Konzert im Naturkundemuseum

Klassik zwischen alten Knochen

Das Skelett des Tyrannosaurus Rex "Tristan Otto" im Naturkundemuseum Berlin
Das Skelett des Tyrannosaurus Rex "Tristan Otto" im Naturkundemuseum Berlin © dpa / picture alliance / Britta Pedersen
Von Claus Fischer |
Im Berliner Museum für Naturkunde steht das riesige Skelett des Dinosauriers "Tristan". Hier gastierte das Bläserquintett des Radio-Sinfonieorchesters Berlin - es gab zwar keine Dino-Musik zu hören, aber ein wenig akustischen Saurierpark unter dem bedrohlichen Maul von T-Rex.
"Ich find es total spannend, daß dieses Konzert im Naturkundemuseum stattfindet, daß man hier unter einem wahnsinnig großen Dino sitzt…"
"Es ist wunderschön inmitten dieser Knochen sowas Musikalisches zu hören!"
"Ich denke, es ist in jedem Fall ein spannender Kontrast, der nicht nur den Hörsinn, sondern auch den Sehsinn, die Phantasie anregt vor allem!"
Das Publikum im Hauptsaal des Berliner Naturkundemuseums ist sichtlich fasziniert von dem Szenario, das sich ihnen bietet:
Fünf Musiker stehen – nein, nicht vor Tristan. Der ist nämlich so wertvoll, daß ein Kammerkonzert in seinem Dunstkreis ein erhöhtes Sicherheitsrisiko darstellen würde. Das pechschwarze Gerippe des Tyrannosaurus Rex ist aber mindestens genauso imposant, schon allein wegen des riesigen Mauls. Irgendwie bedrohlich.
"Der Kopf, der schwebt ja hoch über mir…"
Harald Döbler, Flötist im Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und Initiator des Konzerts.
"Und die Stücke sind ja auch so, dass ich nicht dauernd gucken kann."
"Na, das ist eher inspirierend, diese großen Tiere…"
…findet Hornistin Anne Mentzen.
"Für unsere Blechblasinstrumente ist das eigentlich ein schönes Bild."
Das erste Werk auf dem Programm des Blechbläserquintetts sorgte in jedem Fall für eine angstfreie Atmosphäre, eine Bearbeitung von Antonio Vivaldis "Frühling" aus den "Vier Jahreszeiten".
"Es gibt keine "Dinosaueriermusik". Vielleicht im Film, aber das ist hier für uns jetzt nicht relevant…"
Steffen Georgi, Musikdramaturg beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.
"Aber wir haben, denke ich, ganz launige Sachen ausgewählt, die die Nachkommen dieser imposanten Tiere ein bißchen verkörpern und darstellen."
Weit weg von jeglicher Zivilisation, am Rand der Erde hat der amerikanische Komponist Stephen Montague diese Komposition angesiedelt, sie heißt nämlich "Thule Ultima".
Die fünf Musiker spielen dabei nur auf ihrem jeweiligen Mundstück, also ohne zugehöriges Instrument.
"Das hört sich so ein bisschen wie Dschungelgeräusche oder wie Vogelstimmen an"
… meint Hornistin Anne Mentzen.
"Ja, das hört sich schon so an, als hätten da auch Dinosaurier leben können."
Nach dem akustischen Saurierpark folgt ein warmer, tropischer Sommerregen, in Musik gesetzt von einem weiteren amerikanischen Komponisten, Samuel Barber.
Die ungewöhnliche Umgebung scheint die Musiker zu inspirieren, sie wirken jedenfalls nicht angestrengt. Der Hauptsaal des Berliner Naturkundemusems hat allerdings, so Hornistin Anne Mentzen, durchaus seine Tücken:
"Sehr hallig. Dadurch daß der Raum sehr groß ist für die Dinosaurier gibt es sehr viel Nachhall."
"Die Akustik ist vergleichbar mit ner großen Kirche"
… meint Flötist Harald Döbler.
"Ich hätts mir schlimmer vorgestellt! Wir haben bei der Probe festgestellt, daß Konturen durchaus erkennbar sind. Er trägt unglaublich gut, der Raum. Also die Präsenz des Klanges ist im ganzen Raum sehr gut, aber natürlich gibt’s diesen Hall, wo man halt Abstriche machen muss."
In diesem Stück mit dem Titel "Aus dem Leben der Insekten" vom tschechischen Komponisten Vaclav Smetacek stoßen die Musiker stellenweise tatsächlich an die akustischen Grenzen. Die filigranen Figuren verschwimmen im Raum. Vom Komponisten so sicher nicht gewünscht, aber dennoch ein interessanter Höreindruck…
Konzerte in ungewöhnlichem Ambiente, das ist – zumal in einer Großstadt wie Berlin – angesagt, Klassik als Event: Für die Musiker des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, so betont Flötist Harald Döbler, ist dieser Gedanke aber sekundär. Weil man im Gegensatz zu den Berliner Philharmonikern kein eigenes Haus hat, ist man regelrecht gezwungen, wechselnde und manchmal auch ungewöhnliche Spielstätten zu suchen…
"In Berlin einen Kammermusiksaal zu finden für eher mittlere Größe ist gar nicht so leicht, und deswegen schauen wir uns immer um nach Räumen, wo vielleicht 200 Leute reinpassen, wo man Kammermusik spielen kann. Und das ist auch ganz anregend dann, in andere Räume zu kommen."
Mit dem Begriff "Event" verbindet Harald Döbler nichts Negatives. Er freut sich vielmehr darüber…
"... dass Leute ins klassische Konzert kommen, die halt sonst nicht kommen. Und das ist doch wunderbar, wenn die kommen! Das ist toll, wenn Leute nur des Events wegen hingehen und sich dann hinsetzen und in Ruhe Klassik anhören!"
Beim Publikum kommt das Konzert unter den Dinoaurierknochen jedenfalls gut an. Das Bläserquintett des RSB erntet für sein Spiel lang anhaltenden Applaus.
Tristan widerum verweilt in stoischer Pose – und wartet vielleicht auch einfach nur auf seine Isolde Oder ist er womöglich selbst Isolde?