Dürfen Rimbaud und Verlaine ins Pantheon?
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Frankreich streitet darüber, ob die schwulen Dichter Rimbaud und Verlaine im Pantheon ihre letze Ruhe finden sollen. Die einen sähen darin ein Zeichen für Diversität. Kritiker sagen: Die beiden Anti-Patrioten hätten sich gegen diese Ehrung gewehrt.
Die Dichter Arthur Rimbaud und Paul Verlaine zählen zum weltliterarischen Kanon, zu den Klassikern französischer Literatur. Sollten die beiden nicht einen Platz im Pariser Pantheon bekommen? So dachte sich das ein Pariser Publizist, entwarf eine Petition und bekam prompt prominente Unterstützung von früheren Kulturministern. Auch die Schrifstellerin Annie Ernaux war dafür. Dann regte sich plötzlich mächtiger Gegenwind, mit einer zweiten Petition.
Die erste Petition wolle erreichen, dass Rimbaud und Verlaine als homosexuelles Paar ins Pantheon überführt werden, erläutert unser Lesart-Redakteur Dirk Fuhrig, Spezialist für französische Literatur. Sie seien "zwei der bedeutendsten Dichter der französischen Sprache" laute die Begründung. Aber auch weil sie zwei Symbole der Diversität seien, die Ende des 19. Jahrhunderts unter der gesellschaftlichen Homophobie gelitten hätten. "Sie sind die französischen 'Oscar Wildes'", heiße es in dem Aufruf an den Staatspräsidenten.
Verlaine liege in einem vernachlässigten Grab auf dem Friedhof Batignolles am Rande des Périphérique-Autobahnrings in Paris begraben, bestückt mit "abscheulichen Plastikblumen". Und Rimbaud im Familiengrab in den Ardennen, wo er nie hinwollte.
"Ehrt man so Frankreichs größte Dichter", fragt die Petition, die neben internationalen Künstlern wie Gilbert & George oder Edmund White auch Olivier Py, der Direktor des Theaterfestivals Avignon, unterzeichnet haben.
Kampf gegen Symbole
Mehr als fünfzig Literaten und Künstler sprechen sich nun dagegen aus. Sie appellieren an Staatspräsident Emmanuel Macron, "bloß nicht diese beiden ins Pantheon" zu lassen. Unter diesen Unterzeichnern befinden sich unter anderem der aus Syrien stammende Schriftsteller Adonis, aber auch der linksorientierte italienische Schriftsteller Eri de Luca oder der berühmte Philosoph François Julien - "aber sonst nicht so viele große Namen", sagt Fuhrig.
Diese Unterzeichner halten die ursprüngliche Forderung für eine "Dummheit": Die beiden Anti-Patrioten Rimbaud und Verlaine hätten gar nicht ins Pantheon gewollt und seien gegen nationale Heldenverehrung gewesen. Hauptpunkt der Kritiker sei, dass die zwei Autoren lediglich wegen ihrer Homosexualität geehrt würden. Es gehe dabei vor allem um politische Korrektheit, um Identitätspolitik und Symbole.
Sie argumentieren, man solle der Provinz ihr Recht lassen, denn Rimbauds Heimat sei nun mal Charleville-Mézières, ein kleiner Ort an der belgischen Grenzen, nordöstlich von Reims. Im Fall einer Umbettung raube man der Provinz einen ihrer Stars - ein touristisches Argument.
Diese Argumente hält Fuhrig für etwas stichhaltiger: Vor allem Rimbaud sei nicht patriotisch genug gewesen. Er habe sich im Krieg 1870-1871 für die Besetzung der Ardennen durch die Deutschen ausgesprochen. Verlaine habe sich über die Pantheonisierung des Schriftstellers Victor Hugo lustig gemacht. Und für Rimbaud, der sich über alle bürgerlichen Konventionen hinweggesetzt habe, wäre das eine ziemlich ironische Ehrung. Man würde die beiden gegen ihren Willen ins Pantheon aufnehmen. "Da ist natürlich etwas dran", findet auch Fuhrig.
Nun müsse man bei Rimbaud und Verlaine eben immer ihre beiderseitige Geschichte miterzählen, die auch eine hochdramatische Liebesgeschichte war, sagt Fuhrig: "Verlaine zückte in einem Streit die Waffe, schoss auf Rimbaud und saß dafür zwei Jahre im Gefängnis – steckt im Unterfutter dieses Streits also die Homophobie – schwule Dichter sollen nicht in diesen Nationaltempel?"
Homphobe Untertöne
Es gebe da schon homophobe Untertöne, etwa wenn eine Nachfahrin von Rimbaud sagt, dass man das mit dem Schwulsein nicht so betonen dürfe, so Fuhrig. Rimbaud habe vor allem Geld gebraucht, um aus seinem Dorf abzuhauen. Daher hätte er sich auf die Affäre mit dem älteren Verlaine eingelassen.
Und dass man die beiden explizit als schwules Paar ehren und gemeinsam in den Weihetempel einziehen lassen will, das lehnten viele ab. "Das hat schon einen gewissen homophoben Beigeschmack."
Eine nationale, keine literarische Institution
Das Pantheon kennen viele Paris-Besucher, es liegt gegenüber Haupteingang des Jardin du Luxembourg im 5. Arrondissement. Ein mit antiken Säulen geschmückter ein Tempel, dem römischen Pantheon nachempfunden. "Aux grands hommes – la patrie reconnaissante" steht über dem Portal: Den großen Männern, das dankbare Vaterland. Das Pantheon ist eine Institution, die nach der Französischen Revolution ins Leben gerufen wurde. Vor allem viele Generäle und Staatsmänner sind dort in Sarkophagen bestattet.
Bekannte Namen sind der sozialistischer Politiker Jean Jaurès oder der Widerstandskämpfer Jean Moulin. Frauen sind kaum darunter. Die Physikerin Marie Curie war die erste, die wegen ihrer eigenen Leistungen 1995 dort beigesetzt wurde; die Politikerin Simone Veil folgte 2017.
Es handele sich also keineswegs um eine Ruhmeshalle für Literaten, sagt Fuhrig. Zwar lägen Alexandre Dumas, Victor Hugo, Jean-Jacques Rousseau, Voltaire, Emile Zola und André Malraux dort, aber viele andere berühmte Schriftsteller eben nicht. So dass also Rimbaud und Verlaine nicht die einzigen wären, die dort fehlen.
Streit um nationales Gedenken
Man könnte darüber nachdenken, ob man nicht verstärkt Künstler und weniger staatstragende Persönlichkeiten darin ehren will, so Fuhrig. Die gerade verstorbene Sängerin und Schauspielerin Juliette Gréco könnte eine Kandidatin sein.
Bei der Bewertung dieses Streits sagt Fuhrig, die Unterzeichner der ersten Petition wollten offenbar ein Zeichen für "Diversität" setzen. Es gebe in Frankreich zwar eine sehr liberale Gesetzgebung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften und die Homoehe sei früher als in Deutschland eingeführt worden. Aber ein harter, katholisch-konservativer Kern wende sich immer wieder gegen stärkere Liberalisierung. Es gebe Demonstrationen der "Manif pour tous", die demnächst wieder zu Protesten gegen künstliche Befruchtung durch lesbischen Frauen aufrufen würden.
Es handele sich um einen sehr französischen Streit über das nationale Gedenken, sagt Fuhrig. "Im ersten Moment dachte ich: Ja, klar, warum nicht, das wäre doch ein Zeichen für Gleichberechtigung und gegen Ausgrenzung von Homosexuellen." Aber man sollte die Symbolpolitik nicht überbewerten. "Auch ohne Pantheonisierung haben Paul Verlaine und Arthur Rimbaud ihren Platz in der Literaturgeschichte, im ideellen Pantheon der französischen und weltweiten Geistesgrößen."