Korruption

Dolce Vita und deutsche Waffen

Ein Panzer KPz Leopard 2 A6 EX fährt am 15.7.2002 auf einer Teststrecke der Krauss-Maffei-Wegmann GmbH in München
Griechenland verfügt über mehr Panzer als Deutschland und Frankreich zusammen. © picture-alliance / dpa/dpaweb / Matthias Schrader
Von Eleni Klotsikas |
Panzer, U-Boote, Flugabwehrsysteme: Das griechische Militär kaufte für Milliarden modernstes Kriegsgerät und ließ sich mit Millionenbeträgen bestechen - auch von deutschen Firmen. Nun packen einige Beteiligte aus.
Ich stehe am Straßenrand der Leoforos Megalou Alexandrou in Thessaloniki. Panzer rollen an mir vorbei. Russische, amerikanische und ganz zum Schluss, als großes Highlight inszeniert: rund 50 deutsche Panzer vom Typ "Leopard". Der Asphalt vibriert unter meinen Füßen. Seltsam, irgendwie beängstigend.
Gefeiert wird heute der griechische Nationalfeiertag, der jedes Jahr traditionell mit einer Militärparade begangen wird. Doch seit der Krise ist vieles anders: Früher waren die Straßen voll mit Menschen, die fröhlich griechische Fahnen schwenkten. Doch am 28. Oktober 2013 ist es still geworden am Straßenrand. Die Polizei hat alles hermetisch abgeriegelt, um die Parade vor wütenden Demonstranten zu schützen. Seitdem bekannt ist, dass die Eliten bei Rüstungseinkäufen Millionen an Schmiergeldern kassiert haben, jubelt niemand mehr. Bürger bewarfen das schwere Kriegsgerät bei der letzten Parade sogar mit Eiern und Joghurt. Schließlich waren es auch die teuren Rüstungseinkäufe, die das Land in die Schuldenkrise getrieben haben.
Auf der Tribüne mir gegenüber stehen, hoch dekorierte Offiziere und Politiker. Sie schauen der Panzerkolonne zu. Doch ihre Gesichter wirken angespannt. Sind sie vielleicht die nächsten, die verhört werden?
Zwei Monate später lädt die Athener Staatsanwaltschaft Antonis Kantas zum Verhör. Er war stellvertretender Direktor für Rüstungseinkäufe im Verteidigungsministerium. In Athen besorge ich mir die Vernehmungsprotokolle. Ihnen zufolge packt Kantas richtig aus und belastet auch deutsche Rüstungsfirmen:
"Der Minister wollte die Leopard-2-Panzer kaufen. Ich war dagegen, denn ich hielt ihren Preis für zu hoch. Als der griechische Vertreter der Firma Krauss-Maffei Herr Liakounakos von meiner Skepsis erfuhr, wollte er mich treffen."
Ein Rucksack voller Geld
Die Staatsanwaltschaft will wissen, was dann passiert ist.
"Im Dezember 2001 besuchte er mich in meinem Büro. Er bat mich, keine Einwände mehr gegen die Leopard-Panzer einzulegen. Er hatte einen Rucksack bei sich, den er beim Gehen auf meiner Couch liegen ließ. Ich rief ihm zu: 'Du hast Deine Tasche vergessen.' Er drehte sich um und sagte: 'Ich habe sie nicht vergessen, das ist für Dich!' Als er ging, öffnete ich die Tasche und fand darin 600.000 Euro. Ich hatte keine Einwände mehr."
Vier Tage lang dauert das Verhör. Am Ende gesteht Antonis Kantas nicht nur bei den Leopoard-Panzern, sondern bei weiteren neun Rüstungseinkäufen Bestechungsgelder kassiert zu haben: Insgesamt acht Millionen Euro zahlen ihm Rüstungsfirmen dafür, dass er ohne Einwände zu erheben, seine Unterschrift unter die Verträge setzt, darunter auch viele deutsche Firmen.
Kantas Geständnis
In Athen besuche ich Jiannis Mantsouranis. Er ist einer der beiden Anwälte von Antonis Kantas. Ich bin erstaunt, wie offen er mit mir über alles redet.
"Herr Kantas besitzt auf seinen Konten in der Schweiz und in Singapur 15.700.000 Millionen Dollar. Es handelt sich um Schmiergelder, die er über die Jahre gewinnbringend angelegt hat. Er benennt drei deutsche Firmen: die Firma Wegmann, Krauss-Maffei und STN Atlas. Er hat nicht direkt Geld von ihnen erhalten, sondern von ihren Vertretern in Griechenland, die alle Griechen sind. Darüber hinaus hat Herr Kantas den Behörden alle seine Konten in der Schweiz genannt und auch Kontobewegungen offen gelegt."
Griechische Zeitungen bezeichnen Kantas Geständnis als "reißenden Fluss" der Enthüllungen. Er benennt 30 weitere Personen, die ebenfalls bestochen wurden, darunter Staatssekretäre und hohe Offiziere. Und: Herr Kantas nennt die Namen der Firmenvertreter und die Summen, die er erhalten haben will.
Um sich Strafmilderung zu verdienen, will Kantas sein illegal erworbenes Vermögen dem griechischen Staatshaushalt gutschreiben. Ich besuche seinen Anwalt Ilias Bissias. Er ist mit der Rückführung der Bestechungsgelder nach Griechenland beauftragt. Auch er bestätigt die illegalen Vorgänge:
"Ich denke an die 170 Leopard-Panzer, die im Jahre 2008 nach Griechenland geliefert worden sind. Unser Mandant hat zugegeben, dass der Vertrag im Jahre 2002 unterzeichnet worden ist, aber dass er bereits Ende 2001 600.000 Euro von dem ehemaligen Vertreter der KMW in Griechenland erhalten hat."
"Können Sie beschreiben, welcher Bestechungsfall bei der Firma Atlas vorliegt?"
"Bei Atlas sind uns bereits zwei Bestechungsfälle bekannt. Der eine bezieht sich auf ein konkretes Waffensystem für U-Boote. Da hat unser Mandat 600.000 Euro von dem Vertreter der Atlas Elektronik erhalten. Und beim zweiten Bestechungsfall - hier haben wir mit einem konkreten Flugabwehrsystem zu tun - und dort erzählt unser Mandant, dass er 1,5 Millionen bekommen hat."
Zu sehen ist eine Essensausgabe in Athen. Einheimische und Migranten erhalten von freiwilligen Helfern Lebensmittel.
Während sich manche die Taschen mit Geld vollstopften, sind viele Griechen mittlerweile ohne Job und ohne Perspektive.© dpa / Sandra Weller
Schecks an eine Briefkastenfirma
Das Bestechungsmodell ist immer das gleiche: Ex-Rüstungsdirektor Antonis Kantas löst Schecks, die offiziell von Briefkastenfirmen ausgestellt sind, auf den Schweizer Bankkonten seiner eigenen Briefkastenfirmen ein. Die Schecks tragen die Unterschrift von Panagiotis Efstathiou, langjähriger Griechenland-Vertreter der deutschen Rüstungsfirmen Atlas, Rheinmetall und HDW.
Der 83-Jährige wird ebenfalls zum Verhör vorgeladen. Und auch er packt aus. Den griechischen Staatsanwälten gesteht er, sowohl beim Verkauf eines Flugabwehrssystems von "Atlas" - heute "Rheinmetall" - als auch bei Waffensystemen für U-Boote bestochen zu haben. Doch er versichert, er habe immer auf Anweisung der deutschen Rüstungsmanager gehandelt.
"Als sich abzeichnete, dass unser Waffensystem für die neuen U-Boote gekauft werden sollte, bestellte mich Herr Kantas in sein Büro. Er fragte mich: Was habe ich davon? Wir können auch französische oder amerikanische Waffensysteme kaufen. Daraufhin ging ich zu den Verantwortlichen von Atlas und berichtete ihnen von den Drohungen von Herrn Kantas, den Vertrag platzen zu lassen. Auf Anweisung der Verantwortlichen von Atlas habe ich dann die Höhe der illegalen Forderungen verhandelt."
8,5 Millionen Euro überwies Atlas Elektronik in den Jahren 2002 bis 2007 an eine Briefkastenfirma von Efstathiou in London. Rund neun Millionen Euro kommen in Anschluss an die Firma Rheinmetall. Der Düsseldorfer Rüstungskonzern hatte 2007 die Heeressparte von Atlas Elektronik gekauft. Insgesamt erhielt Efstathiou von den Firmen 18 Millionen Euro. Mit der Hälfte des Geldes soll er griechische Rüstungseinkäufer und Offiziere bestochen haben. Und, wie es im Vernehmungsprotokoll heißt: auch deutsche Rüstungsmanager wurden geschmiert.
Bestechungsgeld auch für deutsche Manager?
Efstathiou behauptet laut Vernehmungsprotokoll, Manager von Rheinmetall hätten von ihm verlangt, er solle einen Teil der Bestechungsgelder an ihre privaten Konten überweisen. Manager, die sich selbst bestechen? Unglaublich! Oder doch normal? Hier steht: "Die Deutschen, die die Schmiergeldzahlungen anordneten, waren es gewohnt, eine Rückzahlung der illegalen Gelder an sich selbst zu verlangen."
Kick-Back-Zahlungen heißt das im Fachjargon.
"Betreff: Korruptionsvorwürfe aus Griechenland
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin Journalistin und berichte über deutsch-griechische Korruptionsfälle. Ihr Griechenland-Vertreter behauptet, dass er in Ihrem Auftrag griechische Amtsträger bestochen hat, um ein Waffensystem für U-Boote im Jahr 2000 zu verkaufen. Er behauptet auch, dass einige Manager von Atlas Rückzahlungen der Bestechungsgelder an sich selbst verlangt und auch erhalten hätten. Was sagen Sie dazu?"
Die Firma Atlas Elektronik sitzt in Bremen und erwirtschaftet mit dem weltweiten Verkauf von Waffensystemen für U-Boote und Kriegsschiffe einen jährlichen Umsatz von über 230 Millionen Euro. Dass es in Griechenland zu Bestechungen gekommen ist, will die Firma nicht ausschließen, beteuert aber schriftlich in einer E-Mail:
"Compliance-Verstöße jeglicher Art werden im Unternehmen in keiner Weise geduldet. Sollten sich die Vorwürfe als zutreffend erweisen, behält sich Atlas Elektronik vor, Schadenersatzansprüche gegen die Verantwortlichen geltend zu machen."
Atlas Elektronik und Rheinmetall wiegeln ab
Zu meiner Frage nach dem Rückfluss von Bestechungsgeldern an die eigenen Manager des Unternehmens will Atlas Elektronik keine Stellung beziehen.
Nachfrage auch bei Rheinmetall: Das Unternehmen in Düsseldorf streitet jegliche Vorwürfe ab, es habe beim Verkauf von 54 Flugabwehrsystemen vom Typ Asrad an Griechenland bestochen.
"Es hat keine unzulässigen Zahlungen an griechische Amtsträger gegeben. Entsprechende Vorwürfe entbehren jeder Grundlage. Zu Aussagen von Panagiotis Efstathiou und Antonis Kantas können wir wegen des laufenden Verfahrens keine Stellung beziehen."
Geschäftsbeziehungen mit Herrn Efstathiou streitet das Unternehmen jedoch keineswegs ab. Es heißt, Herr Efstathiou habe für Rheinmetall lediglich "konkrete Leistungen" erbracht. Darunter das "Erstellen von Marktstrategien" oder sogenannte "Beratungsleistungen":
"Mit externen inländischen Beratern arbeiten Unternehmen üblicherweise insbesondere in solchen Marktregionen zusammen, in denen die Geschäftssprache (hier griechisch) nicht zum Unternehmensstandard gehört und zugleich komplexe rechtliche Beschaffungsvorschriften zu berücksichtigen sind."
Zu den Vorwürfen bezügliche der Kick-Back-Zahlungen an Manager möchte sich Rheinmetall nicht äußern.
Die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt
Die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt bereits seit mehr als drei Jahren gegen Atlas Elektronik und Rheinmetall. Ob es zu einer Anklage kommt, ist immer noch unklar. Die Geschäfte in Griechenland laufen trotzdem weiterhin prima: Erst vor wenigen Wochen erhielt der Düsseldorfer Rüstungskonzern einen neuen Großauftrag aus Griechenland. Das Land kauft Munition für die Leopard-Panzer und das mit Hilfszahlungen aus dem zweiten Rettungspaket der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds.
München - Stillschweigen bei der Firma Kraus-Maffei Wegmann. Meine Bitte um Stellungnahme zu den Bestechungsvorwürfen wird ignoriert. Auch hier sollen Manager von Kick-Back-Zahlungen persönlich profitiert haben. Ein ehemaliger Vertreter hat dies der Staatsanwaltschaft gestanden. Sogar eine Liste der illegalen Zahlungen offengelegt. Doch der Münchner Rüstungskonzern reagiert nicht einmal auf meine E-Mail-Anfrage.
Am Telefon werde ich immer wieder mit neuen Ausreden abgespeist.
//"Guten Tag, Klotsikas, ich recherchiere für Deutschlandradio Kultur zu Bestechungsvorwürfen aus Griechenland beim Verkauf von Leopard-Panzern im Jahre 2002.
Ich hatte Ihnen vor einer Woche eine E- Mail mit Fragen gesendet und noch keine Antwort erhalten.
Im Spam-Ordner gelandet? Dann schicke ich sie ihnen gerne noch mal. Haben Sie Sie jetzt erhalten?"//
Bis heute gab es keine Antwort.
Gegen den ehemaligen Vize-Präsidenten der Firma Wegmann, Olaf Eschler, haben die griechischen Behörden Haftbefehl erlassen. Er soll bei der Bestechung aktiv beteiligt gewesen sein und fast eine Million Euro als Kick-Back-Zahlung erhalten haben. Selbst Krauss-Maffei Wegmann reicht gegen den pensionierten Rüstungsmanager Klage ein, um sie später wieder fallen zu lassen. Das Unternehmen schweigt dazu. Die Staatsanwaltschaft München aber ermittelt inzwischen gegen Olaf Eschler und andere Manager. Allerdings wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung. Bestechung als Straftatbestand ist in Deutschland in den meisten Fällen bereits nach fünf Jahren verjährt. Im Visier der Münchner Staatsanwälte sind sogar zwei ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete, die verdächtigt werden bei der Bestechung geholfen zu haben.
Die Flagge Griechenlands weht im Sommerwind.
Griechenland will den korrupten Sumpf austrocknen.© dpa / Maurizio Gambarini
"Wir sagen niemals Nein"
Meine Suche geht in Athen weiter. Einer ist noch nicht von der Staatsanwaltschaft vernommen worden: Der Griechenland-Vertreter von Krauss-Maffei: Thomas Liakounakos. Er hat den Verkauf der 170 Leopard-Panzer an Griechenland eingefädelt. Und: Er ist der Mann, der den Rucksack mit 600.00 Euro im Büro des Rüstungsdirektors vergessen haben soll. Bestechungen in bar sind schwer nachzuweisen. Aber ich bin gespannt, was Liakounkos dazu sagt.
Liakounakos Büro liegt im letzten Stock eines modernen Gebäudes im Athener Edelbezirk Kiffissia mit Blick auf die ganze Stadt. Erwartet werde ich bereits von zwei Männern im Treppenhaus. Sie durchsuchen meine Tasche offenbar nach Waffen. Die beiden gehören zur persönlichen Leibgarde von Liakounakos. Thomas Liakounakos, Anfang 60, empfängt mich in seinem Arbeitszimmer. Er trägt einen maßgeschneiderten Anzug, Krawatte und ein weißes Hemd. Die Fensterbretter und Bestelltische sind voll gestellt mit Fotos von Rennbooten und Ski-Urlauben. An der Wand über seinem Schreibtisch hängt eingerahmt sein Harvard-Abschluss.
"Wir sind ein Liason-Office zwischen dem griechischen Militär und der Firma Krauss-Maffei. Wenn irgendein Bedürfnis befriedigt werden muss, dann treten wir ein. Sogar nach der Lieferung befriedigen wir jeden Wunsch: morgens, mittags, abends. Wir sagen niemals Nein."
Seit den 80er-Jahren vertritt er die Firma Krauss-Maffei in Griechenland. Er erzählt, dass er diesen Job liebt. Mit dem Panzerdeal hat er persönlich ein Vermögen gemacht. 26 Millionen Dollar wurden ihm angeblich von Krauss-Maffei Wegmann für die Erbringung von Serviceleistungen überwiesen. Bestechungsgelder gezahlt habe er keineswegs. Das sei auch gar nicht nötig gewesen, sagt Liakounakos:
Ein lukrativer Deal
Mit großer Freude teile ich Ihnen mit, dass der deutsche Panzer von Krauss- Maffei die beste Bewertung auf allen Ebene bekommen hat. Wir den Zuschlag aufgrund höchster Qualität und besten Preisen erhalten. Es ist wie im Fußball: Braucht Bayern eine besondere Beziehung zum Schiedsrichter, um die Meisterschaft zu gewinnen? Die Antwort ist NEIN. Warum? Die Mannschaft ist einfach gut. Das gleiche gilt für den Leopard-Panzer.
"Herrr Kantas behauptet allerdings, sie hätten in seinem Büro einen Rucksack mit 600.000 Euro vergessen. Was sagen Sie dazu?"
"Ich bin wirklich sauer! Ich war nie in seinem Büro, ich habe auch nie einen Rucksack mit Geld dort liegen lassen. Er lügt! Ich weiß noch nicht mal, wo sich sein Büro befindet. Was er behauptet, ist unverschämt! Wir haben schon mit unseren Rechtsanwälten darüber besprochen und werden Maßnahmen ergreifen. Es kann ja auch sein, dass er mich mit jemandem anderen verwechselt hat."
Eine Verwechslung? Thomas Liakounakos erhebt sich gut gelaunt von seinem Stuhl. Sollte er tatsächlich Amtsträger in bar bestochen haben, wird ihm das schwer nachzuweisen sein. Nach unserem Gespräch bietet er mir Pralinen an. Er will sie sogar für mich zum Mitnehmen einpacken lassen. Dankend lehne ich ab.
Auch für die Münchner Staatsanwaltschaft scheint die Aussage von Antonis Kantas bei den Staatsanwälten in Athen nur heiße Luft zu sein. In einer E-Mail erklärt die Behörde: "Ein ausreichender Anfangsverdacht für eine verfolgbare Straftat ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben".
Korruption ist nicht mehr salonfähig
Ich laufe über den Syntagma-Platz zu meiner nächsten Verabredung. Auf dem Platz vor dem großen Parlament fanden vor zwei Jahren noch blutige Straßenschlachten zwischen der Polizei und Demonstranten statt. Tausende protestierten gegen die einschneidenden Sparmaßnahmen der Regierung. Die Demonstrationen haben abgenommen, doch die Wut vieler Griechen auf die Politiker, die das Land in die Staatspleite getrieben, ist geblieben. Viele Menschen sind inzwischen verarmt. Fast drei Millionen Griechen haben noch nicht einmal mehr eine Krankenversicherung. Doch immerhin: Etwas hat sich auch zum Positiven geändert: Korruption scheint nicht mehr salonfähig.
In einem Aufsehen erregenden Prozess wurde der ehemalige Verteidigungsminister Akis Tsochatspoulos letztes Jahr zu 20 Jahren Haft verurteilt. Auch seine Frau und Kinder als Nutznießer der Korruption müssen Strafen absitzen. Ins Gefängnis gebracht hat sie alle Nikos Zigras. Er ist der Cousin des ehemaligen Verteidigungsministers, sein Schattenmann und sein Verräter.
Ich treffe ihn im Büro seines Anwalts in der Nähe des Syntagma-Platzes im Zentrum Athens. Zigras spricht gebrochen deutsch, denn er hat früher einmal in Deutschland gelebt:
"Ich musste die Wahrheit sagen. Ich konnte nicht anders, denn das war eine Last für mich und ich werde diese ewig in meinem Leben tragen. Ich bin frei, aber ich habe keine Freunde. Ich bin eine tragische Figur mehr oder weniger."
Der alte Mann mit dem schmalen, langen Gesicht ist 78 Jahre alt, seine Haare sind ihm längst ausgefallen. Er macht sich Vorwürfe: Durch seine Aussage vor Gericht hat er seinen Cousin, dessen Familie und viele Freunde schwer belastet. Er selbst wäre ohne sein Geständnis in einer finsteren Zelle im Athener Schwerverbrecherknast verendet. Genau dort wo sein Cousin jetzt einsitzt. Er erzählt mir seine Lebensgeschichte. Sie klingt wie aus einem Drehbuch für einen Krimi.
Alles fing mit einem kleinen Gefallen an. Nikos Zigras hat gerade einen Anruf bekommen. Es ist sein Cousin, der griechische Verteidigungsminister. Ob er mal schnell etwas für ihn erledigen kann?
"Zum Beispiel sagte er: ok, geh mal in dieses Hotel. Da ist jemand, der hat für mich was mitgebracht. Und was hat er mitgebracht? Einen Koffer. Der hat immer Leute mit sich gehabt. Ich habe einen von diesen Leuten mitgenommen und wir haben natürlich den Koffer in sein Büro gebracht. Ich mache den Koffer auf und der war voll mit Geld gewesen! Was ist den das überhaupt hier?"
80 Millionen Drachmen, umgerechnet: 235.000 Euro, fein säuberlich in Scheinen gebündelt und in den Satinbezug eines Aktenkoffers gebettet - soviel Geld hat der Holzhändler noch nie zuvor gesehen. In Freiburg hat er eine Ausbildung zum Holzkontor gemacht und ist Anfang der 80er-Jahre nach Griechenland zurückgekehrt. Sein größter Fehler, wie er heute beteuert, denn mit dem politischen Aufstieg seines Cousins begann auch seine eigene zwielichtige Karriere: als Schattenmann eines der mächtigsten Männer Griechenlands.
Leben auf großem Fuß
"Ich habe das Geld entgegen genommen, das er mit den Rüstungsunternehmen ausgehandelt hatte. Ich hatte selbst mit diesen Firmen keinen Kontakt, habe aber Gespräche mitbekommen. Und er hat mir auch nie gesagt, dass es sich um Bestechungsgelder handelt. Er behauptete immer, das Geld stamme von Investmentfonds."
"Aber irgendwann habe ich dann rausgefunden, dass mir bestimmte Leute Geld als Gegenleistung dafür gaben, dass der Minister Rüstungseinkäufe tätigte."
Die Staatsausgaben für Rüstungsprojekte und Waffen erreichten in Griechenland zu dieser Zeit astronomische Höhen und liegen weit über dem EU-Durchschnitt. Der ehemalige Verteidigungsminister investiert mit geliehenem Geld Milliarden vor allem auch in deutsche Waffen. Unter anderem kauft er: vier U-Boote der Howaldtswerke-Deutsche Werft im Wert von 1,14 Milliarden Euro. Dazu 170 Panzer, Typ Leopard-2, Wert: 1,7 Milliarden Euro. Und: dutzende Militärfahrzeuge von Mercedes Benz. Heute besitzt Griechenland mehr Panzer als Frankreich, Deutschland und Großbritannien zusammen.
Dolce Vita mit deutschen Waffen: Zeitgleich mit den Rüstungseinkäufen wurde der sozialdemokratische Minister immer reicher. Auf dem Papier war es das Geld seines Cousins Nikos Zigras. Er war der Strohmann. Alle Konten in der Schweiz liefen auf dessen Namen. Der Verteidigungsminister hatte offiziell nichts damit zu tun.
"Meine Aufgabe war es, sein Geld zu verwalten nach seinen Anweisungen, immer nach seinen Anweisungen. Machst Du das, machst Du diese Firma, über diese Firma kannst Du das Geld weiterleiten, endlich mal zu mir zu kommen. Er hat mir immer den Weg gezeigt. Ich war der Diener von dieser Sache."
Schecks satt Bargeld
Bargeld-Koffer nach Griechenland zu schmuggeln wird schwieriger, erzählt mir Zigras. Die Mittelsmänner der Rüstungsfirmen scheuen das Risiko am Flughafen oder beim Zoll erwischt zu werden. Zigras gründet auf Anweisung des Ministers sogenannte Offshore-Firmen in Steuerparadiesen. Dort löst er Schecks auf Bankkonten in der Schweiz ein - im Namen der Offshore-Firmen.
"Die Leute wollten nicht mehr mit Koffern voller Geld hierherkommen, es bereite ihnen zunehmend Schwierigkeiten. Sie gaben mir lieber Schecks, die auf den Namen von Firmen ausgestellt waren, die ich vorher auf Anweisung meines Cousins gegründet hatte. Ich habe die Schecks eingelöst und dann ist das Geld über Umwege nach Griechenland gekommen. Und ich habe es ihm übergeben."
Im Auftrag seines Cousins kauft Zigras mehr als 20 Ferienhäuser und Villen in ganz Griechenland. Offiziell wohnen der Minister und seine Kinder dort nur zur Miete. Zigras selbst lebt bescheiden in einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Luxus bedeutet ihm nichts, seine Ex-Frau wirft ihm sogar Geiz vor. Doch Zigras profitiert auf andere Art von den Bestechungsgeldern seines Cousins.
"Ich bin zu dieser Zeit schwer krank geworden. Weiße Leukämie. Mein Tod war vorgezeichnet. Meine einzige Rettung war, dass ich ins Ausland gehen konnte. In einer Klinik in der Nähe von München habe ich eine lange kostspielige Therapie begonnen. Das hätte ich niemals bezahlen können. Mein Cousin hat das für mich bezahlt. Mit anderen Worten: er hat mein Leben gerettet."
Jeder in Griechenland weiß, dass Ex-Verteidigungsminister Akis Tsochatsopoulos nicht der einzige ist, der sich durch Bestechung bereichert hat. Doch niemand sonnt sich schamloser im illegal erworbenen Luxus als der Sozialist. Gemeinsam mit seiner zweiten Ehefrau Vicky Stamati. Sie ist 30 Jahre jünger und möchte in die High Society Griechenlands aufsteigen. Ihre Hochzeit feiern die beiden glamourös in Paris. Frisch verheiratet zieht das verliebte Ministerpaar in eine elegante weiße Villa direkt unter der Akropolis, die Zigras zuvor über eine seiner Offshore-Firmen für seinen Cousin gekauft hat.
Die Namen derselben Offshore-Firmen, die wiederum Geld an Zigras überwiesen haben, tauchen auf einer Liste auf, die die Münchner Staatsanwaltschaft 2010 bei einer Durchsuchung der Büroräume von Ferrostaal beschlagnahmt. Der Essener Konzern war mit der Abwicklung des griechischen U-Boot-Geschäfts beauftragt und steht in Verdacht, griechische Amtsträger bestochen zu haben. Die Liste der Zahlungen an dubiose Firmen mit Sitz auf Zypern oder in der Karibik ist lang.
Milde Strafen nach Geständnissen
Vergleichsweise kurz ist dagegen der Prozess im Dezember 2011 beim Landgericht München: Der ehemalige Ferrostaal-Vorstand Johann-Friedrich Haun und sein Prokurist gestehen, im Jahr 2000 in Griechenland und drei Jahre später in Portugal für U-Boot-Aufträge Bestechungsgelder in Höhe von 62 Millionen Euro gezahlt zu haben. Wer in den Genuss der vielen Millionen kam, hätten sie nicht gewusst, sich aber auch nicht dafür interessiert, erklären die Angeklagten. Das Gericht spricht die Manager schuldig. Für ihre Geständnisse kommen sie mit einer milden Strafe davon.
Ferrostaal muss knapp 140 Millionen Euro Bußgeld zahlen. Vorstandschef Matthias Mitscherlich, ebenfalls auf der Anklagebank, kann sich an nichts mehr erinnern. Ein gutartiger Gehirntumor, an dem er seinerzeit erkrankt war, ließ ihn vergessen, warum er Zahlungen an karibische Briefkastenfirmen frei gegeben hatte.
Der Rüstungsmanager einigt sich mit den deutschen Staatsanwälten außergerichtlich. Er zahlt 400.000 Euro, das Verfahren wird dadurch eingestellt. Die Akte wird damit geschlossen. Anders in Griechenland: Der Prozess um die Bestehung beim Verkauf der deutschen U-Booten steht noch an.
Die Bekanntschaft von Nikos Zigras habe ich durch seinen Anwalt Stelios Garipis gemacht. Der junge Advokat will ihn auch bei den noch anstehenden Prozessen als Kronzeugen ins Spiel bringen. Schließlich war er es, der seinem Mandanten riet, das Schweigegelübde zu brechen. In Deutschland übliche außergerichtliche Vereinbarungen, wie im Falle von Ferrostaal-Chef Mitscherlich, behindern jedoch die Aufklärungsarbeit, kritisiert der Anwalt Stelios Garipis:
"Es stört die Arbeit. Vor allem wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, dass es, wie Herr Zigras schon betont hat, zwölf weitere Bestechungsfälle allein dieses Ministers gibt. Da können sie sich natürlich vorstellen, um welches Ausmaß an Korruption es sich handelt. Und es besteht die Gefahr, dass sie dadurch nie aufgeklärt werden."
Klima der Aufklärung
Nikos Zigras hat das gesamte Geld, was er auf Schweizer Konten für seinen Cousin versteckt hatte, dem klammen griechischen Staatshaushalt überwiesen. Auch der ehemalige geständige Rüstungsdirektor, Antonis Kantas gab dem griechischen Staat sein illegal erworbenes Vermögen: insgesamt zehn Millionen Euro. Seit dem Ausbruch der Schuldenkrise herrscht in Griechenland ein Klima der Aufklärung. Griechische Staatsanwälte haben bei den deutschen Justizbehörden Akten zu deren Ermittlungen angefordert. Immer mehr Verdächtige werden vernommen, bestätigt Ilias Bissias, Anwalt von Antonis Kantas:
"Was ich unterstreichen kann ist, dass der Wille tatsächlich vorhanden ist. Wir sehen bereits, dass eine ganze Menge von prominenten Leuten im Gefängnis sitzt. Es ist zum einen eine neue Generation, bestehend aus qualitativ besseren Staatsanwälten, und ich glaube auch der Bedarf von der Gesellschaf ist enorm gestiegen."
Dem ehemaligen Rüstungsdirektor Antonis Kantas, den Griechenland-Vertretern von Rheinmetall-Atlas und Wegmann sowie rund 50 weiteren Beschuldigten wird in den kommenden Monaten in Griechenland der Prozess gemacht. Sie werden aussagen, um sich Strafmilderung zu verdienen und sie werden deutsche Rüstungskonzerne weiter mächtig in Erklärungsnot bringen.