"Koptische Minderheit nimmt ihre Religion sehr, sehr ernst"

Frank van der Velden im Gespräch mit Susanne Führer · 06.01.2011
Am Tag des koptischen Heiligen Abend wird laut Frank van der Velden von der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde in Ägypten "in den meisten Städten des Landes ganz normal Gottesdienst gefeiert". Die "sehr hohe Präsenz ägyptischer Sicherheitskräfte vor Kirchen" werde heute Abend allerdings noch verstärkt werden.
Susanne Führer: Erinnern Sie sich noch an Boutros Boutros-Ghali? Der Ägypter war in der ersten Hälfte der 90er-Jahre Generalsekretär der Vereinten Nationen. Er gehört zu der Minderheit der koptischen Christen in Ägypten. Offenbar also kein Hinderungsgrund auf dem Weg in höchste Positionen – oder hat sich da vielleicht etwas geändert? Diese Frage stellt sich akut seit dem Anschlag auf katholische, nein, nicht auf katholische, auf koptische Kirchgänger in der Neujahrsnacht in Alexandria.

Auch Frank van der Velden lebt als Christ in Ägypten, in Kairo, und zwar als Mitarbeiter der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde in Ägypten. Guten Morgen, Herr van der Velden!

Frank van der Velden: Guten Morgen nach Berlin, Frau Führer.

Führer: Heute Abend feiern die Kopten Heiligen Abend, den Heiligen Abend, Weihnachten. Wird denn überhaupt gefeiert werden nach dem Anschlag?

van der Velden: Ja, das stand in den ersten Tagen nach dem Anschlag durchaus zur Diskussion, aber soweit ich sehe, wird in den meisten Städten des Landes ganz normal Gottesdienst gefeiert, das heißt, ab sieben Uhr heute Abend wird die lange koptische Weihnachtsliturgie für drei bis vier Stunden, teilweise sogar noch länger, gefeiert in den Kirchen und Klöstern des Landes, und wahrscheinlich werden wir erst nach Mitternacht aus den Kirchen herauskommen.

Führer: Erzählen Sie mal, Sie haben so ein bisschen angedeutet, erzählen Sie mal ein bisschen, wie feiern die Kopten Weihnachten, also anders als jetzt die Protestanten oder Katholiken zum Beispiel?

van der Velden: Nun, Sie müssen davon ausgehen, dass Ägypten ein sehr religiöses Land ist, das heißt, auch die koptische Minderheit nimmt ihre Religion sehr, sehr ernst. Weihnachten beginnt, eigentlich ganz anders als bei uns, mit einer Adventszeit, die noch richtig Fastenzeit ist, das heißt, die meisten koptischen Christen in Kairo haben vier bis fünf Wochen Fasten, Enthaltsamkeit von tierischen Produkten hinter sich, und freuen sich natürlich auf das große Festessen nach der Liturgie. Es ist ein großer Umschlagpunkt im Jahr, es wird sehr lange drauf gespart, gefastet, sich vorbereitet, in den Gemeinden gefeiert.

Naja, und das entsprechend gibt ein sehr starkes emotionales Gefüge an diesem Abend. Es ist eine sehr schöne Atmosphäre mit gespannten Leuten, übervollen Kirchen, man muss sich wirklich eng, Schulter an Schulter, durch die engen Kirchenräume hindurchwühlen fast, um etwas zu sehen. Die Luft ist entsprechend stickig und die Freude normalerweise, in normalen Jahren sehr, sehr groß.

Führer: In diesem Jahr wird die Freude wohl nicht so groß sein. Was unternimmt die ägyptische Regierung zum Schutze, wissen Sie das? Werden da mehr Polizisten aufgeboten als sonst?

van der Velden: Also die Bilder, die wir in der Presse sehen, sind aus den letzten Tagen und repräsentieren so den allgemeinen Zustand. Also Kirchen hier, öffentliche Gebäude – und Kirchen gehören dazu – sind grundsätzlich bewacht. Es gibt eben traditionell eine sehr hohe Präsenz ägyptischer Sicherheitskräfte vor Kirchen aber auch vor anderen öffentlichen Einrichtungen. Das wird sich sicherlich verstärken.

Was jetzt genau heute Abend auf uns zukommt, weiß ich nicht. Ich hatte die Sicherheitsleute vor den Kirchen, die ich so kenne, einmal persönlich gefragt in den letzten Tagen, die meinten, bringen Sie einen Personalausweis mit und ansonsten bleibt alles beim Alten. Aber sicherlich werden stärkere Kontrollen und Sicherheitsvorkehrungen da sein.

Führer: Herr van der Velden, der Anschlag ist in Ägypten ja einhellig verurteilt worden, also vom Präsident Mubarak wie auch von der höchsten religiösen Instanz in Ägypten, dem Scheich der Universität Al-Azhar. Ich habe gelesen, dass die Vertreter des ägyptischen Staates an hohen Feiertagen, also wie Weihnachten oder Ostern, sogar an den Gottesdiensten der Kopten teilnehmen. Das klingt mir alles nach einer großen Wertschätzung der koptischen Christen in Ägypten. Stimmt das?

van der Velden: Das Interessante ist ja, dass es beides gibt. Also es gibt sowohl, gerade aus den letzten zehn Jahren, eine durchaus positive, hoffnungsvolle Entwicklung, die dazu geführt hat, dass die koptische Kirche heute 2011 in wesentlich selbstverständlicherem Maße in der ägyptischen Gesellschaft präsent ist, also auch in der öffentlichen Kulturszene. Das koptische Weihnachtsfest ist hier Staatsfeiertag. Wie Sie gesagt haben, haben auch die obersten religiösen und politischen Führer regelmäßig an Messen von den Hochfesten teilgenommen. Da lassen sich sehr viele hoffnungsvolle Ansätze zeigen.

Auf der anderen Seite gibt es aber offensichtlich auch wesentlich stark anwachsende Probleme. Und ich denke, es wird in der nächsten Zeit sehr stark darauf ankommen, inwieweit die ägyptische Gesellschaft diese Probleme, die nun extern sichtbar geworden sind in dem Attentat am Neujahrstag, angeht. Also inwieweit es jetzt nicht nur bei den wichtigen Beileidsbekundigungen, die kommen, und Solidaritätsadressen, die sehr wichtig sind, bleibt, sondern eben, wie weit das mittelfristig und langfristig ein, ich sage mal, offenes Thema in der ägyptischen Gesellschaft wird.

Führer: Und welche Probleme sind das?

van der Velden: Nun, Probleme liegen einfach darin, dass es offensichtlich einen anwachsenden radikalen Flügel in der politischen, islamischen Bewegung gibt, den sogenannten salafidischen Flügel, die sich in den letzten Wochen und Monaten gezielt auf die Christen des Orients einschießen: erst mal in politischer Rhetorik und theologischer Argumentation, aber dann im Extremfall im ganz radikalen Flügel dann eben auch gewalttätig. Und das ist in dem Sinne ein Phänomen, was es bis vor zwei oder drei Jahren in dieser radikalen Form nicht gegeben hat.

Wir haben ja seit längerer Zeit mit immer wieder auftauchenden Ausschreitungen gegen Christen zu tun, aber bisher hat sich das in einem Segment bewegt, wo man es entweder als eine Art Vendetta auf dem Lande zwischen rivalisierenden Clans abgetan hat, oder vereinzelte Anschläge von üblich dann psychisch irregeleiteten Personen. Und diese gewohnte Schiene, in Anführungsstrichen, der Gewalt, die scheint nun eine Spirale weitergedreht worden zu sein, weil dieser letzte Anschlag ist ja eigentlich bar jeder internen wie auch externen Legitimation.

Es gab keine Vorfälle, wo man sagen könnte, da wurden aus Rache jetzt die Schuldigen, in Anführungsstrichen, bestraft, also verzeihen Sie dieses etwas problematische Vokabular, sondern dort wurden einfach Leute, die zur falschen Zeit am falschen Platz waren, summarisch durch ein Attentat auf einen christlichen Gottesdienst hingerafft. Und das ist natürlich etwas, was auch für uns in Ägypten etwas völlig Neues ist.

Führer: Die Lage der Kopten in Ägypten schildert in Deutschlandradio Kultur Frank van der Velden von der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde in Kairo. Herr van der Velden, manche vermuten ja, dass Extremisten und Terroristen diesen Konflikt extra schüren, zum Beispiel auch durch diesen Anschlag, um möglicherweise vielleicht gar nicht so sehr die Christen, die christlichen Kopten zu treffen, sondern überhaupt Ägypten zu destabilisieren, also quasi einen Bürgerkrieg entlang der Konfessionen zu entfachen.

van der Velden: Da kann durchaus etwas dran sein, ja. Sie müssen ja sehen, dass wir in einer gesellschaftlich sehr empfindlichen Lage sind. Wir haben im Herbst dieses Jahres Präsidentschaftswahlen, wo es auch darum gehen wird, wie die Nachfolge von Präsident Mubarak sich gestalten kann. Das ist eine sehr empfindliche Situation für ein Land, wo es, ich sage es immer so plakativ, nicht nur schwierig ist, Kopte zu sein, sondern es ist insgesamt schwierig, Ägypter zu sein in vielen gesellschaftlichen Bereichen.

Wir haben eine wirtschaftlich äußerst komplexe Situation, die viele Familien ans Existenzminimum treibt, und wir haben das Problem, dass die Bildung, die Leute sich erwerben durch Schulabschlüsse oder auch durch akademische Abschlüsse, ihr Versprechen nicht mehr einlöst, zu einer gesellschaftlichen Teilhabe zu führen. Das heißt, wir haben einfachste Tätigkeiten in der Gesellschaft, die mittlerweile von Leuten durchgeführt werden, die also Hochschulabschlüsse haben. Und das ist natürlich ein sehr, sehr großes Problem.

Insgesamt ist es schwierig für alle Ägypter, in dieser Situation zu bestehen, und wir kennen das ja aus vielen Konflikten der Region in den letzten 10, 20 Jahren, wie extrem delikat eine Gesellschaft darauf reagieren kann, wenn in einer solchen Situation der Unsicherheit und des möglichen Umschwunges ein gewalttätiger Hebel im Zusammenleben der Religionen angesetzt wird. Das ist sicherlich politisches Kalkül der Leute, die dieses Attentat zu verantworten haben, auf diesem Punkt ganz gezielt die ägyptische Gesellschaft zu destabilisieren.

Führer: Herr van der Velden, Sie haben gesagt, es ist schwierig, Ägypter zu sein, trotzdem ist es so, dass die Kopten immer beklagen, sie würden extra, also eigens diskriminiert. Wie sieht diese – sofern das stimmt –, wie sieht diese Diskriminierung aus? Ist das eine Diskriminierung in wirtschaftlicher Hinsicht – es gibt sehr erfolgreiche Kopten, Boutros-Ghali, der reichste Ägypter, ist Kopte, habe ich vorhin erwähnt – oder in politischer Hinsicht? Können Sie das ein bisschen schildern?

van der Velden: Also prinzipiell gehören Kopten in jedes Segment der ägyptischen Gesellschaft, sodass Sie halt sowohl unter den ärmeren Leuten als auch unter den reicheren Leuten, aber auch eben besonders in der gut gebildeten akademischen Schicht verstärkt auf Kopten treffen. Und diesen Status macht ihnen im Prinzip in Ägypten auch keiner streitig.

Aber es geht um die Frage der öffentlichen Partizipation, also inwieweit sind Kopten in der Lage, zum Beispiel durch eigene Lobbyarbeit auch politischen Einfluss zu gewinnen? Wie sieht es aus mit den neuralgischen Punkten des Kirchbaues, und, und, und? Dann natürlich der immer wieder von Kopten geäußerte Vorwurf, sie würden aufgrund ihrer Konfessionalität aus bestimmten Positionen herausgehalten oder würden zunehmend halt auf diesen Punkt halt kritisch angefragt, seitens der Restgesellschaft.

Nur ist das immer so eine schwierige Sache, pauschal zu beurteilen. Ich sage mal so, also wenn Sie in die Wetternachrichten gucken in Berlin, dann haben Sie, ich weiß nicht, heute wahrscheinlich nicht, aber doch häufiger mal das Phänomen, dass dort steht, gemessen 10 Grad, gefühlt 4 Grad. Diesen Unterschied in der, ich sage mal, gefühlten Betriebstemperatur einer Gesellschaft und dem, was wirklich an Daten realistisch abgreifbar ist, müssen Sie natürlich auch im Verhältnis zwischen Kopten und Muslimen in Ägypten einrechnen.

Es werden viele Klagepunkte von Kopten genannt, die ehrlich so gefühlt werden und wo auch durchaus eine Datenlage dahinter ist, die man nachvollziehen kann, aber häufig ist auch der persönliche Eindruck koptischer Mitbürger gegenüber der ägyptischen, insbesondere muslimischen Gesellschaft sehr, sehr stark negativ eingestellt.

Führer: Herzlichen Dank für diese Einschätzungen, Herr van der Velden! Das war Frank van der Velden von der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde in Kairo. Schönen Tag noch!

van der Velden: Danke schön!

Links auf dradio.de:

Angst vor neuen Anschlägen - Polizeischutz für koptische Christen in Europa, Aktuell (Deutschlandradio)

Kopten fühlen sich im Stich gelassen - Ausschreitungen nach Anschlägen in Alexandria, Aktuell (Deutschlandradio)