Mehr Informationen zu Bewegung und Demenz sowie ein spezielles Trainingsprogram finden Sie auf der Webseite "Bewegung bei Demenz".
Mit Sport gegen Demenz
Rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz, ein Medikament dagegen gibt es aber bislang nicht. Sportliche Aktivitäten können helfen - besonders in Verbindung mit Denkaufgaben. Es gibt spezielle Trainingsprogramme, doch das Thema ist im deutschen Sport noch nicht wirklich angekommen.
"Ja, ich bin zwar schon 'nen bisschen älter, aber 'nen bisschen singen kann ich schon noch, na gut. Ich kann noch singen, singen, ja! Jetzt tun mir die Ohren weh. Ich war auf der Opernbühne, ja."
Einmal in der Woche treffen sich Kati, Manfred, Helma, Gerd, Andreas und Heinz in den Räumen der "Haltestelle Diakonie" im Berliner Bezirk Neukölln.
Zwei Stunden lang werden hier Arme, Beine und der Kopf trainiert:
"Alles klar, ausschütteln. Euren ganzen Körper wieder ausschütteln, wenn's geht. Dann fall ich auf die Schnute. Na, dann lass es auch sein. Ach i wo. So, setz dich hin. Kati, du auch."
Kati ist mit 82 Jahren die Älteste, Andreas mit 55 der Jüngste. Die anderen Teilnehmer sind in den Siebzigern. Der Grad der demenziellen Erkrankung variiert und auch die körperliche Fitness. Während Heinz noch mit dem Fahrrad kommt, braucht Manfred einen Rollator. Und Kati laboriert an einer Verletzung.
"Alles in Ordnung? Ja! Tut nichts weh? Es geht doch schon wieder so'n bisschen. Mir geht es gut."
Die Idee, eine Bewegungsgruppe für Menschen mit demenziellen Erkrankungen anzubieten, kam von Angela Weiland. Sie arbeitet als Koordinatorin bei der Diakonie.
"Ich habe überlegt, dass da Bedarf besteht, weil die Menschen mit Demenz, die sind in Sportvereinen natürlich nicht mehr so gut aufgehoben und haben eigentlich keinen Ersatz, und dadurch bin ich auf die Bewegung gekommen. Es darf aber nicht nur Bewegung sein, weil die Gruppe umfasst ja zwei Stunden, das wäre ja sonst zu anstrengend und deshalb diese Mischung 'Spiel-Spaß-Bewegung', so heißt ja die Gruppe auch."
Angeleitet wird die Gruppe von Vera Dorn und Dagmar Schwarz. Beide arbeiten ehrenamtlich.
"Die Ehrenamtlichen werden bei uns sehr, sehr gut vorbereitet, wir haben 'nen Basiskurs von sechs Tagen à sechs Stunden, den wir anbieten; wo sie erfahren, was ist Demenz, welche Formen gibt es, was kann man mit denen machen. Wie begegnet man ihnen in irgendwelchen kritischen Situationen. Und praktische Anleitungen. Alles zum Thema Demenz."
Gymnastik, Bewegungsspiele und Gedächtnisübungen stehen auf dem Programm. Große und kleine Bälle kommen zum Einsatz, harte und weiche, ein Ringspiel, eine Dartscheibe mit Klettstreifen und Rätselkarten. Die Stimmung ist fröhlich. Es wird viel gelacht.
Ein großer Ball macht im Sitzkreis die Runde. Auf dem Ball stehen Zahlen. Die, die beim Fangen mit den Daumen berührt werden, müssen addiert werden. angen und rechnen, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, das erfordert Konzentration, Geschick und Koordinationsvermögen. Für demenziell Erkrankte eine große Herausforderung.
Demenz ist eine schleichende Krankheit. Sie verläuft in mehreren Etappen. Lücken im Kurzzeitgedächtnis, der Verlust der Auffassungsgabe sowie der räumlichen und zeitlichen Orientierung gehören zum Krankheitsbild. Aber auch Wesensveränderungen, psychische, soziale und motorische Probleme. Die Reise ins Vergessen gleicht einem langen Weg. Am Ende stehen der totale Gedächtnisverlust und Pflegebedürftigkeit.
Das Zahlenspiel ist beendet, die Rätselkiste für Gedächtnisübungen wird hervorgeholt. In der Kiste befinden sich Kärtchen, auf denen Gattungsbegriffe stehen.
Gruppenleiterin: "Helma, möchtest du ein Tierchen, Natur oder Mensch, Gegenstand?"
Helma: "Ich weiß im Moment überhaupt gar nichts."
Gruppenleiterin: "Gar nichts, Moment. Die Tage sind kürzer, das Wetter ist kalt, die Tiere finden kein Futter im Wald. Mit Schlitten und Ski fahren die Kinder, das kann doch nur sein der…"
Helma: "Winter!"
Helma strahlt und die Gruppe freut sich mit ihr:
"Mensch, ich werd' verrückt. Dit kam ja wie aus der Pistole geschossen."
"Ich hab noch nie irgendetwas hier gehabt, nichts, ja und jetzt! Kam ja wie aus der Pistole geschossen."
Respekt, Wertschätzung und Anerkennung beflügeln die Teilnehmer. Aber auch das Gefühl, trotz der kognitiven Defizite noch etwas zu können. Aus sportwissenschaftlicher Sicht handelt es sich bei der Gruppe der Diakonie um ein sogenanntes niedrigschwelliges Angebot. Nicht die messbare Steigerung der körperlichen Fitness steht im Vordergrund, sondern der soziale Aspekt. Es geht darum, die Isolation zu durchbrechen, um Teilhabe und geselliges Miteinander. Gerd bringt es auf den Punkt:
"Also, die Gemeinschaft, vor allen Dingen, das Kennenlernen der anderen, das finde ich sehr wichtig. Man lebt immer mehr zurückgezogen, und das finde ich schon gut, dass man sich trifft und miteinander quatscht und was macht, tut."
Die Gruppe singt: "Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wandern ist des Müllers Lust, das Wandern…"
Arme und Beine werden beim Singen im Wanderschritt bewegt. Die meisten Teilnehmer sind textsicher. Während das Kurzzeitgedächtnis bei demenziell Erkrankten immer schlechter oder gar nicht mehr funktioniert, werden Lieder, Reime oder Sprichwörter noch lange erinnert.
Die Gruppe singt: "Vom Wasser haben wir's gelernt, vom Wasser haben wir's gelernt, vom Wasser."
Rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer demenziellen Erkrankung, die meisten an Alzheimer. Je älter jemand wird, desto größer ist das Risiko. Mit Mitte 80 ist ungefähr jeder Vierte betroffen. Bei den über 90-Jährigen schon jeder Dritte. Bis heute gibt es kein Medikament, das die Krankheit stoppen oder heilen kann.
Schnell gehen und rückwärts rechnen
Sport ist die beste und billigste Medizin. Das weiß man. Ebenso, dass körperliche Aktivität kombiniert mit einer mediterranen Ernährung vor vielen Krankheiten schützt. Mittlerweile ist bewiesen, dass regelmäßige Bewegung auch das Alzheimerrisiko senken kann. Je höher die Intensität der Bewegung, also je mehr man ins Schwitzen kommt, desto niedriger das Risiko, zu erkranken. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass regelmäßiges intensives körperliches Training aber auch dann positive Effekte hat, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist. Große Beachtung fand eine auf drei Monate angelegte Studie des Heidelberger Sportwissenschaftlers Professor Klaus Hauer.
"Die Grundsatzidee war: Kann man denn mit guten innovativen Methoden, die sehr spezifisch die Kraft und die Funktion verbessern, auch demenziell Erkrankte Patienten trainieren? Und das Ergebnis war sehr, sehr gut. Die Patienten hatten innerhalb dieser drei Monate um 50 Prozent Kraft zugelegt und in ihrer Funktion 30 bis 40 Prozen verbessert. Also das sind Dinge, die ganz besonders gut sind, ja."
Professor Klaus Hauer ist Forschungsleiter am geriatrischen Zentrum des Universitätsklinikums Heidelberg. Dort wurde die Studie durchgeführt. Das Agaplesion-Bethanien-Krankenhaus ist eine Rehabilitationsklinik für alte und hochbetagte Menschen. Hier sollen sie für die Rückkehr in einen möglichst selbstbestimmten Alltag wieder fit und mobil gemacht werden. Viele Patienten sind nach einer Sturzverletzung in der Klinik. Die Trainingstherapie zielt darauf ab, die Hauptrisikofaktoren für Stürze zu verringern: Kraftdefizite, Probleme mit dem Gleichgewicht und Schwächen bei den sogenannten funktionellen Leistungen: Gehen, Stehen, Treppensteigen, Hinsetzen und Aufstehen:
"Die Idee war auch, zu gucken, was denn nach so 'ner Reha auch noch möglich ist, weil die Reha dreiwöchig sehr kurz ist. Und für ältere Menschen zum Beispiel mit 'ner Schenkelhalsfraktur ist das in drei Wochen nicht geschehen, dass die wieder auf die Beine kommen. Und die Idee war: Was kann man denn anschließend noch machen, und sind demente Patienten motorisch trainierbar?"
Nach der Entlassung trainierten die Patienten drei Mal wöchentlich für eineinhalb Stunden im Fitnessraum der Klinik. Drei Monate lang stemmten sie Gewichte, trainierten das Gleichgewicht und machten Ausdauerübungen.
"Das Training bestand aus so 'nem richtigen Muckibuden-Training, also so richtiges Krafttraining individuell angepasst, und anderen Übungen, aber auch kombiniert mit funktionellem Training. Die Kraft ist sozusagen die Voraussetzung für Funktion. Wenn jemand beim Aufstehen vom Stuhl Probleme hat, dann ist es oft ein Kraftproblem. Und die Kombination von beidem war was Wichtiges, und wir hatten auch noch so 'nen kleinen demenzspezifischen Ansatz dabei. Das kann ich vielleicht noch mal ausführen."
Der demenzspezifische Ansatz bestand in der Verknüpfung von Bewegungs-und Denkaufgaben. Die Patienten mussten auf einem elektronischen Laufband so schnell wie möglich gehen und dabei in Zweierschritten vorwärts oder in Dreierschritten rückwärts rechnen: Neun - sechs - drei, zum Beispiel.
"Demenziell Erkrankte können ganz schlecht zwei Dinge auf einmal tun, Dual-Task-Aufgaben lösen, und die Idee war: Können wir denn diese Aufgaben, 'ne Kombination aus motorischen und kognitiven Anforderungen, bei diesen Patienten trainieren? Das war eine der Ideen und das haben wir tatsächlich auch durchgeführt, mit 'nem sehr guten Erfolg. Also die Ergebnisse zeigen, dass Patienten, die so 'n Geh-Rechentraining durchgeführt hatten, nach dem Training ungefähr 'nen Leistungsstandard haben von kognitiv guten Patienten im gleichen Alter."
Lange Zeit galten alte, gebrechliche, multimorbide Menschen als nicht trainierbar. Die mit einer demenziellen Erkrankung schon gar nicht. Professor Klaus Hauer und seinem Team gelang es, in weiteren Studien nachzuweisen, dass alte Menschen mit leichter bis mittelschwerer Demenz bei einer individuell angepassten Therapie genauso gut trainierbar sind wie jene ohne Demenz. Und dass sich der motorische, kognitive und psychische Zustand durch das Training verbessert.
"Die Patienten erleben ihren Alltag als defizitär bestimmt, sie bekommen oft 'ne Rückmeldung, dass sie das kognitiv nicht mehr verstehen, dass sie das motorisch nicht mehr hinkriegen. Aber das Training gibt so 'ne ganz tolle Möglichkeit, dem Patienten zu zeigen, dass auch wieder was bergauf geht, statt bergab geht, dass sie wieder besser laufen, besser aufstehen können. Und das ist, was die Trainingsmotivation ganz besonders unterstützt."
Interaktive Webseite für das Training zu Hause
Kati aus der "Spiel-Spaß -Bewegungsgruppe" ist vor Kurzem hingefallen. Sie hat Blessuren im Gesicht und kann den rechten Arm kaum bewegen.
Untersuchungen haben ergeben, dass demenziell Erkrankte ein dreifach höheres Sturzrisiko haben als vergleichbare Gleichaltrige ohne Demenz. Professor Klaus Hauer und sein Forschungsteam fanden auch heraus, dass knapp die Hälfte aller Stürze beim Aufstehen passieren, zum Beispiel von einem Stuhl.
"Patienten wissen manchmal gar nicht mehr, wie sie einfache Dinge durchführen. Und die Frage war: Kann man ein motorisches Lernen bei Patienten mit 'ner Demenz noch mal anstoßen. Das war auch so 'ne Frage, der wir nachgegangen sind in so 'ner Studie, wo wir geguckt haben: Kann man die Aufstehbewegung wieder lernen oder verbessern? Und tatsächlich ist es so. Das geht wieder. Patienten lernen das tatsächlich wieder. Auch hier bröckelt so'n bissel das Dogma, Patienten mit 'ner Demenz sind nicht mehr trainierbar oder sind nicht mehr lernfähig, oder solche Dinge."
Christian Werner, Doktorand am Heidelberger Bethanien-Krankenhaus, hat das Aufstehen regelmäßig mit einer Patientengruppe trainiert. Die Aufstehbewegung wurde dabei in Einzelschritte zerlegt.
"Grundlage, warum wir das zerlegt haben, war einfach, weil beim demenziellen Verlauf nicht nur die muskulären Probleme beim Aufstehen 'ne Rolle spielen. Die sind meist altersbedingt. Aber bei demenziell erkrankten Patienten ist es eben so, dass auch dieses Bewegungsmuster auseinanderfällt. Das haben wir sozusagen auch auseinander gestückelt, um dann einzelne Teile separat zu trainieren. Dieses Vorrutschen an die Stuhlkante, dann die Füße nach hinten ziehen, am besten unter die Stuhlkante, den Rücken aufrichten, um dann mit 'ner weiten Rumpfflexion sich nach vorne zu beugen und dann aufzustehen. Also insgesamt fünf Schritte; und die haben wir methodisch aneinandergereiht, bis wir dann die komplette Aufstehbewegung hatten."
Demenziell Erkrankte brauchen viel Zuwendung und besondere Ansprache. Worte allein genügen nicht. Vormachen und Wiederholung sind wichtig, aber auch Hilfestellung und Berührung.
"Unser Trainingsprogramm bestand darin, dass wir erst mal demonstriert haben, aber zeitgleich die Patienten das direkt mitgemacht haben. Wir waren häufig dann auch mehrere Trainer, um einfach individuell auf die Patienten einzugehen. Und während des Demonstrierens war ein Trainer schon bei den Patienten und hat das dann direkt auch mit Kommandos noch mal instruiert, teilweise auch mit taktilem Kontakt."
Für das Training zu Hause hat die Heidelberger Forschungsgruppe eine interaktive Website mit Figuren entwickelt. Die Seite, "Bewegung bei Demenz", ist als Anleitung für Physiotherapeuten, aber auch für Angehörige gedacht.
Übung von der Webseite: "Übung 10. Halten Sie sich an der Lehne fest. Gehen Sie in die Hocke und strecken Sie dabei ihren Po nach hinten. Zehn Wiederholungen. Los geht's."
Christian Werner: "Figuren in der Bewegung, also 'ne Bewegungsanleitung, 'ne Bewegungssequenz, die auch einfache Anweisungen gibt und so ein bisschen Hintergrundinformation auch für Angehörige, die oft auch besorgt sind und gucken, was kann ich denn für die Mami oder für den Papi noch tun. Es war so 'n Ansatz, unser Wissen auch unter die Leute zu bringen und das, was wir wissenschaftlich so gut belegen können, auch in die Anwendung zu bringen."
Unberechenbare Reaktionen
Die Diagnose Alzheimer verändert das Leben grundlegend. Nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Angehörige. Auch sie sind auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Die Ehefrau von Manfred ist froh, dass ihr Mann in der "Spiel-Spaß-Bewegungsgruppe" gut aufgehoben ist.
"Spielt 'ne große Rolle, diese Entlastung, dass man einfach mal so zwei Stunden shoppen gehen kann, oder 'nen Kaffee trinken kann, oder wie auch immer einfach mal abschalten, und so dieses Alleinsein genießen. Weil man lässt den Partner ja nicht mehr alleine, nicht. Also bei meinem Mann ist so die Gefahr, dass er fällt, dann diese sprunghafte Überlegung, 'Hach, jetzt muss ich da hin', und dann kann ich ihn nicht mehr kontrollieren."
Der Umgang mit demenziell Erkrankten erfordert Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl. Je weiter die Krankheit fortgeschritten ist, desto unberechenbarer sind die Reaktionen. Bis gerade eben noch hat Helma mit Freude mitgemacht, doch jäh schlägt ihre Stimmung um. Sie hat genug für heute, steht abrupt auf und geht zur Terrassentür.
Dagmar Schwarz: "Wo willst du denn hin, Helma?"
Helma: "Ich möchte gerne nach Hause gehen. Ist das verboten?"
Dagmar Schwarz: "Nein. Da geht's nicht nach Hause; deswegen."
Gruppenleiterin Dagmar Schwarz weiß, diskutieren hat jetzt keinen Sinn. Sie geht auf Helma zu, nimmt sie bei der Hand und verlässt mit ihr den Raum.
"Wir machen Schulungen, wie man umgeht im Notfall, wie wir uns verhalten, wenn es nicht so klappt, so wie jetzt gerade eben. Wenn es nicht so klappt, wie wir das möchten, so dass auch sie sich nicht bevormundet fühlen. Man sieht ja auch, mit wem man zu tun hat, und dann passt man sich an."
Qualifizierungsangebote für Trainer sind rar gesät
Die Krankheit Demenz ist im kollektiven öffentlichen Bewusstsein angekommen. Bücher wie "Der Alte König im Exil" oder Kinofilme wie "Honig im Kopf" machen anschaulich klar, was es bedeutet, mit einer demenziellen Erkrankung leben zu müssen. Und das es jeden treffen kann.
Gerd Müller, der als Bomber der Nation gefeierte frühere Fußballnationalspieler, leidet seit Jahren an Alzheimer. Genau wie Rudi Assauer. Das Schicksal des ehemaligen Managers von Schalke 04 wurde im Dezember 2012 in einer ZDF-Dokumentation verfilmt.
"Das Outing von Assauer hat eine unglaublich nachhaltige Wirkung gehabt. Es ist eingeschlagen, auf einmal war dieses Thema Alzheimer, Demenz - Volkskrankheit der Zukunft, Schreckgespenst - in der Gesellschaft angekommen. Darüber wurde diskutiert."
Einige von Assauers Wegbegleitern, darunter der frühere Fußball-Reporter Werner Hansch, gründeten kurz darauf die gemeinnützige "Rudi-Assauer-Initiative - Demenz und Gesellschaft". Mit dem Ziel, die Krankheit zu enttabuisieren und Aufklärungsarbeit zu leisten. Dazu gehören Informationsveranstaltungen mit Experten. So wie jene im Juni in Dortmund:
"Da wurde dargestellt, welche Bedeutung Sport haben kann. Dass Sport zwar die Krankheit nicht heilen kann, dass er aber den Verlauf maßgeblich positiv beeinflussen kann. Gäste bei dieser Veranstaltung waren Vereinsvertreter, Vorsitzende, Trainer, Betreuer; und denen wollten wir Anlass geben, mal darüber nachzudenken, ob man zu den ganz normalen Sportprogrammen in den Vereinen nicht auch solche Inhalte aufnehmen kann, die für Demenzkranke geeignet sind. Und da muss man Netzwerke schmieden, da müssen die Alzheimergesellschaften mitwirken, ja."
Sport mit alten und hochbetagten Menschen hat beim TSV Falkensee Tradition. Zum Konzept gehört, dass die Teilnehmer der "Gymnastikgruppe 80 plus" bei Bedarf mit dem Bus abgeholt und wieder nach Hause gebracht werden. Ob motorisch eingeschränkt oder vergesslich, jeder macht mit, so gut er kann. Übungsleiterin Susanne Dudenhöfer weiß, worauf sie achten muss:
"Dadurch, dass ich die Teilnehmer ja schon viele Jahre begleite, seh' ich ja auch: Mensch bei dem einen fängt das schon langsam an, der versteht mich nicht mehr so genau, der kriegt die Reihenfolge nicht mehr hin. Es gibt dann Teilnehmer, die checken das sehr schnell, welche Übungen sie ausführen müssen, und andere wiederum, ja, die vergessen sehr viel, die haben die Reihenfolge nicht drin, ja. Aber ich versuche, das immer spielerisch und humorvoll dann abzufangen, so dass alle integriert sind."
Die Integration klappt gut, trotzdem geht der TSV Falkensee auch neue Wege. In Zusammenarbeit mit der Alzheimer-Gesellschaft Brandenburg und einem Gemeinschaftswerk wird es im kommenden Jahr eine Gruppe speziell für Demenzkranke geben. Für Birgit Faber, geschäftsführender Vorstand beim TSV Falkensee, ist das Projekt eine Herzensangelegenheit:
"Oftmals gehen ja die Prozesse schleichend, man merkt das dann. Und in der Gruppe wird das dann aber zwar festgestellt, aber es ist kein Grund, darüber irgendwelche Ausführungen zu machen. Also sie fühlen sich einfach nach wie vor geborgen, trotzdem haben wir uns darüber Gedanken gemacht: Wie können wir denn diese Menschen besser erreichen? Und demzufolge haben wir einfach auch gesagt, uns Fachleute an die Seite zu holen. Und die finden wir zum Beispiel bei unserm Gemeinschaftswerk Wohnen und Pflege in Falkensee. Dort sind die Fachleute für Demenz; und unsere Übungsleiter werden jetzt speziell auf das Krankheitsbild Demenz ausgebildet. Da gibt es dann natürlich noch besondere Herausforderungen, aber ich glaube unsere Übungsleiter gehen das mit vollem Engagement an."
Qualifizierungsangebote für Trainer und Übungsleiter sind dünn gesät. Im Aus- und Fortbildungskatalog des Deutschen Behindertensportverbandes für 2016 findet man gerade einmal sieben Lehrgänge zum Thema Demenz - bei insgesamt rund 670 Fortbildungsangeboten. Für Sportwissenschaftler Professor Klaus Hauer ein Indiz dafür, dass die meisten Vereine und Verbände noch kein Konzept haben, wie die sportliche Teilhabe von Alten und Hochbetagten gesichert werden kann.
"Es ist ja so, dass viele Sportvereine immer noch ihre älteren Mitglieder verlieren, die müssen nicht alle dement sein, sondern auch die multimorbiden können eben die bisherigen Angebote nicht weiterführen. Aber die zunehmende Gruppe von Hochbetagten, die ja zum schon jahrzehntelang in den Vereinen drin waren, die nicht zu halten, ist schon beachtlich schlecht, mein' ich, ja - und da muss sich noch mehr bewegen. Das ist was Wichtiges. Also, wenn man das auch in Zukunft denkt, muss man das fordern, dass es ausgebildete Übungsleiter gibt für diesen Trainingsbereich."