KPD-Ikone unter dem Messer
Der Gerichtsmediziner Michael Tsokos behauptet, die Leiche der 1919 ermordeten KPD-Mitbegründerin Rosa Luxemburg wurde nie begraben - sie lagerte jahrzehntelang ohne Kopf und Glieder in der Berliner Charité. Historiker der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind davon nicht überzeugt.
Der Aufsatz von Annelies Laschitza über Persönlichkeit, Leben und Werk der Ermordeten im ersten Teil des Bandes ist ein Dokument der Verehrung, die Rosa Luxemburg bis heute erfährt. Wissenschaftlich belastbar ist Laschitzas Huldigungsschrift kaum. Allerdings erklärt Klaus Kinner als Herausgeber der Forschungsbericht-Reihe bereits im Vorwort, die Stiftung sei "Partei für Rosa Luxemburg, für einen würdevollen Umgang mit dieser großen Märtyrerin des Sozialismus". Insofern weiß der Leser, dass der Wind hier scharf von links weht.
Wichtiger in der Sache ist die minutiöse Rekonstruktion des Mordes sowie des Umgangs mit der geborgenen Leiche Luxemburgs aus der Feder des Sozialwissenschaftlers, Autors und Regisseurs Klaus Gietinger, der sich dabei alle impliziten und expliziten Annahmen von Michael Tsokos vorknöpft. Dieser hatte etwa behauptet, an dem im Mai 1919 untersuchten Körper sei von den Gerichtsärzten Strassmann und Fraenkel kein Kopfschuss beziehungsweise keine Austrittswunde bemerkt worden – es könne deshalb kaum die Leiche Luxemburgs gewesen sein.
Gietinger zitiert aus dem Gerichtsgutachten und setzt Tsokos ins Unrecht. Ebenfalls als kaum haltbar erweist sich Tsokos' Unterstellung, Hals, Hände und Füße Rosa Luxemburgs seien nach der Ermordung mit Draht umwickelt worden – was das Fehlen von Kopf und Extremitäten bei der Charité-Leiche erkläre. Laut Gietinger gibt es keine Quelle, die diese Rekonstruktion bewahrheiten würde. Seine Gegendarstellung überzeugt. Unterstützt wird Gietinger vom Gerichtsmediziner Volkmar Schneider, dem Vorgänger Tsokos' an der Charité.
Die 61 Dokumente im zweiten Teil des Bandes erlauben eine kleine Zeitreise vor allem in linke Winkel des politischen Berlin von 1919. Am stärksten beeindruckt das Gutachten von Strassmann und Fraenkel. Man fährt unter ihrer Anleitung buchstäblich durch den zersprengten Schädel und die Innereien der Fettwachsleiche - das ist zugleich eklig, unheimlich, packend und kurios, und man erlebt die fachlichen Skrupel der Obduzierenden.
Wie objektiv die Auswahl der Dokumente ist, sei dahingestellt. Zur Beweislast-Umkehr reicht das Material indessen. Sofern Tsokos die kopflose Charité-Leiche weiter als die tote Luxemburg deklarieren will, muss er sich redlicherweise auf historische Quellenarbeit einlassen – oder ihm gelingt doch der DNA-Beweis. Worüber sich die engagierten Autoren von "Rosa Luxemburgs Tod" wundern würden.
Besprochen von Arno Orzessek
Annelies Laschitza und Klaus Gietinger (Hrsg.): Rosa Luxemburgs Tod - Dokumente und Kommentare
Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 2010
203 Seiten, 10,50 Euro
Wichtiger in der Sache ist die minutiöse Rekonstruktion des Mordes sowie des Umgangs mit der geborgenen Leiche Luxemburgs aus der Feder des Sozialwissenschaftlers, Autors und Regisseurs Klaus Gietinger, der sich dabei alle impliziten und expliziten Annahmen von Michael Tsokos vorknöpft. Dieser hatte etwa behauptet, an dem im Mai 1919 untersuchten Körper sei von den Gerichtsärzten Strassmann und Fraenkel kein Kopfschuss beziehungsweise keine Austrittswunde bemerkt worden – es könne deshalb kaum die Leiche Luxemburgs gewesen sein.
Gietinger zitiert aus dem Gerichtsgutachten und setzt Tsokos ins Unrecht. Ebenfalls als kaum haltbar erweist sich Tsokos' Unterstellung, Hals, Hände und Füße Rosa Luxemburgs seien nach der Ermordung mit Draht umwickelt worden – was das Fehlen von Kopf und Extremitäten bei der Charité-Leiche erkläre. Laut Gietinger gibt es keine Quelle, die diese Rekonstruktion bewahrheiten würde. Seine Gegendarstellung überzeugt. Unterstützt wird Gietinger vom Gerichtsmediziner Volkmar Schneider, dem Vorgänger Tsokos' an der Charité.
Die 61 Dokumente im zweiten Teil des Bandes erlauben eine kleine Zeitreise vor allem in linke Winkel des politischen Berlin von 1919. Am stärksten beeindruckt das Gutachten von Strassmann und Fraenkel. Man fährt unter ihrer Anleitung buchstäblich durch den zersprengten Schädel und die Innereien der Fettwachsleiche - das ist zugleich eklig, unheimlich, packend und kurios, und man erlebt die fachlichen Skrupel der Obduzierenden.
Wie objektiv die Auswahl der Dokumente ist, sei dahingestellt. Zur Beweislast-Umkehr reicht das Material indessen. Sofern Tsokos die kopflose Charité-Leiche weiter als die tote Luxemburg deklarieren will, muss er sich redlicherweise auf historische Quellenarbeit einlassen – oder ihm gelingt doch der DNA-Beweis. Worüber sich die engagierten Autoren von "Rosa Luxemburgs Tod" wundern würden.
Besprochen von Arno Orzessek
Annelies Laschitza und Klaus Gietinger (Hrsg.): Rosa Luxemburgs Tod - Dokumente und Kommentare
Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig 2010
203 Seiten, 10,50 Euro