Hinweis für Leser:
Carla Power: "If the Oceans Were Ink. An Unlikely Friendship and a Journey to the Heart of the Quran"
New York. Henry Holt and Company, 2015
Eintauchen ins Tintenmeer
Fast zwanzig Jahre hatte die Journalistin Carla Powers über islamische Länder geschrieben. Doch eines Tages stellte sie fest, dass sie vom Koran und der Auslegung heiliger Schriften im Islam kaum etwas wusste. Deswegen studierte sie den Koran und schrieb darüber ein Buch.
Koran, Sure 18, Vers 109
"Sag: Wenn das Meer Tinte für die Worte meines Herren wäre,
würde das Meer wahrlich zu Ende gehen,
bevor die Worte meines Herren zu Ende gingen,
auch wenn Wir als Nachschub noch einmal seinesgleichen hinzubrächten."
würde das Meer wahrlich zu Ende gehen,
bevor die Worte meines Herren zu Ende gingen,
auch wenn Wir als Nachschub noch einmal seinesgleichen hinzubrächten."
Der Titel von Carla Powers Buch stammt aus dem Koran. Vers 109 der 18. Sure beschreibt seine Unendlichkeit und Vielfalt. Eine Vielfalt, die in der westlichen Welt kaum wahrgenommen werde, sagt Carla Power.
"Wir halten uns alle immer für ungeheuer kosmopolitisch. Das heißt aber nur, dass wir in großen Städten leben, zum Inder gehen und Yoga-Kurse machen. Sich wirklich mal hinzusetzen und die Sichtweise eines radikal anderen Menschen zu verstehen, kommt selten vor ... Egal ob Sie es als Amerikaner mit Donald Trumps demagogischer Islamophobie zu tun haben oder in Europa mit der Migrationsdebatte – es ist sehr deutlich, dass die Allgemeinheit nur wenig über den Islam weiß, wie flexibel er ist, wie vielfältig er sein kann ..."
Einen Eindruck davon versucht Power in ihrem Buch zu vermitteln. Ein Jahr lang hat sie den Koran mit Sheikh Mohammed Akram Nadwi studiert. Eine denkbar ungewöhnliche Konstellation: Eine amerikanische Journalistin mit familiären Wurzeln im Judentum und der christlichen Quäker-Gemeinschaft und ein frommer islamischer Gelehrter.
"Mir ging es nicht darum, ein Buch zu schreiben, das den Koran von A bis Z durchinterpretiert. Wichtiger war mir zu zeigen, welche Rolle die Heilige Schrift im Leben des Sheikhs spielt, wie sie sein Leben und Denken beeinflusst."
Rolle der Frau im Islam
Akram Nadwi ist in der islamischen Welt ein anerkannter Intellektueller. Er lebt seit Jahrzehnten mit seiner Frau und seinen Kindern in England und unterrichtet am Cambridge Islam College. Als Feministin und Mutter interessiert sich Power besonders für die Rolle der Frau im Islam. Sheikh Akram berichtet ihr von seinen Forschungen über weibliche Religions-Gelehrte zu Zeiten Mohammeds und spricht ganz unbefangen über Themen, die im christlichen Kontext mit Tabus und Scham besetzt sind:
"Seine Standpunkte haben mich immer wieder überrascht. Ich nahm an Vorlesungen von ihm teil, in denen er über Sexualität und Glauben sprach und die mich wirklich erröten ließen. Ich wusste gar nicht, wo ich hinschauen sollte, wenn er da so in einem Raum voller Frauen im Hijab stand und sehr klug über feuchte Träume, Geschlechtsverkehr oder andere ziemlich freizügige Themen redete."
Aber auch über politische brisante Punkte wie Dschihad, Scharia oder das islamische Staatsverständnis diskutiert Power mit ihm.
"Er sagt: Wir haben ja einen islamischen Staat: Pakistan. Und wie wirkt sich das für uns aus? Jeder in Pakistan möchte in den Westen ziehen. Er sagt: Man kann Frömmigkeit nicht von außen und von oben aufzwingen. Man muss die Menschen dazu erziehen, ihre eigenen Ideen darüber zu entwickeln, wie sie ihr religiöses Leben leben wollen."
Gewissheiten ins Wanken gekommen
Schließlich begleitet Power Sheikh Akram auch in seine Heimat im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh, dorthin wo er einst in einer Madrasa – einer Koranschule – ausgebildet wurde und wo er selbst zwei solche Schulen gegründet hat, eine für Jungen, eine für Mädchen. Die Reise in eine völlig nach Geschlechtern getrennte Gesellschaft hat Power tief beeindruckt. Ihre westlichen Gewissheiten sind durch die Begegnung mit der tiefen Frömmigkeit Sheikh Akrams und seiner Umgebung ins Wanken gekommen.
"Dieses Buch zu schreiben gehört zweifellos zu den intensivsten Erfahrungen meines Lebens. Es hat meine eigene Kultur und meinen säkularen Blick auf die Welt infrage gestellt. Zeit mit Menschen zu verbringen, deren Leben gänzlich auf Gott ausgerichtet ist, hat mich zum Nachdenken über unseren Individualismus und meine Lebensentscheidungen gebracht."
"If the Oceans Were Ink" ist für Carla Power ihr persönlicher Bildungsroman. In den USA stand das Buch vor kurzem auf der Shortlist für den renommierten National Book Award. Hoffentlich findet sich bald auch ein deutscher Verlag dafür. Eloquent geschrieben, differenziert und selbstkritisch würde es auch hierzulande die Auseinandersetzung mit dem Islam bereichern.