"Es ist schwierig, die Menschen zu Interviews zu bekommen"
12:03 Minuten
Vor den Parlamentswahlen im Iran ist die Situation verhältnismäßig ruhig, berichtet Karin Senz. Die Korrespondentin erlebt die Menschen in Teheran als kommunikativ und diskussionsfreudig – allerdings meist nur, bis sie ihr Mikrofon auspackt.
Isabella Kolar: Ich begrüße im ARD-Studio Teheran unsere Korrespondentin Karin Senz. Eine deutsche Korrespondentin in Teheran, das ist keine Selbstverständlichkeit in diesen Tagen, denn es ist schon wieder über zwei Jahre her, dass ein ARD-Hörfunk-Kollege ein Visum bekommen hat. Also Tauwetter im Iran, Frau Senz?
Karin Senz: Schwer zu sagen. Erst mal muss ich sagen, dass ich einfach unglaublich glücklich bin, dass ich hier bin. Ich habe wirklich gekämpft wie ein Löwe, und inzwischen ist es so, dass ich von fünf deutschen Journalisten, Korrespondenten weiß, dass sie ein Visum bekommen haben, eben gerade jetzt für die Parlamentswahlen. Allerdings, eigentlich geht mein Visum bis Ende Februar, ich könnte theoretisch bis 27. hier im Land bleiben, insgesamt zwei Wochen.
Aber Fakt ist auch, dass meine Pressekarte – das ist die Arbeitserlaubnis – hier im Land nur bis nächsten Samstag ausgestellt ist und mir jetzt gesagt wurde, am Samstag muss ich das Land wieder verlassen. Das hätte eins der Ministerien, also die Regierung, so verfügt.
"Eine unglaublich beeindruckende Kulisse"
Kolar: Also Tauwetter mit Ablaufdatum sozusagen. Sie sind jetzt schon einige Tage vor Ort. Wie erleben Sie den Alltag in Teheran?
Senz: Ich würde ganz gerne vor allem erzählen, wie ich die Stadt gerade erlebe. Wir haben Winter in Teheran, es hat geschneit neulich, und Teheran hat ja so um die 13 Millionen Einwohner, und es liegt sehr hoch, auf 1000 Metern. Das ist der tiefste Punkt hier in der Stadt. Der höchste liegt bei 1700 Metern. Das ist übrigens auch, wo unser Büro ist.
Wir können direkt hier auf die Berge gucken, auf die verschneiten Berge, die teilweise bis zu 4000 Meter hoch sind. Also wenn wir das mit unseren deutschen Alpen vergleichen, geht es hier noch mal wirklich stärker rauf. Man sieht sogar von manchen Stellen in der Stadt den Vulkan, den höchsten Berg des Iran, der ist 5600 Meter hoch.
Es ist einfach eine unglaublich beeindruckende Kulisse. Wir haben im Moment sehr klare Luft. Das ist für Teheran recht ungewöhnlich. Normalerweise herrscht wirklich schlechte Luft. Die Sonne scheint, und ich habe das Gefühl, das hellt auch ein ganz klein wenig die Stimmung in der Stadt auf, denn die ist normalerweise nicht nur wegen der schlechten Luft, sondern auch wegen der wirtschaftlichen Lage nicht so gut.
Trotzdem haben die Leute wirklich ein großes Mitteilungsbedürfnis, wenn es um ihre wirtschaftliche Situation geht. Ich habe mit dem Taxifahrer beispielsweise gesprochen, der hat drei Kinder, zwei Jungs, eine Tochter. Die Tochter würde gerne heiraten, aber er kann es sich praktisch nicht leisten, er kann ihre Mitgift nicht bezahlen, und jetzt überlegt er, ob er die Wohnung verkauft, in der sie alle wohnen, damit er die Mitgift für die Kinder hat.
Man sieht, an welch simplen Dingen der Alltag schon wirklich unglaublich schwierig wird. Ein anderer hat erzählt, er hat zwei Kinder, die haben beide studiert, die finden keinen Job, die würden sogar für 200 Euro im Monat arbeiten.
Also, wenn man ein abgeschlossenes Studium hat, ist das auch hier nicht viel, aber sie haben einfach überhaupt keine Aussicht auf einen Job, und deswegen würden sie praktisch jeden Job im Moment annehmen.
Muntere Diskussionen – bis das Mikrofon ausgepackt wird
Kolar: Das klingt jetzt so, als ob Sie sich relativ frei durch die Stadt bewegen können, Aufnahmen machen können und als ob die Menschen sich Ihnen gegenüber auch sehr freimütig äußern können ohne Angst. Ist das so?
Senz: Es ist nicht so leicht, sobald man das Mikrofon auspackt. Also wir waren gerade eben auf einem Basar hier im Stadtviertel und haben versucht, die Leute auch noch mal nach ihren Perspektiven auf die Parlamentswahlen zu fragen, und die haben auch munter mit uns diskutiert.
Da war eine Frau, die hat auch Zettel verteilt für einen Kandidaten. Dann kam ein anderer und hat ihr vorgeworfen, du wirst doch bezahlt, um für den hier zu verteilen. Sagt sie, nein, sie finde den so super, und der war ihr so sympathisch, sie macht das ohne Geld. Dann kam der nächste und sagt, ah, die Wahlen sind eh ganz schrecklich. Da ist sofort eine Diskussion entbrannt.
Aber wenn ich das Mikrofon an der Stelle ausgepackt hätte, wäre sie vorbei gewesen und alle wären ihrer Wege gegangen. Also, es ist ganz schwierig, die Menschen zu Interviews zu bekommen. An sich erzählen sie aber gerne, klagen ihr Leid, schimpfen auf die Wahlen.
Die anderen sagen, ich gehe wählen, das ist mir wichtig, ich stehe auch hinter den Leuten, aber, wie gesagt, auch diejenigen, die wählen gehen, die werden auch angegriffen, und die sich da engagieren für die Wahlen. Nicht nur die, die nicht wählen gehen, sind sozusagen einem gewissen Druck ausgesetzt.
Kolar: Und werden Sie bei diesen Rechercheerkundungen – so nenne ich das jetzt mal – begleitet oder gar überwacht?
Senz: Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Also man hat immer das Gefühl, man ist nicht so ganz alleine. Die Frage ist jetzt, ist man selber paranoid oder ist es tatsächlich so. Ich habe keinen gesehen, der sozusagen ständig als mein Schatten unterwegs ist, aber ich will es auch nicht ausschließen, dass es sowas gibt.
"Leider ist meine Frage nicht genommen worden"
Kolar: Sie konnten ja auch bei einer Pressekonferenz von Präsident Rohani dabei sein. Wie war das denn?
Senz: Also, es war erst mal so, dass die Pressekonferenz nachmittags um vier beginnen sollte, wir mussten aber schon zwei Stunden vorher da sein wegen des Sicherheitschecks. Wir mussten unsere Taschen alle abgeben, wir durften gerade mal noch einen Block mit reinnehmen, auch Handys mussten wir abgeben, unser Aufnahmegerät wurde erst mal kontrolliert, das mussten wir auch abgeben. Wir wussten auch nicht, was mit dem Aufnahmegerät passiert, konnten es dann später wieder abholen.
Dann war es so, dass man Fragen einreichen konnte, die man Rohani bei dieser Pressekonferenz stellen möchte. Das hat man an so einem Computer gemacht, die hat man da dann eingegeben. Drinnen war es dann so, dass also wir dann irgendwann in diesen Saal reingelassen wurden, und da hat noch einer die iranische Fahne schön drapiert und gefaltet, wie das eben sich so gehört.
Dann kam Rohani rein, hat eine weiße Kopfbedeckung gehabt, er hat sich hingesetzt auf einem Podium oben. Wir waren etwa 200 Journalisten, davon angeblich – so hat man uns gesagt – 100 internationale Journalisten. Ganz interessant war, als wir diese Fragen stellen konnten, man wurde praktisch ausgesucht. Also man hat diese Fragen eingereicht, aber nicht jeder kam dann auch tatsächlich dran.
Wir saßen da also alle auf unseren Stühlen, und immer wieder kam einer an den Rand der Stuhlreihen und hat dann gesagt, der und der soll bitte rauskommen. Die wussten also sehr genau, bei 200 Leuten, wer wer ist. Leider ist meine Frage nicht genommen worden, ich bin nicht drangekommen, aber – doch sehr erstaunlich – zwei amerikanische Journalisten durften Rohani fragen.
Er hat sich Zeit genommen, hat die Fragen auch mehr oder weniger direkt beantwortet. Einer der amerikanischen Journalisten hat noch mal gefragt, wie viele Menschen denn tatsächlich bei den Unruhen im November umgekommen sind. Da ist Rohani ausgewichen, da hat er also nicht direkt geantwortet.
Es gibt ja, wie wir wissen, Schätzungen, dass es zwischen ein paar hundert bis über tausend Tote gegeben haben soll, als diese Demonstrationen blutig niedergeschlagen wurden.
Das Spiel der Frauen mit dem Kopftuch
Kolar: Das heißt, da wurden Leute ausgewählt, die Fragen stellen durften. Wie sieht es denn aus mit Ihnen, wie Sie behandelt werden in Teheran als deutlich erkennbare Westlerin, so Sie denn erkennbar sind und sich nicht irgendwie kleidungsmäßig jetzt anpassen?
Senz: Also bisher, muss ich sagen, habe ich keinerlei negative Erfahrung gemacht, überhaupt nicht. Selbst auf dieser Pressekonferenz war es so, dass mir das Kopftuch vom Kopf gerutscht ist, dann kam jemand und hat mir dann zu verstehen gegeben, aber wirklich sehr freundlich, dass ich es doch wieder hochsetzen soll.
Übrigens habe ich auch gelernt, dass es ein Spiel der Frauen ist, dass dieses Kopftuch eigentlich nie richtig sitzt. Wir arbeiten anscheinend immer damit, auch die Iranerinnen. Ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich eine negative Erfahrung hatte. Im Gegenteil, man ist sehr interessiert daran, wo man herkommt. Man sagt, aus Deutschland, aha. Dann wird vielleicht noch mal nachgefragt, was man denn hier macht, aber das ist Interesse, also es ist weniger sozusagen dieses Ausspionieren.
Ich habe ein großes Problem mit dem Geld, denn Fakt ist: Eine Million Rial – das ist die Währung hier – sind nur ein paar Euro. Es gibt aber Rial-Scheine von, ich glaube, 10.000 aufwärts. Die hatte ich jetzt in der Tasche. Das heißt also, mein Geld passt eigentlich in keinen Geldbeutel rein. Und wenn ich im Supermarkt stehe, ich kenne die Scheine noch nicht, dann ziehe ich immer erst mal so ein großes Bündel raus. Und dann hat man wirklich ganz geduldig gewartet, bis ich das gezählt habe, und irgendwann hat er auch mit der Hand so abgewunken, hat gesagt, nimm es einfach mit, das passt dann schon.
War mir sehr unangenehm. Ich bin am nächsten Tag reingegangen und habe das Geld vorbeigebracht.
Verhältnismäßig ruhige Lage
Kolar: Was Sie uns jetzt gerade geschildert haben, klingt ja nach einem sehr friedlichen Szenario. Wenn ich da an den Januar zurückdenke, da hatten wir hier auch im Westen tägliche Schlagzeilen aus Teheran und dem Iran über die Eskalation zwischen Teheran und Washington in der Folge der Ermordung des iranischen Generals Soleimani durch die USA und dem dann folgenden Abschuss einer ukrainischen Passagiermaschine durch Iran. Das heißt, die Schlagzeilen bei uns sind mittlerweile weniger geworden. Der Aufruhr bei Ihnen im Iran auch?
Senz: Es ist tatsächlich verhältnismäßig ruhig. Wir hatten vor ein paar Tagen mal wieder eine Art Veranstaltung, eine kleinere Demonstration an einer Universität hier in Teheran. Da ging es aber um eine Frauenrechtsaktivistin, die festgenommen wurde.
Im Januar war deutlich mehr los, da hatten wir diese Demonstrationen, ein paar wenige Tage lang mit ein paar hundert, möglicherweise auch ein paar tausend Teilnehmern. Das waren vor allem Intellektuelle. Das sieht so ein bisschen so aus, als würden die immer bis zu einem bestimmten Punkt gehen.
Also, im November war es ja so, da hatten wir diese sehr blutigen Demonstrationen. Das waren vor allem Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen – da gab es ja die Benzinpreiserhöhung – auf die Straßen gegangen sind. Da waren viele Menschen drunter, die ja, man muss sagen, fast nichts mehr zu verlieren hatten.
Bei den Demonstrationen jetzt durchaus, das sind schon welche, die was zu verlieren haben. Das sind Intellektuelle, das sind Leute aus der Mittelschicht, und offensichtlich überschreiten die im Moment eine bestimmte Grenze nicht. Wir haben im Moment Boykottaufrufe bei den Wahlen.
Also da gibt es noch mal eine Bewegung, beispielsweise zwölf Frauen haben aus dem Gefängnis heraus – also die sind inhaftiert – dazu aufgerufen, die Wahl zu boykottieren, aber es ist jetzt nicht so, dass es eine große Bewegung gibt, sondern mehrere kleine. Auch viele Leute, die das jetzt in den sozialen Medien posten und sagen, boykottiert diese Wahl, das gibt es schon.
Aber es ist schlicht und einfach gefährlich, im Iran auf die Straßen zu gehen. Deswegen überlegen sich viele das sehr genau. Andere haben schlicht und einfach im Moment auch nicht die Kraft dazu.
Kandidatenlisten statt Parteien
Kolar: Sie sind – Sie erwähnten es – vor allem nach Teheran gereist, weil morgen im Iran Parlamentswahlen stattfinden. Das, was Sie gerade geschildert haben, ist auch der Grund dafür, dass kein so rechtes Wahlfieber aufkommen will, das heißt, keine Plakate, keine Wahlveranstaltungen auf den Straßen. Die Leute bleiben lieber zu Hause?
Senz: Also, inzwischen gibt es tatsächlich Plakate, es gibt auch Flyer, aber man kann es jetzt nicht mit Deutschland vergleichen. Also da gibt es jetzt nicht an jeder Ecke einen Stand, wo man Gummibärchen bekommt und irgendwelche Wahlsprüche aus dem Lautsprecher kommen.
Beispielsweise in Moscheen gibt es Wahlveranstaltungen, wo Kandidaten kommen und für ihre Politik werben. Aber man muss auch wissen, es ist ja nicht so, dass wir im Iran Parteien haben, und man weiß also, wenn man jetzt den von den Grünen wählt, dann bekommt man das, und wenn man den von der SPD wählt, dann bekommt man das. So kann man das im Iran nicht sehen, sondern es gibt Listen mit Kandidaten, und jeder steht sozusagen für sich.
Also es ist beispielsweise auf dem Land so, dass die Menschen einen Verwandten wählen oder einen, den sie kennen, einer, der ihnen was gegeben hat. Manchmal wird einfach irgendwie eine Veranstaltung organisiert, wo die Menschen dann was umsonst zu essen bekommen, und dann wird der gewählt. In Teheran ist es tatsächlich so, klar, da kennt man nicht mehr jeden, da ist es auch schwierig, diese Informationen über die einzelnen zu bekommen und zu behalten. Da guckt man einfach mal.
Die große Unterscheidung ist einfach zwischen konservativ und Reformern. Wir wissen ja, da sind einige zu der Wahl teilweise gar nicht zugelassen worden. Wir haben also Wahlbezirke, wo nur Konservative auf dem Stimmzettel stehen.
Wie hoch wird die Wahlbeteiligung?
Kolar: Wen man dem Feature von Ihnen und Ihrer Kollegin gleich zuhört, dann scheint es die Hauptsorge des iranischen Regimes zu sein, dass sie nicht genug Leute an die Urnen kriegen. Besteht die Gefahr?
Senz: Wir haben bei den Wahlen bisher eine Wahlbeteiligung von rund 60 Prozent gehabt. Ich habe neulich einem konservativen Kandidaten auf einer Pressekonferenz zugehört, der sagte, also 50 Prozent, alles darunter würde zeigen, dass das Vertrauen sehr angeschlagen ist. Er hat aber nicht verraten, welche Konsequenzen er dann ziehen würde, wenn es weniger ist.
Es gibt tatsächlich Umfragen, allerdings da muss man auch sagen, dass diese Umfragen sehr mit Vorsicht zu genießen sind, und demnach würden angeblich nur 24 Prozent zur Wahl gehen. Das wäre natürlich ein fatales Ergebnis. Es gibt Menschen, die sagen, ich gehe zur Wahl, nicht weil ich wählen möchte, sondern weil ich Angst vor den Konsequenzen habe, ich werde dann einen leeren Stimmzettel abgeben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.