Kopenhagen berät und Tuvalu versinkt
Während in Kopenhagen über Klimaerwärmung und Steigen der Meeresspiegel debattiert wird, leben die 10.000 Bewohner des Südsee-Inselstaates Tuvalu täglich mit den Folgen. Die höchste Erhebung der Korallenatolle nordwestlich von Fiji liegt nur vier Meter über dem Meeresspiegel.
Mit zunehmender Wassertemperatur werden Wirbelstürme und Springfluten immer höher, Überschwemmungen, die den ohnehin schon nährstoffarmen Boden für Monate unfruchtbar machen, immer häufiger. Bei nur 25 Quadratkilometern ist Land kostbar auf Tuvalu, der Pazifik nagt unablässig an den Küsten. Tausende Einheimische haben die Atolle bereits verlassen.
Auf dem Flug von Fiji nach Tuvalu erlebt man sein blaues Wunder. Über der 20-sitzigen Propellermaschine wölbt sich der fast wolkenlose Himmel, darunter glitzern die Wogen der kobaltfarbenen Südsee im Schein der Nachmittagssonne. Nach zwei Stunden Flugzeit kommt Land in Sicht: die winzigen Korallenatolle Tuvalus. Sie liegen im Wasser, als ob der liebe Gott eine Schaufel Sand mitten ins Meer geworfen hätte.
Die 3000 Meter lange Flugzeug-Landebahn ist Tuvalus größtes Bauwerk. Das Hauptatoll Funafuti, Heimat von sechs-, der zehntausend Einwohner, ist ein 15 Kilometer langer, halbmondförmiger Korallenstreifen: An der weitesten Stelle etwa 400, an seiner schmalsten gerade einmal drei Meter breit. Die Einheimischen nennen sich "die Menschen auf dem Riff", denn die Atolle Tuvalus sind Geschöpfe des Ozeans. Die Überreste gewaltiger, im Meer versunkener Vulkane.
Hosea Kaitu: "Es waren acht Inseln. Daher kommt der Name Tuvalu. Er bedeutet: Acht, die zusammenstehen. Ich finde, das ist ein sehr passender Name."
Hosea Kaitu ist ein wandelndes Geschichtsbuch. Früher fuhr der 78-Jährige als Matrose auf Handelsschiffen zur See, heute sitzt er im Ältestenrat von Tuvalu. Seine Augen leuchten, wenn Hosea vom Überlebenswillen seiner Landsleute erzählt: Von einem stolzen Volk, das isoliert von der übrigen Welt, Dürreperioden und Wirbelstürme überstanden hat.
Die eingeschleppten Krankheiten europäischer Seefahrer, Sklavenhändler und Missionare, Bombardierungen der Japaner im Zweiten Weltkrieg und die Besetzung durch die Amerikaner. Erst 1978 wurde Tuvalu unabhängig. "Unsere Vorfahren mussten durch die Hölle gehen", sagt Hosea Kaitu, "damit wir im Paradies auf Erden leben können."
Tuvalu ist Südsee pur: Rauschende Palmen, weiße Sandstrände mit klarem, badewannen-warmem Wasser, Bilderbuchwetter, freundliche Einheimische und Sonnenuntergänge, die auf keine Postkarte passen. Doch jetzt droht den Tuvalesen die Vertreibung aus dem Paradies. Diesmal muss das Südsee-Volk gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen: Die Folgen des weltweiten Klimawandels.
Jeden zweiten Tag gehen Kilifi und Tony Faumataga, Tuvalus Umweltoffiziere, auf Strandpatrouille. Gleich hinter dem Hafen Funafutis hat das Meer schon wieder ein etwa tennisplatz-großes Stück Küste weggefressen.
Die Wurzeln einiger Palmen am Ufer sind unterspült und freigelegt. Der Sand, der sie im Boden hält, ist weggeschwemmt. Tony sperrt das Stück Strand mit einem rot-weißen Plastikband ab. Am Nachmittag wird ein Trupp Arbeiter das Ufer so gut es geht wieder befestigen.
Bei nur 25 Quadratkilometern Fläche ist Land kostbar in Tuvalu. Und je weiter das Meer ansteigt, fürchtet Tony, desto mehr sinkt die Zukunft des Inselstaates.
Tony Faumataga: "Wir brauchen gar nicht darüber zu diskutieren, ob der Pegel in der Südsee steigt oder nicht. Für uns in Tuvalu ist das offensichtlich. Wir fragen uns nur: Um wieviele Zentimeter wird das Wasser in den nächsten 50, 60 Jahren steigen. Tuvalu liegt im Schnitt nur zwei Meter über dem Meer. Wir haben keine Berge, in denen wir Zuflucht suchen können. Und deshalb machen wir uns Sorgen."
Der tosende Pazifik auf der einen und auf der anderen Seite eine 14 mal 16 Kilometer große Lagune: Kein Land der Welt hat näher am Wasser gebaut als Tuva-lu. Die höchste Erhebung auf den acht Korallenatollen liegt nicht einmal vier Meter über dem Meeresspiegel. Tuvalus Küsten sind ungeschützt. Zieht eine Schlechtwetterfront auf, peitschen Sturmböen das Wasser immer öfter über den flachen Strand hinweg. Bis auf die Uferstraßen und in die Vorgärten.
Je öfter das Meer über die Ufer schwappt, desto salziger wird der ohnehin nährstoffarme Boden. Tuvalu hat kein fruchtbares Land, frisches Gemüse und Obst bringt einmal die Woche ein Versorgungsschiff aus Fiji. Doch was Tony Faumataga viel mehr beunruhigt ist, dass das Meer um Tuvalu immer wärmer wird. Um fast zwei Grad in den letzten 30 Jahren. Steigen die Temperaturen weiter hätte das verheerende Folgen.
Tony Faumataga: "Tuvalu ist abhängig vom Meer. Wir fischen darin. Es ernährt uns und es bringt uns Geld. Die Regierung verdient Millionen durch den Verkauf von Fischerei-Lizenzen. Aber wenn das Wasser noch wärmer wird, gibt es immer weniger Algen. Dadurch haben kleinere Fische keine Nahrung mehr und sterben aus. Was sollen dann die größeren Fische fressen? Die Nahrungskette unter Wasser ist unterbrochen. Wenn die Fische sterben, dann wird auch Tuvalu nicht überleben."
Im täglichen Leben auf Tuvalu dreht sich alles um das Meer. Es ist der Garten, das Badezimmer und der Swimming Pool der Einheimischen. Trotzdem haben immer mehr Tuvalesen Angst vor dem Meer. Denn es rückt unaufhörlich näher.
Unterwegs mit dem Motorboot in der Lagune vor Funafuti. Meeresbiologe Semese steuert auf Tuvalus Wasserschutzgebiet zu: Eine Gruppe kleiner Inseln, die das Meer vom Hauptatoll abgeschnitten hat. Semese erzählt, dass früher viele dorthin zum Picknicken gepaddelt sind. Heute aber würden sie nur nasse Füße bekommen.
Nur noch zwei der etwa Fußballplatz-großen Eilande weiter draußen sind noch begehbar. Bei den anderen ragen nur noch die Wipfel der Kokospalmen aus dem türkisfarbenen Wasser.
Semese: "Wir haben bereits vor fünf Jahren eines der Atolle hier im Wasserschutzgebiet verloren. Die meisten glauben, daß es wegen des steigenden Meeresspiegels untergegangen ist. Aber es kann auch an natürlichen Umweltveränderungen liegen, die wir nicht kennen."
Seit 1976 führt Tuvalus Umweltbüro an den Atollen regelmäßig Wasserstandsmessungen durch. Sie haben ergeben, dass der Pegel alle zehn Jahre um etwas mehr als zwei Zentimeter steigt. "Alles Blödsinn", behauptet Rolf Köpke. Der 65-jährige, gebürtige Hamburger ist der einzige Deutsche auf Tuvalu. Hager, mit grauem Vollbart, sonnengebräunt – und verheiratet mit Emily, einer Einheimischen. Rolf, ein gelernter Ingenieur, will nicht wahrhaben, daß dem Inselstaat das Wasser bis zum Hals steht.
Rolf Köpke: "In den letzten paar Jahren sind so viele Gebäude aufgebaut worden. Man kann sagen, die hauen soviel Zement drauf in Funafuti – das ist nicht der Meeresspiegel, das sinkt langsam runter von zu viel Zement. Die schreiben die Inseln versinken, aber ich sehe das gar nicht. Und die Insulaner sehen das überhaupt nicht. Die bauen und bauen."
Von seiner Haustür sind es bis zum Ufer des Pazifiks nur 50 Meter. Vor dem Meer hat Rolf keine Angst, aber vor den Wirbelstürmen und Springfluten. Sie werden immer häufiger und stärker. Hilia Vavae hat die Beweise schwarz auf weiß. Das Büro der Meteorologin der Wetterwarte Tuvalu liegt direkt neben der Flugzeug-Landebahn. An der Wand hinter ihrem Schreibtisch hängen gerahmte Photos von Hina, Gavin und Kelly – und ihren Folgen: Die Ahnengalerie der verheerendsten Wirbelstürme, die Tuvalu heimgesucht haben.
Hilia Vavae zeigt auf eines der Bilder, datiert März 2007: Darauf steht sie, draußen vor der Wetterwarte, fast bis über die Knie im Wasser. Eine meterhohe Flutwelle hatte ganz Funafuti überschwemmt. Es dauerte Tage, bis das Meerwasser wieder abgelaufen war. Vavaes Wetteraufzeichnungen sind alarmierend: Sie zeigen, dass es in den Siebzigern und Achtzigern nicht mehr als ein, zwei schwere Wirbelstürme pro Jahr in Tuvalu gab. Seit den Neunzigern aber sind es fünfmal so viele.
Hilia Vavae: "Wir sind sehr besorgt, dass in den letzten zehn Jahren die Zahl verheerender Wirbelstürme und hoher Flutwellen so stark zugenommen hat. Dazu müssen wir jetzt nicht mehr nur im Januar und Februar mit Hochwasser rechnen, sondern das ganze Jahr über. Unser Wetter wird durch den Klimawandel immer extremer: Dürreperioden sind länger geworden, Flutwellen gewaltiger und die Wirbelstürme stärker. Sie richten immer mehr Schaden an."
Eine gewaltige Flutwelle würde genügen, um den brüchigen Boden und die kostbaren Bäume und Pflanzen wegzuspülen, deren Wurzeln Tuvalus Inselwelt zusammenhalten. Diana Laluafu hofft nicht, dass es so weit kommen wird. "Tuvalu wird nicht einfach untergehen, aber irgendwann werden wir auf unseren Inseln nicht mehr leben können", sagt die Leiterin der Bibliothek in Funafuti. Diana glaubt die Schuldigen zu kennen: Zu viele Treibhausgase in der Atmosphäre und die Ignoranz der luftverpestenden Industrienationen.
Diana Laluafu: "George Bush war ein herzloser Mann. Tuvalu ist klein. Deshalb müssen große Nationen wie die USA aufhören die Umwelt zu verschmutzen. Sie sollten Rück-sicht auf die tiefliegenden Atolle in der Südsee nehmen. Ich hoffe Präsident Obama ist anders als sein Vorgänger. Bush hat sich geweigert das Kyoto-Klimaschutzabkommen zu unterzeichnen. Er hat geglaubt im Recht zu sein, doch da täuscht er sich. Für uns arme Leute in Tuvalu hatte er nichts übrig."
Tuvalu ist das 189igste – und kleinste – Vollmitglied der Vereinten Nationen. Nicht mehr als eine exotische Fußnote: Ohne Stimme und ohne Einfluss. Deshalb schickte die Regierung vor Jahren einen ständigen UN-Botschafter nach New York. Seine Aufgabe: Die übrige Welt aufzurütteln, bevor Tuvalu wegen des Klimawandels das Atlantis der Südsee wird. Taukei Kitala, der Sekretär des Botschafters, hat – aus Anlass des Klimagipfels in Kopenhagen - die Regierungschefs aller westlichen Industrieländer schriftlich auf die prekäre Lage Tuvalus aufmerksam gemacht. Geantwortet aber hat nicht einer.
Taukei Kitala: "Wir sind hilflos und alle Pazifik-Inseln sind betroffen. Nicht nur Tuvalu – auch Kiribas, Tonga und andere. Das Meer wird steigen und es wird keine Kokos-palmen mehr in Tuvalu geben. Sie sind für uns ein Symbol des Lebens. Wenn es keine Kokos-Palmen mehr gibt – dann gibt es auch keine Tuvalesen mehr."
Jeden Morgen, bevor sie zur Arbeit geht, kniet Schullehrerin Emily Taulosi auf dem Boden ihrer schilfgedeckten Hütte nieder und betet: Dass das Meer sich nicht gegen sie erhebt und um eine Zukunft für Tuvalus Kinder. Doch immer mehr fragen sich, ob sie in Tuvalu überhaupt eine Zukunft haben.
Viele wollen nicht auf den eigenen Untergang warten. Staatssekretär Kitala ist einer der wenigen, der sich um seine Zukunft keine Sorgen machen muss. Er hat im australischen Melbourne Politik studiert und sich dort auch verlobt.
Taukei Kitala: "Jeder muss daran denken einen sicheren Platz zu finden. Ich habe das getan. Ich werde eine Australierin heiraten. Für mich ist das enorm wichtig, denn damit habe ich einen Ort, an dem ich leben kann. Und für die Mitglieder meiner Familie ist das auch die Fahrkarte nach Australien."
5000 Einwohner haben in den letzten Jahren Tuvalu verlassen. Viele sind nur für einen Verwandtenbesuch nach Neuseeland oder Fiji – und nicht mehr zurückgekommen. Die verbliebenen 10.000 Einheimischen aber sind gestrandet. Mitten in der Südsee. Doch die Regierung arbeitet daran die Bevölkerung umzusiedeln. An die 100 Millionen Dollar, die in einem Treuhandfonds liegen, sollen dafür verwendet werden Land in Fiji und Neuseeland zu kaufen. Aber noch wird niemand dazu gezwungen Tuvalu zu verlassen.
Taufago Falani: "Die weltweite Klimaerwärmung ist bei uns Tagesgespräch, denn unsere Existenz hängt davon ab. Doch wo sollen wir hin, um zu überleben? Deshalb bitten wir unseren großen Bruder Australien uns aufzunehmen und unser Volk dorthin zu evakuieren."
Tuvalu ist ein gläubiges Land – 98 Prozent der Bevölkerung sind Christen. Reverend Taufago Falani ist der oberste Kirchenvertreter Tuvalus. Ein Mann mit festem Händedruck und noch festerem Glauben. Dreimal die Woche ist Gottesdienst in der weiß getünchten Kirche hinter der Schule.
Wenn der Reverend mit seiner Gemeinde auf geflochtenen Schilfmatten zusammensitzt, dann spricht er auch über Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel. Doch die meisten glauben nicht der Wissenschaft, sondern der Bibel. Hosea Kaitu, einer der Insel-Ältesten, zitiert Moses, Kapitel Neun: Die Geschichte von Noah und seiner Arche.
Hosea Kaitu: "Noah war ein gläubiger Mann. Er bat Gott um Hilfe: ‚Verspreche mir, dass es keine Flut mehr geben wird.’ Und Gott sagte: ‚Wenn Du einen Regenbogen siehst, dann wird Dir nichts passieren.’ - Hier in Tuvalu sehen wir oft einen Regenbogen. Einige sagen: ‚Lasst uns in ein Land gehen, in dem es hohe Berge gibt’. Aber viele sind meiner Meinung: Unsere Inseln werden nicht untergehen. Denn Gott hat Noah versprochen, dass es keine Sintflut mehr geben wird."
Tuvalu hat keine Bodenschätze, keine Exporte und auch keine Tourismusindustrie. Die einzigen Besucher, die sich auf die Atolle verirren, sind Klimaforscher und Journalisten. Tuvalu mag eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt sein, aber es ist stolz auf seine Traditionen. Die Jungen kümmern sich um die Alten, mit Hingabe und Respekt. Altenheime gibt es nicht. Für James Haire, den Sprecher der australischen Glaubensgemeinschaften, ist das ein Grund mehr, um die Öko-Flüchtlinge aus der Südsee in Australien aufzunehmen. Bevor Tuvalu nasse Füße bekommt.
James Haire: "Australien ist nicht nur der größte Klima- und Umweltverschmutzer der Region, sondern wir haben auch am meisten Platz. Wir stehen moralisch in der Pflicht. Und drittens: Wir haben die alte Tradition jeden, der in Seenot gerät zu retten. Tuvalus Situation ist für mich nichts anderes."
Doch Sympathie allein kann Tuvalu nicht vor den Elementen schützen. Den 10.000 Einwohnern droht nicht nur der Untergang ihrer Heimat, sondern auch ihrer Kultur. Wo aber soll die Bevölkerung im Notfall hin? Die australische Regierung weigert sich Tuvalu eine Rettungsleine zuzuwerfen. Reverend Falagi will trotzdem weiter für einen Sinneswandel der Einwanderungsbehörden in Canberra beten.
Taufago Falani: "Ich wünschte die australische Regierung würde sofort damit beginnen unser Volk zu evakuieren. Nicht erst dann, wenn es zu spät ist – und wir schon unter-gegangen sind. Je früher, desto besser."
Die Menschen Tuvalus leben im Einklang mit der Natur, im langsamen Rythmus der Gezeiten. Viele wollen nicht wahrhaben, dass ihr Land verloren sein könnte. Gottvertrauen allein aber ist der Regierung Tuvalus nicht genug. Wenn nötig will man die Industrienationen vor dem Internationalen Gerichtshof verklagen. Der kleine Südsee-Inselstaat will den großen Umweltverschmutzern zeigen, daß die ganze Welt in einem Boot sitzt. Und dazu möchte man in Tuvalu, solange wie möglich, den Kopf über Wasser halten.
Kilei: "Wir sind und bleiben Tuvalesen. Wir sind ein stolzes Volk. Und auch wenn wir irgendwann woanders leben müssen. Wir sind Tuvalesen. Und als solche werden wir auch sterben."
Auf dem Flug von Fiji nach Tuvalu erlebt man sein blaues Wunder. Über der 20-sitzigen Propellermaschine wölbt sich der fast wolkenlose Himmel, darunter glitzern die Wogen der kobaltfarbenen Südsee im Schein der Nachmittagssonne. Nach zwei Stunden Flugzeit kommt Land in Sicht: die winzigen Korallenatolle Tuvalus. Sie liegen im Wasser, als ob der liebe Gott eine Schaufel Sand mitten ins Meer geworfen hätte.
Die 3000 Meter lange Flugzeug-Landebahn ist Tuvalus größtes Bauwerk. Das Hauptatoll Funafuti, Heimat von sechs-, der zehntausend Einwohner, ist ein 15 Kilometer langer, halbmondförmiger Korallenstreifen: An der weitesten Stelle etwa 400, an seiner schmalsten gerade einmal drei Meter breit. Die Einheimischen nennen sich "die Menschen auf dem Riff", denn die Atolle Tuvalus sind Geschöpfe des Ozeans. Die Überreste gewaltiger, im Meer versunkener Vulkane.
Hosea Kaitu: "Es waren acht Inseln. Daher kommt der Name Tuvalu. Er bedeutet: Acht, die zusammenstehen. Ich finde, das ist ein sehr passender Name."
Hosea Kaitu ist ein wandelndes Geschichtsbuch. Früher fuhr der 78-Jährige als Matrose auf Handelsschiffen zur See, heute sitzt er im Ältestenrat von Tuvalu. Seine Augen leuchten, wenn Hosea vom Überlebenswillen seiner Landsleute erzählt: Von einem stolzen Volk, das isoliert von der übrigen Welt, Dürreperioden und Wirbelstürme überstanden hat.
Die eingeschleppten Krankheiten europäischer Seefahrer, Sklavenhändler und Missionare, Bombardierungen der Japaner im Zweiten Weltkrieg und die Besetzung durch die Amerikaner. Erst 1978 wurde Tuvalu unabhängig. "Unsere Vorfahren mussten durch die Hölle gehen", sagt Hosea Kaitu, "damit wir im Paradies auf Erden leben können."
Tuvalu ist Südsee pur: Rauschende Palmen, weiße Sandstrände mit klarem, badewannen-warmem Wasser, Bilderbuchwetter, freundliche Einheimische und Sonnenuntergänge, die auf keine Postkarte passen. Doch jetzt droht den Tuvalesen die Vertreibung aus dem Paradies. Diesmal muss das Südsee-Volk gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen: Die Folgen des weltweiten Klimawandels.
Jeden zweiten Tag gehen Kilifi und Tony Faumataga, Tuvalus Umweltoffiziere, auf Strandpatrouille. Gleich hinter dem Hafen Funafutis hat das Meer schon wieder ein etwa tennisplatz-großes Stück Küste weggefressen.
Die Wurzeln einiger Palmen am Ufer sind unterspült und freigelegt. Der Sand, der sie im Boden hält, ist weggeschwemmt. Tony sperrt das Stück Strand mit einem rot-weißen Plastikband ab. Am Nachmittag wird ein Trupp Arbeiter das Ufer so gut es geht wieder befestigen.
Bei nur 25 Quadratkilometern Fläche ist Land kostbar in Tuvalu. Und je weiter das Meer ansteigt, fürchtet Tony, desto mehr sinkt die Zukunft des Inselstaates.
Tony Faumataga: "Wir brauchen gar nicht darüber zu diskutieren, ob der Pegel in der Südsee steigt oder nicht. Für uns in Tuvalu ist das offensichtlich. Wir fragen uns nur: Um wieviele Zentimeter wird das Wasser in den nächsten 50, 60 Jahren steigen. Tuvalu liegt im Schnitt nur zwei Meter über dem Meer. Wir haben keine Berge, in denen wir Zuflucht suchen können. Und deshalb machen wir uns Sorgen."
Der tosende Pazifik auf der einen und auf der anderen Seite eine 14 mal 16 Kilometer große Lagune: Kein Land der Welt hat näher am Wasser gebaut als Tuva-lu. Die höchste Erhebung auf den acht Korallenatollen liegt nicht einmal vier Meter über dem Meeresspiegel. Tuvalus Küsten sind ungeschützt. Zieht eine Schlechtwetterfront auf, peitschen Sturmböen das Wasser immer öfter über den flachen Strand hinweg. Bis auf die Uferstraßen und in die Vorgärten.
Je öfter das Meer über die Ufer schwappt, desto salziger wird der ohnehin nährstoffarme Boden. Tuvalu hat kein fruchtbares Land, frisches Gemüse und Obst bringt einmal die Woche ein Versorgungsschiff aus Fiji. Doch was Tony Faumataga viel mehr beunruhigt ist, dass das Meer um Tuvalu immer wärmer wird. Um fast zwei Grad in den letzten 30 Jahren. Steigen die Temperaturen weiter hätte das verheerende Folgen.
Tony Faumataga: "Tuvalu ist abhängig vom Meer. Wir fischen darin. Es ernährt uns und es bringt uns Geld. Die Regierung verdient Millionen durch den Verkauf von Fischerei-Lizenzen. Aber wenn das Wasser noch wärmer wird, gibt es immer weniger Algen. Dadurch haben kleinere Fische keine Nahrung mehr und sterben aus. Was sollen dann die größeren Fische fressen? Die Nahrungskette unter Wasser ist unterbrochen. Wenn die Fische sterben, dann wird auch Tuvalu nicht überleben."
Im täglichen Leben auf Tuvalu dreht sich alles um das Meer. Es ist der Garten, das Badezimmer und der Swimming Pool der Einheimischen. Trotzdem haben immer mehr Tuvalesen Angst vor dem Meer. Denn es rückt unaufhörlich näher.
Unterwegs mit dem Motorboot in der Lagune vor Funafuti. Meeresbiologe Semese steuert auf Tuvalus Wasserschutzgebiet zu: Eine Gruppe kleiner Inseln, die das Meer vom Hauptatoll abgeschnitten hat. Semese erzählt, dass früher viele dorthin zum Picknicken gepaddelt sind. Heute aber würden sie nur nasse Füße bekommen.
Nur noch zwei der etwa Fußballplatz-großen Eilande weiter draußen sind noch begehbar. Bei den anderen ragen nur noch die Wipfel der Kokospalmen aus dem türkisfarbenen Wasser.
Semese: "Wir haben bereits vor fünf Jahren eines der Atolle hier im Wasserschutzgebiet verloren. Die meisten glauben, daß es wegen des steigenden Meeresspiegels untergegangen ist. Aber es kann auch an natürlichen Umweltveränderungen liegen, die wir nicht kennen."
Seit 1976 führt Tuvalus Umweltbüro an den Atollen regelmäßig Wasserstandsmessungen durch. Sie haben ergeben, dass der Pegel alle zehn Jahre um etwas mehr als zwei Zentimeter steigt. "Alles Blödsinn", behauptet Rolf Köpke. Der 65-jährige, gebürtige Hamburger ist der einzige Deutsche auf Tuvalu. Hager, mit grauem Vollbart, sonnengebräunt – und verheiratet mit Emily, einer Einheimischen. Rolf, ein gelernter Ingenieur, will nicht wahrhaben, daß dem Inselstaat das Wasser bis zum Hals steht.
Rolf Köpke: "In den letzten paar Jahren sind so viele Gebäude aufgebaut worden. Man kann sagen, die hauen soviel Zement drauf in Funafuti – das ist nicht der Meeresspiegel, das sinkt langsam runter von zu viel Zement. Die schreiben die Inseln versinken, aber ich sehe das gar nicht. Und die Insulaner sehen das überhaupt nicht. Die bauen und bauen."
Von seiner Haustür sind es bis zum Ufer des Pazifiks nur 50 Meter. Vor dem Meer hat Rolf keine Angst, aber vor den Wirbelstürmen und Springfluten. Sie werden immer häufiger und stärker. Hilia Vavae hat die Beweise schwarz auf weiß. Das Büro der Meteorologin der Wetterwarte Tuvalu liegt direkt neben der Flugzeug-Landebahn. An der Wand hinter ihrem Schreibtisch hängen gerahmte Photos von Hina, Gavin und Kelly – und ihren Folgen: Die Ahnengalerie der verheerendsten Wirbelstürme, die Tuvalu heimgesucht haben.
Hilia Vavae zeigt auf eines der Bilder, datiert März 2007: Darauf steht sie, draußen vor der Wetterwarte, fast bis über die Knie im Wasser. Eine meterhohe Flutwelle hatte ganz Funafuti überschwemmt. Es dauerte Tage, bis das Meerwasser wieder abgelaufen war. Vavaes Wetteraufzeichnungen sind alarmierend: Sie zeigen, dass es in den Siebzigern und Achtzigern nicht mehr als ein, zwei schwere Wirbelstürme pro Jahr in Tuvalu gab. Seit den Neunzigern aber sind es fünfmal so viele.
Hilia Vavae: "Wir sind sehr besorgt, dass in den letzten zehn Jahren die Zahl verheerender Wirbelstürme und hoher Flutwellen so stark zugenommen hat. Dazu müssen wir jetzt nicht mehr nur im Januar und Februar mit Hochwasser rechnen, sondern das ganze Jahr über. Unser Wetter wird durch den Klimawandel immer extremer: Dürreperioden sind länger geworden, Flutwellen gewaltiger und die Wirbelstürme stärker. Sie richten immer mehr Schaden an."
Eine gewaltige Flutwelle würde genügen, um den brüchigen Boden und die kostbaren Bäume und Pflanzen wegzuspülen, deren Wurzeln Tuvalus Inselwelt zusammenhalten. Diana Laluafu hofft nicht, dass es so weit kommen wird. "Tuvalu wird nicht einfach untergehen, aber irgendwann werden wir auf unseren Inseln nicht mehr leben können", sagt die Leiterin der Bibliothek in Funafuti. Diana glaubt die Schuldigen zu kennen: Zu viele Treibhausgase in der Atmosphäre und die Ignoranz der luftverpestenden Industrienationen.
Diana Laluafu: "George Bush war ein herzloser Mann. Tuvalu ist klein. Deshalb müssen große Nationen wie die USA aufhören die Umwelt zu verschmutzen. Sie sollten Rück-sicht auf die tiefliegenden Atolle in der Südsee nehmen. Ich hoffe Präsident Obama ist anders als sein Vorgänger. Bush hat sich geweigert das Kyoto-Klimaschutzabkommen zu unterzeichnen. Er hat geglaubt im Recht zu sein, doch da täuscht er sich. Für uns arme Leute in Tuvalu hatte er nichts übrig."
Tuvalu ist das 189igste – und kleinste – Vollmitglied der Vereinten Nationen. Nicht mehr als eine exotische Fußnote: Ohne Stimme und ohne Einfluss. Deshalb schickte die Regierung vor Jahren einen ständigen UN-Botschafter nach New York. Seine Aufgabe: Die übrige Welt aufzurütteln, bevor Tuvalu wegen des Klimawandels das Atlantis der Südsee wird. Taukei Kitala, der Sekretär des Botschafters, hat – aus Anlass des Klimagipfels in Kopenhagen - die Regierungschefs aller westlichen Industrieländer schriftlich auf die prekäre Lage Tuvalus aufmerksam gemacht. Geantwortet aber hat nicht einer.
Taukei Kitala: "Wir sind hilflos und alle Pazifik-Inseln sind betroffen. Nicht nur Tuvalu – auch Kiribas, Tonga und andere. Das Meer wird steigen und es wird keine Kokos-palmen mehr in Tuvalu geben. Sie sind für uns ein Symbol des Lebens. Wenn es keine Kokos-Palmen mehr gibt – dann gibt es auch keine Tuvalesen mehr."
Jeden Morgen, bevor sie zur Arbeit geht, kniet Schullehrerin Emily Taulosi auf dem Boden ihrer schilfgedeckten Hütte nieder und betet: Dass das Meer sich nicht gegen sie erhebt und um eine Zukunft für Tuvalus Kinder. Doch immer mehr fragen sich, ob sie in Tuvalu überhaupt eine Zukunft haben.
Viele wollen nicht auf den eigenen Untergang warten. Staatssekretär Kitala ist einer der wenigen, der sich um seine Zukunft keine Sorgen machen muss. Er hat im australischen Melbourne Politik studiert und sich dort auch verlobt.
Taukei Kitala: "Jeder muss daran denken einen sicheren Platz zu finden. Ich habe das getan. Ich werde eine Australierin heiraten. Für mich ist das enorm wichtig, denn damit habe ich einen Ort, an dem ich leben kann. Und für die Mitglieder meiner Familie ist das auch die Fahrkarte nach Australien."
5000 Einwohner haben in den letzten Jahren Tuvalu verlassen. Viele sind nur für einen Verwandtenbesuch nach Neuseeland oder Fiji – und nicht mehr zurückgekommen. Die verbliebenen 10.000 Einheimischen aber sind gestrandet. Mitten in der Südsee. Doch die Regierung arbeitet daran die Bevölkerung umzusiedeln. An die 100 Millionen Dollar, die in einem Treuhandfonds liegen, sollen dafür verwendet werden Land in Fiji und Neuseeland zu kaufen. Aber noch wird niemand dazu gezwungen Tuvalu zu verlassen.
Taufago Falani: "Die weltweite Klimaerwärmung ist bei uns Tagesgespräch, denn unsere Existenz hängt davon ab. Doch wo sollen wir hin, um zu überleben? Deshalb bitten wir unseren großen Bruder Australien uns aufzunehmen und unser Volk dorthin zu evakuieren."
Tuvalu ist ein gläubiges Land – 98 Prozent der Bevölkerung sind Christen. Reverend Taufago Falani ist der oberste Kirchenvertreter Tuvalus. Ein Mann mit festem Händedruck und noch festerem Glauben. Dreimal die Woche ist Gottesdienst in der weiß getünchten Kirche hinter der Schule.
Wenn der Reverend mit seiner Gemeinde auf geflochtenen Schilfmatten zusammensitzt, dann spricht er auch über Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel. Doch die meisten glauben nicht der Wissenschaft, sondern der Bibel. Hosea Kaitu, einer der Insel-Ältesten, zitiert Moses, Kapitel Neun: Die Geschichte von Noah und seiner Arche.
Hosea Kaitu: "Noah war ein gläubiger Mann. Er bat Gott um Hilfe: ‚Verspreche mir, dass es keine Flut mehr geben wird.’ Und Gott sagte: ‚Wenn Du einen Regenbogen siehst, dann wird Dir nichts passieren.’ - Hier in Tuvalu sehen wir oft einen Regenbogen. Einige sagen: ‚Lasst uns in ein Land gehen, in dem es hohe Berge gibt’. Aber viele sind meiner Meinung: Unsere Inseln werden nicht untergehen. Denn Gott hat Noah versprochen, dass es keine Sintflut mehr geben wird."
Tuvalu hat keine Bodenschätze, keine Exporte und auch keine Tourismusindustrie. Die einzigen Besucher, die sich auf die Atolle verirren, sind Klimaforscher und Journalisten. Tuvalu mag eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt sein, aber es ist stolz auf seine Traditionen. Die Jungen kümmern sich um die Alten, mit Hingabe und Respekt. Altenheime gibt es nicht. Für James Haire, den Sprecher der australischen Glaubensgemeinschaften, ist das ein Grund mehr, um die Öko-Flüchtlinge aus der Südsee in Australien aufzunehmen. Bevor Tuvalu nasse Füße bekommt.
James Haire: "Australien ist nicht nur der größte Klima- und Umweltverschmutzer der Region, sondern wir haben auch am meisten Platz. Wir stehen moralisch in der Pflicht. Und drittens: Wir haben die alte Tradition jeden, der in Seenot gerät zu retten. Tuvalus Situation ist für mich nichts anderes."
Doch Sympathie allein kann Tuvalu nicht vor den Elementen schützen. Den 10.000 Einwohnern droht nicht nur der Untergang ihrer Heimat, sondern auch ihrer Kultur. Wo aber soll die Bevölkerung im Notfall hin? Die australische Regierung weigert sich Tuvalu eine Rettungsleine zuzuwerfen. Reverend Falagi will trotzdem weiter für einen Sinneswandel der Einwanderungsbehörden in Canberra beten.
Taufago Falani: "Ich wünschte die australische Regierung würde sofort damit beginnen unser Volk zu evakuieren. Nicht erst dann, wenn es zu spät ist – und wir schon unter-gegangen sind. Je früher, desto besser."
Die Menschen Tuvalus leben im Einklang mit der Natur, im langsamen Rythmus der Gezeiten. Viele wollen nicht wahrhaben, dass ihr Land verloren sein könnte. Gottvertrauen allein aber ist der Regierung Tuvalus nicht genug. Wenn nötig will man die Industrienationen vor dem Internationalen Gerichtshof verklagen. Der kleine Südsee-Inselstaat will den großen Umweltverschmutzern zeigen, daß die ganze Welt in einem Boot sitzt. Und dazu möchte man in Tuvalu, solange wie möglich, den Kopf über Wasser halten.
Kilei: "Wir sind und bleiben Tuvalesen. Wir sind ein stolzes Volk. Und auch wenn wir irgendwann woanders leben müssen. Wir sind Tuvalesen. Und als solche werden wir auch sterben."