Kornblum: "Es gibt keine Entscheidungskultur in der EU"

John Kornblum im Gespräch mit Nana Brink |
Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland, John Kornblum, attestiert der Europäischen Union in der Euro-Krise fehlende Entscheidungskultur und unzureichende politische Strukturen. Kornblum sagte, es habe seit einem Jahr "ein gewisses Zaudern" gegeben. Die Lehre für Europa sei genau wie vor drei Jahren für die USA, "dass man nicht mehr alleine auf einer Insel lebt".
Nana Brink: Morgen nun soll es auf dem Euro-Gipfel endgültige Beschlüsse zur künftigen Arbeitsweise des Euro-Rettungsschirms geben. Soll! Wie dünnhäutig mittlerweile die Politiker in Europa sind, kann man an den Äußerungen des französischen Präsidenten Sarkozy sehen, der Englands Premier Cameron öffentlich anschnauzte: Sie haben eine gute Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten! Wir haben es satt, dass Sie uns ständig kritisieren und sagen, was wir tun sollen! – Bekanntermaßen verweigert sich Großbritannien hartnäckig dem Euro. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die gesamte Welt morgen Abend nach Brüssel blickt. Selbst die Chinesen geben sich besorgt und US-Präsident Obama kannte kein Pardon, als er kürzlich den Europäern öffentlich vorwarf, sie bekämen ihre Probleme nach dem Ausbruch der Krise nicht in den Griff. Am Telefon ist jetzt der ehemalige US-Botschafter in Deutschland John Kornblum. Einen schönen guten Morgen, Herr Kornblum!

John Kornblum: Guten Morgen!

Brink: Was ärgert die USA besonders?

Kornblum: Ich glaube nicht, dass man verärgert ist, sondern man ist beunruhigt. Und die Frage ist nicht, ob der Euro richtig ist oder sogar stark ist, die Frage ist auch nicht, welche Lösungen man suchen soll, sondern es hat seit einem Jahr, wollen wir es höflich sagen, ein gewisses Zaudern gegeben. Das heißt, die Lösungen, die wurden schon im März 2010 ziemlich klar dargestellt. Das Problem, das wir jetzt erleben, ist das Problem, das die EU seit Jahren mit sich selber erlebt hat, und das ist das: Es gibt keine Entscheidungskultur in der EU. Es gibt eine Diskutierkultur, es gibt eine Veräußerungskultur, aber es gibt keine Entscheidungskultur. Und leider haben wir das in den letzten Monaten ziemlich klar gesehen.

Brink: Also haben wir in Ihren Augen eine Führungskrise der Europäischen Union?

Kornblum: Führung, ich glaube nicht. Ich glaube, man hat eine, wollen wir sagen, eine politische Strukturkrise. Das ist, die Strukturen und die Handlungsweise, wollen wir es so sagen, die sich über die letzten 30 oder 40 oder mehr Jahren aufgebaut haben, waren gut, um die Reste des Zweiten Weltkrieges wegzuräumen und eine Basis zu bauen, sind aber sehr selten gut, wenn man sehr schnell handeln muss. Wir hatten schon vor 20 Jahren das Beispiel des Krieges auf dem Balkan. Genau da ist Europa genauso gescheitert.

Brink: Würden Sie daran festhalten, was Sie im Juni gesagt haben: Die Europäische Union besitzt kein strategisches Denken?

Kornblum: Ja, das ist ein sehr großes Problem. Und ich bin sicher, dass diese Euro-Krise irgendwie gemeistert werden wird, und nachdem sie vorbei ist, muss man genau überlegen, wie man die EU jetzt rüstet, um etwas klarer, strategischer und schneller zu denken.

Brink: Werden wir ein bisschen konkreter: Es zeichnet sich ja jetzt ein Schuldenschnitt Griechenlands ab auf dem Gipfel morgen. Findet das in den Augen der USA dann Gnade?

Kornblum: Ja, bestimmt. Aber wie gesagt, es ist die Frage, wie man das organisiert. Sie dürfen nicht vergessen, die Vereinigten Staaten hatten Ende 2008 ein sehr ähnliches Problem und da haben wir ja sehr schnell geschaltet, alle Banken sozusagen verstaatlicht, sinngemäß verstaatlicht, ihnen eine Kapitalspritze gegeben, um sicher zu sein, dass sie auch eine ähnliche Lage überleben können. Das hat sehr gut geklappt und alle Banken haben jetzt das Geld zurückbezahlt und es geht uns nicht besonders gut, aber ...

Brink: ... ich wollte gerade sagen, es hat aber Ihre Probleme nicht gelöst, sondern im Gegenteil, die wirtschaftlichen Probleme haben sich verschärft.

Kornblum: Nein, überhaupt nicht. Es hat das Hauptproblem damals gelöst und das war der Kollaps des Finanzsystems. Man muss immer noch – und das ist genau sinngemäß, womit Europa leben muss –, man muss leben sozusagen mit dem, um es etwas salopp zu sagen, mit dem Kater der verschiedenen Anleihen und verschiedenen, in diesem Fall, Hypotheken, die gemacht worden sind. Europa wird auch genau mit diesem selben Problem leben, aber wir haben mindestens sozusagen das Bluten gestoppt und das war damals das Wichtigste.

Brink: Zumindest hat ja Bundeskanzlerin Merkel Präsident Obama, ja, sagen wir, seine Kritik abgesprochen: Ich halte das nicht für in Ordnung, hat sie ihm geantwortet, als er Europa zum schnellen Handeln aufgefordert hat, und eingeführt, dass ja sozusagen die Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer große Finanzplätze wie London und Washington ablehnen.

Kornblum: Das sind Details, wo ich nicht kommentieren werde. Aber ich glaube, Präsident Obama ist nicht der Einzige, der meint, dass Europa eigentlich seine Verantwortung hier nicht richtig erfüllt hat. Man hätte ja viel schneller dieses Problem direkt ansprechen müssen und dann auch entsprechende Maßnahmen ergreifen müssen.

Brink: Was bedeutet denn diese zögerliche Entscheidung aus Ihrer Sicht der Europäer für die USA?

Kornblum: Wir leben in einem Kreislauf, das haben alle noch nicht vielleicht erkannt. Aber wir leben in einem Kreis, es gibt ein Weltfinanzsystem und Sie sehen: Es sind nicht nur die USA, die kritisieren, nur auf dem neulichen G-20-Treffen hat mehr oder weniger die ganze Welt Europa kritisiert. Es ist nicht mehr möglich, dass ein Teil der Welt seine Geschäfte macht, wie er will, und die anderen warten, bis sie das fertig haben. Das war natürlich die Lehre für die Vereinigten Staaten von der Finanzkrise vor drei Jahren, und das ist die Lehre jetzt für Europa, dass man nicht mehr alleine auf einer Insel lebt.

Brink: Also können Sie sagen, dass die Amerikaner den Europäern noch etwas raten können? Und wenn ja, was wäre dies?

Kornblum: Na, sie haben schon Ideen gegeben und es handelt sich meistens um eine andere Rolle der Europäischen Zentralbank. Das ist aber für viele Europäer, auch für Deutsche schwierig, weil es sozusagen gegen den ursprünglichen Zweck und Verträge, auf denen die Bank gebaut worden ist, das heißt, die Bank soll keine Rolle in Wirtschaftspolitik haben, sondern nur ...

Brink: ... sie soll keine politische Rolle spielen ...

Kornblum: ... ja, keine, keine, soll nur ein Stabilisator sein. Das mag sein, aber die Vereinigten Staaten haben nur eine Idee gegeben, wie man die Sache vielleicht lösen könnte.

Brink: Noch ein konkretes Beispiel dazu. In der Diskussion um die Euro-Krise geht es ja auch immer wieder um die Rolle der Banken, Sie haben es selbst angesprochen. Es gibt da ja auch große transatlantische Differenzen, siehe globale Finanzmarkttransaktionssteuer. Diskutiert wird aber auch eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken. Sie waren ja lange Zeit Investmentbanker, was halten Sie davon?

Kornblum: Die Vereinigten Staaten haben dieses System gehabt bis, ich glaube, Anfang der 90er-Jahre. Diese Regelung war eigentlich ein Ergebnis von der letzten großen Wirtschaftsdepression in den 30er-Jahren. Man hat gut damit gelebt, nur, man hat entdeckt nachher – deshalb ist die Bestimmung auch geändert worden –, dass es das Finanzsystem im Allgemeinen sehr eingeengt hat. Ich bin kein Experte dieser Sachen, aber ich würde sagen, wir leben jetzt in einer ganz anderen Welt. Die Finanzmärkte, wie wir eben gesagt haben, sind vernetzt, der Unterschied zwischen Geld, das man im Investmentbanking verdient, und Geld, das man im Kreditgeschäft verdient, verwischt immer. Und ich persönlich meine, dass es wahrscheinlich sehr schwierig sein würde. Dieser Vorschlag ist auch jetzt wieder in den Vereinigten Staaten gemacht worden. Da ist man zu dem Schluss gekommen, dass es praktisch nicht machbar sein würde.

Brink: Der ehemalige US-Botschafter in Deutschland John Kornblum, herzlichen Dank, Herr Kornblum, für das Gespräch!

Kornblum: Ich bedanke mich!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.