Jubiläumskonzert zum 100. Gründungstag der Türkischen Republik

Neue Musik für die Republik

Blick auf die Ortakoy-Moschee und Bosporusbruecke bei Nacht mit Feuerwerk.
Der Tag der Republik der Türkei jährt sich 2023 zum 100. Mal. Er ist der wichtigste Nationalfeiertag in der Türkei und erinnert an die Ausrufung der Republik am 29.10.1923. © picture alliance / blickwinkel / imagesandstories / imagesandstories
Moderation: Volker Michael · 19.07.2023
Anlässlich des 100-jährigen Gründungsjubiläums der Türkischen Republik nahm das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter Howard Griffiths Werke der Pioniergeneration türkischer Komponisten wie Saygun, Reyund und Erkin sowie der Gegenwart wie Say auf.
Im Oktober 2023 feiert die Türkei ein großes Jubiläum: die Gründung der Türkischen Republik. Das alte Osmanische Reich war zugrunde gegangen, inklusive seiner traditionellen Kultur, die im Bereich der Musik durchaus klassisch zu nennen ist.

Neue Musikfarbe für die Republik

Die Religion sollte fortan unter Atatürk durch staatlich verordneten Laizismus zurückgedrängt werden. Die Kultur wurde insgesamt der westlichen angepasst. Die lateinische Schrift wurde adaptiert. Und auch in der Art, wie die Menschen zu singen und Musik zu spielen hatten, kamen westliche Vorbilder stärker zum Tragen. Deshalb erhielten junge hoffnungsvolle Talente Stipendien, um in Wien oder Paris Komposition zu studieren.

Ahmad Adnan Saygun

Ahmad Adnan Saygun aus Izmir ging 1928 nach Paris und studierte bei Vincent d’Indy. Fortan stand er für den französisch geprägten Zweig der türkischen Orchestermusik. Er genoss die persönliche Gunst des Staatsgründers Atatürk. Der starb aber schon 1938.
Wegen der Nazipolitik waren einige deutsche Musiker in die Türkei emigriert. Das verstärkte die Präsenz deutscher Prinzipien im türkischen Musikleben. Saygun arbeitete auch mit Béla Bartók zusammen. In späteren Jahren schrieb er seine Opern und Sinfonien. Sein "Ayin Raksi" für Orchester op. 57 ist ein sehr farbiges und kräftiges Werk aus dem Jahr 1975, ganz im Stile einer brillanten, manchmal impressionistischen Orchesterkunst.

Cemal Reşit Rey

Cemal Reşit Rey kam 1904 als Kind hoher osmanischer Beamter in Jerusalem zur Welt, wurde in Istanbul ausgebildet und ging schon mit seinen Eltern 1913 nach Genf und Paris. Später wirkte er in Istanbul, doch blieben seine Verbindungen speziell nach Frankreich eng. Howard Griffiths hat ein Werk von Cemal Resit Rey ausgewählt, das von einer illustrativen griffigen Farbigkeit geprägt ist: "Enstaneler". Darin sind Impressionen, also Momente des Alltagslebens in Istanbul geschildert, komponiert 1931.
Wer will, kann hören, wie die Fischer ihre Netze einziehen, in denen der Fang zappelt. Die Tauben sitzen dabei auf dem Dach einer Moschee und fliegen plötzlich auf, als der Gebetsruf ertönt. Eine blinde Bettlerin macht sich mit ihrem Stock bemerkbar und singt ein Klagelied.

Ulvi Cemal Erkin

Ulvi Cemal Erkin galt als junges hoffnungsvolles Talent und erhielt ein Stipendien, um in Paris Komposition zu studieren. 1906 in Istanbul geboren studierte er in seinen 20er Jahren in Paris, auch bei der legendären Nadia Boulanger. Er etablierte sich als dann in der Türkei als Klaviervirtuose und Komponist von eindeutig virtuoser, folkloristisch anmutender Musik. Er ist der bekannteste der fünf Vertreter der türkischen Gründergeneration.
Sein Symphonic Movement entstand Ende der 1960er Jahre im Auftrag des Türkischen Rundfunks. Es ist für ein großes Orchester vorgesehen: Neben den Pauken gibt es fünf Schlagzeugspieler, zwei Harfen, dreifaches Holz und auch eine ungewöhnlich starke Blechfraktion mit vier Hörnern, drei Trompeten, vier Posaunen und Tuba. Der Satz hat viele stille, zauberartige Passagen, die von dramatischen Höhepunkten unterbrochen wird.

Fazil Say

Er ist der wohl bekannteste türkische Gegenwartskomponist und Pianist. Für sein zweites Cellokonzert mit dem Titel „Sahmeran“, also "Schlangengöttin_" sieht Say neben dem Solocello zwei Schlaginstrumente in solistischer Funktion vor, um den alten Mythos der Schlangengöttin zu erzählen. Die kleine Paartrommel Kudüm, die aus der Sufi-Mystik stammt und das Waterphone, ein recht neues Mischinstrument aus Wassertrommel, afrikanischem Lamellophon, und so genannten Nagelgeigen.
Das Cellokonzert über die mythische Figur Sahmeran hat zwei Teile – Sahmerans Paradiesgarten und der Verrat. Sahmeran hat einen Geliebten, einen Menschen, der ihr aber immer ähnlicher wird. Der verrät sie am Ende, Sahmeran soll getötet und gegessen werden, um den erkrankten Sultan zu heilen. Doch der Mythos erzählt, dass Sahmeran immer weiterlebt in ihren Töchtern, von denen es eine Menge gibt.
Aufzeichnungen vom 16.,17. und 19.05.2023 im Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks, Berlin

Ahmet Adnan Saygun
"Ayin Raksi" (Ritueller Tanz) für Orchester op. 57

Cemal Reşit Rey
"Enstaneler", Impressionen für Orchester

Ulvi Cemal Erkin

Symphonic Movement

Fazıl Say

"Şahmeran" für Violoncello und Orchester

Cemal Aliyev, Violoncello
Aykut Köseli, Schlagzeug
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Howard Griffiths

Mehr zum Thema