Kopenhagen verschärft Kontrollen

Stress an der deutsch-dänischen Grenze

Deutsch-dänischer Grenzübergang bei Kruså
Kontrollen am deutsch-dänischen Grenzübergang bei Kruså © Deutschlandradio / Johannes Kulms
Von Johannes Kulms |
Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Dänemark kommen, ist deutlich gesunken. Und das liegt auch an den Grenzkontrollen an der deutsch-dänischen Grenze. Viele Bewohner der Region betrachten die Einschränkung beim Grenzübertritt jedoch mit Skepsis.
Langsam versinkt die kleine Bucht in der Abenddämmerung. Doch noch ist alles erkennbar: das Schilf, der winzige Sportboothafen und die Holzbrücke. Über diese Brücke am Rande der Flensburger Förde spaziert nun Hans-Hermann Knust mit seinem zwölf Jahre alten Pudel Lisa. Ein paar Schritte weiter hat er wieder festen Boden unter seinen Füßen.
"Nee, Lisa, das ist nichts für dich!"
"Vielleicht können Sie mal kurz sagen: Wo kommen Sie jetzt gerade her?"
"Ich komm‘ jetzt direkt vom Wasser, das ist so jeden Tag unser Weg."
Ein Weg, der den 80-Jährigen direkt nach Dänemark führt. Knust wohnt im drittletzten Haus auf deutscher Seite, wie er lachend erklärt. Nur ein paar Schritte sind es bis zum Grenzübergang Schusterkate. Angeblich einer der kleinsten Grenzübergänge des gesamten Kontinents.
Sobald der pensionierte Lehrer die Mitte der kleinen Brücke überquert hat, steht er auf dänischem Staatsgebiet. Und dann heißt es: Anderes Land. Andere Sitten. Auch für Hundehalter.
"Da muss der Hund drüben allerdings an der Leine sein. Aber man kann hier so rüber. Ab und an ist mal `n dänischer Wagen von der Polizei hier, die gucken dann `n bisschen aufs Wasser und dann fahren sie wieder weg. Aber sonst ist hier nichts los, da kann man so rüber."
Der deutsch-dänischer Grenzübergang Schusterkate
Der deutsch-dänischer Grenzübergang Schusterkate © Deutschlandradio / Johannes Kulms

Viele halten die Kontrollen für übertrieben

Als Hans-Hermann Knust Ende der 50er-Jahre in die deutsch-dänische Grenzregion zog, war das noch ganz anders. Für jeden Übertritt gab es damals einen Stempel der dänischen Beamten. Und der kleine Grenzübergang Schusterkate sei nur im Sommer geöffnet gewesen, erinnert sich der Rentner.
"An den Wochenenden und am Mittwochnachmittag. Da konnte ja jeder mit Ausweis dann rüber! Drüben saß ein Zöllner und hier auf der deutschen Seite war ein Zöllner, die aufpassten. Aber wir, mit unserem Grenzerlaubnisschein durften jederzeit rüber."
Es sind Geschichten aus einer Zeit, die weit zurückzuliegen scheint. Der 80-Jährige freut sich über das freie Reisen in Europa. Andererseits ist auch Knust nicht entgangen, dass Kopenhagen vor zwei Jahren wegen der Flüchtlinge wieder Grenzkontrollen einführte. Der Rentner zeigt dafür durchaus Verständnis, auch wenn er den Schritt übertrieben findet.
"Auf der anderen Seite: Wenn die nun die Nummernschilder der Autos da einscannen, ja, was wollen sie damit? Also, mein Kennzeichen können sie zigmal scannen, ich hab‘ nichts zu verbergen. Und von daher denke ich, die Leute, die sich darüber aufregen, haben vielleicht auch `n bisschen Dreck am Stecken."

Die Zahl der Flüchtlinge sinkt

Schon lange kommen nur noch sehr wenige Flüchtlinge nach Dänemark. 2015 lag die Zahl der Asylbewerber noch bei knapp 21.000. 2016 war sie bereits auf rund 6200 gesunken. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2017 waren es noch knapp 2800. Doch Kopenhagen lässt weiterhin an mehreren Übergängen zu Deutschland kontrollieren. Und begründet das mit der Terrorgefahr.
Simone Lange hat dafür nur wenig Verständnis. Jede Fahrt über die Grenze trete sie nun mit einem mulmigen Gefühl an, sagt die gebürtige Thüringerin. Vor wenigen Wochen wurde Lange von den dänischen Beamten angehalten, musste aussteigen und die Türen ihres Kastenwagens öffnen.
"Und da der leer war, war das unproblematisch, durfte ich weiterfahren. Ich hab‘ mich hinterher gefragt: ‚Seh‘ ich denn wie ein Straftäter aus oder hab‘ ich jetzt sozusagen Anhaltspunkte geboten, dass man den Verdacht haben musste, ich hab‘ `ne Straftat vor.‘ Nein, hatte ich nicht, sondern man hat lediglich gesehen, da kommt ein Kastenwagen. Und das ist ein Generalverdacht."
Mit Kriminalität und Sicherheit kennt Simone Lange sich aus: Viele Jahre war sie Kriminalbeamtin. Seit einem Jahr nun ist die Sozialdemokratin Flensburger Oberbürgermeisterin. Gerade die unmittelbare Nähe zur Grenze mache die 90.000-Stadt so attraktiv. Etwa jede fünfte Einwohner gehört zur dänischen Minderheit. Doch zuletzt sei vieles schwieriger geworden, sagt Lange.
"Weil wir vor vielen, vielen Jahren es geschafft hatten, die Schlagbäume abzubauen und die Grenze unsichtbar zu machen. Und eigentlich auch schon viel weiter waren und auch die Grenze schon aus unseren Köpfen eigentlich schon herausgeschoben hatten. Jetzt sehen wir sie wieder durch die Grenzkontrollen auf dänischer Seite. Und es zeigt sich ja, dass das ja noch nicht das Ende der Entwicklung sein wird. Weil es ja auf der dänischen Seite noch Kräfte gibt, die noch mehr wollen, als die stichprobenartigen Kontrollen, die es ja derzeit gibt."

70 Kilometer Grenze

Doch am anderen Ende der Republik lässt auch Deutschland seine Grenze zu Österreich kontrollieren. Grundsätzlich sei Sicherheit ein richtiges Ziel, findet die 41-Jährige.
"Natürlich sollten wir auch Dinge nicht schönreden, natürlich müssen wir uns mit vielen Sicherheitsaspekten beschäftigen, die sich auch verändert haben. Also, als ehemalige Kriminalbeamtin weiß ich, dass sich auch Kriminalitätsphänomene immer ändern werden und wir auch immer die richtigen Antworten auf diese neu aufkommenden Phänomene brauchen."
Doch seien Kontrollen und die Entsendung von dänischen Soldaten an die Grenzen eben nicht die richtige Antwort. Simone Lange plädiert stattdessen für eine stärkere Zusammenarbeit von dänischen und deutschen Polizisten im Hinterland. Und ist sicher: Die knapp 70 Kilometer lange Grenze zwischen beiden Staaten lässt sich nicht vollkommen überwachen.
Wie genau laufen die Grenzkontrollen ab? Stichprobe am Übergang, Kruså zu deutsch Krusau: Es ist kurz nach halb neun am Morgen, die Sonne geht gerade auf. Am Grenzübergang steht ein provisorisches Alugerippe, das mit seiner weißen Folie ein wenig an ein Bierzelt erinnert. Unter dem Neonlicht stehen ein Polizist, eine Polizistin sowie zwei männliche Mitglieder der Dänischen Heimwehr in Militäruniformen. Interviews geben darf keiner von ihnen, auch nicht die Sprecherin der Polizei in Esbjerg.
Alle paar Sekunden rollt ein neuer Wagen im Schritttempo auf die durchlässige Zelthalle zu, fast alle werden sofort durch gewunken. Nur ein Auto wird innerhalb der nächsten 20 Minuten angehalten. Es ist ein schwarzer Fiat Punto mit dänischem Kennzeichen. Am Steuer sitzt ein Mann. Neben ihm eine Frau mit Kopftuch. Ein Angehöriger der Heimwehr kontrolliert die Papiere, eine knappe Minute später können die beiden weiterfahren.
Deutsch-dänischer Grenzübergang bei Kruså
Deutsch-dänischer Grenzübergang bei Kruså© Deutschlandradio / Johannes Kulms

Rechtspopulisten machen Druck

Krusau gehört zu der dänischen Kommune Aabenraa, zu Deutsch Apenrade. Thomas Andresen ist der Bürgermeister der 60.000-Einwohner-Gemeinde. Gerade ist ein Workshop seiner Verwaltung in einem Hotel von Apenrade zu Ende gegangen. Andresen lässt sich etwas erschöpft in einen gemütlichen Sessel in der Lobby fallen.
Ja, die Einreisekontrollen nach Dänemark verliefen derzeit glimpflich. Zum Glück hielten sich die Effekte für den so wichtigen grenzüberschreitenden Handel sich in Grenzen. Und doch sieht Thomas Andresen in der verstärkten Überwachung keinen Sinn:
"Also, wir haben 35 Kilometer deutsch-dänischer Grenze allein in meiner Gemeinde. Und mein Postulat ist: Ich würde jederzeit mit der Grenzkontrolle, die ausgeführt wird, über die Grenze kommen können, wenn ich das möchte. Und wenn ich zum Beispiel terroristische Absichten hätte, würde ich mich ja nicht unten an der Grenzkontrolle mich eigentlich über die Grenze begeben, sondern würde ja irgendwo anders über ein Feld laufen oder mit einem Gummiboot über die Förde segeln. Deshalb glaube ich nicht dran."
Thomas Andresen gehört der rechtsliberalen Partei Venstre an, die in Kopenhagen mit Lars Løkke Rasmussen den dänischen Premierminister stellt. Verstehen seine Parteikollegen nicht die Lage im deutsch-dänischen Grenzland? Doch, sagt Andresen. Allerdings führe seine Partei nun mal eine Minderheitenregierung an. Seit Jahren wächst der Einfluss der rechtspopulistischen Dansk Folkeparti. Andresens Parteifreunde in Kopenhagen sind auf die Stimmen der Dänischen Volkspartei angewiesen. Und das bedeute …
"… dass man versucht, Mehrheiten für mehrere politische Themen zu bekommen. Und da ist eigentlich die Grenzkontrolle als eine Handelsware hineingebracht worden. Man diskutiert ja im Augenblick z.B. Steuern, dass man gleichzeitig auch Grenzkontrollen und ausländerrechtliche Themen berührt. Und diese beiden Dinge haben im Prinzip nicht viel miteinander zu tun."

"Einmal muss es ja aufhören"

Ähnlich wie Flensburgs Oberbürgermeisterin sieht auch der Verwaltungschef der Kommune Apenrade die Kontrollen als einen Rückschritt im Zusammenwachsen der Grenzregion, das so lange gebraucht habe.
"Weil wir ja auch geschichtlich mehrfach aufeinander gestoßen sind in kriegerischer Hinsicht. Von daher ist es leichter, wenn die Völker sich kennen und das man auch die Unterschiede kennt. Und das tut man am besten, wenn man die Kultur auswechselt. Und das tut man am besten mit einer offenen Grenze."
An die offene Grenze haben sich auch die Mitglieder des Feuerwehrorchesters von Broager gewöhnt. Die dänische Kleinstadt liegt eine halbe Autostunde nordwestlich von Flensburg. An diesem Abend wird geprobt auf der Feuerwache. Schon mehrfach sei das Broager Brandværns Orkestre in Deutschland aufgetreten, erzählt Ove Petersen. Seit einem Vierteljahrhundert ist er der "Manager" des 40-Köpfigen Ensembles.
"Wenn zum Beispiel der ganze Bus voll kommt, das ist kein Problem. Die gucken und dann sagt der Busfahrer ‚Das ist die Kapelle von Broager, die waren in Flensburg zum Spielen‘ – ‚Dann schöne Fahrt nach Hause!‘ Also, das ist kein Problem."
Viele der Musiker aus Broager fahren oft zum Einkaufen nach Deutschland. Und finden die Grenzkontrollen übertrieben. Anders Ove Petersen. Der 69-Jährige ist für ein Europa der offenen Grenzen. Doch das sei derzeit nicht möglich.
"Weil es kommen ja immer mehr zu uns. Und einmal muss es ja aufhören. Weil wir haben ja eigentlich keinen Raum dafür. Also, die ganze Welt kann Dänemark nicht retten!"

Viele Flüchtlinge bleiben in der Region um Flensburg

Dass die Zahl der nach Dänemark einreisenden Flüchtlinge in den letzten zwei Jahren stark gesunken ist, stimmt den Rentner nicht um. Er scheint erleichtert darüber, dass die rechtspopulistische Dänische Volkspartei in Kopenhagen das Thema am Kochen hält:
"Ich frag mich nur – wir fragen uns in Dänemark, auch die, glaube ich, die was gegen Grenzkontrolle haben, fragen sich auch: Wenn Danske Folkeparti nicht dagewesen sind, wie hat es dann ausgesehen?"
Noch im Herbst 2015 kamen zeitweise hunderte Flüchtlinge pro Tag in Flensburg an, um von dort weiter nach Dänemark und Schweden zu reisen. Diese Zeiten sind vorbei.
Inzwischen haben die Regierungen in Kopenhagen und Stockholm genauso wie in Berlin ihre Flüchtlingspolitik verschärft. Im deutsch-dänischen Grenzgebiet um Flensburg herum ist das gut zu beobachten. 1455 Menschen wurden hier zwischen Januar und Oktober 2017 von der Bundespolizei registriert wie kürzlich mehrere Medien unter Berufung auf das Bundesinnenministerium berichteten. Das seien fast 50 Prozent mehr als noch im Vorjahr. Die meisten von ihnen sind Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, deren Anträge auf Asyl in Skandinavien abgelehnt wurden. Der deutliche Anstieg im Flensburger Raum dürfte vor allem mit den Grenzkontrollen zu tun haben.
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