Landeskorrespondentin Vanja Budde: "Schäfer und Landwirte sind auf den Barrikaden, und auch Pferdebesitzer und Reiterinnen in Brandenburg machen sich langsam Sorgen wegen der Rückkehr des Wolfes. Zu Recht? Nein, sagen Naturschützer, ja, meinen Landwirte. Die Meinungen zum Wolf gehen weit auseinander. Gut, dass ‚Die Reportage‘ im Deutschlandfunk Kultur Raum für alle Stimmen bietet. Ich habe bei dieser Recherche viele Standpunkte gehört, die man nachvollziehen kann. Ich hoffe, dass die Kontrahenten auch wieder miteinander ins Gespräch kommen." (Bild: Vanja Budde)
Rotkäppchen reloaded
Rund 600 Wölfe leben wieder in Deutschland - zur Freude der Naturschützer. Unter Brandenburgs Biobauern regt sich allerdings Unmut: Die Raubtiere reißen mitunter auch deren Schafe und Kühe. Wie damit umgehen?
Die Flammen lodern hoch in den dunklen Himmel. An die 50 Männer, Frauen und Kinder, eingemummelt in dicken Jacken, versammeln sich rund um das Feuer in Neuendorf am See. 80 Kilometer südöstlich von Berlin, im Unterspreewald, hat Landwirt Jörg Dommel zu einer "Wolfswacht" gerufen. Ein Hilferuf – und eine Protest-Aktion. Denn Dommel hat Angst um seine Kühe. Angst vor dem Wolf. Auf der Weide nebenan beäugen die Kühe verblüfft die Menschenansammlung, Grashalme hängen ihnen aus dem Maul, die Flammen spiegeln sich in ihren Augen.
Einen Stall gibt es nicht, die Tiere stehen das ganze Jahr über draußen. Extensive Weidewirtschaft, bio, naturnah und artgerecht, aber neuerdings gefährlich: Von den etwa 60 Wolfsrudeln in Deutschland leben 25 in Brandenburg. Landwirt Jörg Dommel vermutet drei davon in der Region - mit mindestens 30 Wölfen.
"Vom letzten Jahr Juli bis jetzt habe ich sechs Tiere verloren. Das ist ungewöhnlich viel. Sie sehen ja, das ist jetzt noch kein spezieller Zaun, das ist jetzt erst mal dreimal Litze mit Strom. Jetzt sagen die Experten: Für den Wolf müssen fünf Drähte gemacht werden. Wer soll die fünf Drähte bezahlen? Wer soll den Zaun bezahlen? Bei unserem geringen Verdienst bleibt uns Landwirten schon so nichts übrig. Ich habe 200 Tiere, ich habe sechs Herden – so. Da brauche ich einen Zaun, ich habe mir einen Kostenvoranschlag lassen machen, von 15-, 16.000 Euro nur an Material. Dann kommt noch dazu der Bau."
Inklusive Aufbau und einem starken Stromgerät würde ihn der Zaun 40.000 Euro kosten, regt sich Dommel auf, ein großer, kräftiger Mann mit dunkelblauer Wollmütze gegen die nächtliche Kälte. Das Land fördert den Zaunbau anteilig. Aber das reicht hinten und vorne nicht, sagen die Bauern.
Die Entschädigung für einen Wolfsriss auch nicht. 800 Euro kriegt Dommel für ein Bio-Kalb. Nicht einmal die Hälfte zahlt das Land Brandenburg als Entschädigung, wenn der Wolf das Kalb holt, klagt der Landwirt. Und dann die Bürokratie; Nur zwei seiner sechs Kälber wurden entschädigt. In den anderen Fällen hat der Gutachter wildernde Hunde als Täter im Verdacht. Quatsch, finden die versammelten Bauern am Feuer. Sie sind sich einig. Es muss schnell etwas geschehen, die Wölfe werden immer dreister.
"Ein Wolf im Gebiet von 50 Kilometer ist kein Problem. Und der Rest gehört untern Abschuss. Ich warte auf den Tag, bis ein Mensch gerissen wird. Mal sehen, was dann passiert. Ob dann über Nacht das Gesetz gekippt wird, und man sagt, ‚jetzt Abschuss frei, jetzt geht’s los‘."
Ein anderer Rinderzüchter meldet sich zu Wort:
"Und da ist meine größte Angst: Die Wölfe treiben die Kühe, automatisch geraten die in eine Panik, rennen auf die Bundesstraße, es passiert ein tödlicher Verkehrsunfall mit Leute drin – am Arsch bin ich."
Der Wolf weckt Urängste
Die Brandenburger Dörfler, die bei Bier und Bratwurst Wache halten, blicken mit bitterer Ironie auf die Tierfreunde in der Stadt. Die freuen sich über den Wolf. Artenreichtum: Wie schön. Je höher das Stockwerk, in dem die Leute wohnen, desto mehr freuen die sich. Aber hier auf dem Land weckt die Rückkehr des großen Raubtieres Urängste:
"Also ich muss ehrlich sagen: Wenn jetzt die Pilzzeit wieder losgeht, habe ich eigentlich jetzt schon Schiss, ja. Ich habe wirklich Angst, in den Wald zu gehen. Es wird ja immer schlimmer."
Dirk Vogt, der in Neuendorf einen Reiterhof betreibt, dazu:
"Auf jeden Fall ist das Ganze aus dem Ruder gelaufen. Wir sind momentan nicht mehr Herr der Lage. Da bin ich 100-prozentig von überzeugt. Und das muss einfach auch mal ausgesprochen werden."
Aber die Politiker in Potsdam spielen das Problem Wolf herunter, schimpft Dirk Vogt.
"Und alle, die sagen, das kriegen wir in den Griff und das ist alles kein Problem, die sollen doch einfach mal hierherkommen und sollen sich so ein Tier angucken, wenn es gerissen ist. Wenn bei mir das erste Pony oder das erste Pferd gerissen wird oder einen Schaden hat oder verletzt ist, dass es eingeschläfert werden muss, dann lade ich das auf und dann lade ich das vor dem Landtag, vor diesem schönen Schloss, das hat einen wunderbaren Innenhof, wieder ab. Weil ich glaube, die sind ganz weit weg von dieser Problematik, das ist meine Meinung."
"Der Wolf gehört in den Wald!", sagt ein Mann am Feuer. Nicht in die Kulturlandschaft, meint auch Dirk Vogt:
"Es gibt zusammenhängende Waldgebiete oder ehemalige Truppenübungsplätze, wo das kein Problem darstellt. Aber in unserer relativ dicht besiedelten Region, im Sommer haben wir die Touristen, die hier durch den Wald streifen. Das ist das nächste Problem. Also bei dem Besatz, den wir mittlerweile hier haben, wird der eine oder andere Touri eine neue Attraktion vorfinden."
Ein Anreiz für Touristen
Touristen gucken sich zwar gerne wilde Tiere an – aber lieber aus sicherer Entfernung. Ob in der Serengeti oder in der Lausitz. Hier bieten findige Veranstalter längst Wolfsbeobachtungen an. Das "Erlebniswochenende" von Wolflandtours zum Beispiel führt 100 Kilometer weiter südlich von Dommels Weiden mitten ins Kerngebiet eines Rudels. Zwischen dem Truppenübungsplatz Oberlausitz und dem Tagebau Nochten. Für 420 Euro pro Nase sind die drei Teilnehmerinnen mit zwei Guides auf den Spuren der Wölfe unterwegs.
Einmal einen Wolf in freier Wildbahn sehen: Im Gegensatz zu Bauer Dommel und seinen Nachbarn wäre das für Alexandra Schedel aus dem Allgäu und Barbara Wunderlich aus Hamburg ein Traum:
- "Da ich Hunde ja auch sehr liebe, ist der Wolf natürlich als Urtier des Hundes für mich auch ein ganz besonderes Tier. Ich finde, wenn man lernt, mit dem Wolf zu leben oder wieder versucht sich mit dem Wolf auseinanderzusetzen und weiß, er ist da, und aufgeklärt wird, also wie man mit dem Wolf umgehen kann, dann, finde ich, kann man auch den Wolf in Deutschland wieder flächendeckend akzeptieren. Er hat immer zu Deutschland gehört und er gehört auch heute noch zu Deutschland."
- "Und ich weiß, dass er immer weiter vorrückt und sich hier verbreiten darf im Moment, das freut mich ungemein."
Wer einen Wolf sehen will, muss sich still verhalten, warnt Guide Stephan Kaasche: denn Canis lupus sei sehr scheu.
"Wenn Sie rumlaufen, sehen Sie keinen Wolf. Sondern ich würde mir frühmorgens den Wecker stellen um vier und würde mich da an den Baum mit einem Klappstuhl setzen und diese beiden Schneisen mit dem Fernglas im Auge behalten."
Und wenn der Wolf kommt? Muss man sich dann fürchten, wie die Pilzesammlerin in Neudorf am See? Wie die Eltern in den Dörfern, die ihre Kinder nicht mehr zum Spielen in den Wald lassen? Nein, sagt Naturführer Stephan Kaasche. Es habe in Deutschland seit der Rückkehr des Wolfes noch nie einen Angriff auf Menschen gegeben.
"Niemand muss Angst haben vor dem Wolf. Man muss sich wie bei allen Tieren überlegen, wie man sich gegenüber Wildtieren verhält und respektvoll. Ein verletztes Tier anfassen würde ich nicht. Ich würde keines anfüttern, anlocken. Und wenn ein Wolf doch mal näherkommt, wenn man sich bemerkbar macht, indem man zum Beispiel spricht oder zur Not in die Hände klatscht, dann wird der Wolf in aller Regel merken, dass da ein Mensch ist und ausweichen – mal schneller, mal langsamer. Aber Angst muss man nicht haben."
Naturschützer raten zu Gummigeschossen
Man könne Wölfe an Viehweiden auch mit Gummigeschossen oder Leuchtmunition vertreiben, raten Naturschützer. Hier in der Lausitz haben sich vor 15 Jahren die ersten Wölfe wieder angesiedelt. Von einem Truppenübungsplatz aus erobert die aus Polen eingewanderte Sippe seitdem stetig immer neue Reviere. An einer Schafweide am Waldrand macht Naturführer Stephan Kaasche kurz Halt. Die Schafe grasen hinter einem 90 Zentimeter hohen Netz-Zaun mit rot-weißem Flatterband oben dran und Strom drauf.
"Man hört ja immer ‚es funktioniert nicht, es gibt keinen Herdenschutz‘. Aber wie kann es dann sein, dass diese Schafherden, die hier in dem zweitältesten Wolfsgebiet Deutschlands seit 2002 durchweg da sind, die Wölfe und die Schafe, dass die hier nicht gerissen werden? Und es ist hier auch kein 3,50 Meter hoher Stacheldrahtzaun mit 10.000 Volt Strom drauf. Das ist in ganz einfaches Ding. Also es gibt scheinbar eben doch einen Mindestschutz und der ist auch nicht hier mit einem Riesenaufwand hergestellt."
Die Bauern, die in Wolfsgebieten nicht in geeignete Zäune für den Herdenschutz investieren, brächten dem Raubtier derzeit bei, dass Kälber leichte Beute sind, kritisiert der Naturführer.
"Wir öffnen dem Wolf durch die laxen Schutzmethoden Tür und Tor und wundern uns hinterher, dass der Wolf gelernt hat und dass er dann plötzlich Rinder reißt. Aber man könnte jetzt schon fünflitzig ziehen und wirklich darauf achten, dass da genügend Strom drauf ist. Die Realität ist eine andere."
Weil so ein fünflitziger Zaun zum Schutz von Rindern eben auch sehr teuer ist. Naturführer Stephan Kaasche romantisiert den Wolf nicht. Er will während dieser Touren wissenschaftlich fundiert über das zurück gekehrte Raubtier informieren und Vorurteile mit Fakten ausräumen.
Ein Wolfsbeauftragter für Brandenburg
Frank Michelchen wird heute in sein neues Amt eingeführt. "Wolfsbeauftragter" des Brandenburger Bauernbundes ist er nun. Der Landwirt und Rinderhalter soll seine Kollegen nach Wolfsrissen beraten. Dann wird es nämlich kompliziert: Ein Gutachter muss kommen, das tote Tier unzweifelhaft einem Wolfsriss zuordnen. Dann muss ein Antrag auf Entschädigung gestellt werden, die dann Monate lang auf sich warten lässt. Ein unhaltbarer Zustand, meint der Verband der bäuerlichen Familienbetriebe. Auf landesweiten Wolfswachen, wie der Versammlung am Lagerfeuer von Bauer Dommel, haben sich die kleinen mit den großen Betrieben zusammen getan, um gemeinsame Forderungen aufzustellen.
"Dass wir die Zäune, die wir bauen müssen, zu 100 Prozent vom Land gefördert kriegen. Und auch unsere Risse, die dann eventuell trotzdem noch entstehen, zu 100 Prozent bezahlt werden müssen, denn wir können die Schäden nicht tragen."
Frank Michelchen hält im Spreewald 46 Mutterkühe. Zwei Kälber habe er an Wölfe verloren, klagt er. Die Bauern wollen ihre Herden aktiv verteidigen dürfen, mit der Waffe.
"Wenn sich Wölfe auf 1.000 Meter Rinderweiden oder menschlichen Siedlungen nähern, müssen sie automatisch zum Abschuss freigegeben werden, müssen also als Problemwolf eingestuft werden. Denn es kann nicht sein, dass ein Wolf, der in der Stadt durch die Stadt läuft, ein Problemwolf ist, aber ein Wolf, der unsere Tiere frisst, kein Problemwolf ist."
Laut Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union ist es verboten, den streng geschützten Wolf zu stören, zu fangen oder gar zu töten. Auch nach dem Bundesnaturschutzgesetz genießt das Raubtier den höchstmöglichen Schutz. Nur wenn ein Wolf konkret Menschen gefährden könnte, kann er mit einer Sondergenehmigung abgeschossen werden. Der Brandenburger Bauernbund will, dass der strenge Schutzstatus des Wolfes EU-weit gelockert und er wie anderes Wild bejagt wird. Weil das aber ein langer und mühseliger Prozess ist, soll erst einmal eine Wolfsverordnung des Umweltministers in Potsdam den Abschuss solcher so genannter Problemwölfe legal ermöglichen. So eine Verordnung ist für den Sommer angekündigt.
Schießen müssten dann die örtlichen Jäger.
Viele Risse werden nicht gemeldet
Der Präsident des brandenburgischen Landesjagdverbandes, Dirk Wellershoff, tritt einen Tag vor der Umweltministerkonferenz in Bad Saarow in einer Allianz mit Biobauern, Rinderhaltern und Schäfern auf einer Pressekonferenz in Potsdam auf.
".. und wir stellen in Brandenburg fest: Der positive Erhaltungszustand ist erreicht. Der Schutzstatus ist unnötig und übertrieben und behindert uns natürlich bei der Lösung der jeden Tag auftretenden Konflikte. (...) Ich bekomme jeden Tag Bilder von gerissenen Schafen aus meinem Umfeld, jeden Tag! Wenn sie einzelne Kälber reißen, sind doch unsere Landwirte mittlerweile, wenn sie 1 000 Kühe haben, gar nicht mehr in der Lage, das ganze Schadensprozedere abzuwickeln. Und das gilt doch für die Kleintierhalter ganz genau so: Wenn sie ein oder zwei Schafe hinterm Haus haben, die sind tot, da ruft doch heutzutage keiner mehr den Wolfsbeauftragten, das ist Standard geworden mittlerweile."
Und weil die meisten Risse gar nicht gemeldet würden, sei die Dunkelziffer der Schäden auch viel höher, als die bundesweit im vergangenen Jahr amtlich registrierten 700 Weidetiere, davon 184 Schafe und 26 Kälber in Brandenburg. Das Monitoring sei unzuverlässig, es gäbe viel mehr Wölfe als offiziell gemeldet. Wellershoff weiter:
"Und dann müssen wir eben die Diskussion führen in Brandenburg, mit wie viel Wölfen wollen wir am Ende des Tages leben. Und dann muss ich mir Gedanken da drüber machen, was mache ich mit den zu vielen Wölfen."
Die Förster freuen sich über die Rückkehr des Wolfs
Wie viele Wölfe also sind verträglich? Wann ist das gesunde Maß überschritten? In Brandenburg reichen 300 bis 400 davon, meinen die Jäger. Sie ärgern sich über die Rückkehr des Wolfes, weil er das Wild scheu macht, was die Jagd erschwert. Mancher Jäger fände es waidmännisch interessant, das große Raubtier zu erlegen. Auch, wenn dann ein Shitstorm inklusive Morddrohungen von radikalen Tierfreunden im Internet losbricht. Geschehen in Niedersachsen, wo ein so genannter "Problemwolf" mit behördlicher Genehmigung abgeschossen wurde.
Brandenburgs Förster begrüßen die Rückkehr des Beutegreifers. Denn viel zu viel Rehe und Hirsche beißen die kleinen Laubbäume kaputt, mit denen die Förster in mühsamer Arbeit die Kiefern-Monokulturen in der Mark beleben wollen. Thekla Thielemann steuert auf eine kleine Buche zu.
"Und wenn man sich die Buche mal anguckt, die hat viele Triebe. Die kommen nicht, weil mehrere Mal hier so reingepflanzt wurden, sondern durch den Verbiss."
Damit Buchen und Eichen heran wachsen können, muss das Schalenwild fleißig bejagt werden, erklärt Försterin Thekla Thielemann in ihrem Revier rund um Ferch und Caputh bei Potsdam, wo Albert Einstein seinen Sommersitz hatte. Auf dieser Lichtung haben es kleine Laubbäume aus eigener Kraft geschafft, ohne Schonung, ohne teuren Zaun. Aber obwohl schon einige Jahre alt, sehen sie aus wie Büsche, nur mannshoch, weil sie immer wieder angeknabbert wurden. Jeder zweite junge Baum in den Wäldern Brandenburgs ist von Wildverbiss geschädigt. Und ausgerechnet junge Eichen und Buchen sind bei Rehen und Hirschen besonders beliebt, seufzt die Försterin.
"Der Wolf übernimmt natürlich die Rolle des Jägers, die natürliche Rolle. Und meine persönliche Meinung: Ich habe damit in keiner Weise ein Problem. Es spricht nichts dagegen. Ich denke, der Wald wird es uns danken, ja."
Herdenschutzhunde können helfen
Acht schneeweiße, wollige Welpen wuseln im Stroh und balgen sich mit jungen Schäfchen. Seit es wieder Wölfe in Brandenburg gibt, züchtet Schäfer Knut Kucznik in Altlandsberg nicht nur Schwarzköpfige Fleisch-Schafe, sondern zu deren Schutz auch Herdenhunde. Die wachsen im Lämmerpferch unter Schafen auf.
"Diese Hunde identifizieren sich mit ihrem Rudel. Und sie fühlen sich den zu schützenden Tieren zugehörig. Das sind ihre Kumpels. Was diesen Hunden abgezüchtet wurde, ist der Jagdtrieb."
Dafür haben sie einen enormen Schutztrieb und sind allen Fremden gegenüber misstrauisch: Schon die acht Wochen alten Welpen knurren und bellen den Eindringling an. Naturschützer raten den Bauern dazu, solche Herdenschutzhunde anzuschaffen. Die Schäfer haben mit den großen, wehrhaften und mutigen Hunden gute Erfahrungen gemacht: Wo sie hinter Netzzäunen mit Stromlitzen wachen, gab es keine gerissenen Schafe mehr. Die Züchter geben die Schutzhunde im Alter von zwei Jahren ausgebildet ab, erklärt Schäfer Kucznik und vergleicht sie mit Polizei- oder Blindenhunden. Die Anschaffung von Herdenschutzhunden wird vom Umweltministerium gefördert.
"Also das Land bezahlt 4000 Euro dazu. Aber dafür werden sie keinen kriegen."
Dazu kommen Futterkosten von etwa 1000 Euro im Jahr. Erfahrungen mit Herdenschutzhunden in Rinderherden gibt es in Deutschland noch kaum. Vielen Bauern sind die Hunde zu teuer und zu eigenständig: Sie haben Angst, dass Spaziergänger oder Jogger nicht mehr unbelästigt an den Weiden vorbei kommen.
Der Wolf macht Biobauern und Naturschützer zu Gegnern
Eigentlich sind die Biolandwirte mit ihrer extensiven Weidehaltung die natürlichen Verbündeten der Naturfreunde. Aber in Brandenburg wird der Streit immer heftiger ausgetragen. Auf dem Wolfsplenum des Umweltministeriums Ende April in Potsdam kocht der Konflikt hoch: Wer hat wen zuerst beleidigt? Landräte und Bauern die Naturschützer? Oder Nabu und BUND die Rinderhalter? Deren abendliche Wolfsfeuer verunglimpfen die Naturfreunde als hetzerisch und populistisch. Und die Grünen kritisieren, dass Umweltminister Jörg Vogelsänger von der SPD dabei mitgemacht hat. Der lässt jetzt den strengen Schutz des Wolfes überprüfen. Der Grund: Die Kosten für Prävention und Entschädigung drohen aus dem Ruder zu laufen. Umwelt-Staatssekretärin Caroline Schilde hat die genauen Zahlen dabei:
"Seit zehn Jahren, seitdem die Wölfe also nach Brandenburg zurückgekehrt sind, haben wir für Präventionsmaßnahmen rund 810.000 Euro ausgegeben und für die Entschädigung von wolfsbedingten Verlusten haben wir seit 2007 zirka 155.000 Euro ausgegeben."
Na und, argumentieren die Naturschutzverbände. Die Ausrottung war billig, Artenschutz kostet eben. Und überhaupt: Jährlich würden etwa 11 000 Kälber in Brandenburg tot geboren oder stürben in den ersten sechs Lebensmonaten. Was sind da 26 Kälber, die vom Wolf gerissen wurden. Die Rinderhalter trifft der Vorwurf, sie würden sich nicht um ihre Tiere kümmern, bis ins Mark. Die Kluft wird immer tiefer.
Im vollen Saal sitzen sie alle, die Jäger, Bauern und Schäfer in karierten Hemden rechts, die Naturschützer mit nackten Füßen in Trecking-Sandalen links im Saal. Die Veranstaltung soll den Wolfsmanagement-Plan voran bringen, der dieses Jahr erneuert werden muss. Doch schnell ist man wieder bei gegenseitigen Beleidigungen. Die einen malen das Ende der Weidewirtschaft an die Wand. Die anderen freuen sich über jeden Wolf und sprechen von einem kleinen Wunder in Zeiten des Artensterbens.
Manche Bauern – das wird unter der Hand erzählt - setzen auf illegale ad-hoc-Lösungen, statt sich an Behörden zu wenden. Sprich: sie schießen selber – oder lassen schießen. Das sei ein Problem, meint Reinhard Jung vom Bauernbund, etwas ermattet von seinen emotionalen Ausbrüchen beim Wolfsplenum:
"Andererseits kann ich es Leuten auch nicht verwehren, die ihre Erfahrungen mit dem Staat und mit diesem Artenschutz gemacht haben, dass sie zur Selbsthilfe greifen. Das ist einfach so. Wenn man natürlich einen Riss hat und will das Problem mit dem örtlichen Jäger lösen, dann wird man, ähm, sich das ... wird man sehr überlegen, ob man das meldet oder ob man einfach Stillschweigen darüber bewahrt und das Problem stillschweigend löst."
Die Gesellschaft müsse den Umgang mit Wölfen wieder lernen
Wölfe werden in Brandenburg nicht nur überfahren, immer mal wieder werden auch abgeschossene Tiere gefunden, ganze Rudel verschwinden spurlos. Das Landeskriminalamt ermittelt wegen schweren Verstoßes gegen den Artenschutz. Weit weg von den hitzigen Auseinandersetzungen streift Uwe Schanz im westlichen Brandenburg in der Nähe von Bad Belzig als ehrenamtlicher Wolfsbeobachter mit GPS-Gerät durch den friedlichen Wald und sucht Spuren.
Wölfe ernähren sich hauptsächlich von Rehen oder Wildschweinfrischlingen, erzählt Schanz - und entgegen landläufiger Vorurteile kaum von Schafen oder Kühen: "Das ist ein bisschen unterschiedlich, je nach Region kann das auch mal ein bisschen mehr sein. Aber im Großen und Ganzen liegt das irgendwo um die ein Prozent."
Die Wölfe vermehrten sich auch nicht unkontrolliert, sondern die Sterblichkeitsrate liegt bei ungefähr 50 Prozent, erklärt Schanz. Aber die Gesellschaft muss eben erst wieder lernen, ein Raubtier in ihrer Mitte zu akzeptieren, philosophiert der Wolfsfreund. Den Raum zu teilen, ohne immer eingreifen zu wollen.
"Der Wolf ist von alleine hergekommen. Er sucht sich seine Territorien selber. Er wird sich immer Territorien aussuchen, wo er genug Nahrung findet, wo er Ruheplätze findet, wo er wie auch immer Unterschlüpfe findet. Und von daher ist es ein Tier, ein Wildtier, das nun mal auch zu unserer Kulturlandschaft gehört."
Schanz könnte mit seiner ruhigen Art vielleicht vermitteln zwischen Bauern, Jägern, Naturfreunden und Wölfen. Seine Aufgabe als Botschafter sieht er darin, die Wölfe objektiv zu betrachten, auch kritische Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Trotzdem freut er sich über Pfotenabdrücke und Exkremente, die er auf dem hellen Sand der Waldwege findet. Denn obwohl er ihn schon so lange beobachtet, selbst begegnet ist er dem Wolf hier noch nie.
(leicht gekürzte Onlinefassung, thg)