Kornblum: US-Krise ist Folge gesellschaftlichen Wandels

John Kornblum im Gespräch mit Ute Welty |
Der ehemalige Diplomat John Kornblum glaubt, dass die USA einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel durchmachen - weg von der Industriekultur. Auch die Außenpolitik des Landes werde sich ändern, weil Kriege wie in Afghanistan oder im Irak nicht mehr zu bezahlen seien.
Ute Welty: In der Auseinandersetzung über die amerikanische Schuldenkrise haben wir Politiker kennengelernt, von denen die meisten von uns bis dato noch nicht einmal wussten, dass es sie gibt. John Boehner zum Beispiel, den republikanischen Sprecher des Repräsentantenhauses, oder Harry Reid, Fraktionsvorsitzender der Demokraten im Senat. Und auch wenn sich jetzt eine Lösung des aktuellen Streits mehr als abzeichnet – die Auseinandersetzung gibt einen tiefen Einblick in die amerikanische Politik. Das weiß auch John Kornblum, heute Investmentbanker und ehemals amerikanischer Botschafter in Deutschland. Guten Morgen!

John Kornblum: Guten Morgen!

Welty: Wie oft sind Sie angesprochen worden in den vergangenen Tagen auf diesen Schuldenstreit und wie haben Sie sich dabei gefühlt als Amerikaner in Berlin?

Kornblum: Oh, na ja, ich bin mehrmals angesprochen worden und ich habe mich angesprochen gefühlt. Ich habe immer versucht zu erklären, was los ist.

Welty: Hatten Sie den Eindruck, Sie werden in Haft genommen für eine Art der politischen Auseinandersetzung, die Sie nicht verantworten müssen? – Auch wenn jetzt ein Kompromiss gefunden worden ist und wohl auch von allen getragen wird!

Kornblum: Nein. Erstens, ich fühle mich auch verantwortlich. Wenn man Teil einer Nation ist, muss man da auch für die Eigenschaften stehen. Was ich versuche zu tun, ist, das zu erklären als einen politischen Prozess und nicht zum Beispiel als einen Bankrott der Nation, was es wirklich nicht gibt. In Deutschland fokussiert man sehr schnell auf das Geld und diese Frage handelt sich kaum um Geld. Es handelt sich mehr um eine sehr tiefgreifende gesellschaftliche Entwicklung.

Welty: Worin besteht diese tiefgreifende gesellschaftliche Entwicklung?

Kornblum: Ja, das Land hat sich über die letzten 20 oder sogar 30 Jahre grundsätzlich geändert. Die alte Industriekultur, die wir hatten, die Deutschland teilweise immer noch hat, ist nicht verschwunden, aber viel weniger geworden. Und dadurch sind auch die Lebensgegebenheiten von vielen, vielen Menschen anders geworden. Und jede Gesellschaft reagiert auf Wandel mit einer Mischung von Hoffnung und Ablehnung, und im Moment ist die Ablehnung bei uns sehr stark.

Welty: 74 mal ist die Schuldengrenze angehoben worden, nur 1995 und jetzt 2011 gab es Probleme, jeweils unter einem demokratischen Präsidenten. Ist das ein Zeichen von Führungsschwäche, von damals Clinton und jetzt Obama?

Kornblum: Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, es ist ein Zeichen, dass die gesellschaftlichen Gegebenheiten wirklich sich geändert haben und dass es eine Menge Leute gibt, die das Gefühl haben, dass sie irgendwie verloren haben. Das ist wieder eine Eigenschaft von Zeiten von großem Wandel, es gibt leider immer Verlierer in einem Wandel. Und wenn die Politik diese Verlierer nicht gut eingemeindet sozusagen, dann gibt es auch Unsicherheiten. Und das ist, was es gibt. Es ist nicht ein Zeichen von Schwäche vom Präsidenten, sondern das ganze politische System hat es nicht geschafft, den Wandel der Bevölkerung auch klarzumachen und auch die Bevölkerung da mitzunehmen.

Welty: Das ist aber ein ziemliches Armutszeugnis, was Sie da ausstellen.

Kornblum: Nein, ich glaube, das ist fast normal in der Geschichte. Wir können ja viele andere Beispiele nennen. Wandel ist immer ein sehr schwieriger Prozess und es ist nur sehr selten, dass die Politik es vollbringt, das ohne Reibungen durchzubringen.

Welty: Aber es ist doch eigentlich Aufgabe der politischen Klasse, eine Nation durch den politischen Wandel hindurchzuführen?

Kornblum: Ja, natürlich, aber das bedeutet nicht, dass es immer klappt. Wandel ist ein sehr, sehr schwieriger und auch teilweise ein sehr teilender Prozess, wo die Gewinner glücklich sind und die Verlierer nicht glücklich sind, und es gibt manchmal Reibungen. Und ich meine, Europa befindet sich gerade mitten in diesem Prozess und Sie sehen auch, wie viele Reibungen es hier gibt.

Welty: Wenn wir noch mal auf die Eckpunkte schauen, die bisher bekannt sind, dann entfällt rund ein Drittel der ersten Kürzungen auf den Rüstungshaushalt, nämlich 350 Milliarden Dollar. Glauben Sie, da ist das letzte Wort schon gesprochen?

Kornblum: Nein, aber man darf nicht vergessen: Ein Grund, warum sehr viel auf Rüstungshaushalt fällt, ist, dass zwei sehr, sehr teure Kriege wahrscheinlich zu Ende kommen. Und die Ersparnisse, die dadurch kommen, dass wir einfach da nicht mehr engagiert sind, sind sehr, sehr groß. Aber es gibt eine Tendenz, und das ist eine Tendenz, die man in Europa auch merken muss: Es gibt eine Tendenz in Amerika, sich auch aus dem Ausland raus… - zurückzubringen, und es wird nicht nur der Rüstungshaushalt, sondern auch die Außenpolitik geändert werden, wird nicht mehr so aktiv sein. Und das wird im Endeffekt, meine ich mindestens als ehemaliger Diplomat, nicht gut sein.

Welty: Ja, was bedeutet das denn zum Beispiel für die Lage in Afghanistan oder auch im Irak, wo sich die Sicherheitssituation eher verschlechtert denn verbessert, das jedenfalls sagt der Bericht des Sondergeneralinspekteurs für den Wiederaufbau, gerade für die letzten drei Monate?

Kornblum: Die Vereinigten Staaten … Im Iran gibt es die NATO und in Irak, die Vereinigten Staaten werden da bleiben, aber es wird eine viel kleinere Präsenz sein. Und man kann nur hoffen, dass die Fundamente für eine längerfristige Stabilität gelegt worden sind. Der Punkt ist aber, dass weder die Vereinigten Staaten, noch die NATO bereit sind oder sogar in der Lage sind, ein langfristiges Engagement aufrecht zu erhalten, wie es das im Moment gibt.

Welty: Glauben Sie, dass diese Kürzungen, diese Einsparungen Obama die Präsidentschaft kosten?

Kornblum: Er meint genau das Gegenteil …

Welty: … na ja, ich habe Sie nach Ihrer Meinung gefragt!

Kornblum: Nein, meine Meinung ist … Ich weiß es nicht. Er meint – und das ist ein Teil dieses Prozesses –, er meint, dass, indem er sich in die Mitte des Prozesses gesetzt hat und gesagt hat, es soll Kürzungen geben, aber nicht so drastisch wie sagen wir von der Tea Party, dass er eigentlich die Stimmung im Lande gefangen hat und dass es ihm zu einer Wiederwahl verhelfen wird. Im Moment kann man nichts sagen, ich persönlich meine, er wird wieder gewählt. Aber es wird noch sehr viele Ereignisse geben und sehr viele Debatten geben bis November 2012 und im Moment ist es, meine ich mindestens, sehr schwer zu sagen.

Welty: Der frühere US-Botschafter John Kornblum in Deutschlandradio Kultur, ich danke fürs Gespräch und einen guten Tag noch!

Kornblum: Ja, ich bedanke mich, danke!


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