Der Gott bleibt der gleiche
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Konversion, der Wechsel zu einem anderen Glauben, ist meist ein riesiger Umbruch im Leben. Der Wechsel zum Islam besonders, zumindest von außen betrachtet. Aber Iman Andrea Reimann sagt: Mein Gott ist immer noch derselbe und eine.
"Ende 2005 haben muslimische Mütter sich zusammengefunden und gesagt: Ja, wir wollen einen eigenen Kinderladen aufmachen", sagt Iman Andrea Reimann, Leiterin der Kita Regenbogen-Kidz.
Die Kita befindet sich in einem alten Ladenlokal im gutbürgerlichen Berliner Stadtteil Charlottenburg. Getupfte Bäume zieren die Scheiben. Dahinter ist es ruhig. Mittagsschlafenszeit. Reimann trägt einen langen Daunenmantel, als sie aus der Kita kommt. Gut gerüstet für einen Spaziergang.
Zunächst wollte sie Pfarrerin werden
"In der Rückschau kann ich immer sagen: Ich bin meiner Familie sehr dankbar, dass sie mich so gottgläubig erzogen hat", erzählt Reimann während sie zum nahegelegenen Schlosspark geht. "Dass es bei mir immer ein Bewusstsein gab, dass es Gott gibt, zu dem ich auch beten kann, der einfach da ist".
Geboren ist sie 1973 in Potsdam, als Kind lebte sie zunächst in Ost-Berlin – bevor sie mit ihrer Mutter im Alter von sechs Jahren nach Westdeutschland ausreiste. Reimann wuchs in einem christlichen Umfeld auf, wurde getauft und konfirmiert.
Geboren ist sie 1973 in Potsdam, als Kind lebte sie zunächst in Ost-Berlin – bevor sie mit ihrer Mutter im Alter von sechs Jahren nach Westdeutschland ausreiste. Reimann wuchs in einem christlichen Umfeld auf, wurde getauft und konfirmiert.
Geprägt hat sie ihr Großvater, der Pfarrer in der DDR war: "Ich fand auch immer meinen Großvater als Pfarrer total authentisch, wenn er gepredigt hat. Selbst wenn ich jetzt vielleicht nicht immer alles verstanden habe als Kind, aber es war für mich immer richtig. Und dann habe ich irgendwann gesagt: Wenn ich mal groß bin, werde ich auch Pfarrerin."
Ein Buch führt zum Islam
Außenstehende würden an dieser Stelle sagen: Und dann kam alles ganz anders. Denn heute ist Reimann Vorsitzende des Deutschen Muslimischen Zentrums Berlin. Sie selbst sieht sich ihrem Berufswunsch von damals aber gar nicht fern: "Das ist ja, was ich heute auch irgendwie in einer gewissen Form ausübe. Also in der Gemeinde, wo ich ja aktiv bin, mache ich seit über 20 Jahren Unterricht und seelsorgerische Betreuung."
Reimann begleitet Menschen in ihrem Glauben. Nur eben keine Christen, sondern Muslime. Mit 21 Jahren ist sie konvertiert, kurz nachdem ihr Großvater starb. Zufällig fand sie in einer Buchhandlung ein Buch, das sich mit dem Thema Tod beschäftigte: "Und das nennt sich Totenbuch des Islam. Ich habe mir das gekauft und habe gedacht, da muss ich mal reinlesen."
Sie fand darin Beschreibungen über die Seele, die Hölle, das Paradies. Die meisten Musliminnen und Muslime gehen davon aus, dass Gott nach dem Tod die Taten von Verstorbenen bewertet. Reimann beschloss deshalb, mit Gebeten ihre Seele zu pflegen, sich weiterzuentwickeln und das Leben dabei vom Tod aus zu denken.
Mehr Sinn im Alltag
"Die Quintessenz, die sich für mich dann ergeben hat, war: Ich möchte einen religiöseren Alltag haben", erzählt Reimann, "einen der mich noch mehr an Gott bindet oder ausrichtet und dass die Dinge, die ich in meinem Alltag tue, mehr Sinnhaftigkeit bekommen." Es faszinierte sie, wie der muslimische Glaube den Alltag strukturiert – statt eines wöchentlichen Kirchgangs betet sie jetzt fünfmal am Tag.
Schon früh hatte Reimann Zweifel an der christlichen Lehre: "Als Kind oder als Heranwachsende, würde ich eher sagen, war mir das ein Fragezeichen, warum Gott sozusagen Jesus hat sterben lassen. Also wenn ein Gott allmächtig ist, dann kann er ja jeden retten sozusagen."
Kurz vor ihrer Konversion lernte sie ihren ersten Mann kennen, ein gebürtiger Muslim. Er und sein Bruder waren es, die ihre Konversion bezeugten. Wer konvertieren will, muss die Shahada, das muslimische Glaubensbekenntnis vor zwei Zeugen aufsagen.
Die Familie hat Angst vor dem Islam
Ihre Angehörigen taten sich schwer mit der Konversion, hatten Angst, Reimann würde sich verändern. Die muslimische Hochzeit, die kurz darauffolgte, fand im kleinen Kreis statt, erinnert sie sich: "Von meiner Familie war gar keiner dabei. Das war irgendwie ein bisschen schwierig, denn wenn jemand aus einer Familie Muslim oder Muslima wird, dann ist das für 99 Prozent der Familienangehörigen immer eine schwierige Sache, weil man mit dem Islam und mit den Muslimen immer etwas ganz Schwieriges verbindet."
Als Beispiel nennt Reimann Vorurteile, mit denen Frauen konfrontiert werden, wenn sie Kopftuch tragen. So wie sie selbst seit vielen Jahren: "Mir hat man auch gesagt: 'Du bist so emanzipiert erzogen worden und gehst zurück ins Mittelalter'. Also, nur weil ich jetzt eine andere Religionsausübung habe, heißt das ja nicht, dass ich alles andere irgendwie hinter mir lasse."
Reimann ist es wichtig, ihre Religionszugehörigkeit zu zeigen: Sie trägt Kopftuch, um als Muslimin sichtbar zu sein. Den Glauben nur im Privaten leben? Das würde nicht zu ihr passen, sagt sie: "Das ist ja etwas, womit ich als Kind auch aufgewachsen bin: Man steht zu seinem Glauben, man verbiegt sich nicht." Und das trotz der Repressionen, die christliche Gläubige in der DDR erfuhren.
Kein neuer Gott
Reimann ist zwar konvertiert. Ihren Gott gewechselt hat sie aber nicht: "Also für mich gibt es nur einen Gott, egal wie er ausgesprochen wird." Nur das Gottesbild änderte sich: Im Islam geht es nicht um einen dreieinigen Gott wie im Christentum, sondern um den einen, um Allah.
Von ihrem ersten Mann hat Reimann sich getrennt, weil er kein praktizierender Muslim war. "1998 habe ich dann noch mal geheiratet und war dann über zehn Jahre verheiratet, war dann auch eine Zeit lang alleinerziehend und hab dann vor vier Jahren noch mal geheiratet."
Auch Reimanns Töchter haben muslimische Erziehungseinrichtungen besucht. Derzeit plant Reimann, in Berlin mit einem christlichen und einem jüdischen Träger ein Drei-Religionen-Kita-Haus zu eröffnen. Sie will ihren Glauben weitergeben – den muslimischen, vor allem aber den Glauben an einen Gott.