J. M. Coetzee/Paul Auster: "Von hier nach da. Briefe 2008 – 2011"
Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke und Werner Schmitz
S. Fischer, Frankfurt a. M. 2014
286 Seiten, 14,99 Euro
"Aneinander ein paar Funken schlagen"
Zwei Temperamente, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, tauschen sich in Briefen aus: Erfolgsautor Paul Auster und Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee. Es geht um Liebe, Sex, Inzest, die Finanzkrise und die Sprache. Ein Buch, das viele kleine Erkenntnisse bereithält und originelle Gedanken.
Er habe lange über Freundschaften nachgedacht, schreibt John M. Coetzee 2008 im ersten Brief des Bandes "Von hier nach da. Briefe 2008 – 2011" an Paul Auster und nennt und zitiert Aristoteles, Charles Lamb, Montaigne, Milton, Shakespeare sowie Ford Madox Ford als Gewährsleute. Nicht wenige ließen sich wohl von solch einer Eröffnung eines Briefwechsels ins Bockshorn jagen – Auster nicht. Der Nordamerikaner ist nicht weniger belesen, und womöglich handelt es sich bei dem Schreiben auch nicht um den ersten Brief, den der scheue südafrikanische Literaturnobelpreisträger an seinen erfolgreichen Kollegen schrieb. Zwar fehlt ein Nachwort, selbst ein editorischer Hinweis, aber der Klappentext des Buches vermerkt, dass die beiden Schriftsteller sich 2008 auf einem australischen Literaturfestival kennenlernten und beschlossen, Briefe auszutauschen. Coetzee hoffte, "aneinander, so Gott will, ein paar Funken (zu) schlagen", Auster freute sich begeistert auf "etwas Gründlicheres" als einen Plausch über alle Themen, die beide interessieren.
So liest sich der Briefwechsel denn auch anfangs, den der Fischer-Verlag nicht zufällig im Taschenbuch, nicht gebunden herausbringt. Die beiden suchen nach gemeinsamen Interessen und kommen von der Freundschaft auf die Liebe, den Sex, den Inzest, die Finanzkrise, den Sport. Coetzee schreibt pointierte Kurzessays mit prägnanten, oft originellen Gedanken und garniert sie mit einigen Erkundigungen nach Pauls und seiner Ehefrau Siri Hustvedts Wohlbefinden. Auster antwortet darauf meist inhaltlich relativierend oder ablehnend mit vielen persönlichen Geschichten und Anekdoten. Nach sieben Monaten fällt ihm auf, "dass ich auf Deine Bemerkungen oft mit Geschichten von mir selbst reagiere. Beachte bitte: Es geht mir dabei nicht um mich selbst. Ich gebe Fallbeispiele, Geschichten, die von jedermann handeln könnten." Ich bin so wenig persönlich wie Du, heißt das, ich erzähle nur.
Auster interpretiert seinen Namen als "kleiner Furz"
Darauf geht Coetzee nicht ein. Doch der Briefwechsel gewinnt an Dichte und Wärme, als die Rede auf den israelisch-palästinensischen Konflikt und die Sprache kommt. Die Muttersprache ist für den in Australien lebenden Südafrikaner ebenso wenig einfach gegeben wie für den US-Amerikaner, dessen Vorfahren noch vor drei Generationen Russisch, Polnisch und Jiddisch sprachen und dessen Ehefrau zuerst Norwegisch lernte. Auch zur Arbitrarität der Zeichen und zu den Namen fällt beiden einiges ein: Coetzee hat eine Romanfigur "K." genannt, um den von Kafka annektierten Buchstaben zurückzufordern, und bedauert, nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein; Auster interpretiert seinen Namen mithilfe einer abenteuerlichen etymologischen Kreuzfahrt als "kleiner Furz". Das Briefeis ist gebrochen, auch der israelisch-palästinensische Konflikt kann nun in aller Schärfe analysiert werden.
Hier der lebenslustige Auster, dort der spröde Coetzee
Dennoch scheinen die persönlichen Begegnungen auf Festivals meist in Europa und oft mit den Ehefrauen stets müheloser als diese Schreiben per Post und Fax gewesen zu sein. Wahrscheinlich ergänzten sich die Temperamente beider gut. Sie zeigen sich auch in den Briefen: Hier der eher spröde, aber zugewandte Coetzee, dort der vor Geschichten sprühende, lebenslustige Auster. Nicht zuletzt um solcher Eindrücke willen greift man zu dem Band. Schließlich gibt Coetzee seit Jahren keine Interviews mehr und tritt selten öffentlich auf, schließlich weiß Auster oft schon unmittelbar nach einem Interview nicht mehr, was er gesagt hat.