Korruption an ukrainischen Hochschulen

Einsamer Kampf gegen den Kauf von guten Noten

Demonstration gegen Korruption in Charkow
Aktivisten des lokalen Antikorruptionszentrums demonstrieren in Charkow: Am Mikrofon der Leiter des Zentrums, Dmitro Drobot. © Dmmitro Dorogoj
Von Sabine Adler |
Die grassierende Korruption im Land war vor vier Jahren für die meisten Maidan-Protestierer der Grund, sich auf dem Platz in Kiew zu versammeln. Wie viel Mut für den Kampf gegen Korruption auch heute nötig ist, hat DLF-Reporterin Sabine Adler in Charkow erfahren.
Für Julia Tretjak könnte die Welt in Ordnung sein. Die junge Ukrainerin studiert in Charkow – einer beliebten Universitätsstadt im Osten des Landes – Jura, ihr Wunschfach. Wären da nicht die Dozenten. Sie verleiden ihr das Studium, gesteht sie in einem Café wenige Schritte von der Universität entfernt.
"Im zweiten Studienjahr gab es einen Professor, der wollte in der Werchowna Rada Abgeordneter werden. Er gab uns vor den Prüfungen zu verstehen, dass jedem, der sein Buch kauft, bei der Prüfung eine gute Note sicher sei."

Buch kaufen, gute Note bekommen

Die ernsthafte 20-Jährige will den Stoff lernen, nicht kaufen, denn sie setzt sich schon jetzt ehrenamtlich für die Rechte von Strafgefangenen ein, will Anwältin oder Kriminalpolizistin werden. Deswegen kaufte sie das Buch nicht, sah aber zu wie das andere taten.
"Ich fotografierte mit meinem Telefon, wie ein Student das dünne Buch kaufte, für 370 oder 380 Griwna, um die 12 Euro. Ich habe das Foto im Netz gepostet, aber ich schrieb kein Wort von Korruption. Wenig später wurde ich zur Hochschulleitung zitiert, der Dekan und der Rektor stellten mich zur Rede. Und meine Kommilitonen waren sauer auf mich, denn sie fanden, dass ich jetzt alles verdorben hatte, wo sie doch mit dem Buchkauf automatisch gute Noten bekommen hätten."
Julias Freundin Wladislawa Nikolajewa studierte ein Semester in Lugansk in der heutigen sogenannten Volksrepublik. Doch als ihr Studentenwohnheim beschossen wurde und vier ihrer Kommilitonen verletzt wurden, zog die Universität um. Und mit ihr die Korruption.
"Bei uns passiert das gleiche. Wer nicht an den Lehrveranstaltungen teilnimmt, kauft sich einfach die Bücher von den Lehrkräften. Aber das sind nicht immer nur Fachbücher. Eine Dozentin in Lugansk hat einen Gedichtband herausgegeben, den auch jeder von uns kaufen sollte."

Bildungswesen in Not

Trotz ausgelagerter Universität kann von Studium keine Rede sein, denn die Lehrkräfte seien mehr ab- als anwesend.
"Ich bin Fernstudentin, aber selbst die wenigen Veranstaltungen finden kaum statt. Die meisten Studenten nehmen das hin, kaum jemand fordert unsere Rechte ein, es interessiert keinen."
Mit dem Zerfall der Sowjetunion verlor das gesamte Bildungswesen seine ideologische Bedeutung und damit fast völlig seine Finanzierung. Die Hochschulen blieben wie jetzt im Ukraine-Krieg fast sich selbst überlassen, erklärt Eduard Klein.
Er legte gerade seine Dissertation über Bildungskorruption in Russland und in der Ukraine vor. Das Lehrpersonal musste sich damals selbst durchschlagen. Die Not habe erfinderisch gemacht: Alles – vom Prüfungsschein über Diplome bis zum Doktortitel – könne bis heute gekauft werden, aber alles habe seinen Preis.
"Das kann wirklich bei 10, 20 Euro beginnen für eine Prüfungsleistung. Wenn man sich ein größeres Examen kaufen will, ist das dann schon mehr, das kann durchaus in ein paar Tausend Euro hochgehen, was für die Ukraine sehr viel Geld ist. An einigen Hochschulen ist dieses System schon so perfektioniert worden, dass teilweise Anfang des Semesters informelle Preislisten rumgehen, welche Note wie viel kostet. Und im Grunde ist das auch so eine Sicherheit für die Studenten, weswegen sie das vielleicht im Einzelfall lieber machen."

Abgestraft beim Benoten

Julia Tretjak ist jetzt im dritten Studienjahr und hat wieder Ärger, wieder wegen eines Buches, das die Studenten kaufen sollten, wegen eines Postes, in dem sie das öffentlich machte, wieder gab es ein Gespräch beim Dekan, der sie abkanzelte, wie sie sagt.
"Am nächsten Tag gab es eine Zwischenprüfung, wo ich sieben Punkte bekam. Sieben von hundert möglichen. Studenten, die nie in einer Lehrveranstaltung waren, hatten 80 oder 90 Punkte bekommen. Die Dozentin gab mir keine Erklärung, die Unterlagen von dem schriftlichen Test hatte sie angeblich nicht aufgehoben. Aber sie fragte mich, ob ich denn kein Gewissen hätte, solche Dinge zu posten. Meine Kommilitonen mussten eine Petition gegen mich unterschreiben. Nur drei taten das nicht, weil ich die Wahrheit geschrieben hätte."
Julia legte gegen ihr schlechtes Testergebnis Einspruch bei der Beschwerdestelle ein. Ihre Dozentin erschien nicht, dafür war ihr Test wieder aufgetaucht und wurde sehr gut benotet mit 90 Punkten. Der Chef des Lehrstuhls machte eine Kehrtwende und sagte ihr seine Unterstützung zu. Die meisten Kommilitonen reden bis heute nicht mit ihr.

Unabhängig, aber unterfinanziert

Nach den Demonstrationen auf dem Maidan, die ja mit Studentenprotesten auch gegen die allgegenwärtige Korruption im Bildungswesen begannen, bekam die Hochschulen zwar mehr Geld, das sie jetzt selbst verwalten, aber längst nicht genug, nur ein Fünftel dessen, was zum Beispiel Polen ausgibt, das etwa gleich viele Einwohner hat, sagt der Politikwissenschaftler Eduard Klein.
"60 bis 70 Prozent der Ukrainer haben einen Hochschulabschluss. Das ist viel mehr als in Deutschland zum Beispiel. Aber gleichzeitig bedeutet das auch, dass die Qualität durch diese Korruption sehr viel schlechter geworden ist. Das sieht man dann auch, die Diplome werden in Deutschland und in anderen Ländern nicht anerkannt, weil man eben nicht weiß, was hinter diesem Abschluss steht, ist er nicht einfach nur gekauft."
Zumindest in das ukrainische System der Studienplatzvergabe hat eine Reform vor zehn Jahren mehr Transparenz gebracht.
"Vielleicht werde ich dadurch stärker. Auf jeden Fall weiß ich, mit wem ich hier zu tun habe. die meisten fragen immer nur: Julia, wieso tust du das? Die werden dich rausschmeißen."
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