebig fortsetzen: Es fehlt logischerweise das Attentat auf die heutige Oberbürgermeisterin Reker im Oktober vergangenen Jahres vor der Kommunalwahl. Diese musste ja ohnehin verschoben, wegen fehlerhafter Wahlzettel.
Dazu: Aufmarsch von knapp 5000 Hooligans gegen Salafisten im Oktober 2014, bei dem die Kölner Innenstadt einem Schlachtfeld glich und die Polizei hilflos war. Oder: Dauerbaustelle Oper, deren Fertigstellung immer wieder verschoben wird. Dazu: Zwei nicht aufgeklärte Attentate der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund, kurz NSU, sowie unzählige kommunale Skandale und Skandälchen.
Köln gleich Katastrophe, so das nunmehr weltweite Image – doch in der Domstadt selbst erklingen zumeist andere Töne:
"Da simmer dabei, das ist prima, viva Colonia." (Höhner)
In hunderten von Liedern – nicht nur im Karneval – ist Köln und die Liebe zu dieser Stadt schon besungen worden. Heute, wie damals.
"Ich möch zu Fuß nach Kölle jönn." (Willi Ostermann)
Köln ist fröhlich, Köln ist offen. Die Studentenstadt ist jung, wächst und viele bleiben. Es ist diese Liebe zur ihrer Stadt, die die Kölner auszeichnet – und die mitunter wohl blind macht, wie sich auch bei jeder Begrüßungen zu Heimspielen des 1. FC Köln feststellen lässt:
"Herzlich Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands." (Michael Trippel)
Unterschied zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung
Ob nun – angesichts des zweckmäßigen Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit – dabei Ironie mitschwingt oder nicht: Köln ist ein Phänomen. Es gibt wohl kaum eine Stadt in Deutschland, in der Selbst- und Fremdwahrnehmung so auseinanderlaufen wie eben in Köln. Doch: Woher rührt diese Diskrepanz? War das schon immer so? Ist das noch so? Und, vor allem: Wie geht man, wie geht Köln, damit um?
Ein Café in der Kölner Südstadt. Martin Stankowski sitzt hier häufig, er wohnt nur ein paar Meter entfernt. Stankowski, einst selbst Journalist, nun wohl eher Geschichtenerzähler, lebt seit Ende der 60er-Jahre in Köln. Bekannt wurde er durch seine Stadtführungen an historische und aktuelle Schauplätze des Kölner Stadtgeschehens. Es gibt wenige Menschen, die die Domstadt und ihre Einwohner so gut kennen, wie Stankowski. Auch er weiß natürlich um die Stadionbegrüßung:
"Für die Kölner selber ist nichts so prägend wie die Begrüßung des Stadionsprechers, wenn der FC spielt: Ich begrüße sie in der schönsten Stadt Europas oder der Welt. Und das interessant ist, dass diese Behauptung einerseits geglaubt und andererseits nicht geglaubt wird. Also, das Selbstwertgefühl der Kölner, diese Form der Selbstbesoffenheit wird gleichzeitig ironisch hinterfragt."
Es ist dieser – eigentlich ja sympathische Zug – der für Stankowski an vielen Ecken und Enden der Stadt angetroffen wird:
"Es gibt so eine Grundmentalität auch immer wieder. Die Kölner sagen gerne: Wir könnten, wenn wir wollten. Wir wollen aber nicht."
Zufriedenheit mit dem Status quo
Das Ergebnis: Man ist zufrieden mit dem Status quo. Oder, um es mit dem Rheinischen Grundgesetz zu sagen, dass in den letzten Monaten immer wieder bemüht wurde, wenn die Stadt erklärt werden sollte: "Et kütt, wie et kütt" – Es kommt, wie es kommt, oder "Et hätt noch immer jot jejange" – Es ist noch immer gut gegangen. Doch: Das gilt halt nicht in jedem Fall ...
Martin Stankowski: "Warum diese Lässigkeit oder auch Schlampigkeit aushaltbar ist? Weil es von der Ideologie her schon immer so war. Also, die Behauptung: Wir sind eine 2000-jährige Stadt enthält ja gleichzeitig die Behauptung: Wir sind so alt, dass wir uns um aktuelle Dinge nicht zu kümmern haben."
Die jüngsten Ereignisse hätten die Stadt – und auch die Binnenwahrnehmung – verändert, so Stankowski, vor allem der Einsturz des Stadtarchivs im März 2009:
"Stadtarchiv ist deswegen so interessant und wird in der Selbstwahrnehmung etwa ganz anders als Silvesternacht, weil es um das eigene Gedächtnis geht. Silvesternacht war ein Skandal, der Köln beschädigt und wird auch so überwiegend wahrgenommen. Stadtarchiv ist sozusagen eine hausgemachte Katastrophe."
Die aber auch schon mehrere Jahre her ist. Dennoch: Es gab damals eine erste Bewegung, vor allem im Kölner Bürgertum, die gesagt: Jetzt ist Schluss. Und dies auch umgesetzt hat:
Martin Stankowski: "Das war der Auslöser für eine Wut, die etwa dafür gesorgt hat, dass der Beschluss, das Schauspielhaus abzureißen revidiert werden musste. Mit einem Bürgerentscheid. Das hat es vorher überhaupt noch nie gegeben."
Der Bürger steht auf – und nimmt sein Schicksal selbst in die Hand. Auch Karl Oost hat nach dem Einsturz des Stadtarchivs ein erstes Innehalten, ein erstes Umdenken in Köln festgestellt. Oost ist Bayer, er lebt in München – hat aber dennoch tiefe Einblicke in das Seelenleben der Stadt Köln. Denn: Seine Familie kommt aus Köln. Er selbst ist Präsident des KMKV, des Köln-Münchener Karneval-Vereins und fährt seit seinem 21. Lebensjahr jedes Jahr zur jecken Jahreszeit nach Köln. Heute ist Oost 45 Jahre, beobachtet Köln von Nah und fern und stellt dabei fest, dass es doch zwei Entwicklungen gibt. Denn während es auf der einen Seite eine Gruppe gibt, die sich laut Oost fragt:
"Leute, was machen wir hier eigentlich und was passiert hier?"
Gibt es dennoch auch einen anderen Umgang:
"Die andere Gruppe hat eigentlich für sich entschieden: Wir finden jetzt hier alles noch besser und feiern noch härter und feiern unsere Probleme sozusagen bisschen weg."
Ist Köln im Umgang gespalten?
Karl Oost: "Ich glaube, dass die Wahrnehmung differenzierter geworden ist, insgesamt, von den Problemen, aber das die Art und Weise damit umzugehen, ist so ein bisschen in eine Schere gegangen und die ist danach noch weiter auseinandergegangen."
Die lauten Töne stellt auch Konrad Adenauer fest. Natürlich feiert auch der Enkel des einstigen Kölner Oberbürgermeisters und ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik, gerne Karneval, aber angesichts der aktuellen Katastrophen, meint Adenauer:
"Da muss das Kölsche eigentlich etwas eingedämmt und bekämpft werden. Gibt ja so einen Witz. Also, was sagt der Westfale, wenn er morgens aufsteht, sagt er: Was gibt es zu tun? Und der Kölner sagt zum Beispiel: Wo gehen wir heute Abend hin?"
Für den Kanzler-Enkel gäbe es einen einfach Weg aus der Misere:
"Es muss nicht jeden Tag gefeiert werden. Die Plätze werden nur noch danach angesehen: Wie können wir darauf feiern? Also, man sollte dieses Elemente etwas zurückdrehen und – sagen wir mal – etwas mehr zu Ernsthaftigkeit zurückkehren."
Bundesweit erste Frauenbeauftragte einer Großstadt
Und zu mehr Niveau. Daran kann sich Lie Selter sogar noch erinnern. Die blonde Frau war einst – in den 80er-Jahren – die bundesweit erste Frauenbeauftragte einer Großstadt. In Köln. Über drei Jahrzehnte hat sie – bis zum 31. Dezember vergangenen Jahres – für die Stadt gearbeitet. Zuletzt als Chefin des Personalamtes.
Sie erinnert sich noch an Köln als eine fortschrittliche, führende Stadt:
"Stadtentwicklung, in allen möglichen Dingen war Köln ... Also, Gesundheitsamt in Bezug auf Aids, Prostitution wurde unglaublich was geleistet. Volkshochschule. Also, was Bewegung bei Bürgern zustande gebracht haben – unglaublich. Also, da war ich immer stolz. Ja, viele waren richtig stolz auf ihre Stadt."
Für Selter kam der Einschnitt, die Probleme bei der Verwaltung, mit dem Ende der SPD-Herrschaft in Köln. Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für das Oberbürgermeisteramt, Klaus Heugel, verstrickte sich Ende der 90er-Jahre in einen Aktienskandal, durfte nicht mehr antreten und nach über 40 Jahren SPD-Herrschaft übernahm die CDU die Stadt. Anstelle der geklärten, klaren Verhältnisse, dem Kölner Klüngel, in dem jede Partei ihren Platz hatte, trat nun eine neue Situation. Alle Parteien und Partei-Freunde wollten nun bedient werden.
Für Köln, so Selter, kam aber noch was hinzu: Das …
"... hängt damit zusammen, dass es in eine Zeit kam, wo alle Kommunen, das war ja nicht nur Köln alleine, sondern wo alle Kommunen auch Sparen mussten. Und diese beiden Dinge zusammen, haben dazu geführt, dass einfach die Menschen nicht mehr für das Ziel gearbeitet haben."
Sondern, so Selter, sich eine andere Stimmung innerhalb der Kölner Verwaltung herausgebildet hat:
"Resignation auch, aber auch die eigene Haut zu retten, als Amt oder Person auch manchmal gut dazustehen. Also, es ist immer jemand anders schuld. Das ist das Prinzip."
Seit eben Ende dieser 90er-Jahre waren es vor allem zwei Oberbürgermeister, die versuchten, Köln zu regieren. Auf der einen Seite Fritz Schramma, ein jovialer CDU-Mann, einst Latein-Lehrer und überzeugter Karnevalist und gebürtiger Kölner, und auf der anderen Seite Jürgen Roters, langjähriger Polizei- und Regierungspräsident der Stadt, ein Verwaltungsmann, SPD-Mitglied und gebürtiger Westfale.
Roters und Schramma als Antipoden
Der Gegensatz zwischen Schramma, von 2000 bis 2009, OB und seinem Nachfolger Roters, der bis 2015 regierte, könnte nicht größer sein – doch das Ergebnis ihrer Regierungszeit, wird heute fast gleich wahrgenommen: "Et hätt noch immer jot jejange", um beim Rheinischen Grundgesetz zu bleiben. Ergänzt durch ein fast.
Jürgen Roters: "Das Buch ist entstanden unter der Maßgabe, zu sagen: Was ist denn eigentlich in dieser Zeit, in diesen sechs Jahren passiert, was ist geschehen?"
Jürgen Roters sitzt in einem Besprechungsraum einer großen Anwaltskanzlei, für die er seit seinem Ausscheiden arbeitet. Er blättert durch ein edles, quergeschnittenes Buch: Es ist eine Mischung aus Museumskatalog, Bild-Band und Stadt-Führer, hochwertig gemacht.
Und: Es ist sein Buch. "Köln 2009 – 2015", heißt es, im Selbstverlag erschienen ...
"Vor dem Hintergrund der, sagen wir mal, nicht guten medialen Präsentation, die die Stadt hatte."
Köln als vielfältige Kulturstadt, Köln als Wirtschaftsstandort, Forschung, Mobilität, Familienfreundlich.
"Das ist die Parkstadt Süd, eine über hundert Hektar große Landschaft des Großmarktes."
165 Seiten hat das Buch, doch die Imagepflege verpufft wohl. Aber alleine die Tatsache, dass ein Oberbürgermeister nach seiner Amtszeit ein Buch über seine Verdienste im Selbstverlag herausgibt, sagt viel aus – über eine Stadt, aber auch über den verzweifelten Umgang mit ihr. Und:
"Manchmal hat Köln auch Pech gehabt. Weil es gibt auch andere Städte, die mit vergleichbaren Problemen zu tun hatten, aber in Köln ist es immer in ganz besonderer Weise in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten."
Eine Stadt im Pech?
Pech. Es ist dieser Hinweis auf höhere Gewalt, der auch beim Besuch von Fritz Schramma, Roters Vorgänger als OB, zur Sprache kommt. Gerade kam die Nachricht, dass russische Hooligans auf der EM-Rückreise, ausgerechnet am Kölner Hauptbahnhof, drei spanische Touristen zusammengeschlagen haben. Schramma schüttelt den Kopf:
"Es ist ja eigentlich auch ganz viel passiert, nach diesem Vorgehen in der Silvesternacht und dennoch haben wir wieder mal Pech, das ist auch einfach nur Pech, dass man sagt: Die hätten ja auch nach Hamburg fahren können, oder nach Berlin fahren können, nach Frankfurt fahren können und von da aus fliegen. Nein, es war jetzt der Umschlagplatz Köln."
Pech. Da ist es wieder. Schramma hat damals, nach dem Einsturz des Stadtarchivs, auf eine weitere Kandidatur verzichtet. Wer länger mit den beiden Oberbürgermeistern a.D. spricht, merkt eine gewisse Verzweiflung, eine gewisse Ratlosigkeit. Und diese könnte, so Schramma, auch zu Auswüchsen führen:
"Wenn hier in Köln, in der Politik, zum Beispiel in der Kommunalpolitik, wie das übrigens in Italien auch schon passiert ist, ein Clown auftritt, ich sag mal ganz bewusst ein beliebter, bekannter Clown. Der sich aufstellen lässt und der einigermaßen den Leuten auch was verspricht – und wenn es auch Nonsens ist, der kriegt unwahrscheinlich viel Prozent, weil die Leute, dieses Thema einfach nicht mehr so ernst nehmen."
Ein Clown. In Köln. An der Stadtspitze. Es ist ein Gedankenspiel, eher eine lustige Idee – die aber durchaus einen realistischen Hintergrund hat. Denn: Seit Oktober vergangenen Jahres ist Köln die erste deutsche Millionenstadt, die von einer parteilosen Frau regiert wird: Eben von Henriette Reker:
"Ja, meine Damen und Herren, wem gehört die Stadt?
Die Oberbürgermeisterin macht eine Pause, schaut in den Raum:
"Ihnen, uns allen."
Initiativen für eine weltoffene Stadt
Reker sitzt in einer Podiumsdiskussion auf dem Birlikte-Festival. Jene Einrichtung, die als Reaktion auf den fremdenfeindlichen Rohrbomben-Anschlag in der Kölner Keupstraße gegründete wurde. Solche Initiativen haben das weltoffene Köln immer stark gemacht.
Henriette Reker: "Wie kann – und das ist eine meiner wichtigsten Fragen, weil diese Erwartungshaltung ist berechtigt – wie kann Bürgerbeteiligung aussehen?"
Mehr Bürger-Engagement, das ist ein Wunsch. Vonseiten der Zivilgesellschaft verfassten nach der Kölner Silvesternacht Prominente wie der Autor Navid Kermani oder der Musiker Wolfgang Niedecken, die sogenannte Kölner Botschaft. Vier Forderungen: kein Tolerieren von sexueller Gewalt, der Kampf gegen bandenmäßige Kriminalität oder Schluss mit fremdenfeindlicher Hetze. Eigentlich, könnte man meinen, Selbstverständlichkeiten. Genauso wie die Forderungen nach behördlichen Konsequenzen. Auch die Oberbürgermeisterin war damit gemeint.
Doch wie genau Rekers Kurs aussehen wird, muss sich noch zeigen. Dass die 59-jährige Juristin aber auch zu deutlichen Worten fähig ist, bewies sie vor knapp zwei Wochen in diesem Sender, als es um die Arbeit der Kölner Verwaltung ging:
"Ich kenne die Verwaltung seit fünf Jahren, seitdem kann sie es schon nicht. Keine Ahnung, seit wann das so ist."
Eine öffentliche, pauschale Kritik, die hohe Wellen schlug – auch über die Grenzen der Domstadt hinaus. Als eine Ohrfeige für die rund 17.000 Verwaltungsangestellten, wurden Rekers Worte ausgelegt. Endlich die Wahrheit, hieß es anderswo. Doch ob und wie die parteilose Reker den kölschen Spagat zwischen Selbstüberzeugung und Selbstkritik schafft, muss sich noch zeigen. Bei einer anderen Kölner Institution dagegen, muss dieser Widerspruch tagtäglich überwunden werden.
Der "Express" und das Köln-Gefühl
Carsten Fiedler führt durch den sogenannten Newsroom des Kölner "Express". Hier geht es um Neuigkeiten, vor allem aus und um Köln. Die "Express"-Redaktion steht – auch dank der Online-Welt – mittlerweile fast jede Minute vor der Frage: Wie umgehen mit dieser widersprüchlichen Stadt?
Carsten Fiedler: "Wir müssen zum einen, dieses Köln-Gefühl unserer Kern-Leser, unserer wichtigsten Leser bedienen, also, wir müssen zu einem Stück weit auch die Seele der Kölner treffen, aber: Wir müssen natürlich auch unseren kritischen Blick auf die Dinge in der Stadt bewahren."
Fiedler sitzt nun in seinem Büro. Die Frage nach dem Umgang mit der Stadt, ist für ihn zentral. Dem "Express" wurde teilweise, aufgrund seiner harschen Berichterstattung, beispielsweise eine Mitschuld an den Abstiegen des 1. FC Köln gegeben. Mittlerweile hat die Zeitung eine Kooperation mit dem FC, bringt zum Saisonstart ein Magazin. Ähnlich läuft es beim Karneval.
Während die Kritik von Korrespondenten überregionaler Medien in Köln schnell zu einer Wagenburg-Mentalität führt, den Journalisten mitunter ein Umzug nahegelegt oder eine Kritik ihrer Texte in den lokalen Blättern erscheint, setzt Fiedler auf Kooperation. Und auf Kritik:
"Das Thema halt so zu treiben, dass man am Ende Lösungswege aufzeigen kann. Das ist mir ganz wichtig. Zum einen sehe ich halt den Express als, letztendlich auch, kölschen Institution, die das kölsche Gefühl bedient, aber auf der anderen Seite immer auch kritische Themen aus der Stadt aufgreift und dort versucht, das Thema voranzutreiben."
Empfehlungen von Adenauers Enkel
Mehr Arbeiten, weniger Feiern, empfiehlt Kanzler-Enkel Adenauer, auf mehr Bürger-Engagement hofft die immer noch neue, parteilose Oberbürgermeisterin Reker und findet deutliche Worte. Einen Clown am Horizont, sieht ein ehemaliger OB und auf konstruktive Kritik, setzt "Express"-Chefredakteur Fiedler. Doch dass sich in Köln nun vielleicht doch etwas geändert haben könnte, zeigt sich vielleicht am ehesten am Umgang mit der kommenden Silvesternacht. Denn in den letzten Wochen gab es Pläne für eine riesige Party auf dem Bahnhofsvorplatz, Motto: "Zusammen neu beginnen – Willkommen 2017". Was wäre das für eine Geschichte, wie toll würde sich da der Kreis schließen.
Bei der Stadt, die aus Sicherheitsgründen erstmals als fiktiver Ausrichter an Silvester auftritt, klang es in einer Pressemitteilung von Ende Juni dagegen anders:
"Auch wenn die Intention des Antragstellers von allen begrüßt wird, kann vor dem Hintergrund der übereinstimmenden Sicherheitsbedenken aller Beteiligten keine Genehmigung für die geplante Großveranstaltung erteilt werden."
Also: Keine Party an Silvester. Zumindest nicht am Hauptbahnhof und Dom. Es gab Tage in Köln, da hätte man über solche Einwände gar nicht erst nachgedacht.