Leise tanzen beim Radeln
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Dass man auch auf dem Fahrrad tanzen kann, lässt sich bei einer Silent Disco auf dem Tempelhofer Feld in Berlin erleben. Die Idee der ungewöhnlichen Konzertreihe auf dem früheren Flughafengelände stammt aus der Pandemiezeit und wirkt begeisternd.
Waren Sie schon mal bei einer Silent Disco? Also, bei einer Musikveranstaltung, bei der die Musik nicht laut gespielt wird. Stattdessen bekommen alle im Publikum ein Paar Kopfhörer und können über Funk zuhören. Eine Konzertreihe, die so funktioniert, gibt es jetzt auf dem ehemaligen Berliner Flughafengelände Tempelhofer Feld. Und: Statt zu tanzen, fährt man dabei Fahrrad um die alte Landebahn herum.
Treffpunkt ist eine Stunde vor Sonnenuntergang am Rand des Tempelhofer Feldes. Ich und 40 andere sind mit unseren Fahrrädern da und wir sind nervös. Denn gleich geht es los: ein Konzert! Für viele das erste seit einem Jahr, und alles ist ein bisschen anders. Gleich werden die Musiker auf einem Lastenanhänger über das ehemalige Flughafengelände gezogen und wir radeln hinterher.
Für zehn Euro Pfand bekomme ich vom Veranstalter Silent.move-concerts ein paar Kopfhörer. Über Funk höre ich damit gleich die Musik. Nach außen hin ist das Konzert fast komplett still. Wir sind gespannt, warten neugierig und fragen uns: Kann man auf einem Fahrrad eigentlich tanzen?
"Man wippt dann so ein bisschen mit auf dem Rad, das geht schon. Das ist nicht wirklich tanzen, aber es zählt ja der gute Wille dabei", sagt ein Besucher.
Schwebender Schwarm auf dem Rollfeld
Zwei Musiker spielen an diesem Abend. Der argentinische Singer-Songwriter Pablo Schwarz und Cile, die zu ihren elektronischen Beats singt. Die Musikerin betrachtet gespannt den Lastenanhänger, von dem aus sie gleich spielen wird. "Die haben mir einen Tisch gebaut, wo ich mein Setup daraufstellen kann", sagt Cile. "Also eigentlich das gemütlichste Setup, das ich je hatte. Weil es ein Autositz ist, und da kann ich entspannen. Ich bin gut drauf."
Nach einer kurzen Einweisung setzt sich die Kolonne in Bewegung. Als großer Schwarm schweben wir langsam über die weite Rollbahn des Feldes. Statt Applaus stimmen Fahrradklingeln in die Musik ein.
Abstand in der Pandemie
Initiator der Konzerte ist Hayco Baag. Eigentlich nutzt er das Funksystem für Stadttouren. Dann kam die Pandemie und die Touristen blieben aus. Er erzählt, wie die Idee entstand: "Ich hab' dann drei Monate lang irgendwas renoviert, überlegt, was kann ich tun – und dann kam ich auf die Idee. Okay, Konzerte sind verboten – indoor wie outdoor. Das ist schade, denn Abstand kann ich nämlich bieten. Dann hab' ich Konzepte entwickelt, die ich damit machen kann. Und ja, das hat funktioniert."
Dass von außen nichts zu hören ist, soll dabei mehr als ein Gimmick sein. "Es gibt unzählige Partys auf dem Tempelhofer Feld", sagt Hayco. "Wir respektieren aber jeden, der da auch seine Ruhe haben möchte, deswegen sind wir einfach undercover unterwegs. Man sieht uns, man hört uns mit dem Klingeln, aber die Musik strahlt nicht nach außen und das ist uns total wichtig."
Gefühl der Gemeinschaft
Nach einer kurzen Umbauphase beginnt die Künstlerin Cile das zweite Konzert des Abends. Während wir dem Sonnenuntergang entgegenfahren, macht sich in mir ein lang vermisstes Gefühl der Gemeinschaft breit. Wir kennen uns nicht, hören uns gegenseitig nicht, fühlen uns aber trotzdem verbunden. Das fühle ich nicht allein.
"Man ist wie in so einem Fluss voller Leute", sagt einer. "Jeder hört das Gleiche. Jeder fährt die gleiche Strecke, jeder hat so die gleichen Eindrücke. Aber halt nur in dieser einen Gruppe. Wenn die Leute von außen gucken, können sie es gar nicht so nachempfinden.
Tanzend mit Kopfhörer
Das Gefühl eines Innen und Außen wird noch einmal verstärkt, wenn man die Kopfhörer absetzt. Doch hin und wieder bricht die Gemeinschaft auch nach außen auf. Ein paar Meter vor mir schließt sich ein Inline-Skater der Gruppe an. Er deutet einem der Radfahrer - der nimmt in der Fahrt die Kopfhörer ab und gibt sie weiter. Ich hole auf und fange den Moment ein, den Lenker in der einen, das Mikro in der anderen Hand.
Auch das mit dem Tanzen scheint so langsam zu klappen. Manche kurven hin und her. Andere heben eine Hand vom Lenker und die schlägt den Takt. Eine Frau fährt ganz freihändig, die Arme weit nach links und rechts ausgebreitet, und genießt die letzten Sonnenstrahlen.
Am Ende grinsen wir uns alle an. Die letzte Stunde hat jetzt richtig Spaß gemacht und uns vielleicht etwas gegeben, von dem wir gar nicht wussten, wie sehr wir es vermisst haben.
Und was denken die Musiker? "Schön, wow! Also, für mich war es sehr besonders", sagt Cile. "Man hat den weiten Himmel, die Luft. Was ich bei Musik schön finde, ist, dass man einfach so eintaucht in eine Welt. Das war gerade noch extremer dadurch, dass man Kopfhörer aufhatte. So als würde man sich völlig verlieren." Auch Pablo ist begeistert und fand es eine interessante Erfahrung.