"Wir reflektieren alle über Sprache"
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Das geleakte "Framing-Manual" der ARD sollte ursprünglich als Diskussionsgrundlage für Workshops dienen - jetzt hat sich daran eine öffentliche Debatte entzündet. Über diese Kontroverse sprechen wir mit Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch.
Genau 89 Seiten enthält das "Framing Manual", das 2017 von der ARD – damals unter Vorsitz des MDR – in Auftrag gegeben wurde. Zu dieser Zeit standen Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks besonders unter Beschuss, mussten sich etwa auf Demonstrationen häufig als Lügenpresse beschimpfen lassen.
Mögliche Reaktionen auf Angriffe
Das Anliegen der ARD war es zu analysieren, was es bewirkt, wenn man die eigene Arbeit mit bestimmten Vokabeln beschreibt und welche Vorgehensweise helfen könnte, das eigene Image zu verbessern. Auf Seite 77 findet sich etwa dieser Ratschlag:
"Wenn Sie Ihren Mitbürgern die Aufgaben und Ziele der ARD begreifbar machen und sie gegen die orchestrierten Angriffe von Gegnern verteidigen wollen, dann sollte Ihre Kommunikation nicht in Form reiner Faktenargumente daherkommen, sondern immer auf moralische Frames aufgebaut sein, die jenen Fakten, die Sie als wichtig erachten, Dringlichkeit verleihen und sie aus Ihrer Sicht – nicht jener der Gegner – interpretieren."
Kritik an Slogans und "Sprechanweisungen"
Diese Empfehlung, faktenbasierte Argumentationen in einen moralischen Claim einzubetten, sorgte in der Öffentlichkeit für Kritik. Ebenso wie der Vorschlag aus dem Manual, private Medien mit Begriffen wie "medienkapitalistische Heuschrecken" oder "Kommerzmedien" zu betiteln. Von einer "sprachlichen Manipulation durch die Hintertür" sprach die "Welt".
Als eine "Sprechanweisung" bezeichnete Tagesspiegel-Journalist Joachim Huber das Framing-Manual. Ihn stören die Slogans, die in dem Handbuch empfohlen werden:
"Wenn jemand zu mir kommt und sagt 'Mit uns von uns' und so weiter oder 'Wir sind der verlängerte Arm des Bürgers', dann muss ich sagen: Ein Slogan ist immer nur so gut, wie das, was dahinter steht. Und die ARD ist besser als der Slogan. Da hat das Nachdenken mal ausgesetzt. Mir wurde gesagt, es lag am Zeitmangel. Aber man hat natürlich eine Tür aufgemacht, die man jetzt nicht mehr zukriegt."
Kritik am Umgang der ARD mit dem Dokument
Das Blog netzpolitik.org, wo das Framing Manual am Sonntag veröffentlicht worden war, räumte dagegen ein, dass es durchaus sinnvoll sein könne, "dominante Frames in der eigenen Kommunikation zu reflektieren".
Das Blog kritisierte aber, dass die ARD das Papier nicht selbst publiziert und damit den Reflexionsprozess über das Dokument anderen überlassen habe.
Unabhängigkeit auch im Inneren
Susanne Pfab, die Generalsekretärin der ARD erklärte dies damit, dass es sich bei dem Papier um eine Arbeitsunterlage handelt, um ein internes Dokument, das als Denkanstoß und Diskussionsgrundlage dienen soll. Jeder dürfe so reden, wie er oder sie möchte.
Pfab stellte klar:
"Es wird nie eine Anweisung oder Handlungsanweisungen weder an Mitarbeitende noch an Redaktionen geben. Das wäre ja völlig absurd. Etwas, was unsere Kolleginnen und Kollegen sehr hoch halten, ist die innere Redaktionshoheit, die innere Programmautonomie und das ist auch richtig und wichtig so. Deswegen sind wir auch nicht nur unabhängig, wie wir finanziert werden, sondern wir sind es auch tatsächlich im Inneren, wie auch unser Programm entsteht."
Für Sprache sensibilisieren
Als Medienverbund, der tagtäglich mit Sprache arbeitet, sei es für die ARD selbstverständlich, sich mit Begriffen und ihrer Wirkung zu beschäftigen – auch in Bezug auf die Kommunikation über sich selbst. Im Deutschlandfunk erklärte sie:
"Ich halte es für richtig und gut, wenn wir uns auch als Medienhaus eben damit beschäftigen, was sind neueste wissenschaftliche Erkenntnisse? Und da geht es auch darum, wirklich für Sprache zu sensibilisieren und darauf aufmerksam zu machen, welche Wirkkraft es entfalten kann und man eben sehr verantwortungsvoll mit Sprache umgehen muss."
Die sprachliche Perspektive prägt das Nachdenken
Doch wie viel Einfluss haben Frames überhaupt? Und lassen sich Mediennutzer damit so ohne weiteres zum Umdenken bewegen? Unter anderem darüber haben wir in Breitband mit Anatol Stefanowitsch gesprochen.
"Wir reflektieren alle über Sprache. Das ist etwas ganz Natürliches", sagt der Sprachwissenschaftler. Und hält zunächst fest: "Wenn ich Dinge nicht direkt wahrnehme, sondern über die Sprache wahrnehme, dann hat die Perspektive, die ich durch die Sprache auf diesen Bereich lege, natürlich etwas damit zu tun, wie ich über diesen Bereich nachdenke."
Hartnäckige Frames und reflektiertes Re-Framing
Stefanowitsch unterscheidet das Framing vom politischen Spin: Beim Framing steht die Reflektion der eigenen Werte im Vordergrund, um zu sprachlichen Bildern zu finden, die jedoch nicht "im krassen Gegensatz zur Realität stehen" dürften. Unter Umständen ergibt ein Re-Framing dann auch "sprachliche Bilder, die vielleicht angemessener sind."
Aber: "Das Problem ist, dass wir es normalerweise mit Frames zu tun haben, die wirklich so gut etabliert sind und so tief verankert, dass man sie nicht ohne weiteres innerhalb weniger Jahre aus der Welt schaffen und durch etwas anderes ersetzen kann."
Wie sinnvoll ist das ARD-Framing?
Doch war das Vorgehen der ARD überhaupt begründet? Stefanowitsch ist skeptisch: Begriffe wie "Staatsfunk", "Zwangsgebühren", "Lügenpresse" oder "Systemmedien" sind unter denjenigen, die sie verwenden, ohnehin sehr festgesetzt. Hier treffe man kaum auf Diskussionsbereitschaft.
Doch steht dieser Gruppe auch ein großer Teil der Bevölkerung gegenüber, der "eigentlich kein schlechtes Bild von der ARD hat." Im Gegenteil, "das Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Sender ist sehr groß."
Effektiver wäre es demnach auch gewesen, meint Stefanowitsch, wenn die Sender "offen und transparent erklärt" hätten, wie sie "über sich selber nachdenken."
Welche Frames entsprechen der Gesellschaft?
Auch auf ganz Grundsätzliches kommt Stefanowitsch zu sprechen:
"Die Frage sollte sein, welche Frames sind angemessen, welche Frames entsprechen dem, wie wir als Gesellschaft über einen bestimmten Bereich denken wollen. Und dem muss in gewisser Weise ein gesellschaftlicher Verhandlungsprozess vorausgehen."
(mit Mitarbeit von Azadê Peşmen)