Koskys "Meistersinger" in Bayreuth

"Das deutscheste von allen Wagner-Stücken"

Der Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, steht am 14.07.2017 in Bayreuth (Bayern) vor dem Festspielhaus. Der Australier führt bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen Regie in einer Neuinszenierung der Richard-Wagner-Oper "Die Meistersinger von Nürnberg".
Der Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin, Barrie Kosky, vor dem Festspielhaus in Bayreuth © picture alliance / dpa / Daniel Karmann
Barrie Kosky im Gespräch mit Rainer Pöllmann |
Mit den "Meistersingern" inszeniere er das "deutscheste von allen Wagner-Stücken", sagt Barrie Kosky vor der Premiere zum Festspielauftakt in Bayreuth. Allerdings gehe es in der Oper nur um Richard Wagners Idee von deutscher Identität, erläutert der australische Regisseur.
Barrie Kosky ist nicht nur seit 1956 der erste "Meistersinger"-Regisseur bei den Bayreuther Festspielen, der nicht aus der Wagner-Familie stammt. Sondern er ist auch der erste jüdische Regisseur, der dieses "deutscheste von allen Wagner-Stücken" in Bayreuth inszeniert, so Kosky im Deutschlandfunk Kultur.
Kosky zufolge sind die Meistersinger allerdings kein Stück über deutsche Nationalität und Identität: Es gehe darin lediglich um Wagners Vorstellung von deutscher Nationalität. "Das ist ein enormer Unterschied. Das war eine Befreiung", sagt der Regisseur, der seit 2012 Intendant der Komischen Oper in Berlin ist.

"Die beste Sachs-Beckmesser Kombination, die ich gesehen habe"

Problematisch und widersprüchlich bleibt das Stück für Kosky dennoch. "Jeder Regisseur, der mit einem Wagner-Stück anfängt, muss darauf vorbereitet sein, mit diesen Widersprüchen zu arbeiten", betont er. "Montag denkt man: Toll, das Stück ist fantastisch und diese Szene ist wunderbar. Dienstag hat man hat große Frustration und denkt: Das geht nicht. Mittwoch: Man hasst das Stück. Donnerstag: Man denkt, okay, lass uns zu einer anderen Szene gehen, die Musik da ist viel schöner und interessanter, und freitags: Ich bin froh, dass ich es gemacht habe, obwohl ich sehr widersprüchlich mit meinen Reaktionen bin."
Großes Lob zollt der Regisseur Michael Volle und Johannes Martin Kränzle, den Darstellern des Schusters Hans Sachs und der Stadtschreibers Beckmesser. Diese bildeten "die beste Sachs-Beckmesser-Kombination, die ich gesehen habe", betont er. "Es ist grandios, was sie machen."
(uko)

"Die Meistersinger von Nürnberg"

"Die Meistersinger von Nürnberg", uraufgeführt im Jahr 1868, sind Richard Wagners einzige Komödie (wenn man das Frühwerk einmal weg lässt), und zugleich sind sie eine der umstrittensten Opern der Komponisten.

Im Kern handelt es sich bei der Oper um ein Künstlerdrama. Im Nürnberg des 16. Jahrhunderts befleißigen sich Kaufleute und Handwerker auch der Kunst, indem sie dem "Meistersang" frönen. Richard Wagner schildert diese Sphäre mit teils bissigem Spott. Denn der Enthusiasmus ist groß, aber die Regeln sind starr, alles Neue und Ungewohnte verpönt.

Die Ordnung gerät ins Wanken, als der junge Walter von Stoltzing alle gesellschaftlichen und künstlerischen Regeln in Frage stellt und sich zudem in Eva verliebt. Die liebt zwar zurück, ansonsten aber stößt Walter auf allgemeine Ablehnung. Nur Hans Sachs, Schumacher und hochgeachteter Meistersinger, erkennt das in ihm schlummernde Potenzial. Mit seiner Hilfe und einer fein gesponnenen Intrige gewinnt Walter das Wettsingen und Eva zur Frau.

Walter von Stoltzing und Hans Sachs sind in diesem Künstlerdrama die Figuren, in denen Richard Wagner seine eigene Überzeugung zum Ausdruck brachte: Die Autonomie der Kunst gegenüber fremden Regeln, ein Zusammenspiel von handwerklichem Können und künstlerisch-kreativer Freiheit - das war auch das Credo des Komponisten. Allerdings kommt in den "Meistersingern von Nürnberg" auch deutlicher als in den meisten anderen Opern Richard Wagners politische Agenda zum Tragen.
In seiner großen Schlussansprache warnt Hans Sachs so vor den Gefahren, die dem Deutschen Reich (des 16. Jahrhunderts) und der "deutschen Kunst" durch "welschen Tand" drohten. Zwar stellt er letztlich die deutsche Kunst noch weit über das Deutsche Reich - der Lobpreis allen Deutschen trug dennoch dazu bei, dass die Nationalsozialisten nicht zuletzt die "Meistersinger von Nürnberg" ideologisch vereinnahmten. Spätestens seit der NS-Zeit ist die Oper also auch Gegenstand heftiger ideologischer Auseinandersetzungen, worauf nicht wenige Inszenierungen ihrerseits Bezug nehmen.

Bei den Bayreuther Festspielen lag die Inszenierung der "Meistersinger von Nürnberg" zumeist in der Hand der Familie Wagner selbst. Der jahrzehntelange Festspielleiter Wolfgang Wagner, ein Enkel Richards, inszenierte die "Meistersinger" nicht weniger als drei Mal. Diesen Inszenierungen wurde oft eine "Butzenscheiben-Romantik" vorgeworfen, die die ideologischen Probleme ausspare und auf eine "heile Welt" setze. Die letzte Inszenierung, die im Jahr 2007 Premiere hatte, stammte von Katharina Wagner, der jetzigen Festspielleiterin.

Mit Barrie Kosky ist nun zum ersten Mal seit Jahrzehnten die "Meistersinger"-Inszenierung eines Nicht-Familienmitglieds in Bayreuth zu erleben. Außerdem handelt es sich um die erste Inszenierung eines jüdischen Regisseurs in Bayreuth.

Rainer Pöllmann

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