"Alltag anders" – wenn Sie einen Themenvorschlag haben, dann schicken Sie ihn gerne an diese E-Mail-Adresse: alltag.anders@deutschlandfunkkultur.de
Corona – Gemeinschaftsgefühl und Spaltung
03:46 Minuten
In Prag denken die Älteren an die Krisentage von 1968. Es gibt ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Viele Mexikaner fühlen sich alleingelassen und die Franzosen stehen hinter ihrem Präsidenten.
Peter Lange in Prag:
"Ältere Menschen in Tschechien fühlen sich an die Stimmung von 1968 erinnert, an diese Krisentage nach der Okkupation durch die Warschauer Pakt Staaten. Es gibt ein großes Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Solidarität. Sonst sind die Tschechen ja gerne Individualisten, die machen ihr Ding, gehen in die Kneipe und schimpfen auf die Regierung. Das ist jetzt alles ein wenig anders. Hier in Prag erlebe ich die Leute sehr ruhig, sehr besonnen und mit einer wirklich bewundernswerten Haltung. Die Tochter eines Kollegen, die hier in Prag im Januar als Erasmusstudentin angefangen hat, die hat sich nach einem Moment der Unsicherheit entschieden, hier in Prag zu bleiben. Zum Einen, weil sie ihr Studium an der Karlsuniversität per e-Lerning fortsetzen kann, zum Anderen weil sie den selben Eindruck hat wie ich, dass sie in Prag derzeit besser aufgehoben ist als in Deutschland."
Jürgen König in Paris:
"In Frankreich haben die Coronakrise und die daraus auch entstandene Solidarität, das hat schon zu einem neuen Gemeinschaftsgefühl geführt. Das fing schon damit an, dass insgesamt über 35 Millionen Franzosen die entscheidende Rede des Präsidenten Macron im Fernsehen sahen, also, die Rede, in der er den Franzosen ins Gewissen redete, den Ausnahmezustand verhängte. Für diese Rede bekam er so gut wie ausschließlich Lob. Das hatte schon etwas von: In der Not versammeln wir uns alle hinter dem Präsidenten. Macrons Beliebtheitswerte stiegen praktisch über Nacht von 35 auf 51 Prozent. So viel Franzosen erklärten, ihrem Präsidenten rückhaltlos zu Vertrauen. Diese abendlichen Treffen auf den Balkonen der Wohnhäuser, die gegenseitige Nachbarschaftshilfe, all das hat in Frankreich zu einer großen Solidaritätswelle geführt und auch, ich glaube, das kann man jetzt schon sagen, zu einem beeindruckenden Gemeinschaftsgefühl. Aber es wurde auch viel Trennendes dabei sichtbar. In Paris sieht man zum Beispiel jetzt sehr genau, wie viel Wohnungen nicht dauerhaft bewohnt werden, denn wer irgendwie konnte, wer es sich leisten konnte, hat sofort nach der Ankündigung der Ausgangssperre noch schnell die Stadt verlassen."
Anne-Katrin Mellmann in Mexiko:
"Entwickelt sich ein neues Gemeinschaftsgefühl? Das hoffe ich sehr! Mexiko wird in dieser Krise auf jeden Fall umdenken müssen, denn es kann nicht sein, dass zwei Drittel der Bevölkerung informell arbeiten, also, keinerlei Vertrag oder Absicherung haben. Diese Menschen sitzen jetzt zu Hause ohne Einkommen, ohne Sparguthaben, und wer wird sich um sie kümmern? Das ist völlig unklar. Sogar eine der großen Fluggesellschaften hat ihr Reinigungspersonal nach Hause geschickt ohne jeglichen Lohnausgleich. Also, so wird es hier in Mexiko nicht weiter gehen können."
Björn Blaschke in Kairo:
"Ich weiß nicht, ob es überhaupt so was in Ägypten wie Solidarisierung durch Corona gibt. Also, wenn man in ärmeren Stadteilen unterwegs ist, dann ist es so, dass u 19.00 Uhr die normalen Geschäfte schließen, die Polizei herum geht und die Leute sozusagen auseinander treibt. Aber es ist nicht so, dass man da jetzt ein großartiges Gemeinschaftsgefühl deshalb ausmachen könnte, sondern, ich habe eher so das Gefühl, dass es zu so einer Art Spaltung kommt, in eine Spaltung zwischen denen, die das Problem verstehen und nachvollziehen können und denen, die sagen, ich bin jetzt in meinem normalen Alltag irgendwie gestört."