Weitere Vorstellungen der Oper "Die Gezeichneten" im Opernhaus Zürich finden am 26.09., 02.10. und weiteren Terminen statt.
Wie Nosferatu in der Glyptothek
Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten" kreist um Kunstvisionen, Sinnesrausch, erotische Grenzüberschreitung, Perversion und Gewalt. Barrie Kosky präsentierte in Zürich seine Lesart des außergewöhnlichen Werkes. Unser Kritiker aber ist enttäuscht.
"Das Reich der Schönheit, das Elysium, wo die sexuelle Entgrenzung möglich ist, die hat hier in Zürich so gar nichts Erotisches", resümiert unser Theaterkritiker Christian Gampert den Premierenabend von Barrie Koskys Inszenierung im Opernhaus Zürich.
Kosky mache aus dem Lustschloss eine Glyptothek, in der sich eine Macho-Gang treffe, ohne dass man irgendwie was Sexuelles sehen könne. Das müsse man zwar nicht, "aber so völlig nur die versteinerte Lust zu zeigen, das ist wirklich das volle Kontrastprogramm", so Gampert weiter.
Über die Hände die Seele erkunden
"Den zweiten Inszenierungszugang bilden die Hände. Die Hauptfigur Carlotta malt Alviano, den hässlichen Zwerg – vor allem seine Hände – weil sie glaubt, dass sie über die Darstellung der Hände die Seele erkunden kann", erklärt Gampert. In Koskys Inszenierung hat Alviano aber keine Hände. "Diese werden dann von Carlotta gemalt."
Das Revolutionäre an diesem Stück sei, dass der männliche Blick auf die verführerische Frau umgekehrt werde: "Carlotta malt den hässlichen Mann und durch diesen Mal-Akt kann sie ihn eventuell erlösen. Das klappt dann nicht so richtig, aber das ist der Zugang, den Barrie Kosky wählt."
Das Ganze gipfle dann in einer Szene, wo sie ihm skulptural Hände auf die Stümpfe aufsetze. "Das sieht dann aus wie Nosferatu in der Glyptothek", erklärt Gampert. Doch letztlich werfe sich Carlotta dem Anführer dieser Macho-Gang an den Hals, die Inszenierung werde also nicht wirklich als emanzipatorische Geschichte durcherzählt.
"Prüde und protestantisch erzählt"
Insgesamt sei das Stück "sehr prüde und sehr protestantisch erzählt". Das müsse daran liegen, dass das Opernhaus in Zürich steht. "Ich glaube, er wollte die erotische Entgrenzung einfach in die Musik legen." Kosky selbst sagte im Vorfeld, diese sei hollywoodgeeignet. Gampert erklärt, dies sei nicht ganz abwegig, da die Musik unheimlich viele Themen anspiele, aber immer nur als Stimmungsbilder. Das erinnere an Hollywood-Filmmusik mit diesen Klangräumen, wo man genau wisse, dass beim Zirpen der Geigen eine Liebesszene komme.
"Das Libretto von Schreker ist schrecklich, ich finde es den reinen Kitsch. Die Inszenierung tut da nicht sehr viel dran, selten so eine schlechte Personenführung gesehen. Kosky kann da auch nicht viel machen." Es werde unheimlich viel erzählt und unheimlich wenig passiere auf der Bühne, sagt unser Kritiker. "Insofern sind diese Skulpturen, die das Leitmotiv sind, eben schon die Vorwegnahme der Inszenierung. Da hätte man mehr draus machen können."
Hoch emotionale Gesangsphrasen
Über die Schauspieler sagt er, dass John Daszak sich wirklich überzeugend durch die vielen Rezitative und diese hoch emotionalen Gesangsphrasen wühle und auch die Verzweiflung dieses hässlichen Menschen zeige, der dann anstelle der "Sex-Gang" der Vergewaltigung angeklagt werde. Catherine Naglestad sei zudem ein "energisch zupackender Sopran, der auch in den hohen Lagen sehr klar und kraftvoll ist, aber als Person auf der Bühne überhaupt nicht präsent ist".
Insgesamt zeigt sich Gampert enttäuscht vom Premierenabend und sagt zum Abschluss: "Die ganze sexuelle Dimension des Stücks ist runter getunt. Das ist sehr protestantisch. Vielleicht ein calvinistischer Schreker für Zürich."