Korrespondenz dünnhäutiger Denker

Verliebt ist der Ton der Briefe, die Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer in den Zwanzigern wechseln. Später, im Exil, begleiten sie kritisch ihre Arbeit. Der Briefband beinhaltet eine faszinierende Korrespondenz, die viele Facetten - von Freude bis Unmut - von zwei charismatischen Persönlichkeiten zeigt.
Im ersten Brief an Theodor W. Adorno spricht Siegfried Kracauer von seiner "quälenden Liebe". Es kommt ihm vor, als könne er "allein gar nicht bestehen". Ganz ohne Frage ist dies ein Liebesbrief, den der 34-jährige Kracauer im April 1923 an den 19-jährigen Adorno sendet. Kracauer fragt seinen "lieben Teddie" schließlich: "Ich weiß nicht ob man so lieben darf?" Diesen Brief, so verlangt es Kracauer, möge Teddie vernichten und "kein Wort jedenfalls davon" anderen gegenüber. Vieles in diesem Briefwechsel zwischen dem Redakteur der Frankfurter Zeitung, Siegfried Kracauer, und dem Doktor der Philosophie, Theodor W. Adorno, war nicht für Dritte bestimmt.

Nun lüftet der von Wolfgang Schopf herausgegebene Briefband das Geheimnis, und die Nachwelt kann lesen, wie "Friedel" sich vor Liebe nach Adorno verzehrte und was "Teddie" von Arnold Schönberg hielt. Adorno ist nicht zimperlich, wenn er über Bekannte urteilt. Die "dumpfe Natur Brechts" regt ihn auf, an Georg Lukács mokiert er das "Ideal der Unscheinbarkeit" und an Franz Hessel stört ihn die "unangenehme Erscheinung". Auch Freunde bleiben von diesen vernichtenden Beschreibungen nicht verschont: Ernst Bloch bezeichnet er als "Märchenerzähler" und von Walter Benjamin hat er "Abscheuliches" in der "Literarischen Welt" gelesen.

Besonnenes Urteilen ist in jungen Jahren nicht Adornos Stärke. Es hat eher den Anschein, als müsse sich der junge Mann seine bereits berühmten Freunde auf ein Maß zurechtstutzen, das es ihm erlaubt, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Kracauer, der zurückhaltender ist, relativiert so manches Urteil, läuft dadurch aber Gefahr, mit Liebesentzug bestraft zu werden.

Die große Zuneigung und gegenseitige Sympathie ist nicht frei von Spannungen. Jedes Wort des Freundes wird hinterfragt, jeder Gedanke durchleuchtet und wehe, wenn es Anzeichen gibt, die missverständlich sein könnten – dann wird unverzüglich zur Attacke übergegangen. Beide sind äußerst dünnhäutig. Leidenschaftlich suchen sie nach geringsten Anlässen, beschweren sich über Lieblosigkeiten und Verletzungen, in der Hoffnung, dass die einlenkenden Erklärungen auch Liebesbezeugungen enthalten, nach denen sie sich sehnen.

Das Schwärmerische in der Beziehung nimmt in den dreißiger Jahren ab. Kracauer heiratet 1930 Elisabeth Ehrenreich und Adorno 1937 Gretel Karplus. Erhalten aber bleibt, insbesondere bei Adorno, der scharfe Ton, in dem er Kritik übt. Kracauers Biographie einer Gesellschaft "Jaques Offenbach und das Paris seiner Zeit" kanzelt Adorno 1937 als menschenverachtend und zerstörungswütig ab. Dieser Brief markiert für die Freundschaft eine Zäsur.

Nach dem Reichstagsbrand 1933 geht Kracauer nach Paris. Adorno schreibt ihm im April 1933 aus Berlin über die "völlige Ruhe und Ordnung" in Deutschland und ermutigt ihn zurückzukommen. Und noch im Januar 1939: "An Krieg glauben wir nach wie vor nicht." In den Briefen spielen die politischen Ereignisse in Deutschland kaum eine Rolle. Adorno emigriert 1938 in die USA, Kracauer folgt ihm 1941. Doch der Kontakt ist in diesen Jahren spärlich und findet auch in den Nachkriegsjahren nicht mehr zu der Intensität, die er in den zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre hatte.

Während Adorno 1949 nach Deutschland zurückkehrt, bleibt Kracauer in den USA und verfolgt mit Hochachtung Adornos weitere Entwicklung. Man schickt sich gegenseitig die neuesten Aufsätze und Bücher, wobei Kracauer beeindruckt ist von Adornos immenser Produktivität. Es ist Kracauer, der sich nun am Stil des einstigen Geliebten erfreut.

Ein faszinierender Briefwechsel, der außerordentlich viele Facetten von zwei charismatischen Persönlichkeiten zeigt. Staunend und gelegentlich auch irritiert nimmt man zur Kenntnis, was den Unmut der Freunde erregt und worüber sie schweigen.

Rezensiert von Michael Opitz

Theodor W. Adorno/Siegfried Kracauer, Briefwechsel 1923-1966,
Hrsg. v. Wolfgang Schopf, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008, 771 Seiten, 32,- Euro.