Geistiges Eigentum und Gemeinwohl

Die Moral der Kopie

31:40 Minuten
Im Filmbild aus "Being John Malkovich" stehen viele Menschen nebeneinander und halten sich Pappmasken vor die eigenen Gesichter, die alle das Gesicht von John Malkovich zeigen.
Kopien, wohin das Auge blickt: Im Film "Being John Malkovich" erlebt der Titelheld das Versprechen endloser Vervielfältigung als psychedelischen Albtraum. © imago images / EntertainmentPictures
Amrei Bahr im Gespräch mit Wolfram Eilenberger |
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Machen Kopien Kultur und Wissen erst zugänglich? Oder beschleunigen sie den Raubbau an geistigem Eigentum? Die Juniorprofessorin Amrei Bahr widmet sich philosophisch solchen Fragen, die im Extremfall über Leben oder Tod entscheiden können.
Nie wurde so viel kopiert wie heute. Und nie zuvor in der Geschichte der Menschheit war das so einfach. Die meisten von uns verschicken täglich Texte und Bilder, um sie privat oder beruflich zu teilen. Rund um Memes – Fotos und kurze Filmausschnitte, die kreativ umgedeutet werden – ist eine eigene Kommunikationsform entstanden.

Teilhabe an Bildung und Kultur

Längst vergangen ist die Zeit, als Kopisten Abschriften kanonischer Texte noch per Hand anfertigen mussten. Buchdruck, Fotokopierer und zuletzt digitale Medien haben die Möglichkeiten des Kopierens enorm erweitert, beschleunigt und für immer mehr Menschen zugänglich gemacht. Darin liege auch eine emanzipatorische Kraft, sagt Amrei Bahr, Juniorprofessorin für Philosophie der Technik und Information an der Universität Stuttgart. Die unkomplizierte und erschwingliche Vervielfältigung erleichtere den Zugang zu Wissen und kulturellen Gütern.

Das digitale Kopieren zeichnet sich dadurch aus, dass man praktisch verlustfrei und mühelos Dinge kopieren und verbreiten kann. Das hat natürlich ein großes Potenzial, wenn es darum geht, an Kultur und Bildung teilzuhaben.

Amrei Bahr, Technikphilosophin

Andererseits werde das Kopieren juristisch stark beschränkt, sagt Bahr. Das geschehe nicht ohne Grund, denn mit der Urheberschaft an einem Kunstwerk, einer wissenschaftlichen Arbeit oder einer technischen Erfindung sei der legitime Anspruch verbunden, über deren weitere Verwendung selbst zu entscheiden.
Aus philosophischer Sicht sei dies vergleichbar mit den Rechten, die sich auf materielles Eigentum beziehen: "Da hat man auch die Idee, dass man mit einer Sache nach Belieben verfahren und 'andere von der Einwirkung ausschließen' darf, so heißt es im Bürgerlichen Gesetzbuch."

Konflikt um Impfstoff-Patente

Der Schutz von Urheber- und Patentrechten kann aber durchaus mit Ansprüchen in Konflikt geraten, hinter denen weitreichende gesellschaftliche Interessen stehen. Besonders deutlich wurde das während der Coronapandemie an der Debatte über Patente auf Impfstoffe und deren mögliche Aufhebung, um Menschen in ärmeren Ländern gegen die Ansteckung mit Covid-19 und gegen schwere Krankheitsverläufe schützen zu können.
Porträt von Amrei Bahr in einer Bluse mit buntem Muster, mit grünem und rotem Weinlaub im Hintergrund
Das Urherberrecht soll Kreative schützen. Aber es kann ihrer Entfaltung auch im Weg stehen, beobachtet Amrei Bahr.© privat
Wenn es um die Gesundheit und das Leben von Menschen gehe, erscheine es Bahr "offenkundig, dass Urheberrechte möglicherweise auch zurückstehen müssen hinter diesen höherwertigen Anliegen." Sie ist davon überzeugt, "dass wir da immer abwägen müssen".
Der moralische Anspruch, über geistiges Eigentum selbst verfügen zu können, sei damit aber nicht grundsätzlich ausgeräumt. Vielmehr müsse sorgfältig im Einzelnen geklärt werden, welche einschränkenden Rechte oder Anliegen von Dritten dafür sorgen, dass er ausgesetzt wird.

Kopieren als Herzstück digitaler Kultur

Vergleichbare Abwägungen, wenn auch unter weniger existenziellen Vorzeichen, seien auch auf dem Feld der Kultur zu treffen, sagt Bahr, die bereits 2015 in einer interdisziplinären Forschungsgruppe zur "Ethik des Kopierens" gearbeitet hat.
"Auch bei der Entstehung neuer Werke und Artefakte spielt Kopieren eine ganz entscheidende Rolle, und das wird natürlich auch dadurch beschränkt, dass bestimmte urheberrechtliche Bestimmungen dem im Weg stehen", gibt sie zu bedenken. Bei Remixes, Samplings oder Mash-ups in der Musik liege dies auf der Hand. Aber auch für viele andere Bereiche der Kunst und der Wissenschaft gelte das geflügelte Wort, dass schöpferisch Tätige "auf den Schultern von Riesen" stehen.

Emanzipatives Potential

Diesem Spannungsverhältnis gelte es gerecht zu werden, betont Bahr. Kreative hätten Anspruch auf den Schutz ihrer Werke. Auf der anderen Seite seien bestimmte Formen der Kreativität, die auf das Kopieren als Kulturtechnik setzen, im Zuge der Digitalisierung erst möglich geworden – und zwar für einen großen Kreis von Menschen, was auch ein emanzipatives Potenzial habe.
"Diese Praktiken werden dann unter Umständen gar nicht mehr durchgeführt", sagt Bahr, "und da kann man sich natürlich auch fragen, inwieweit Kreativität dadurch eingeschränkt wird."
(fka)

Amrei Bahr: "Was ist eine Kopie?"
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2022
384 Seiten, 49 Euro

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