"Korrupt auf allen Ebenen"
Fußball-Experte Claussen rechnet im Champions-League-Viertelfinale mit einem knappen Sieg für die Bayern. "Juve" könnte eine Niederlage vielleicht wegstecken - viel schlimmer aber, so Claussen, sei der drohende Niedergang des italienischen Fußballs in einem Morast aus Bestechung und Manipulation.
Dieter Kassel: Heute Abend trifft der FC Bayern im Viertelfinale der Champions League auf Juventus Turin. Juventus, eine Mannschaft mit einer langen Geschichte, fast 120 Jahre gibt es den Verein nun schon, mit einer überwiegend ruhmreichen Geschichte, aber man hört es schon an dem Wort überwiegend, in den letzten Jahren war nicht mehr so viel mit Ruhm.
Da gab es zwei große Skandale, einmal ging es um Doping und dann um Spielmanipulation. Vor allem für Letzteres musste Juventus einen hohen Preis zahlen, wurde degradiert, landete in der Serie B, hat viele gute Spieler verloren, aber jetzt scheint das alles vorbei zu sein. Wenn heute Abend gegen Bayern gespielt wird, dann glauben zumindest die Fans, von denen es angeblich weltweit 200 Millionen gibt bei Juventus Turin, glauben diese Fans, dass sie nicht nur ordentlichen, sondern auch sauberen Fußball sehen.
Ob das wirklich so ist, wie es um den Verein und seine Fans bestellt ist, darüber wollen wir jetzt mit Detlev Claussen sprechen, emeritierter Professor für Gesellschaftstheorie an der Universität Hannover und Autor mehrerer Bücher zu den Themen Fußball und Gesellschaft. Schönen guten Tag, Professor Claussen!
Detlev Claussen: Guten Tag!
Kassel: Kann man Turin jetzt auch "Phönix Turin" nennen? Sind die aus der Asche gestiegen und haben jetzt wieder eine blütenreine Weste?
Claussen: Also sie sind sicher aus der Asche gestiegen, aber ich weiß gar nicht, wie es bei Phönix war, ob er nicht auch noch Aschespuren an seinem Kleid hatte. Und das kann man bei Turin natürlich überhaupt nicht leugnen.
Kassel: Welche Aschespuren sehen Sie bei Turin?
Claussen: Das ist die Korruption im italienischen Fußball überhaupt. Die sind gar nicht wirklich bestraft worden für all das, was getan worden ist. Weil das auch nicht Turin allein ist, sondern das betrifft auch noch ganz andere Vereine, und da muss man auch ganz klar sagen, die Mitwirkung von einem gewissen Herrn Berlusconi im italienischen Fußball ist unsäglich.
Kassel: Das heißt aber auch, wenn man ja immer wieder hört überall in Europa, gerade der italienische Fußball sei eben sehr anfällig für Spielmanipulationen und Ähnliches, dann ist das nicht nur ein Klischee, sondern da ist definitiv auch was dran in Ihren
Augen?
Claussen: Das ist katastrophal. Nach meiner Meinung zerstört das auch den italienischen Fußball. Das ist sehr, sehr traurig im Prinzip. Sie werden immer in Italien 22 Leute finden, die einen unglaublich guten Fußball spielen. Es gibt unglaublich gute Fußballspieler in Italien, das ist gar keine Frage. Aber die Struktur der italienischen Meisterschaft ist völlig zerstört worden durch diese Manipulationen, und das geht nicht erst seit zehn Jahren, seit 20 Jahren, sondern das geht seit 40 Jahren.
Kassel: Gibt es einen konkreten Grund, warum gerade bei diesem Manipulationsskandal vor wenigen Jahren – es ging ja um die Saison 2004/2005 vor allem –, warum da gerade Juventus so im Mittelpunkt stand?
Claussen: Ja, das hängt mit der Verwandlung eigentlich von Fiat zusammen, der Funktion der Stadt zu Turin. Der Präsident, wie Sie wissen, war Agnelli. Und die Brüder Agnelli haben eigentlich die Erfolgsgeschichte des Vereins gemanaged, und Turin hat sich eben sehr, sehr verändert. Früher war Turin ein Mythos des arbeitenden, des sauberen Italiens. Und Turin hat sich in den letzten 40 Jahren zu einem Inbegriff des korrupten Italiens gewandelt.
Kassel: Kann man das auch wirklich nachvollziehen an dieser Vereinsgeschichte – ich habe es ja erwähnt, der Verein ist ja sehr alt, 1897 gegründet worden, hat 1905 dann das erste Mal die Meisterschaft gewonnen. Da waren die Agnellis noch nicht dabei, aber seit 1923 spielen die eine große Rolle im Verein.
Claussen: Ja, aber eigentlich bis 1950 war der andere Turiner Verein, das war der Geist von Turin, der andere Turiner Verein hatte sozusagen auch im Titel schon "Inter", die hießen eigentlich Inter und sind erst durch die Faschisten gezwungen worden, den dann in "AC" umzubenennen. Das war eine der besten Clubmannschaften der Welt. Zwischen 1942 und 49, und Sie sehen schon, in sehr komplizierten Jahren. Diese Mannschaft nannte man "il grande turino", die große Turiner Mannschaft, und die kamen ja um bei einem Flugzeugunglück 1949. Und dann kam überhaupt erst der Aufstieg von Juventus.
Und Sie sehen schon die Namensgebung: Juventus ist – eigentlich das ist exemplarisch für die norditalienische bürgerliche Klasse. Die Jugend Turins, ne? Und diese Jugend Turins hat sich dann aber sehr gut mit dem Faschismus arrangiert. Und so geht es auch mit dem Fiat-Werk. Dieses Fiat-Werk hat sich dann in der Präsidentschaft der Agnellis, hat sich verändert von, eigentlich dem italienischen Wirtschaftswunder in den 50er- und 60er-Jahren, da kam auch der Aufstieg von Juventus, zu diesem korrupten Italien, also korrupt auf allen Ebenen, ich sage nur, als Juventus zur Börse ging, einen großen Teil der Aktien hat Gaddafi gekauft. Und sein Sohn hat übrigens zum Turiner Kader gehört.
Kassel: War das auch – das ist ja noch gar nicht so lange her, dieser Börsengang, 2001 war das – war das so, es ist ja schon einiges passiert, vor allen Dingen auch in den 90er-Jahren, aber war das so der ultimative Sündenfall, war das eine Art Größenwahn, der da ausgebrochen ist?
Claussen: Nein, ich glaube, das war genau das, was ja uns alle noch bewegt, eigentlich im Grunde genommen die Veränderung, die Struktur – oder man kann sagen, der Strukturwandel im Kapitalismus. Dass man plötzlich sozusagen schnelle Börsengewinne, dass der Fußball auch eben aktienmäßig erteilt werden sollte, das heißt nicht irgendwie Merkantilisierung oder sonst etwas, sondern es wurden kurzfristige Erfolge erzielt. Da sind auch andere im Geschäft. Also sie können das universitäre Medium nehmen. Gaddafi hat sich auch die LSE in London gekauft, damit sein Sohn dann promovieren konnte. Die haben auch eine Million Dollar von ihm genommen. Und so war das einfach. Man hat plötzlich dann irgendwie gedealt mit irgendwelchen Aktienpaketen. Der Verein sollte Gewinn abwerfen, das ist aber totaler Quatsch.
Kassel: Fußball funktioniert ja nicht ohne Geld, das ist klar, aber es funktioniert auch nicht ohne Fans, und ich hab es gerade schon gesagt, Juventus hat immer noch, und ich glaube, das ist gar nicht groß zurückgegangen zur Zeit der Skandale vor einigen Jahren, hat immer noch eine enorme Fanbasis in Italien selber, aber auch weltweit. Ich weiß zwar nicht, wie man so was nachzählt, aber halbwegs seriöse Angaben reden halt tatsächlich von 200 Millionen Fans. Mir hat jemand erzählt, für ihn hätte Turin folgendes Image: Es sei so eine Mischung, wenn man es auf Deutschland überträgt, aus dem SC Freiburg und dem FC Bayern München. Das ist jetzt was, was für mich gar nicht zusammengeht, aber würden Sie das trotzdem für ein stimmiges Bild halten.
Claussen: Nein. Es gibt keine Parallele in Deutschland dazu, weil Juventus Turin ist Italien. Das ist einerseits das produktive Norditalien, ein hochrationaler Fußball, der da gespielt wird. Also der Fußballsachverstand in Turin ist groß. Also das dürfen Sie nicht denken, das sind irgendwelche Idioten. Aber, sozusagen, dem Fußballerfolg nachzuhelfen, das war auch Italien. Und das ist Moggi. Moggi, mit dem die ganzen Spielabsprachen... Das ist auch vorher. Warum hat Zidane diesen Verein verlassen? Zidane ist dann weggegangen von dem Verein, weil er diese medizinische Betreuung nicht leiden konnte.
Die medizinische Betreuung bedeutet nämlich, also – ich bin fest davon überzeugt, dass es dort zu flächendeckendem Doping gekommen ist. Es ist hochinteressant zu sehen, dass die meisten Tore, jedenfalls die Siegtore von Juventus in der 92. oder 93. Minute erzielt werden. Das hängt einerseits mit dem Doping, nach meine Meinung mit dem Doping, den Ausdauerkünstlern zusammen, andererseits mit den italienischen Schiedsrichtern. Die lassen so lange spielen, bis das entscheidende Tor fällt.
Kassel: Aber wenn man das zusammen nimmt, diese Dopingvorwürfe und kurz danach, es war nur wenige Jahre danach, dann die Spielmanipulation, da frage ich mich aber aus Sicht eines Fans, warum, und so scheint das aber zu sein bei vielen Turin-Fans, warum haben die dann immer noch nicht die Schnauze voll. Ich meine, das macht doch keinen Spaß mehr, wenn man guckt und weiß, es ist wahrscheinlich eine Mischung aus Absprachen und Medizin.
Claussen: Die Turin-Fans muss man auch unterscheiden. Die internationalen beziehungsweise schon die nationalen Turin-Fans in Italien, in Mittelitalien, in Süditalien, das sind ganz andere Turin-Fans als die, die da im Stadion sind. Die da im Stadion sind, die sind zum Teil ganz grässlich. Das sind ganz grässliche Gruppen. Das hat sich auch in den 90er-Jahren entwickelt mit der Ultra-Bewegung. Und die Vereinsführung hat denen sehr, sehr viel überlassen. Also Fan-Geschäfte, Trikothandel und so weiter und so fort, die auch dazu beigetragen haben zu der Fußballkatastrophe im Heysel-Stadion damals. Und das sind Schläger, das sind Mafia, das sind richtige Mafia-Gruppen. Also die sind ganz, ganz übel, und sie sind auch total rassistisch. Alle diese Vorfälle mit Ballotelli, als der noch bei Inter gespielt hat, es war immer Turin, immer in Turin. Das Publikum ist auch so verrottet, das ist also schlimm. Und deswegen, ja, die Freunde, die ich habe, die gehen ja gar nicht mehr ins Stadion!
Kassel: Das würde aber auch heißen, wenn ich das mal so zynisch formulieren darf, eigentlich passen die in Italien alle zusammen, das Management, die Gesellschaft überhaupt und die Fans.
Claussen: Ja, leider. Der Niedergang des italienischen Fußballs oder der italienischen Fußballkultur, der liegt auf der Hand. Das Irre ist eigentlich, dass dieser Niedergang der italienischen Fußballkultur nicht der Erfolgsstruktur zum Beispiel der Fußballnationalmannschaft entspricht. Ich sage ja, Sie werden immer in Italien 20 hochqualifizierte Spieler finden, die eine Zone verteidigen können und die einen Pass genau spielen können, der zum Tor führt.
Kassel: Angesichts all dieser Tatsachen, Herr Claussen, finden Sie denn das Spiel heute Abend überhaupt noch interessant?
Claussen: Ja, auf jeden Fall ist das interessant. Und wir wollen mal sehen, nicht, Bayern sind in diesem Jahr die Überflieger der Saison in der Bundesliga, aber mal sehen, ob sie gegen so einen wirklich mit allen Wassern gewaschenen Gegner bestehen können.
Kassel: Ihr Tipp?
Claussen: Ich rechne mit einem knappen Bayern-Sieg.
Kassel: Das sind doch klare Worte auch zum Schluss noch, davor ja auch, von Detlev Claussen, emeritierter Professor für Gesellschaftstheorie an der Uni Hannover und Autor mehrerer Bücher zum Thema Gesellschaft und Fußball.
Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, auch wenn ich zugeben muss, meine Vorfreude aufs Spiel hat es nicht direkt gesteigert. Trotzdem vielen Dank!
Claussen: Okay, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Da gab es zwei große Skandale, einmal ging es um Doping und dann um Spielmanipulation. Vor allem für Letzteres musste Juventus einen hohen Preis zahlen, wurde degradiert, landete in der Serie B, hat viele gute Spieler verloren, aber jetzt scheint das alles vorbei zu sein. Wenn heute Abend gegen Bayern gespielt wird, dann glauben zumindest die Fans, von denen es angeblich weltweit 200 Millionen gibt bei Juventus Turin, glauben diese Fans, dass sie nicht nur ordentlichen, sondern auch sauberen Fußball sehen.
Ob das wirklich so ist, wie es um den Verein und seine Fans bestellt ist, darüber wollen wir jetzt mit Detlev Claussen sprechen, emeritierter Professor für Gesellschaftstheorie an der Universität Hannover und Autor mehrerer Bücher zu den Themen Fußball und Gesellschaft. Schönen guten Tag, Professor Claussen!
Detlev Claussen: Guten Tag!
Kassel: Kann man Turin jetzt auch "Phönix Turin" nennen? Sind die aus der Asche gestiegen und haben jetzt wieder eine blütenreine Weste?
Claussen: Also sie sind sicher aus der Asche gestiegen, aber ich weiß gar nicht, wie es bei Phönix war, ob er nicht auch noch Aschespuren an seinem Kleid hatte. Und das kann man bei Turin natürlich überhaupt nicht leugnen.
Kassel: Welche Aschespuren sehen Sie bei Turin?
Claussen: Das ist die Korruption im italienischen Fußball überhaupt. Die sind gar nicht wirklich bestraft worden für all das, was getan worden ist. Weil das auch nicht Turin allein ist, sondern das betrifft auch noch ganz andere Vereine, und da muss man auch ganz klar sagen, die Mitwirkung von einem gewissen Herrn Berlusconi im italienischen Fußball ist unsäglich.
Kassel: Das heißt aber auch, wenn man ja immer wieder hört überall in Europa, gerade der italienische Fußball sei eben sehr anfällig für Spielmanipulationen und Ähnliches, dann ist das nicht nur ein Klischee, sondern da ist definitiv auch was dran in Ihren
Augen?
Claussen: Das ist katastrophal. Nach meiner Meinung zerstört das auch den italienischen Fußball. Das ist sehr, sehr traurig im Prinzip. Sie werden immer in Italien 22 Leute finden, die einen unglaublich guten Fußball spielen. Es gibt unglaublich gute Fußballspieler in Italien, das ist gar keine Frage. Aber die Struktur der italienischen Meisterschaft ist völlig zerstört worden durch diese Manipulationen, und das geht nicht erst seit zehn Jahren, seit 20 Jahren, sondern das geht seit 40 Jahren.
Kassel: Gibt es einen konkreten Grund, warum gerade bei diesem Manipulationsskandal vor wenigen Jahren – es ging ja um die Saison 2004/2005 vor allem –, warum da gerade Juventus so im Mittelpunkt stand?
Claussen: Ja, das hängt mit der Verwandlung eigentlich von Fiat zusammen, der Funktion der Stadt zu Turin. Der Präsident, wie Sie wissen, war Agnelli. Und die Brüder Agnelli haben eigentlich die Erfolgsgeschichte des Vereins gemanaged, und Turin hat sich eben sehr, sehr verändert. Früher war Turin ein Mythos des arbeitenden, des sauberen Italiens. Und Turin hat sich in den letzten 40 Jahren zu einem Inbegriff des korrupten Italiens gewandelt.
Kassel: Kann man das auch wirklich nachvollziehen an dieser Vereinsgeschichte – ich habe es ja erwähnt, der Verein ist ja sehr alt, 1897 gegründet worden, hat 1905 dann das erste Mal die Meisterschaft gewonnen. Da waren die Agnellis noch nicht dabei, aber seit 1923 spielen die eine große Rolle im Verein.
Claussen: Ja, aber eigentlich bis 1950 war der andere Turiner Verein, das war der Geist von Turin, der andere Turiner Verein hatte sozusagen auch im Titel schon "Inter", die hießen eigentlich Inter und sind erst durch die Faschisten gezwungen worden, den dann in "AC" umzubenennen. Das war eine der besten Clubmannschaften der Welt. Zwischen 1942 und 49, und Sie sehen schon, in sehr komplizierten Jahren. Diese Mannschaft nannte man "il grande turino", die große Turiner Mannschaft, und die kamen ja um bei einem Flugzeugunglück 1949. Und dann kam überhaupt erst der Aufstieg von Juventus.
Und Sie sehen schon die Namensgebung: Juventus ist – eigentlich das ist exemplarisch für die norditalienische bürgerliche Klasse. Die Jugend Turins, ne? Und diese Jugend Turins hat sich dann aber sehr gut mit dem Faschismus arrangiert. Und so geht es auch mit dem Fiat-Werk. Dieses Fiat-Werk hat sich dann in der Präsidentschaft der Agnellis, hat sich verändert von, eigentlich dem italienischen Wirtschaftswunder in den 50er- und 60er-Jahren, da kam auch der Aufstieg von Juventus, zu diesem korrupten Italien, also korrupt auf allen Ebenen, ich sage nur, als Juventus zur Börse ging, einen großen Teil der Aktien hat Gaddafi gekauft. Und sein Sohn hat übrigens zum Turiner Kader gehört.
Kassel: War das auch – das ist ja noch gar nicht so lange her, dieser Börsengang, 2001 war das – war das so, es ist ja schon einiges passiert, vor allen Dingen auch in den 90er-Jahren, aber war das so der ultimative Sündenfall, war das eine Art Größenwahn, der da ausgebrochen ist?
Claussen: Nein, ich glaube, das war genau das, was ja uns alle noch bewegt, eigentlich im Grunde genommen die Veränderung, die Struktur – oder man kann sagen, der Strukturwandel im Kapitalismus. Dass man plötzlich sozusagen schnelle Börsengewinne, dass der Fußball auch eben aktienmäßig erteilt werden sollte, das heißt nicht irgendwie Merkantilisierung oder sonst etwas, sondern es wurden kurzfristige Erfolge erzielt. Da sind auch andere im Geschäft. Also sie können das universitäre Medium nehmen. Gaddafi hat sich auch die LSE in London gekauft, damit sein Sohn dann promovieren konnte. Die haben auch eine Million Dollar von ihm genommen. Und so war das einfach. Man hat plötzlich dann irgendwie gedealt mit irgendwelchen Aktienpaketen. Der Verein sollte Gewinn abwerfen, das ist aber totaler Quatsch.
Kassel: Fußball funktioniert ja nicht ohne Geld, das ist klar, aber es funktioniert auch nicht ohne Fans, und ich hab es gerade schon gesagt, Juventus hat immer noch, und ich glaube, das ist gar nicht groß zurückgegangen zur Zeit der Skandale vor einigen Jahren, hat immer noch eine enorme Fanbasis in Italien selber, aber auch weltweit. Ich weiß zwar nicht, wie man so was nachzählt, aber halbwegs seriöse Angaben reden halt tatsächlich von 200 Millionen Fans. Mir hat jemand erzählt, für ihn hätte Turin folgendes Image: Es sei so eine Mischung, wenn man es auf Deutschland überträgt, aus dem SC Freiburg und dem FC Bayern München. Das ist jetzt was, was für mich gar nicht zusammengeht, aber würden Sie das trotzdem für ein stimmiges Bild halten.
Claussen: Nein. Es gibt keine Parallele in Deutschland dazu, weil Juventus Turin ist Italien. Das ist einerseits das produktive Norditalien, ein hochrationaler Fußball, der da gespielt wird. Also der Fußballsachverstand in Turin ist groß. Also das dürfen Sie nicht denken, das sind irgendwelche Idioten. Aber, sozusagen, dem Fußballerfolg nachzuhelfen, das war auch Italien. Und das ist Moggi. Moggi, mit dem die ganzen Spielabsprachen... Das ist auch vorher. Warum hat Zidane diesen Verein verlassen? Zidane ist dann weggegangen von dem Verein, weil er diese medizinische Betreuung nicht leiden konnte.
Die medizinische Betreuung bedeutet nämlich, also – ich bin fest davon überzeugt, dass es dort zu flächendeckendem Doping gekommen ist. Es ist hochinteressant zu sehen, dass die meisten Tore, jedenfalls die Siegtore von Juventus in der 92. oder 93. Minute erzielt werden. Das hängt einerseits mit dem Doping, nach meine Meinung mit dem Doping, den Ausdauerkünstlern zusammen, andererseits mit den italienischen Schiedsrichtern. Die lassen so lange spielen, bis das entscheidende Tor fällt.
Kassel: Aber wenn man das zusammen nimmt, diese Dopingvorwürfe und kurz danach, es war nur wenige Jahre danach, dann die Spielmanipulation, da frage ich mich aber aus Sicht eines Fans, warum, und so scheint das aber zu sein bei vielen Turin-Fans, warum haben die dann immer noch nicht die Schnauze voll. Ich meine, das macht doch keinen Spaß mehr, wenn man guckt und weiß, es ist wahrscheinlich eine Mischung aus Absprachen und Medizin.
Claussen: Die Turin-Fans muss man auch unterscheiden. Die internationalen beziehungsweise schon die nationalen Turin-Fans in Italien, in Mittelitalien, in Süditalien, das sind ganz andere Turin-Fans als die, die da im Stadion sind. Die da im Stadion sind, die sind zum Teil ganz grässlich. Das sind ganz grässliche Gruppen. Das hat sich auch in den 90er-Jahren entwickelt mit der Ultra-Bewegung. Und die Vereinsführung hat denen sehr, sehr viel überlassen. Also Fan-Geschäfte, Trikothandel und so weiter und so fort, die auch dazu beigetragen haben zu der Fußballkatastrophe im Heysel-Stadion damals. Und das sind Schläger, das sind Mafia, das sind richtige Mafia-Gruppen. Also die sind ganz, ganz übel, und sie sind auch total rassistisch. Alle diese Vorfälle mit Ballotelli, als der noch bei Inter gespielt hat, es war immer Turin, immer in Turin. Das Publikum ist auch so verrottet, das ist also schlimm. Und deswegen, ja, die Freunde, die ich habe, die gehen ja gar nicht mehr ins Stadion!
Kassel: Das würde aber auch heißen, wenn ich das mal so zynisch formulieren darf, eigentlich passen die in Italien alle zusammen, das Management, die Gesellschaft überhaupt und die Fans.
Claussen: Ja, leider. Der Niedergang des italienischen Fußballs oder der italienischen Fußballkultur, der liegt auf der Hand. Das Irre ist eigentlich, dass dieser Niedergang der italienischen Fußballkultur nicht der Erfolgsstruktur zum Beispiel der Fußballnationalmannschaft entspricht. Ich sage ja, Sie werden immer in Italien 20 hochqualifizierte Spieler finden, die eine Zone verteidigen können und die einen Pass genau spielen können, der zum Tor führt.
Kassel: Angesichts all dieser Tatsachen, Herr Claussen, finden Sie denn das Spiel heute Abend überhaupt noch interessant?
Claussen: Ja, auf jeden Fall ist das interessant. Und wir wollen mal sehen, nicht, Bayern sind in diesem Jahr die Überflieger der Saison in der Bundesliga, aber mal sehen, ob sie gegen so einen wirklich mit allen Wassern gewaschenen Gegner bestehen können.
Kassel: Ihr Tipp?
Claussen: Ich rechne mit einem knappen Bayern-Sieg.
Kassel: Das sind doch klare Worte auch zum Schluss noch, davor ja auch, von Detlev Claussen, emeritierter Professor für Gesellschaftstheorie an der Uni Hannover und Autor mehrerer Bücher zum Thema Gesellschaft und Fußball.
Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, auch wenn ich zugeben muss, meine Vorfreude aufs Spiel hat es nicht direkt gesteigert. Trotzdem vielen Dank!
Claussen: Okay, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.