Korrespondentin Sandra Petersmann

"Sri Lanka braucht einen Versöhnungsprozess"

Angehörige von Menschen, die während des Bürgerkrieges oder in der Zeit danach verschwunden und bis heute nicht wieder aufgetaucht sind: Protestaktion in Jaffna in Sri Lanka am 15. November 2013
Angehörige von Menschen, die während des Bürgerkrieges oder in der Zeit danach verschwunden und bis heute nicht wieder aufgetaucht sind: Protestaktion in Jaffna in Sri Lanka am 15. November 2013 © (c) dpa
Sandra Petersmann im Gespräch mit Isabella Kolar |
Tamilen gegen Singhalesen: Der lange Bürgerkrieg in Sri Lanka hat nach UN-Schätzungen bis zu 100.000 Tote gefordert. Doch seit dem Waffenstillstand 2009 sind sich beide Gruppen nicht sehr viel näher gekommen, sagt Asien-Korrespondentin Sandra Petersmann. Das Misstrauen sei groß, der Extremismus könne wieder aufflammen.
Isabella Kolar: Es gibt Politologen und Friedensforscher, die sagen, dass die Wahlniederlage des 69-jährigen Präsidenten Rajapaksa im Januar ein fast genauso tiefer politischer Einschnitt für Sri Lanka war wie die Niederlage der LTTE, der tamilischen sogenannten Befreiungstiger im Mai 2009.
Sandra Petersmann, unsere Korrespondentin für die Region, Sie waren gerade in Sri Lanka. Stimmt das aus heutiger Sicht?
Sandra Petersmann: Na, wenn man sich die Führung anschaut, dann ganz sicher. Denn dieser Präsident Mahinda Rajapaksa war auch ein Nationalist, ein Extremist in seiner politischen Meinung, jemand, der Religion und Politik, wie ich finde, in einem sehr, sehr gefährlichen Maß vermischt hat. Und jetzt ist er eben nicht mehr an der Spitze dieses Staates, er ist nicht mehr in der Führung. Und er war ja sehr allmächtig, hatte eben auch große Teile seiner Familie in den Machtapparat eingebaut, um diese Art des Rajapaksa-Extremismus zu zementieren. Und das kann er jetzt nicht mehr so einfach, weil jetzt andere in der politischen Führung sind. Und damit ist dieser Teil des Extremismus verschwunden.
Auf der anderen Seite, schauen wir mal Richtung tamilische Befreiungstiger: Die sind 2009 militärisch besiegt worden im Frühjahr, die ganze Führungsspitze ist quasi ausradiert worden. Und damit ist eben auch diese extremistische Komponente bei den Tamilen weggefallen. Wenn wir uns jetzt auf die tamilische Führung im Land, nicht auf die Diaspora, aber mal im Land konzentrieren, die, die dort das Wort führen, die verlangen keinen unabhängigen tamilischen Staat mehr, sondern die sagen, wir wollen gleiche Rechte, wir wollen nicht mehr wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden, wir müssen die Minderheitenrechte stärken, wir wollen autonomer werden in unseren Gebieten, also im Norden und Osten Sri Lankas. Und damit, glaube ich, haben die Politikwissenschaftler recht, dass damit Extremismus auf beiden Seiten für den Moment wenn vielleicht nicht ganz verschwunden, aber so doch deutlich abgeschwächt ist.
Kolar: Wenn wir einmal auf den neuen Präsidenten schauen: Sirisena hat ja im Januar mit 51 Prozent der Stimmen gewonnen, das ist ein großer Vertrauensvorschuss. Und er hat danach angekündigt, demokratische Reformen durchsetzen und ein Land ohne Gewalt aufbauen zu wollen. Merkt man davon schon etwas?
"Der ist jetzt so allmächtig, das hat immer weniger was mit Demokratie zu tun"
Petersmann: Na, er versucht es zumindest und ist da auch aktiv. Aber man kann es natürlich auch umdrehen und sagen: nur 51 Prozent haben Sirisena und dieses große Oppositionsbündnis um ihn herum gewählt, nur 51. Das heißt ja, 49 Prozent der Bevölkerung waren immer noch sehr, sehr angetan von der Führung von Präsident Mahinda Rajapaksa.
Da geht also wirklich ein Riss durch die Bevölkerung, es geht ein Riss auch durch die sri-lankische Freiheitspartei, aus der beide Männer stammen. Man darf ja nicht vergessen, die haben jahrelang eng zusammengearbeitet, Sirisena war bis zu dem Moment, wo er sich gegen Rajapaksa stellte, Gesundheitsminister. Das waren Freunde, die haben zusammen zu Abend gegessen und dann gab es irgendwann diesen politischen Bruch, weil Sirisena und auch ein paar andere Dissidenten innerhalb der Partei des Präsidenten gesagt haben, der ist jetzt so allmächtig, das hat immer weniger was mit Demokratie zu tun, wir stellen uns gegen ihn, wir treten gegen ihn an!
Und dann haben sie eben einen Teil aus der sri-lankischen Freiheitspartei mitgenommen, was das Wählerpotenzial betrifft, haben dann großen Zuspruch von den Minderheiten bekommen, nicht nur von den Tamilen sondern zum Beispiel auch von den Muslimen und Christen des Landes. Und so ist zu erklären, dass es diesen knappen Sieg von 51 Prozent gab.
Und wenn wir jetzt mal in den gelebten politischen Alltag schauen, dann haben wir es dort mit einem Parlament zu tun, an das der Präsident die Macht zurückgeben will und das auch schon getan hat in Teilen. Aber das ist dann ein Parlament, in dem er selber keine Mehrheit hat. Und der, der im Januar verloren hat, Rajapaksa, versucht eben, durch die Hintertür, durch die Mehrheit, die der immer noch im Parlament hat, wieder in der Politik mitzumischen. Das ist also eine ganz schwierige Gemengelage. Das merkt man auch daran, dass ja Sirisena von Anfang an versprochen hatte, binnen kürzester Zeit Neuwahlen abzuhalten. Das hatte er in seinem 100-Tage-Programm versprochen, das er direkt nach seinem Wahlsieg verkündet hat. Neuwahlen sind immer noch nicht ausgerufen, die waren eigentlich für Juni geplant, jetzt wird es ein bisschen knapp mit Juni, mal gucken, wann das kommt!
Sandra Petersmann
Sandra Petersmann© Deutsche Welle - Becker-Rau
Kolar: Wie groß ist in Sri Lanka jetzt und in der Zukunft die Gefahr einer Rückkehr zum bewaffneten Kampf angesichts dieser Konstellation, die Sie gerade geschildert haben? Und welche Rolle kann die neue Regierung da spielen? Sirisena will ja nach eigenen Angaben einen, wie er das nennt, Versöhnungsprozess anstoßen.
Petersmann: Der ist bitter nötig in diesem Land. Ich glaube, das ist genau das, woran dieses Land krankt. Ich habe dort mit Menschen gesprochen, die wirklich nur sehr, sehr wenig Kontakt zur anderen Seite haben. Ich habe mit einem jungen Rikschafahrer gesprochen in Colombo, der hat nicht einen einzigen tamilischen Freund, der hat noch nie wirklich was mit Tamilen zu tun gehabt.
Auf der anderen Seite habe ich junge Menschen im tamilischen Norden Sri Lankas getroffen, die waren noch nie im singhalesischen Süden, die sprechen kein Singhalesisch, die wissen einfach ganz, ganz wenig voneinander. Es gibt keine gemeinsame Erinnerungskultur, es gibt keine gemeinsame Trauerarbeit. Man darf ja nicht vergessen, es ist auf beiden Seiten großes Leid geschehen, es sind auf beiden Seiten viele, viele Menschen gestorben. Das ist ein Krieg, den diese Menschen zusammen bewältigen müssen, und am besten nicht in dem bis jetzt immer noch vorherrschenden Schachtel- und Boxdenken, sondern da muss irgendein Prozess initiiert werden, dass man sich mal begegnen kann, dass die Opfer und die Täter auf beiden Seiten sich austauschen können.
Ich weiß jetzt nicht, ob so eine Wahrheits- und Versöhnungskommission wie zum Beispiel Südafrika sie hatte, das passende Instrument für Sri Lanka ist, Sri Lanka ist ein anderer Kulturkreis, da reden Menschen anders miteinander, aber so in etwa diese Richtung müsste es gehen. Denn ich glaube wirklich, gemeinsame Trauerarbeit, gemeinsame Aufarbeitung ist das, was diesem Land am meisten fehlt, und so bleibt eben Misstrauen und so bleibt eben auch das Potenzial für Extremismus auf beiden Seiten, weil man so wenig übereinander weiß und eigentlich nur das Schlechteste vom anderen vermutet.
"Sirisena hat ermöglicht, dass ich endlich ins Land komme"
Kolar: Sie haben sich ja lange Zeit bemüht, von Neu-Delhi, Ihrem Studio aus, nach Sri Lanka zu reisen, doch man hat Ihnen die Einreise immer wieder verboten. Warum? Und spricht das nicht auch dafür, dass unter Sirisena der erhoffte Wind of Change auch nur sehr zaghaft bläst?
Petersmann: Na, der Sirisena hat ermöglicht, dass ich endlich ins Land komme, so muss man es sehen! Mir ist ja die Einreise vom Vorgängerregime, also von Rajapaksa und Co. untersagt worden, und vor mir auch schon ein paar anderen ARD-Kollegen. Der Hinweis an mich erging, als ich mich beworben habe um ein Visum für die Berichterstattung zu dieser Wahl und zum direkt darauffolgenden Papstbesuch. Da hörte ich dann lange gar nichts, wir haben immer wieder nachgefragt, nachgefragt, nachgefragt, wurden vertröstet oder man ist nicht ans Telefon gegangen.
Irgendwann erfuhren wir dann aber sowohl aus Colombo als auch über die Botschaft Sri Lankas hier in Neu-Delhi, dass ich abgelehnt worden bin, weil meine bisherige Berichterstattung über Sri Lanka als zu negativ, als anti-sri-lankisch empfunden worden ist. Und dann kam der Regimewechsel und kurze Zeit später bekam ich mein Visum und durfte nach Sri Lanka reisen.
Und auch wenn man dann vor Ort ist und mit anderen Journalistenkollegen spricht: Natürlich sind da immer noch Kräfte am Werk, die Rajapaksa unterstützen, und es bleibt eine Gefahr für Journalisten. Sri Lanka ist nach wie vor kein einfaches Land für Journalisten. Aber Journalisten haben jetzt etwas mehr Freiraum, die trauen sich mehr, auch politische Analysten trauen sich mehr. Die Bevölkerung traut sich mehr, das zu sagen, was ihr auf der Seele liegt und was sie auf dem Herzen hat. Also, was die Meinungsfreiheit in dem Land betrifft, habe ich das Gefühl gehabt bei meiner doch sehr ausgedehnten Reise dort, dass die, die früher aus Angst geschwiegen haben, sich jetzt ein bisschen mehr zutrauen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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