Martin Schürz: Überreichtum
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2019
226 Seiten, 24,95 Euro
Brauchen wir eine Obergrenze für Reichtum?
35:59 Minuten
Maßloser Reichtum beschädige die Demokratie, warnt der Ökonom und Psychoanalytiker Martin Schürz. Er fordert ein Limit für große Vermögen. Der Publizist Rainer Hank widerspricht: Der Reichtum der Wenigen nütze den Vielen.
Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über die Begrenzung von Reichtum, fordert der Wiener Ökonom und Psychoanalytiker Martin Schürz. "Überreichtum" nennt Schürz eine Konzentration gewaltiger Vermögen in den Händen Weniger, die aus seiner Sicht für eine besorgniserregende gesellschaftliche Unwucht sorgt.
Platon: Exzessiver Reichtum ist nicht tugendhaft
Die ungleiche Verteilung von Vermögen hat schon den antiken Philosophen Platon umgetrieben. Er war der Auffassung, dass exzessiver Reichtum mit einem tugendhaften Leben nicht vereinbar sei und die Charakterschwäche besonders wohlhabender Menschen offenbare.
Anders als zu Platons Zeiten gehe es aber heute nicht um mehr oder weniger ausgeprägte "Einkommensunterschiede, die auf Leistungs- oder Talent- oder Anstrengungsunterschieden beruhen", so Martin Schürz im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur. Als Vermögensforscher beobachte er vielmehr völlig "entglittene Eigentumsverhältnisse": Eine kleine Schicht von "Überreichen" lebe "in einer Parallelwelt mit eigener Infrastruktur" und habe jeden Kontakt zum Rest der Bevölkerung verloren.
Georg Simmel: Große Vermögen verzerren die Demokratie
Schürz hält es für dringend geboten, "dass in einer Debatte die offensichtlich negativen Auswirkungen von exzessivem Reichtum besprochen werden." Schon der Sozialphilosoph Georg Simmel habe darauf aufmerksam gemacht, dass extrem vermögende Menschen die politische Gleichheit in einer Demokratie verzerren.
"‚Vermögen vermag etwas‘, wie Simmel sagte. Sie können politische Kampagnen finanzieren, Sie können über Wahlkampfspenden, oder indem Sie selbst in die Politik gehen, die Demokratie zu einer Fassadendemokratie verkleinern, in der der Staat nicht mehr die Möglichkeit hat, die Interessen der großen Mehrheit in seiner Politik abzubilden, sondern die Interessen der mit viel größeren Möglichkeiten ausgestatteten Überreichen."
Martin Schürz fordert deshalb eine gesellschaftlich ausgehandelte Obergrenze für große Vermögen. Der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank weist diese Idee entschieden zurück.
"Ungleichheit bedarf nicht der Legitimation. Im Gegenteil, man muss legitimieren, wenn man Umverteilung macht, um Gleichheit herzustellen. Ich sehe nichts Verwerfliches an Ungleichheit, so lange die unterschiedlichen Einkommen und Vermögen auf legale Weise zustande gekommen sind", sagt Hank im "Sein und Streit"-Gespräch.
Auch die von Martin Schürz eingeforderte Transparenz in Bezug auf Vermögen sogenannter "Superreicher" hält Hank für einen überzogenen Anspruch. "In einer liberalen Gesellschaft gibt es keine Pflicht zur Transparenz", sagt er. Und es gebe auch keine Verpflichtung, "vom Reichtum etwas abzugeben, nur weil man reich geworden ist." Rainer Hank beruft sich dabei auf den Eigentumsbegriff von John Locke, der "die Grundlage der Konstitution liberaler Gesellschaften" bilde. Locke habe Eigentum als "eine Art Naturrecht" verstanden.
John Rawls: Ungleichheit muss auch den Ärmsten nützen
Im Übrigen erweise sich die Ära des Kapitalismus im Rückblick auf die letzten 150 Jahre als "große Erfolgsgeschichte für die Armen." Die "Wachstumsgeschichte der entwickelten Staaten" habe gerade für die Schwächsten die größten Vorteile erbracht, so Hank: "Reiche gab es vorher schon, aber ansonsten gab es großes Elend."
Der Wirtschaftsjournalist erinnert an die "Theorie der Gerechtigkeit" des liberalen amerikanischen Philosophen John Rawls. Ungleichheit sei dann gerechtfertigt, so verstand es Rawls, wenn dadurch die Ärmsten keinen Nachteil, sondern Vorteile hätten. Diesen Grundsatz sieht Hank erfüllt, wo Unternehmer durch ihren Erfolg die Gesellschaft als Ganze voranbringen und den Wohlstand für alle mehren. "Wir brauchen die Milliardäre", sagt Hank, "sonst ginge es auch uns schlechter."
(fka)
Außerdem in dieser Ausgabe von Sein und Streit:
Kommentar zu Expertise in der Politik: Die Wissenschaft muss sich mehr einmischen
Oft wird heute vor "Expertokratie" gewarnt: Zu viel blutleeres Spezialistentum schade der Demokratie. Dabei zeigt eine neue Studie: Die Mehrheit der Gesellschaft wünscht sich mehr Einmischung der Wissenschaft. Gut so, meint Sibylle Anderl.
Umstrittener Philosoph der Macht: Warum fasziniert Carl Schmitt sogar seine Feinde?
Der Staatstheoretiker Carl Schmitt ist bis heute ein Faszinosum. Was reizt seine politischen Gegner an diesem bekennenden Demokratieverächter? Stefan Osterhaus suchte im Berliner Einstein-Forum nach Antworten.